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Wie mein Freund in Syrien den Märtyrertod finden wollte

Ich habe meinen Kumpel begleitet, der in Syrien einer terroristischen Organisation im Kampf gegen Assad beitreten wollte.

Wir hatten auch die

Syrienausgabe von VICE

mit dabei.

Obwohl es ein edles Motiv für einen Muslim sein kann, seine muslimischen Brüder in Syrien zu unterstützen, ist das doch eine weitaus kompliziertere Mission, als man sich es vorstellt. Die Regeln sind sehr streng und unberechenbar, Betrüger versuchen, dich abzuzocken, Waffenlieferungen kommen nicht an, deine Handlanger sind unzuverlässig und du musst mit Folter, Entführung und dem Tod rechnen. Ich begleitete fast ein Jahr lang einen jungen deutschen Muslimen, der versuchte, den Weg in den vermeintlich Heiligen Krieg in Syrien zu finden. Um im Kampf gegen das brutale Regime den süßesten aller im Islam beschriebenen Tode—den Märtyrertod—zu finden.

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„Ich fahre runter nach Syrien, weil ich da gegen eine Armee von Tieren kämpfen will, die seit 40 Jahren Menschen abschlachten. Jetzt tun sie es ganz offen, töten Frauen und Kinder—und sogar das Vieh in den Dörfern, damit die Menschen nichts mehr zu fressen haben. Ich kämpfe dann gegen eine reguläre Armee, ich töte keine Zivilisten, das möchte ich ausdrücklich betonen“, sagte mein Kumpel, den ich hier Ahmed nennen werde, weil er anonym bleiben möchte, vor seiner Abreise nach Syrien.

Auch europäische Islamisten kämpfen zur Zeit in Syrien. Gerade erst hörte man, dass der deutsche Ex-Rapper Deso Dogg, aka Denis Mamadou Cuspert, vor einigen Tagen durch Fliegerbomben in Syrien verletzt worden sei. Er heißt in Syrien Abu Talha al-Almani und kämpft an der Seite der Rebellen gegen das Regime von Diktator Baschar al-Assad—und genau das wollte mein Kumpel auch tun.

Dreimal flog er alleine in die syrisch-türkische Grenzregion. Die vierte Reise, auf der ich ihn begleitete, sollte seine letzte sein. Alles Hab und Gut in Deutschland hatte er verkauft, seine Wohnung aufgelöst und das Geld in einen Jeep gesteckt. Falls er nach den Kämpfen wieder zurück nach Deutschland will, ist es für das Landeskriminalamt fast unmöglich, ihn strafrechtlich zu verfolgen, weil man ihm erstmal eine Beteiligung an Kriegshandlungen oder terroristischen Handlungen nachweisen muss. Nur aktenkundigen Islamisten darf bei Verdacht im Vorfeld der Pass und der Personalausweis abgenommen werden, und sie werden unter Beobachtung gestellt.

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Als Dschihadist—besser: als Mujahid, so das korrekte arabische Wort—wollte mein Kumpel in den Krieg gegen die ungläubigen Alawiten und Baschar al-Assads Clan ziehen. Nach seiner—sunnitischen—Ansicht sind die Alawiten keine Muslime, obwohl sie sich gerne als solche geben. „Ich plane, mich dem bewaffneten Widerstand anzuschließen, da ich Muslim bin und wir zur Zeit die Situation eines Dschihads haben, eines Heiligen Krieges, und es werden Muslime abgeschlachtet, und jeder Muslim, der Allah und den Jüngsten Tag fürchtet und die Möglichkeit hat, soll sich dem anschließen.“

Ahmed ist arabischer Abstammung, aber in Deutschland geboren und aufgewachsen. Er entschied, sich der islamistischen al-Nusra-Front anzuschließen, der angeblich härtesten im syrischen Krieg beteiligten Brigade—zu dem Zeitpunkt waren sie noch nicht von den USA als Terrororganisation eingestuft worden. (Die Amerikaner haben die al-Nusra-Front im Dezember 2012 auf ihre Terrorliste genommen—zusammen mit al-Qaida. Die Engländer sind im Juli 2013 nachgezogen.)

