Wie es ist, mit über 30 wieder an die Uni zurückzugehen
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Studium

Wie es ist, mit über 30 wieder an die Uni zurückzugehen

Alle um dich herum sind so verdammt jung, und du hast keine Ahnung mehr, wie man lernt. Willkommen zurück!

Österreich ist zwar ein Land der Titel, aber nicht unbedingt der Abschlüsse. Laut OECD besitzen 86 Prozent der heimischen 25- bis 64-Jährigen keinen Universitätsabschluss. Das liegt laut Bildungsexperten unter anderem am gut ausgebautes System der dualen Berufsausbildung. Aber natürlich auch an einer ganzen Reihe an faulen Säcken. Faulen Säcken wie mir.

Die Geschichte, warum ich mit mittlerweile 31 Jahren noch keinen Studienabschluss habe, ist schnell erzählt: Vor einigen Jahren ergatterte ich eher zufällig einen Job in der Medienbranche und legte—wie so viele vor mir—mein Studium der Politikwissenschaft erstmal auf Eis, um es „später schon noch fertig zu machen". Das Konzept „später" hat leider ein paar grundlegende Probleme. Dinge, die man später tun will, nagen nämlich an einem herum. Da ist immer irgendwo noch was offen. Letztendlich gibt es dann zwei Möglichkeiten: Entweder man gibt nach ein paar Jahren entnervt auf. Oder das „später" wird irgendwann zum „jetzt".

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Seit diesem Semester besuche ich wieder die Universität Wien (die man auch „Hauptuni" nennt, hauptsächlich um TU-Studenten zu ärgern). An die Uni zurückzugehen ist seltsam. Eine Regression, ein Rückschritt im Leben. Universität, das sind im Kopf die 20er, das ständige Saufen unter der Woche, Rucksacktrips nach Asien, wo man mit Israelis Gras raucht und Durchfall hat. Das relativ sorglose Leben also.

Wenn man ein paar Jahre gearbeitet hat, besteht das Leben zwar auch noch aus gelegentlichem Saufen, aber eben auch aus Haftpflichtversicherungen, Steuernachforderungen und zweiwöchigen Pauschalreisen auf kleine griechische Inseln, wo man im Geheimen die Arbeits-E-Mails liest. Auf die Uni zurückgehen fühlt sich ein bisschen so an, wie wieder eine längere Zeit bei den Eltern verbringen: Es wirkt im Prinzip vertraut, aber man weiß auch irgendwie, dass man eigentlich nicht hier sein sollte.

Alle um dich herum sind so verdammt jung, und du hast keine Ahnung mehr, wie man lernt.

Ein älterer Student zu sein, ist großartig und furchtbar zugleich. Man hat seinen Kollegen auf jeden Fall etwas voraus: Der durchschnittliche 22-jährige Powi-Student weiß zwar, dass der Neoliberalismus die Welt in steigender Geschwindigkeit auffrisst, aber eigentlich nicht viel mehr vom Leben (glaubt mir, ich war mal einer). Das ändert sich, wenn man ein bisschen älter wird. Ich würde nicht unbedingt sagen, dass man zwingend politisch weniger links steht—aber Einstellungen verändern sich, wenn sie den Aufenthaltsraum der Bagru verlassen und ein Rendezvous mit der Realität haben. Manche Positionen verschwinden im Arbeitsleben, andere werden sogar stärker.

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Solltest auch du mit dem Gedanken spielen, deinen Bürojob zu verlassen und in einem verzweifelten Versuch, die Enttäuschung deiner Eltern zu vermindern, deinen Master in Ernährungswissenschaften nachzuholen: Hier sind drei Erkenntnisse, die du auf jeden Fall haben wirst.

Alle sind jung. Verdammt jung.

Wenn man wie ich im weiten Bereich der Musikindustrie tätig war, ist man es natürlich gewohnt, mit Leuten Mitte 20 zu tun zu haben. Aber die Leute auf der Uni sind noch einmal ein Stück jünger. Es sind teilweise nicht mal mehr Millennials, nicht mal mehr die viel herbeizitierte Generation Y. Und seitdem man auch nicht mehr so lange studieren kann, wie man möchte, gibt es auch viel weniger „ewige Studenten" auf der Uni. Die Menschen in deinen Seminaren wurden teilweise nach Vranitzkys Kanzlerschaft geboren und sind jünger als Pokemon. Als sie die Volksschule verließen, setzte gerade die Finanzkrise an, die Welt umzuwerfen. Der 11. September ist für deine neuen Kollegen ein historisches Ereignis—und keines, von dem man sein ganzes Leben lang wissen wird, wo man an dem Tag war.

Das wäre ja alles noch kein grundsätzliches Problem. Aber diese jungen Menschen stehen halt auch an einem ganz anderen Punkt ihres Lebens. Sie sind gerade bei ihren Eltern ausgezogen, wollen sich ausprobieren und austoben. Drogen, Sex, Zügellosigkeit. Trinken bis 5:00 und um 9:00 wieder im Seminar sitzen. Dieses Zeug halt.

