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Wie es war, Testobjekt der ersten LSD-Experimente zu sein

Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg waren viele Ärzte und Krankenschwestern der kanadischen Provinz Saskatchewan ständig auf Psychedelika. Eine 93-Jährige blickt zurück.

In den 50er-Jahren wurden im hier abgebildeten Weyburn Mental Hospital verschiedene LSD-Experimente durchgeführt | Foto: BriYYZ | Flickr | CC BY-SA 2.0

Die Nachmittagssonne stand am Himmel, als sich Kay Parley ein selbstgenähtes, blaues Kleid anzog und anschließend zu einem Haus in Weyburn im kanadischen Saskatchewan lief, wo sie zum ersten Mal LSD nehmen sollte.

Es waren die 50er Jahre und Parley arbeitete als Krankenschwester im Souris Valley Mental Health Hospital, besser bekannt als Weyburn Mental Hospital. Dort wurde Grundlagenforschung zu Lysergsäurediethylamid betrieben. Und dort sollte Parley auch den Anthropologen Francis Huxley treffen, einen Neffen des britischen Schriftstellers Aldous Huxley (der seine Erfahrungen mit dem Psychedelikum Meskalin in seinem berühmten Werk Die Pforten der Wahrnehmung festhielt).

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„Wenn Francis glaubt, dass ich LSD vertrage, wird es schon OK sein", schreibt Parley in ihrem vor Kurzem erschienenen Buch Inside The Mental.

„Eben sprach ich noch ganz normal mit Francis und im nächsten Augenblick blendet mich die Lampe hinter ihm genauso stark wie die Sonne."

Parleys Erfahrungsbericht ist deswegen so einzigartig, weil sie zu psychiatrischen Behandlungsmethoden, LSD und dem Weyburn Mental Hospital eine ganz besondere Verbindung hat. Bevor sie dort Krankenschwester wurde, war sie in der Vergangenheit bereits selbst schon mal als Patientin eingewiesen worden. Das war im Jahr 1948. Erst hielt man sie für schizophren, erst deutlich später wurde die Diagnose manisch-depressiv gestellt. Mit Parley nannte bereits die dritte Generation ihrer Familie die Räumlichkeiten in dem großen Klinkerbau ihr Zuhause. Schon ihr Großvater war dort wegen Paranoia untergebracht, und auch ihr Vater wurde eingewiesen, als sie gerade mal sechs Jahre alt war. Er sollte dort für Jahrzehnte eingesperrt bleiben.

Wenn die mittlerweile 93-Jährige zurückblickt, erinnert sie sich an eine Zeit, wo Psychiatrien mit weit weniger Bürokratie verbunden waren und die Behandlung von psychischen Erkrankungen besonders kreative Wege einschlug. Außerdem sieht sie angesichts der späteren Stigmatisierung von LSD-Behandlungsansätzen auch eine vertane Chance. Langsam interessiert sich die Forschung wieder für den möglichen Nutzen psychedelischer Drogen. Geht es nach Parley, sollte Kanada bei dieser Entwicklung eine führende Rolle einnehmen.

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„LSD hat die Tür zur Welt von psychisch Kranken geöffnet", sagt Parley.

„Wir haben ein wichtiges Feld erforscht und die meisten der Krankenschwestern hatten ein gutes Gefühl, was die Anwendung von LSD betraf."

Als Saskatchewan noch psychedelisch war

Das Weyburn Mental Hospital machte im Jahr 1921 auf. Als Parleys Großvater und Vater eingeliefert wurden, machten noch Gerüchte die Runde, dass viele der Patienten unter gefängnisähnlichen Bedingungen untergebracht seien. Psychische Erkrankungen waren selbst Jahre später, als Parley selbst eingeliefert wurde, ein weitgehend unerforschtes Feld.

„Ich kann nicht wirklich behaupten, dass ich das Krankenhaus geliebt habe", schreibt sie. „Es war überfüllt, laut, muffig und heruntergekommen. Es herrschte ein zu rauer Ton und zu viele Leute verhielten sich bedrohlich oder ausgeprägt unintelligent."

Damals war es üblich, die Patienten mit Insulin zu therapieren. Die Ärzte waren der Auffassung, dass man mit einer Überdosis Insulin bei den Patienten eine Art kognitiven Neustart erzwingen konnte. Es wurde auch mit Wassertherapie gearbeitet, bei der Patienten ein kaltes oder warmes Bad nehmen mussten, abhängig davon, ob man eine Schockreaktion auslösen oder sie beruhigen wollte. Auch Elektroschock-Therapien gehörten zur Standardbehandlung.

Parley aber hatte Glück, in ihrer Abteilung hatte sie viele Freiheiten und durfte irgendwann sogar bei der krankenhauseigenen Zeitung (ja, so was gab es dort) mitwirken. Als sie sieben Jahre nach ihrer Entlassung 1949 als Krankenschwester zurückkehrte, erkannte Parley die Heilanstalt kaum wieder.