Vor der gemeinsamen einwöchigen Fahrt von Berlin nach Istanbul berichtete er mir von Versehrtenhäusern, denen es an allem medizinischen Equipment mangelte. Aus dem Grund sammelte er in Deutschland im Vorfeld von befreundeten muslimischen Ärzten Verbandsmaterial, Kanülen und Schläuche. Die Kisten füllten das ganze Auto aus. Wir wollten es den Kriegsverletzten spenden, die vor sich hin gammelten, und deren Schicksale meinem Kumpel bei seinem letzten Besuch vor Ort das Herz berührt hatten.

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Unser Plan war, das Auto wie bereits von ihm abgesprochen, an einen Rebellenboss in einem türkischen Dorf voller Freie-Syrische-Armee-Kämpfer zu verkaufen. Dann wollten wir ins Kriegsgebiet, in die syrische Stadt Raqqa—der ersten Stadt, die als islamisch oder islamistisch „befreit“ gilt. Ich wollte in seinem Schlepptau mitkommen, komplett verschleiert, und undercover berichten. Raqqa wird von der islamistischen al-Nusra-Miliz gehalten—eben der Truppe, für die er sich am meisten interessierte.

„In Syrien haben wir, na ja, ich will nicht sagen, die ideale Situation, eine Dschihad-Situation wie aus dem Lehrbuch. Es gibt keine Ausreden für mich, denn die Lage ist klar, die Waffen sind da, es ist klar definiert, man muss keine Angst haben, in einen Bruderkrieg verwickelt zu werden“, erzählt er weiter.

Während der Reisevorbereitung fragte ich ihn, warum er sich nicht den normalen Rebellen der Freien Syrischen Armee (FSA) anschließen wolle. Auf seinen vorhergehenden Reisen hatte er viele Rebellen getroffen, die ihn sofort gerne aufgenommen hätten.

„Ich habe Kontakte zur FSA, was nicht besonders schwierig ist, ich habe aber auch Kontakte zu der Gruppe, zu der ich will. Ich bin kein Nationalist, kein Syrer. Deshalb will ich nicht zur FSA. Die nehmen einen leicht, es gibt eine Waffe, ein wenig Training, und dann geht es an die Front. Das habe ich am ersten in Tag in einem Grenzdorf rausgekriegt. Ich betrachte den Krieg aber nicht unter nationalistischen Aspekten, denn ich bin Muslim, deshalb schließe ich mich einer der muslimischen Gruppen an.“

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Vor allem hatte mein Kumpel Bedenken gegenüber der FSA, da in seinem ursprünglichen Herkunftsland, das ich leider nicht verraten darf, ein Sprichwort besagt, „niemals einem Syrer zu trauen“. Schließlich seien die Rebellen-Deserteure, die er traf, vor allem die älteren Offiziere, bis vor Kurzem noch Unterstützer des Regimes gewesen. Sie sind also mitschuldig, dass das Regime solange durch Unterdrückung und Folter an der Macht war.

Ich wollte wissen, wie er die islamistische Brigade der al-Nusra-Front ausfindig gemacht hatte. Noch kann man sich bei ihr nicht wie für andere Gruppen über Facebook bewerben. Man muss empfohlen werden.

„Zu dieser Gruppe habe ich Kontakt über Leute, die ich seit Langem kenne, aus den Zeiten vor 9/11. Wenn man keine vertrauenswürdigen Kontakte hat, ist es ein sinnloses Selbstmordkommando. Du wirst von ihnen sofort als Spion eingeschätzt und wahrscheinlich umgebracht.“

Ahmed beruft sich in seinen edlen kriegerischen Absichten auf den Propheten Mohammed: „Wer ein Unrecht sieht, soll es mit den Händen ändern, wenn er dies nicht vermag, mit der Zunge, wenn er das nicht vermag, mit dem Herzen bzw. mit Bittgebeten.“ Er fährt fort: „Ich versuche also nur, das Unrecht mit den Händen zu bekämpfen, da ich es vermag. Das ist zwar noch ein weiter Weg, aber so Gott mir das Schicksal auferlegt hat, ist es halt so.“

Nun wollte ich aber konkret wissen, wie man zu den gut bewaffneten Männern mit den Sturmhauben kommt.