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Darin hat man selbst keinen Platz. Gar nicht mal zwingend, weil bei einem selbst der Kater mittlerweile zwei Tage dauert und der Rücken schon ein bisschen zieht. Sondern weil man selbst das ja alles schon gemacht hat. Und das Letzte, was 19-Jährige brauchen, ist der alte Sack, der bei all den Dingen, die ihnen jetzt neu und spannend vorkommen, wissend vor sich hin brummt und Sachen wie „Ja, ist eh OK" murmelt.

Es ist alles gleich und immer wieder anders

Nein, wenn du nicht in den späten 90ern das letzte Mal auf der Uni warst und die letzte große Umstellung auf das Bologna-System noch irgendwie mitbekommen hast, hat sich nichts grundlegend geändert. Studierende langweilen sich immer noch in Vorlesungen und kommen zu spät in Seminare, um dort ihren Kollegen bei endlosen Referaten nicht zuzuhören. OK, man lernt jetzt standardmäßig, wie man Tweets zitiert.

Trotzdem: Solltest du kein neues Studium anfangen, sondern eine alte Fährte wieder aufnehmen wollen, stell dich darauf ein, dass sich irgendwo in den Änderungen im Curriculum der letzten Jahre ein Stolperstein versteckt. Auch wenn die großen Revolutionen ausgeblieben sind, können dich aufgrund der Voraussetzungsketten schon kleine Anpassungen einiges kosten. Plötzlich fehlt dir irgendeine Methodenvorlesung aus dem dritten Semester, ohne die du nicht weitermachen kannst. Dann hängst du ein Semester nur daran und bläst gleichzeitig jegliche Motivation raus in den Rathauspark. Es ist auf jeden Fall ratsam, früh genug bei der Studienservicestelle nachzufragen. Du wirst das eh nicht machen, aber jetzt bist du zumindest gewarnt.

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Man muss das Lernen wieder lernen

Also genau genommen nicht nur das Lernen, sondern erstmal das Zuhören. Im Job sitzt man sehr selten 90 Minuten still auf seinem Hintern und hört jemandem zu. Und wenn, dann zumindest nicht fünf oder sechs Mal die Woche. Ganz ehrlich: Sich darauf wieder einzustellen ist viel, viel schwieriger, als man sich das vorstellt. Gerade wann man einen stressigen Job hatte, den man ohne Hummeln im Hintern nie vernünftig hätte machen können, wird man bereits nach 15 Minuten nervös, weil der oder die Vortragende einfach nicht zum Punkt kommen will. Die schlechte Nachricht: Da muss man durch. Die gute: Es wird mit der Zeit ein bisschen besser.

Auch andere, längst vergessene Talente müssen reaktiviert werden. Je nach Studiengang sind das entweder das Lernen (die wenigstens Jobs der Welt beinhalten die Notwendigkeit, viele Informationen für kurze Zeit ins Hirn zu trommeln: dafür gibt es Computer) oder die Fähigkeit, Unmengen an sozialwissenschaftlichen Texten zu konsumieren, ohne dabei wahnsinnig zu werden.

Verglichen mit einem Job ist der Arbeitsaufwand eines Studiums ein Witz.

Auch hier gibt es wieder gute Nachrichten: Wenn ihr länger in einem anspruchsvollen Job überlebt habt, wird euch das alles nicht umhauen. Studierende jammern gerne, aber völlig zu Unrecht. Der Arbeitsaufwand ist mit einem Job im Normalfall (nein, ich kann nicht für jedes Studium sprechen, und genau DEINES ist sicher ganz anders) nicht zu vergleichen. Wirklich stressig ist es nur ein paar Wochen im Jahr, weil da Prüfungen sind oder man die Abgabe der Seminararbeit wieder auf die letzten fünf Tage verschoben hat.

Alles in allem ist es meiner (vorläufigen) Meinung nach definitiv eine lohnende Erfahrung, der Uni mal wieder einen ausführlicheren Besuch abzustatten. Man hat in fast keinem Job der Welt die Chance, sich so intensiv geistig zu betätigen. Manches fällt einem auch mit 30+ deutlich leichter. Der österreichische Staat bietet einem mit Dingen wie der Bildungskarenz und dem Selbsterhalterstipendium solide Finanzierungsmöglichkeiten, um sich noch einmal mit Dingen zu beschäftigen, die einen wirklich interessieren. Das kann man wirklich schon mal nutzen.

Und den jungen Studenten und Studentinnen, die es bis hier unten geschafft haben, sei noch eines gesagt: Seid milde zu den komischen, etwas älteren Leuten in euren Seminarräumen. Eines Tages könntet auch ihr das mal sein.

Jonas auf Twitter: @l4ndvogt