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Sex

Wie Smartphones das Scheitern unserer Liebe dokumentieren

Wer nach einer beendeten Beziehung noch nie betrunken dramatische Nachrichten geschrieben hat, werfe den ersten Stein. Aber ist das wirklich so erbärmlich?
Foto: Stuart Conner | Flickr | CC BY-ND 2.0

Wir haben uns über soziale Medien und Messenger-Dienste so ein bisschen unser eigenes Grab geschaufelt. Eine Beziehung ist erst so richtig vorbei, wenn man seinen Expartner nicht mehr (also nur so einmal im Monat, und dann auch nur „rein interessehalber") auf Facebook stalkt und gab es früher den großen, dramatischen Abschiedsbrief oder die finale Aussprache, scheint es mittlerweile immer schwerer, Beziehungen, Affären oder auch nur halbherzige Suff-Liebeleien mit einem klaren Schnitt zu beenden.

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Beziehungen werden oft über Textnachrichten begonnen, bestehen (insbesondere bei größerer räumlicher Distanz) zu großen Teilen aus dem Austausch von Buchstaben und (wenn ihr schlechte Menschen seid) Emojis, und enden dann, wenn man sich auch über WhatsApp irgendwann nichts mehr zu sagen hat. Vielleicht gibt es da draußen wirklich ein ehemaliges Paar, was so erwachsen ist, dass es sich nach einer finalen Aussprache mit chirurgischer Präzision gegenseitig aus dem Leben entfernt hat. In den meisten Fällen blutet die Liebe aber eher langsam aus—und dieses Dahinsiechen wird von unserem Nachrichtenverlauf in seiner ganzen Traurigkeit dokumentiert.

Wie das in ganz konkreten Fällen aussehen kann, zeigt beispielsweise der Tumblr-Blog „The Last Message Received", in dem anonyme Einsender das Ende eines emotional wichtigen Nachrichtenverlaufs dokumentieren. Da gibt es Mitteilungen von Leuten, die kurz darauf einen Unfall gehabt haben sollen—und das liest sich ziemlich herzzerreißend. Auf ganz anderer Ebene traurig ist allerdings der Austausch zwischen zwei Parteien, die sich eigentlich gar nichts mehr zu sagen haben sollten. Und es trotzdem tun. Die Screenshots, in denen Expartner um eine finale Aussprache betteln, man sich versichert, noch mal über alles zu sprechen, wenn man nüchtern ist (und es dann doch nicht tut, weil nach dem ersten Kaffee am nächsten Morgen die Wichtigkeit des eigenen Emotionshaushalt dann doch etwas weniger groß ist als die, den bohrenden Kater-Kopfschmerz zu eliminieren), die zeigen: In Zeiten, in denen man sich daran gewöhnt hat, ständig und auf allen verfügbaren Wegen zu kommunizieren, teilen wir auch dann noch unser Innerstes, wenn es ganz objektiv betrachtet eigentlich gar nichts mehr zu gewinnen gibt.

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Foto: Emily Poisel | Flickr | CC BY 2.0

Aber so ist das eben mit gescheiterten Beziehungen und beendeten Affären. Auch wenn man sich dazu entschlossen hat, dass es so nicht mehr weitergehen kann, verschwinden die Gefühle füreinander und die geteilten Momente ja nicht auf Nimmerwiedersehen. Auch nach dem alles klärenden Dialog folgen Millionen kleine innere Monologe—die sich in den unpassendsten Momenten gewaltsam den Weg nach draußen bahnen. Und da kommt dann eben auch wieder diese gottverdammte Nachrichtenfunktion ins Spiel. Wenn man permanent sein Telefon zur Hand hat und rein theoretisch sein Innerstes in die Welt hinausschreien kann, dann ist man eben auch eher versucht, genau das zu tun. Vor allem dann, wenn man von dieser ganz speziellen Art von Melancholie ergriffen wird, die immer genau dann auftaucht, wenn man gerade richtig betrunken ist und alle um einen herum unfassbaren Spaß haben.

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Nun kann man natürlich sagen, dass es etwas ziemlich erbärmliches hat, in schwachen Momenten immer wieder bei einer Person anzukommen, mit der es eigentlich aus ist. Andererseits befindet sich ja auch auf der anderen Seite ein fühlender Mensch und kein emotionsloser Roboter, der vom einen auf die anderen Moment auf den liebestechnischen Delete-Button drücken kann. Das kann die eigentlich beendete Beziehung auf rein textlicher Ebene zu einem verzweifelten Ringen um einen Neubeginn führen—oder zumindest um wechselseitig bekundete Liebesgeständnisse, die dann letztendlich doch ins Nichts führen. Trotzdem hat dieses Logbuch der gescheiterten Liebe etwas durchaus therapeutisches.

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Zum einen äußert man ziemlich unkanalisiert das, was man wirklich denkt, weil es einfacher ist, sich vor einem Handy-Bildschirm verletzlich zu machen, als vor einer anderen Person. „But if I didn't say it, well I'd still have felt it. Where's the sense in that?" singt Dido in „White Flag", was by the way ein ziemlich guter Song für weinbedingte Nervenzusammenbrüche ist, und damit hat sie absolut Recht. Im Zweifelsfall ist es immer besser, das, was einen kaputt macht, auszusprechen, bevor es einen innerlich auffrisst. Auch—oder gerade dann—wenn abzusehen ist, dass man diese Offenheit kurz darauf wieder bereut.

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Das ist es nämlich, was diese Nachrichtenchronik der verletzten Gefühle uns wirklich bringt: Wir sehen Schwarz auf Weiß (oder Schwarz auf Grün, oder Weiß auf Blau, oder welches Farbschema auch immer euer Betriebssystem nutzt), wann wir einen Fehler gemacht haben. Wann wir zu weit gegangen sind, uns im verzweifelten Versuch, eine Person bei uns zu halten, selbst verloren haben und welche kleinen, versteckten Warnsignale wir vielleicht schon viel früher hätten bemerken müssen. Egal, wie sehr wir uns für unsere eigene, als Text archivierte Verletzlichkeit schämen, wir können doch aus ihr lernen. Und sei es nur, dass wir dann, wenn wir uns in melancholischem Selbstmitleid suhlen und plötzlich von dem Gedanken besessen sind, eine alte Liebe wieder aufwärmen zu müssen, ganz unromantisch mit dem konfrontieren, wie das Ganze geendet hat.

Deswegen macht es Sinn, Nachrichten zu behalten. Nicht, obwohl sie uns an das Ende einer emotionalen Ära erinnern. Gerade deswegen.


Titelfoto: Stuart Conner | Flickr | CC BY-ND 2.0