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Er erklärte: „Man wird vermittelt. Die nehmen nicht jeden, und man kann sie nicht so einfach kontaktieren. Man kann heutzutage niemandem vertrauen, besonders nicht in Syrien. Ich muss mir die Situation noch ein wenig genauer ankucken, und ich habe noch einige Defizite oder eher Auffrischungsbedarf im Militärischen. Sobald ich das an Ausrüstung habe, was ich will, sobald ich bei den Leuten angekommen bin, zu denen ich will, werde ich auch direkt an die Front gehen, sobald die Möglichkeit besteht.“

Er betont mehrfach und gerne immer wieder, dass er „nie auf die Idee kommen würde, irgendeinen Anschlag gegen die Deutschen“ zu verüben—das wäre nicht islamisch. Deutschland ist kein islamisches Land, der Staat war immer gut zu ihm und Deutsche sind korrekte Leute.

Bei seiner Liebe zu Mercedes-Benz und Heckler&Koch-Waffen ist es für ihn unmöglich, deutsche Tugenden nicht zu schätzen. Trotzdem wusste er schon als kleiner Junge, dass es immer sein größter Traum bleiben würde, im Kampf für die Muslime zu sterben. Seine Kindheitsfreunde, mit denen er sich vorstellte, als Mujaheddin in den Krieg zu ziehen, wollten ihn aber allesamt nicht begleiten, als es im Herbst 2012 konkret wurde. Kinder, Familie, gute Jobs, nein, das wollte keiner für einen vermeintlich süßen Tod durch Giftgas, Kopfabschneiden oder Folter riskieren.

Zusammen fuhren wir also im tiefsten Winter mit militärischem Gefährt über den malerisch verschneiten Balkan gen türkisch-syrischem Grenzgebiet. Hier schliefen wir für 15 Euro in einem serbischen Jagdhotel mit super Heizung:

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Wir hatten viel Zeit, um uns zu unterhalten. Im heißen, holzgetäfelten Zimmer, mit fünf Meter Schnee vor den Fenstern, fragte ich, was er sich denn unter „Gottesstaat“ in Syrien vorstelle. Wo sei der Sinn, im multikonfessionellen Syrien mit rund zehn bis fünfzehn Prozent christlicher Bevölkerung nun echt einen islamischen Gottesstaat zu erschaffen?

„Ein islamischer Gottesstaat bedeutet in diesem Zusammenhang nicht die Unterdrückung von anderen konfessionellen Gruppen, denn ein islamischer Gottesstaat toleriert alle Religionen. Früher wurden in islamischen Staaten einfach nur Steuern gezahlt, dann war das Ding erledigt. Ich will nicht, dass der Staat irgendjemanden unterdrückt, sondern einfach einen Staat, in dem die Sharia herrscht, in dem alle Leute friedlich nebeneinander leben, und gut. Wenn sich irgendjemand, der jetzt so wichtig in der Gegend umherquatscht, mal ernsthaft mit dem Prinzip Gottesstaat beschäftigen würde, so würde er schnell erkennen, dass dort alle Religionen, auch Juden und Christen, unbehelligt neben- und miteinander leben können.“

Als wir in der Türkei ankamen, war der Mann, der unser Auto haben wollte, nicht da. Wir mussten eine Woche auf ihn warten. Wir hatten noch mehr Zeit, uns zu unterhalten.

