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Wie man am besten ein Haus besetzt

Kettensägen, Böller und Workshops: zu Besuch auf den Squatting Days, dem internationalen Hausbesetzerkongress in Hamburg.

Die Kastanienallee 86 in Berlin. Foto: ctot_not_def | Wikimedia | CC BY 2.0

Nachdem die Räumung der Pizzeria Anarchia in Wien für viel Aufsehen gesorgt hat, erzählt unser Autor nun von den Squatting Days in Hamburg, über die in Österreich bislang nicht berichtet wurde. Dabei wäre dieses Treffen der internationalen Besetzerszene gerade für österreichische Aktivisten eine gute Anlaufstelle, denn dort lernt man, wie man Häuser am besten und langfristig besetzt. 

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Menschen grölen, ein paar Böller explodieren, eine Kettensäge röhrt. Eigentlich wollte ich mich gerade zu meiner kleinen Nichte ins Bett legen, als auf der Breiten Straße die Hölle losbricht. Aus meinem Küchenfenster kann ich das schon lange leerstehende Haus gegenüber sehen, Scheinwerfer leuchten über die Fassade, aus dem obersten Stockwerk hängt: „Besetzt, gez. Lobby“. Vor dem Haus steht jede Menge Polizei, auf der anderen Straßenseite die Demonstranten, die ihre Freunde im Gebäude mit Parolengesängen anfeuern. Die Polizisten versuchen sich mit einer Kettensäge Zutritt zum Haus zu verschaffen. Die Besetzer werfen Böller, kippen Farbe aus den Fenstern, sprühen mit Feuerlöschern Richtung Eingang und werfen Türen und sonstiges Mobiliar auf die Straße. Meine 5-jährige Nichte schläft tief und fest. Nach etwa vier Stunden ist alles vorbei—die Bilanz: 13 verletzte Polizisten und fünf festgenommene Besetzer. Gegen zwei von ihnen wird später eine Untersuchungshaft angeordnet. Der Vorwurf lautet: gemeinschaftlich versuchter Totschlag.

Was ich durchs Küchenfenster erlebt hatte, war der Auftakt der Squatting Days (to squat = besetzen) in Hamburg letzten Mittwoch—einem Treffen für die internationale Besetzerszene. Rund um den Besetzerkongress kam es noch zu einer weiteren Platzbesetzung, einer symbolischen Besetzung der Kantine der Hamburger Finanzbehörde und einer Demo zum Thema „Selber Handeln – Gegen eine profitorientierte Stadtentwicklung“ mit etwa 1300 Teilnehmern. Fünf Tage lang campierten und trafen sich nach eigenen Angaben etwa 400-500 Aktivisten im August-Lütgens-Park in Hamburg Altona (der Bezirk hat das genehmigt), um an Seminaren, Workshops und Filmvorführungen rund ums Thema Hausbesetzung, Stadtentwicklung, Leerstand, Gentrifizierung, besetzte Projekte. Außerdem ging es um Konzepte und Strategien. Nach dem Spektakel vor meiner Tür wollte ich mir einen Blick in das Camp nicht entgehen lassen.

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Das Camp. Alle Fotos ab jetzt: Roeler.com

„Wir wissen nicht, was genau gestern Abend passiert ist“, sagt Hanna, eine der Sprecherinnen und Mitorganisatorinnen für das Camp: „Wir kennen auch nur das, was in den Medien zu lesen ist.“ Wir sind im Infozelt am Eingang zum Squatting-Camp. Hinter ihr stehen ein paar Tische mit Flugblättern und kleinen Broschüren etwa über das Thema Repression oder über den Umgang mit einem Trauma nach einem gewalttätigen Übergriff der Polizei. In der Mitte des Zelts befindet sich eine Magnetwand, an der Bilder von leerstehenden Häusern in Hamburg mit den jeweiligen Adressen hängen. Auf einem Whiteboard wurden Autokennzeichen, Modell und Farbe von verschiedenen Zivilautos der Polizei aufgeschrieben.

Hanna erklärt mir, dass aus dem Camp heraus keine Besetzungen geplant und vorbereitet werden. Dies sei ein bildungspolitisches Camp, in dem es vor allem um den Austausch mit anderen Aktivisten geht. Sie erzählt mir auch, dass gerade ein ehemaliger Bauwagenplatz ganz in der Nähe besetzt wird—vermutlich ist es deshalb relativ leer im Camp. Auf mit Polstern bedeckten Palletten sitzen ein paar Besucher, rauchen, essen und unterhalten sich. Links befindet sich ein größeres weißes Zelt mit einem Schild: „Der Kaffee für den täglichen Aufstand“. Zwischen den Zelten, die als Workshopräume dienen, befüllen ein paar Aktivisten Farbbeutel. Ein Banner hängt an einem Baum: „Friede den Hütten, Krieg den Palästen.“ Ich mache mich auf den Weg zum Bauwagenplatz, um mir eine Besetzung in Echtzeit anzusehen.
 
Die wirkt dann aber eher wie eine große Grillparty. Es wird Musik gespielt, Bier getrunken, gegessen, gelacht, auf der Straße gestanden, Trecker gefahren und sich unterhalten. Drumherum stehen Polizisten und schauen dabei zu. Auf einem Banner steht: „Gegen den Ausverkauf der Stadt. Selbstbestimmtes Leben für alle.“ Am späten Abend wird der Platz geräumt. Von den etwa 130 Anwesenden wurde die Personalien festgestellt und einer wurde vorläufig verhaftet. Die Aktivisten sprechen auch von Pfeffersprayeinsatz der Polizei. Während die Boulevard-Presse die Camper als Brutalo-Besetzer betitelt, tritt der eigentliche Grund für die Besetzungen in den Hintergrund – das Aufzeigen von Leerstand, das Anprangern von Immobilienspekulanten während andere in Wohnungsnot sind.