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Ein aktuelles Bild von Kay Parley | Foto: Judith Silverthorne

Der Ort war plötzlich mit Leben gefüllt, schreibt sie. „Dass jetzt eine freundliche und entspannte Atmosphäre herrschte, war förmlich greifbar."

LSD wurde zum ersten Mal 1938 vom Schweizer Chemiker Albert Hofmann hergestellt. Seine psychedelische Wirkung wurde fünf Jahre später entdeckt, als Hofmann aus Versehen selbst die Droge nahm. In den 50ern wurde LSD dann als Psychopharmakon vorgestellt. Die Grundlagenforschung ging von Saskatchewan aus. Die Provinz war laut der Medizinhistorikerin Erika Dyck der richtige Ort für LSD. Vor allem als ein gewisser Tommy Douglas damit beauftragt wurde, das kanadische Gesundheitssystem zu reformieren.

„Vorher wurden Nervenheilanstalten nicht wirklich als therapeutische Stätten angesehen, sondern mehr als eine Art besseres Gefängnis", so Dyck gegenüber VICE. „Dann haben sie begonnen, sich auch für eine echte Behandlung zu interessieren, mehr Leute eingestellt und auch in Europa nach richtig geschulten Ärzten gesucht. Sie wollten Personal haben, das bereit war, Experimente auszuführen, die zu grundlegenden Veränderungen führen könnten."

Der britische Psychiater Dr. Humphry Osmond war der Studienleiter. Es waren auch Osmond und Aldous Huxley, die 1956 den Begriff „psychedelisch" prägten, als sie nach einer guten Beschreibung für einen LSD-Trip suchten. Osmond hatte zuvor mit Meskalin geforscht und er wollte herausfinden, welche therapeutischen Türen LSD aufstoßen könnte.

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„Die Provinz Saskatchewan investierte in Forscher und gab ihnen große Freiräume", so Dyck weiter. „Das kann Ethikfragen aufwerfen, auf jeden Fall aber fühlten sich die Forscher als Teil einer fortschrittlichen Entwicklung."

1957 bekam das Weyburn Hospital von der American Psychiatric Association (APA) einen Forschungspreis verliehen. „Saskatchewan führte das Feld an und die ganze Welt schaute auf uns", schreibt sie in ihrem Buch.

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Die LSD-Forschung hatte sich ursprünglich zum Ziel gesetzt, Gründe und Heilmittel für Schizophrenie zu finden, obwohl Schizophrenie-Patienten selbst gar kein LSD bekamen. Stattdessen nahmen Ärzte und Krankenschwester die Droge, um nachempfinden zu können, wie es sich anfühlt, Halluzinationen zu haben. So wollte man zu einem höheren Grad von Empathie und im besten Fall einem Heilverfahren kommen.

„Das Positivste an der LSD-Behandlung im Weyburn Hospital war die Tatsache, dass die Krankenhausmitarbeiter selber Halluzinationen haben durften. Denn so konnten sie ein besseres Verständnis dafür entwickeln, was ihre Patienten so durchmachen", hat Parley VICE erzählt. „Die Erkenntnis, dass eine ‚gesunde' Person so leicht in eine von gestörter Wahrnehmung geprägte Welt abdriften konnte, war ein echter Augenöffner. Als frühere Patientin hatte ich das Gefühl, dass ich endlich meine Erlebnisse an erfahrene Leute kommunizieren konnte."

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Auch bei Paranoia- und Suchtpatienten zeigten sich vielversprechende Effekte. Parleys Job bestand häufig nur darin, auf Patienten aufzupassen und zu beruhigen, die gerade einen Trip hatten.

Parleys eigene LSD-Erfahrungen hatten zwar keine Auswirkung auf ihre manische Depression, haben sie aber trotzdem verändert.

„Ich habe von mir selbst einen ganz neuen Eindruck bekommen, was mir auch noch in späteren Jahren wiederholt Kraft geben sollte", schreibt Parley. „Ich, der mich als Schwächling gesehen hatte, gehörte auf einmal zu den Starken. Das war eine echte Offenbarung für mich."

Doch die LSD-Forschung sollte nicht nicht lange andauern.

In den USA (und auch in Kanada) führte die CIA eine unethische Versuchsreihe namens „Project MKUltra" an nichtsahnenden Personen durch. LSD wurde in den 60ern auch von der gegenkulturellen Bewegung übernommen. Mit dem Übergang von einer Krankenhaus- zur Straßendroge wurden zahlreiche Restriktionen eingeführt, 1968 wurde LSD in Kanada dann gänzlich verboten. Die sogenannte Convention on Psychotropic Substances aus dem Jahr 1971 setzte der LSD-Forschung auf der ganzen Welt ein Ende.