Dann gab es Komplikationen, da angeblich ständig die Gesetze zur Aus- und Einfuhr zwischen der Türkei und Syrien an den von der FSA gehaltenen Grenzposten geändert werden, sagte uns der potenzielle Käufer. Wir sollten mit ihm nach Rumänien fahren, da er als Inhaber eines rumänischen Passes uns nur dort den Jeep abkaufen könne. Ansonsten müssten wir viel Zoll an die Türkei bezahlen, das Auto könne aber trotzdem nicht nach Syrien eingeführt werden, da wir als Nicht-Syrer nicht mehr motorisiert einreisen dürften.

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Nur der Käufer mit seinem zweiten—einem syrischen—Pass könne das Auto ins Land bringen. Das hörte sich irgendwie sinnvoll, aber auch zu krude an. Wir wollten nicht mehr mit ihm ins Geschäft kommen, denn er schien auch die 8000 Dollar nicht in bar zu besitzen.

Mein Kumpel erzählte, dass ihm ein Fall zu Ohren gekommen war, in dem ein Syrer einem trickreich zum Freund gewonnenen türkischen Taxifahrer sein Auto abgeschwatzt hatte, um angeblich Gold im Wert von 10.000 Dollar aus Damaskus zu holen. Dann sollte der Taxifahrer einen angemessenen Anteil ausgezahlt und das Auto zurückbekommen. Der Syrer ward nie mehr gesehen.

Dann hörten wir, dass die al-Nusra-Front etwas gegen seine gut sichtbaren Hals- und Hand-Tattoos haben würde, die er sich machen ließ, als er „noch nicht ganz den rechten islamischen Weg“ gefunden hatte. Es ist allen Muslimen bekannt, dass Tätowierungen im Islam verboten sind. Das Gerücht, dass al-Nusra Tattoos mit Säure wegätzen würde und dass Rauchen verboten sei, störte ihn persönlich nicht sehr, davor hatte er keine Angst.

Was ihm die Truppe vergraulte, waren die Nachrichten, die besagten, dass sie foltern würden. Denn die sinnlose Quälerei eines nach islamischem Kriegsrecht eventuell Unschuldigen ist ebenso verboten wie das Töten von Zivilisten. „Kollateralschäden“ sind im Islam ausdrücklich verboten. Auch die Verfolgung Andersgläubiger ist untersagt. Ahmed wollte damit nichts zu tun haben.

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Er recherchierte noch über ein paar andere Brigaden, aber alle schienen ihm chronisch unterfinanziert. Viele hätten nur Kaffee und Zigaretten, alte Waffen, aber keine Munition. Was mit dem Nachschub sei, den Saudi-Arabien und Qatar doch angeblich liefern würden, wollte ich wissen.

„Man sagt zwar immer, dass Geld aus Saudi-Arabien kommt, aber das ist eine Lüge. Es kommt kein Geld, keine Waffen, keine Logistik, wenn Geld kommt aus Saudi-Arabien, dann versickert das in dunklen Kanälen.“

Und der Autoverkauf war auch am Hinken.

Nach einer Woche des telefonischen Vertröstens und Erzählens von Trickbetrugräuberpistolenstorys durch den Rumäno-Syrer verteilte mein Kumpel die Hilfsgüter, ließ das Auto bei einem Bekannten im Grenzgebiet stehen, und wir flogen nach Deutschland zurück (mit dem Billigflieger), ohne es verkauft zu haben. Auch über seine Waffenbestellung konnte er nichts in Erfahrung bringen. Der Typ war einfach verschwunden.

Im türkischen Hotel analysierte mein Kumpel dann, dass seine ursprüngliche Prognose, nämlich die Entfachung des Bruderkriegs zwischen Muslimen schon zu weit fortgeschritten sei, als dass er sich guten Gewissens einer Brigade anschließen könnte. Später erfuhren wir, dass der Jeep bei einem Gefecht mit anschließendem Brand schwer beschädigt worden sei. Er steht jetzt immer noch da. Wir wollen aber erst mal nicht wieder dorthin.

Fotos: Benjamin Hiller

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