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Popkultur

​Wie Musik machende YouTuber ihre Fans verarschen

Egal ob ‚Löwenkind'-Rap von Liont oder die Sangesambitionen der Y-Tittys—es ist Zeit, Kinder und Jugendliche vor der Geldgier ihrer Idole zu schützen.
Bild von Youtubern
Screenshot: YouTube

Wenn ihr nicht wisst, wer Liont ist, ist das nicht schlimm. Timo Mikal Torres ist 22 Jahre alt und verdient seinen Lebensunterhalt damit, kleinen Kindern Dinge zu verkaufen, die sie nicht brauchen. Wie er das macht? Er dreht zusammen mit seiner süßen Freundin Dagi Videos in seinem Schlafzimmer und vergisst dabei in den seltensten Fällen, irgendwelche käuflich erwerbbaren Produkte zu erwähnen, in die Kamera zu halten oder direkt am Körper zu tragen. Weil diese Art von fragwürdigem Product Placement mittlerweile aber zu einem öffentlichen Diskussionsgegenstand geworden sind—so sehr unter dem Radar fliegt man mit Abonnenten im Millionenbereich dann nämlich doch nicht mehr—hat sich Timo da noch was anderes ausgedacht. Ein Rapalbum machen. Löwenkind.

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Das ist nicht so richtig neu, schließlich hat ihn diese ganze Musiksache überhaupt erst zu YouTube gebracht und der erste YouTube-Star, der jetzt auch die ganz große Sangeskarriere anstrebt, ist er schließlich auch nicht.

Jetzt, wo der Hype um ihn und seine YouTube-Gang allerdings groß genug ist, bietet sich es aber natürlich an, ein richtiges Album rauszubringen. Mit Videoauskopplungen, Merchandise und Deluxe-Box zum Preis von 43 Euro. Letzteres ist nicht ungewöhnlich, das machen auch andere Rapper. Der Unterschied ist nur: Das sind in aller Regel richtige Musiker, die sich auch an ihrem musikalischen Output messen lassen müssen. Liont muss (oder zumindest will) das nicht, schließlich ist er „Kein Rapper", wie es auf seinem Album so schön heißt. Er will einfach nur „authentisch" sein und Spaß haben und mit dümmlichem Grinsen, Grundschulniveau-Reime über sein Doppelkinn und Video-Tutorials darüber, wie man ebenjenen Schönheitsmakel mit Smartphone-Apps wieder wegretuschieren kann, richtig krass viel Kohle machen. Damit er noch mehr Instagram-Selfies vom Strand und Food-Challenges aus Los Angeles hochladen kann.

Warum ist das so eklig? Nun ja.

Sehen wir mal davon ab, dass der musikalische Output vom selbsternannten „Löwenkind" die akustische Entsprechung einer Magen-Darm-Grippe ist. Stellen wir für einen Moment mal hinten an, dass diese Frechheit von einem Album in den deutschen Amazon-Rap-Charts aktuell auf Platz 5 steht—und sich damit besser verkauft als To Pimp a Butterfly von Kendrick Lamar oder das neue Orsons-Album. Und das, obwohl die Premium Edition eine Durchschnittsbewertung von 1,5 Sternen hat.

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Gucken wir uns einfach mal kurz dieses schon etwas ältere Promovideo an:

Was wir sehen, ist den Doppelkinn-König, auf dem Bett seiner Freundin, die im Hintergrund auf einem gut sichtbaren Macbook womöglich gerade das hartverdiente YouTube-Money verprasst. Er erzählt, dass er sich mit dem Release seines ersten eigenen Albums einen Traum erfüllt. Den Traum, mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel Geld zu machen.

Ist man ein Spaßverderber, wenn man das nicht gutheißt, Liont vielleicht sogar einen unretuschierbaren Pickel ans Doppelkinn wünscht und sich mittlerweile schon beim Lesen seiner supersympathischen Catchphrase „Hallo Leute!" ein bisschen in den Mund erbricht? Sind die Kiddies da draußen, die alles kaufen, was er und seine ähnlich geschäftstüchtigeLebensabschnittspartnerin Dagi Bee, einfach selbst schuld, wenn sie so dumm sind, ihr hart erspartes Taschengeld für—man kann es nicht oft genug wiederholen—SCHEISSE auszugeben? Oder war es lange überfällig, dass die Diskussion um das Moralverständnis der ach so sympathischen, jungen Kapitalismusjunkies mit Millionenfollowerschaft jetzt endlich offen und kritisch geführt wird?

Wenn ein Kollegah oder ein Farid Bang darüber sprechen, möglichst teure Uhren zu tragen oder sich vom Albumvorschuss einen neuen 7er BMW zu kaufen, dann ist des deshalb noch vertretbar, weil die gelieferte Musik zumindest einen gewissen Qualitätsanspruch erfüllt—und sei es nur die Delivery. Wenn nun aber jemand, der sich dadurch finanziert, dass er vermeintlich authentische Blicke in sein Leben gewährt, ebenjene konstruierte und kalkulierte „Nähe" dazu nutzt, seinen minderjährigen Fans lieblos produzierten Schund anzudrehen—wie kann man das entschuldigen?

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Wenn der Typ, der so tut, als wäre er dein Freund, dir plötzlich sagt, dass er keinen größeren Traum hat, als mal in den Charts zu sein, dann bist du ja quasi dazu gezwungen, ihm zu helfen. Und sei es dadurch, dass du 43 Euro in eine limitierte Fanbox investierst, die dir damit schmackhaft gemacht werden soll, dass eine DVD mit „YouTube-Videos" beiliegt, die niemals auf YouTube erscheinen werden. Weil exklusiv. Zwinker, zwinker.

Vergiss es, Liont. Ich möchte, dass Fler täglich bei dir anruft, Farid Bang dir sein komplettes nächstes Album widmet und KayOne sich auf RTL deine Freundin klärt. Ich möchte, dass deine jungen Fans verstehen, wie krass du und viele deiner YouTube-Kollegen sie eigentlich verarschen. Und ich möchte, dass all die Lochis, Ape Crimes, Slimanis undY-Tittys da draußen sich wieder ins echte Leben zurückziehen, aus dem sie in diese digitale Welt gekrochen sind, um YouTube zum persönlichen Albtraum eines jeden intelligenten Wirbeltiers zu machen. Oder, um es mit Savas zu sagen: „Warum rappst du? Du hast nichts mit Rap zu tun, Rap hat dir nichts getan, lass ihn in Ruh'. Rap interessiert sich nicht für dich, weil du scheiße bist. Rap will sehen, dass du Scheiße frisst."

Wenn ihr anderer Meinung seid, schreibt es gerne in die Kommentare.

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