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Von der Lebenslaufhure zur Unternehmensberaterin

„Carpe diem" am Arsch. Wann genau war der Moment im Leben, als man seine Träume gegen einen Firmen-Laptop und peinlichen Sex mit Kollegen im Büro eingetauscht hat?

Foto: imago | Westend61

„Als Kind wollte ich Meeresbiologin werden. Als ich dann groß war, wusste ich: Damit machst du kein Geld. Intrinsische Motivation? Von wegen. Das Leben ist kein Ponyhof. Irgendwann wird es sich auszahlen, dass ich diesen Job mache. Ich werde beweisen, was wirklich in mir steckt, vor allem mir selbst. Und dann? Dann werde ich den Job endlich an den Nagel hängen."

Dies ist nicht etwa der Klappentext der Autobiografie eines Freudenmädchens, sondern ein Auszug aus dem Tagebuch einer Lebenslaufhure. Also einer Person, die weiß, wie sie ihr Curriculum Vitae zu füllen hat, um später beruflichen Erfolg zu haben. Er ist aus meinem Tagebuch. Entstanden gut ein Jahr, nachdem ich mich wie viele andere High-Potentials an die Unternehmensberatung verkauft hatte.

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Spätestens nach der Matura zeigt sich, wer das Zeug zur Karriere hat, wenn sich Massen von angehenden Lebenslaufhuren zur Elite ausbilden lassen und dem Bulimie-Lernen verfallen: Alles wird in kürzester Zeit auswendig gelernt und pünktlich am Tag der Prüfung wieder ausgekotzt. Da auch soziales Engagement, Auslands- und Praxiserfahrung im Lebenslauf nicht fehlen dürfen, werden Besuche bei Oma im Altersheim kurzerhand zum Ehrenamt erklärt, der Ferienjob am Band zur praktischen Arbeitserfahrung uminterpretiert, das Erasmus-Partysemester in Barcelona zur Auslandserfahrung euphemisiert. Der Lackmustest einer Lebenslaufhure ist schließlich der Bewerbungsprozess für die heiß begehrte Stelle als Consultant in einer Unternehmensberatung. Habe ich mein CV ausreichend gepflegt? Genug Fleißbienchen gesammelt? Erfülle ich die Auswahlkriterien? Vertrackt!

Auf zu neuen Gefilden—dort, wo Birkenstocks verboten sind

Als ich meiner Familie erzählte, dass ich meine Bewerbung auch an Unternehmensberatungen schicken werde, waren sie nicht begeistert. Wenn man auf den gängigen Internet-Job-Websites nach einer Stelle sucht, kann man sich den Anzeigen der Unternehmensberatungen irgendwann aber auch einfach nicht mehr entziehen. Das ist wie mit McDonald's: Es ist omnipräsent und man kommt nicht daran vorbei, insbesondere wenn man verzweifelt genug ist und lange nach etwas Anderem gesucht hat. Außerdem gibt es nirgends sonst so ein gutes Einstiegsgehalt. Und die steile Karriereleiter öffnet einem alle Türen für danach. Diese handfesten Argumente zogen bei meiner Familie trotzdem nicht. Meine Mutter fragte mich, ob ich enterbt werden möchte. Von meiner Tante bekam ich eine Postkarte mit einem Hamster im Hamsterrad, darunter stand: „Das Hamsterrad sieht von innen aus wie eine Karriereleiter!" Mein Vater kommentierte: „Die Seelenfänger waren also erfolgreich." Aus der Beamten-Hängematte heraus lässt sich jedoch gut polemisieren, über die Wirtschaft herziehen und sich zu sozialen Wächtern aufspielen, denke ich.

An meinem ersten Tag in der Beratung schlüpfte ich in das Businessoutfit und fühlte mich großartig. Ich liebe die Vorstellung, jeden Tag ein Kostüm zu tragen. Viel besser als Birkenstock-Sandalen, ein weißer Kittel oder ein Holzfällerhemd mit Farbklecksen drauf. Meine Mutter hingegen beäugte mich kritisch und besorgt. Ich fühlte mich wieder wie mit 15, als sie meine Kreolen-Ohrringe und die „Fat-Maker" in den Skater-Schuhen mit Kopfschütteln und spitzem Mund abgestraft hatte. Aber mir war das erst einmal egal, denn: Auf zu neuen Gefilden!

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Same shit, different place

Die ersten Monate in der Beratung waren dann allerdings ernüchternd. Ich habe festgestellt: Letztlich sind die JungberaterInnen von morgen auch nur die StudentInnen von gestern. Denn Schule, Uni und Unternehmensberatung sind beinahe das gleiche: Man wird mit Gleichaltrigen eingeschult, nur heißt es statt „Klasse 1C" nun „Grade C1: Associate Consultant". Die geliebte Alltagsstruktur gibt nun nicht mehr der Lehrplan, sondern der Outlookkalender vor. Papier und Stift werden ersetzt durch Laptop und Excel. Die Digital Natives sollten sich wie zu Hause fühlen! Vorlesungen heißen fortan Meetings und Calls und die Hausaufgaben und Klausuren werden Deliverables und Milestones genannt. Klingt doch gleich viel besser! Noten werden durch Mid und End Year Reviews ersetzt, Versetzungen werden zu Promotions. Und Studienfahrten finden ab sofort auf einer Yacht oder im 5-Sterne-Skiressort in Kitzbühel statt. Sogar die Dualität, zwei Herren zu dienen, währt fort: Professoren werden zu „Kunden", Eltern werden zum „Arbeitgeber". Bleibt also alles beim Alten. Same shit, different place.