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Ich sitze mit rund 20 weiteren Interessierten in einem Workshop. Azozomox, so das Pseudonym des Aktivisten, redet unter anderem über die Strategien und Widerstandskonzepte der Berliner Besetzer, die mittlerweile sogar eine schicke Webseite mit interaktiver Karte haben. Ein Zuhörer fragt nach Strategien, um länger in einem Gebäude bleiben zu können. „Zuerst sollte man sich über das Haus informieren. Ist es in Privatbesitz? Kann die Polizei den Eigentümer schnell erreichen, um eine Räumung durchzuführen? Gehört es der Stadt? Dann müssten erst die Politiker entscheiden, wie man weiter vorgeht“, erzählt der Workshopleiter: „Manchmal helfen Demos vor den Privathäusern der Eigentümer.“ Aber auch das sei nicht immer hilfreich: „Einem haben die Aktivisten sogar das Auto verbrannt. Es hat ihn nicht interessiert.“ Einige Besetzer setzten auf die militantere Version nach dem Motto: Greift ihr uns an, schlagen wir zurück. Hier wird Angst verbreitet. „Das Köpi in Berlin geht so vor. Selbst bei Zwangsversteigerungen wollte kein Investor das Gebäude kaufen, weil sie sich nicht mit den Besetzern anlegen wollten“, sagt azozomox. Nach dem Workshop gibt es ein kurze Pause und etwas zu essen. Am Abend gibt es in der Roten Flora ein Jubiläums-Konzert mit den Absoluten Beginnern für 25 Jahre erfolgreiche Hausbesetzung. Über einen Beamer und mit Lautsprechern können die anderen rund 7000 Besucher vor der Flora ebenfalls mitfeiern.

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Am nächsten Tag treffe ich einige Leute aus dem Workshop auch auf der Demo. Wir folgen dem Lautsprecherwagen. Die Demonstranten rufen: „Ihr reißt die Häuser nieder—und wir sind die Chaoten“. Der Aufzug bleibt friedlich, nur hin und wieder hört man einen Böller knallen. Dafür bildet sich am Abend eine Spontandemo mit etwa 500 Leuten. Es wurden Böller und Nebeltöpfe angezündet, Barrikaden aus Müll versperrten den Weg. Später wurde eine Gruppe von etwa 25 Leuten eingekesselt und vorläufig festgenommen. „Aber das waren eigentlich fast nur ortsfremde Besucher, die nicht wussten wo sie lang müssen“, erzählt mir azozomox.

Der 40-jährige kommt nach eigenen Angaben aus autonomen anarchischen Zusammenhängen. Er hat an diversen Publikationen zum Thema Hausbesetzung wie dem Buch „Reclaim Berlin“ mitgearbeitet. In Berlin gehört er zu den Besetzern des Bethaniens, eines ehemaligen Künstlerhauses, indem sie das Soziale Zentrum „NewYorck“ betreiben. „Ich finde Hausbesetzung ist ein legitimes Mittel, um privates Eigentum in Frage zu stellen“, sagt er: „eine Besetzung ist nicht legal in Deutschland—aber berechtigt.“ Sie sei auch immer ein Mittel, um politische Forderungen durchzusetzen. Und dabei ginge es hier nicht nur um Gebäude, sondern auch um Schrebergärten, Freiflächen und Wälder.

Auch die Motivationen sind unterschiedlich. Vor zwei Jahren besetzten in Berlin Senioren aus dem Bezirk Pankow ihre Begegnungsstätte. „Der Bezirk hatte beschlossen die Senioreneinrichtung zu schließen“, erzählt azozomox. Aber die Senioren sahen dies anders. Nach 111 Tagen Hausbesetzung gab der Bezirk nach und sicherte den Erhalt zu. Eine Gruppe Aktivisten wohnt derzeit im Hambacher-Forst, um diesen vor dem Kohleabbau zu schützen. „Spannend finde ich, wenn Menschen versuchen andere Lebensformen auszuprobieren“, sagt azozomox: „Es ist aber eben schwer Häuser zu finden, um in einem großen Kollektiv zu leben.“

Für ihn sollten die Leute, die in den jeweiligen Häusern wohnen, auch über das Gebäude bestimmen können. „Es ist nicht in Ordnung, dass wenige viele Häuser besitzen und diese dann einfach leer stehen lassen“, erklärt der Berliner. Eigentum verpflichtet – dies steht so in Artikel 14 des Grundgesetzes. „Leerstand ist ein Skandal“, sagt azozomox: „Ich bin dafür den Kapitalismus abzuschaffen. Das ist reines Profitstreben.“ Eine Gruppe Italiener kommt zu uns an den Tisch. Sie wollen sich verabschieden, das große Plenum ist vorbei und die Camper verlassen nach und nach das Lager. Azozomox unterhält sich ein letztes Mal mit seinen Freunden. Die Besetzer-Bewegung ist gut vernetzt, der Austausch ist sehr groß. Und bis zum nächsten Treffen im September in Dublin müssen die Freunde ja auch nicht mehr lange warten.