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Wie sich der älteste Geheimbund der Welt um mehr Transparenz bemüht

Die Freimaurer wollen interessant sein, aber nicht seltsam. Wir haben die jüngsten PR-Bemühungen genutzt, um ihnen auf den Zahn zu fühlen. Was hat es also mit dem berüchtigten Händedruck auf sich?

Eine Deckenmalerei in der United Grand Lodge of England | Alle Fotos vom Autor

Das Freimaurertum wird 2017 seinen 300. Geburtstag feiern. Der genaue Ursprung des berüchtigten Geheimbunds ist noch immer unbekannt. Während die erste Großloge 1717 in England gegründet wurde, gibt es Beweise, die darauf hindeuten, dass die Freimaurerei bereits viel früher ihren Anfang nahm. Die romantischste Ursprungsgeschichte, so erzählt mir der Pressesprecher Mike Baker, deutet auf die Tempelritter hin. Realistischer betrachtet ist sie vermutlich aus einer Kombination des mittelalterlichen Gildensystems und Elementen des Rosenkreuzertums entstanden. Ich bin in der United Grand Lodge of England (UGLE) im Londoner Bezirk Covent Garden. Das imposante Steingebäude ist mit esoterischen Symbolen verziert. Der Ruf der Freimaurer als mystischer Bund hat sie zu einem Magneten für Verschwörungstheorien gemacht; es kursieren Gerüchte über Verbindungen zu den Anschlägen des 11. September über die Illuminati bis hin zur Neuen Weltordnung. Jetzt wo das 300. Jubiläum bevorsteht, versuchen die Maurer, sich um das jahrhundertealte PR-Problem zu kümmern. Die Frage ist nur: Was passiert, wenn der älteste Geheimbund der Welt versucht, seine Türen der Allgemeinheit zu öffnen?

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Zum neuen Gesicht der Freimaurer gehört dazu, die hartnäckigsten Mythen anzusprechen. „Bei dem, was wir tun, sind Politik und Religion sogar verboten", sagt Mike mir gegenüber. Selbst öffentliche Mitteilungen machen sie ungern, „aufgrund unserer Geschichte und weil wir nicht politisch motiviert wirken wollen. Immerhin gibt es diese ganzen Verschwörungstheorien, mit den Bilderbergen und so weiter". Warum treten Menschen also den Freimaurern bei, wenn ihnen das gar keine Gelegenheiten zur politischen Einflussnahme eröffnet? Mike sagt, es ginge dabei nur um die Werte. Die Freimaurer spenden zum Beispiel als Teil ihres gesellschaftlichen Engagements an wohltätigte Organisationen. Soeben haben sie den zweiten Sanitätshubschrauber der Stadt London zur Hälfte finanziert. „Man stelle sich vor: Das nächste Mal, wenn jemand in London einen schlimmen Unfall hat und der Sanitätshubschrauber kommt, dann werden an der Unterseite ein Winkel und ein Zirkel zu sehen sein."

Eine der überraschenderen Anforderungen der UGLE ist, dass Mitglieder an eine höhere Macht glauben müssen. „So lange es sich dabei um eine schöpferische Kraft handelt", fügt Mike schnell hinzu, was also Satanisten ausschließt. Es ist wahr, dass andere Freimaurer-Orden, wie der Grand Orient in Frankreich, Atheisten aufnimmt. Doch die UGLE weigert sich standhaft, es den Franzosen gleichzutun. „Damit wird das Versprechen, dass man Gutes tun will, einfach noch etwas glaubhafter", sagt Mike. „Unsere allgemeinen Pflichten drehen sich alle darum, ein guter Mensch zu sein und unsere Werte zu vertreten. Deswegen ist uns ein höheres Wesen wichtig."

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Ein Wandgemälde

Zwar handelt es sich bei den Freimaurern vielleicht um keine Religion, doch allegorische Spiele und Symbolik nehmen in der Freimaurerei eine wichtige Rolle ein. Die Grand Lodge ist voll von Beweisen für diesen Mystizismus. Im Hauptraum gibt es einen beeindruckenden Teppich im Schachbrettmuster, Deckenmalereien und eine atemberaubende goldene Orgel. Außerdem stehen dort mehrere majestätische Throne. Bei Zeremonien sitzt der Logenmeister im Osten, wo die Sonne aufgeht, und der erste Aufseher im Westen, wo sie untergeht. Wie so viele Freimaurerrituale symbolisiert dies die Entwicklung des Menschen von der Unwissenheit zur Aufklärung.