X-Fucktor in der Beratung: Work hard, fuck hard

Wieso fällt in den Beratungen immer die Floskel „Work hard, play hard", wobei es doch eigentlich „work hard, fuck hard" heißen sollte!? Denn wie oft habe ich mittlerweile schon gehört, dass zwei Kollegen ihren Kollegenstatus nicht mehr aushielten und sich gegenseitig auf eine ganz besondere Art und Weise „challengen" mussten, bevor sie wieder vernünftig und gesittet weiterarbeiten konnten! Dabei frage ich mich: Möchte man erfahren, dass Stefan „einen so Kleinen hat, dass nur noch eine Lupe hilft"? Will man wirklich wissen, dass von Anna ein paar Nacktbilder in der Kollegen-Whatsapp-Gruppe kursieren? Ganz zu schweigen von den Bildern, die im Kopf entstehen, wenn man erfährt, dass Vice President Christian Praktikantin Sandra eine Avance gemacht hat und Sandra daraufhin ein Hotelzimmer für eine Nacht länger gebucht hat. Und wieso hat Mareike schon zum dritten Mal einen Korb von einem Werkstudenten kassiert und wieso weiß ich auch noch davon?

Statt „carpe diem" scheint im Beratungsbusiness das Motto „carpe noctum" zu gelten. Ergibt ja auch mehr Sinn, denn tagsüber sitzt man sich den Hintern auf dem Bürostuhl tot und kommt zu nichts. Für hedonistische Dinge wie Romantik und Leidenschaft ist keine Zeit. Doch wenn dann gegen Mitternacht die Excel-Tabellen langsam alle gleich aussehen und man Gefahr läuft, sich in den komplexen Excel-Formeln zu verstricken, versucht man es lieber mit einer einfacheren Formel: Ich x Du x X = Sex. Das „X" in der Formel steht für die unbekannte Variable, den sogenannten X-Fucktor, der nach dem „Wieso eigentlich nicht?" fragt. Es stellt das bisschen Gewissen und Ratio dar, das auch im alkoholisierten Zustand oder nach Mitternacht noch vorhanden ist. „Soll ich den Deal mit ihm/ihr wirklich eingehen? Oder wirft das ein schlechtes Licht auf mich, wenn es jemand erfährt? Nicht umsonst sagt man doch „Never fuck the company!". Na ja. Andererseits haben der Stefan, die Sarah und der Kai es doch auch schon gemacht. Ach, fuck it! Oder besser: Fuck him! Ziemlich genau so dürfte der innere Kurz-Monolog aussehen, bevor es sich dann zuspitzt. Dadurch wird der X-Fucktor auch immer bei null liegen, wodurch die Gleichung in jedem Fall zum positiven Ergebnis führt.

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Das einzig störende Gap war die Bettlücke …

Doch wie schaffen es A und B, sich am nächsten Tag wieder in die Augen zu schauen und über Gap-Analysen und Due Diligence zu diskutieren oder As-Is- und To-Be-Diagramme zu entwickeln, wenn vergangene Nacht das einzig wirklich störende Gap die Bettlücke war? … wenn die Risiken vergangener Nacht nicht sorgfältig geprüft wurden? Und wenn das To-Be noch wie ein Riesenfragezeichen über den Köpfen im Raum schwebt?

„Maybe it becomes less of an intimate thing", sagt meine Mitbewohnerin aus London. Vielleicht überträgt sich die Oberflächlichkeit, die der Beruf mit sich bringt, auch auf das Sexualverhalten der Berater? Möglich. Vermutlich sogar sehr wahrscheinlich. Doch das ist bestimmt nicht der einzige Grund, wieso man sich dazu entschließt, einen „allnighter" der ganz besonderen Art zusammen durchzuziehen. Schafft Verzweiflung Verbündete? Der Teamzusammenhalt ist schließlich einer der Hauptgründe, weshalb junge Absolventen den Beraterjob anziehend finden. Wie oft habe ich nicht schon den Satz gehört „Ich hätte niemals so viel Spaß auf dem Projekt gehabt, wenn ich nicht solch ein klasse Projektteam gehabt hätte!"?

Aha. Jetzt weiß man auch, was hinter dem Wörtchen „Spaß" so stecken kann. Außerdem ist Spaß auch nicht wirklich das Erste, was einem in den Sinn kommt, wenn man an die 15-Stunden-Tage und die Berater, die hinter dem Laptop klemmen, denkt. Fehlt Consultants also schlichtweg der Ausgleich? Sind Berater etwa depriviert? Dass sie schlafdepriviert sind, weiß jeder. Dass sie auch beischlafdepriviert sind, könnte so einiges erklären. Schließlich sagt uns unser Instinkt: Pflanze dich fort!

Jetzt fehlt eigentlich nur noch, dass die erbrachte nächtliche Leistung, sozusagen das gemeinsame Deliverable, auch den verdienten Platz im CV bekommt. Am besten in der „Hobby-Sparte", neben Segeln, Golfen und Reisen steht demnächst vielleicht „Sich verhalten wie Bonobos im Klosterklo". Getreu dem X-Fucktor: Wieso eigentlich nicht!?