Das Grundstück des Weyburn Mental Hospitals | Foto: BriYYZ | Flickr | CC BY-SA 2.0

Das LSD-Comeback

Für eine Frau, die jetzt seit knapp 90 Jahren in Regina lebt, hat Parley laut eigener Aussage schon eine ganze Menge an LSD gesehen. „LSD war für mich ein solcher Segen, dass ich dieser Droge bis heute einfach dankbar sein muss", schrieb sie. „Ein paar mutige Menschen haben damals einen Weg gefunden, den Verstand zu erweitern. Waren sie verrückt? Das weiß niemand. Die wahre Frage lautet hier doch eher: War es klug, das Ganze abzubrechen?"

Diese Frage stellen sich auch viele Forscher. Dyck hat sich wohl am intensivsten mit den Anfangszeiten von LSD beschäftigt und ist an jeglichen neuen Entwicklungen ebenfalls sehr interessiert. In einem vor Kurzem im Canadian Medical Association Journal veröffentlichten Bericht schreibt Dyck davon, dass LSD für die ältere Bevölkerung ebenfalls wichtig werden könnte.

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„Die Zukunft von Psychedelika fällt möglicherweise auch komplett anders aus", meinte Dyck. „Dabei hat die Wissenschaft zu diesem Thema nicht zwangsläufig bahnbrechende und neue Ergebnisse geliefert, aber der Kontext des Konsums hat sich auf jeden Fall wesentlich verändert."

Die psychotherapeutische Vergangenheit von LSD könnte bei der Palliativpflege eine entscheidende Rolle spielen. Dyck zufolge lindert der Stoff zwar keine Schmerzen und bringt auch keine Heilung, aber er wird tödlich kranken Menschen dabei helfen, mit dem Gedanken des Sterbens klarzukommen.

„In diesem Bereich hat LSD meiner Meinung nach das größte Potenzial—und zwar nicht nur spirituell gesehen, sondern auch in Bezug auf eine Heilung im ganzheitlichen Sinne", erklärte mir Dyck.

„Wenn man sich die aktuellen Diskussionen zum Thema Palliativpflege anschaut, dann erkennt man auch schnell, dass LSD oder andere Psychedelika hier nicht als Schmerzmittel oder als andere traditionelle Medikamente dienen sollen, sondern mehr beim Thema der Angst vorm Tod zum Tragen kommen."

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Dazu kommt noch der Einsatz von LSD und anderen Psychedelika bei nur schwer behandelbaren Krankheiten wie etwa Angststörungen oder Depressionen. Laut Dyck hat die kanadische Gesundheitsbehörde letztes Jahr grünes Licht für Psilocybin-Studien gegeben, bei denen es um die Therapie bei posttraumatischen Belastungsstörungen geht.

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„Die Patienten könnten so quasi aus ihrem Körper fahren und das Ganze von außen betrachten, anstatt die Krankheit als etwas zu sehen, das ihnen eben passiert", meinte Dyck.

„Dabei handelt es sich um einen klassischen psychotherapeutischen Ansatz. Und genau das will man ja auch erreichen. Jetzt gehen die Forscher jedoch davon aus, das Ganze innerhalb von acht Stunden und nicht über mehrere Jahre hinweg zu erreichen."

Außerdem fügte sie noch hinzu, dass dieser Ansatz des Nach-innen-Schauens im Falle einer Verbreitung auch in mehreren psychotherapeutischen Szenarien zum Tragen kommen könnte.

„Wenn wir uns einem solchen Vorgehen gegenüber öffnen, dann wird sich das Ganze meiner Meinung nach in verschiedene Richtungen entwickeln", meinte sie. „So gewinnen wir dann viele neue Erkenntnisse."

Dazu räumt sie dem Fortschritt bei Forschungswerkzeugen wie etwa hochentwickelten Scan- und Abbildungstechnologien einen wichtigen Platz ein, denn damit kann man dann untersuchen, wie sich das Gehirn des Patienten während der LSD-Therapie verhält.

Bei einer Studie den britischen Neuropsychopharmakologen David Nutton aus dem Jahr 2007 fand man heraus, dass Alkohol und Tabak gesundheitsschädlicher sind als Psychedelika. Dieses Ergebnis hat in der Wissenschaft für Furore gesorgt und auf der ganzen Welt zu Lockerungen der Vorschriften geführt.

Viele dieser Studien orientieren sich allerdings immer noch an der Forschung, die damals in Weyburn betrieben wurde. Das Krankenhaus selbst wurde 2009 abgerissen. Kann es Saskatchewan—der Geburtsort des Wortes „psychedelisch"—jemals wieder schaffen, sich an die Spitze der LSD-Forschung zu setzen?

„Das kann niemand mit Sicherheit sagen", antwortete mir Dyck.