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Throne sind ein wiederkehrendes Element in der Grand Lodge, denn auch im Raum des Großbeamten stehen drei imposante Exemplare. Die Wände zieren Porträts von Mitgliedern der königlichen Familie, die vor ihrer Krönung die Position des Großmeister innehatten. Die Throne seien so groß, erklärt Mike, „weil der Prinzregent, der später George IV wurde, ein recht großer Kerl war. Ich glaube, er wog um die 190 Kilogramm und brauchte deswegen also einen großen Stuhl." Bei der Amtseinsetzung gibt es einen Fußschemel, damit die königlichen Füße nicht in der Luft baumeln müssen.

Ich frage Mike nach dem Freimaurer-Händedruck. Gibt es den wirklich? „Ja", sagt er. „Daran ist nichts wirklich Seltsames … Sie sind lediglich eine Art Qualifikation, um von einer Ebene zur nächsten aufzusteigen. Nach deiner Initiierung bekommst du also noch ein Symbol der Anerkennung oder einen Handschlag, was dir den Weg zur nächsten Ebene eröffnet … Es ist eigentlich ziemlich langweilig." Im Gespräch mit dem Pressesprecher wird deutlich, dass es zur PR-Strategie der Freimaurer gehört, die etwas seltsameren Elemente herunterzuspielen.

Ein Buntglasfenster in der United Grand Lodge of England

Kontroverser als der Handschlag ist jedoch die Frage nach Freimaurerinnen. Die Rituale des Geheimbunds spiegeln deutlich wider, dass Frauen ausgeschlossen sind: die Freimaurer entblößen beispielsweise ihre Brust, um zu beweisen, dass sie keine Frauen sind. In England gibt es Frauenlogen, welche die UGLE in jeder Hinsicht bis aufs Geschlecht als „ordentlich" ansieht. „Ordentlich", erklärt Mike, „bedeutet hier, dass sie alles so machen, wie wir es erwarten." Die UGLE erkennt allerdings die wenigen gemischten Logen nicht an. Mike nennt es eine „Traditionssache", die zu ändern die Freimaurer wenig gewillt sind.

In dieser Hinsicht gleichen die Freimaurer den zahllosen anderen Männervereinen, die zappelnd und schreiend ins 21. Jahrhundert gezerrt werden müssen. Doch dieser Unwille zur Veränderung wird für die Freimaurer langsam zu einem demographischen Problem. Es überrascht wenig, dass die allermeisten Freimaurer männlich sind. Sie altern allerdings auch rapide. Im Moment gibt es fünfmal so viele Mitglieder über 80 wie Freimaurer zwischen 21 und 30. Das Durchschnittsalter liegt bei Mitte 50. Die Freimaurer bemühen sich also um jüngere Männer. Zu diesem Zweck müssen sie online gehen, in ihren Gemeinden als Vorbilder gelten und ihre archaischeren Texte möglicherweise modernisieren.

Ein Teil des Problems für die Freimaurer ist, dass ihre Einzigartigkeit Segen und Fluch zugleich ist. Sie sind eine theistische Nicht-Religion, die sich durch eine unzusammenhängende Mischung aus Konservatismus und Theatralik auszeichnet. Für neue Mitglieder muss der Reiz einfach teilweise in dieser Eigenartigkeit liegen. Denn warum sollte man einem Geheimbund beitreten, wenn dieser völlig offen, transparent und normal sein will? Doch mit dem Geheimnisvollen kommt wieder das rufschädigende Gemunkel, das die Freimaurer vermeiden wollen. Ich frage Mike, ob es jemals die Versuchung gibt, einfach alles der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Er erwidert, so gut wie das gesamte Freimaurer-Material sei ohnehin online erhältlich. Allerdings würde es UGLE-Mitgliedern die Überraschung verderben, wenn sie schon vorher alles lesen. Im Moment, so Mike, versuche der Geheimbund, „[alles] zu entmystifizieren, ohne alles Faszinierende loszuwerden—und das ist die Herausforderung an der Sache." Wenn die Freimaurer auch ihr viertes Jahrhundert feiern wollen, dann haben sie bis dahin eine große Herausforderung vor sich.