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Wieso ist Kony 2013 nicht schon längst tot oder im Knast?

Vor genau einem Jahr lechzten wir allesamt nach dem Blut von Joseph Kony. Nun ist der Hype schon lange vorbei, aber was ist eigentlich seitdem wirklich passiert?

Vor einem Jahr lechzten wir allesamt nach dem Blut von Joseph Kony und die Kampagne, die diesen Hundesohn erledigen sollte, war in aller Munde und vor allem in allen Updates auf Facebook. Verdammt, sogar ich schrieb einen Artikel über ihn, doch nun ist der Hype vorbei, das Video, das die ganze Farce startete, hat knapp 100 Millionen Views, aber was ist eigentlich seitdem wirklich passiert?

Es war März 2012, als der bibeltreue Christ Jason Russell die Kampagne Kony2012 ankurbelte. Eine 30-minütige Dokumentation mit dem ehemaligen Lords-Resistance-Army-Kindersoldaten Jacob und seinem eigenen fünf Jahre alten Sohn Gavin in der Hauptrolle. Die Zuschauer wurden darum gebeten, an einem „Experiment“ teilzunehmen und das Plündern und Brandschatzen des ugandischen Warlords Joseph Kony zu stoppen, indem man ihn zu einem weltweit bekannten Promi machte.

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Bereits zwei Wochen bevor der Film seinen Durchbruch erlebte, bombardierten Russells knapp 5000 Invisible-Children-Unterstützer der ersten Stunde Promis, Politiker und andere Personen des öffentlichen Lebens mit Anfragen auf Twitter und Facebook, damit diese die Kampagne unterstützen. Innerhalb von nur sechs Tagen generierte der Film so über eine Million Views, doch mit dem Erfolg kam auch die Kritik und Russell musste sich plötzlich unliebsamen Fragen bezüglich der Finanzierung des Projekts, seiner Methoden und des Wahrheitsgehalts seines Films stellen.

Zehn Tage nachdem der Film veröffentlicht wurde, rannte Russell nackt über eine Straße in L.A., gestikulierte wild, schrie Obszönitäten, benahm sich generell wie ein verhaltensgestörter Irrer und wurde schließlich von der Polizei festgenommen. Nach diesem öffentlichen Nervenzusammenbruch verschwand er erstmal von der Bildfläche und tauchte schließlich vergangenen Oktober erstmals wieder bei Oprah Winfrey auf. Er sprach bei ihr darüber, wie er damals Autos umgeworfen hätte, er erzählte von seinen inneren Dämonen und vor allem davon, wie besessen er von Kony ist, der für ihn persönlich das einzige Problem auf dieser Welt darstellt.  Trotz der inhaltlichen und zum Teil auch moralischen Fehler der Kampagne ist es verwunderlich, weshalb das Problem Kony komplett aus den Köpfen der Menschen verschwunden zu sein scheint. Wieso ist Kony noch nicht tot? Oder in Den Haag? Und wieso ist die LRA noch immer irgendwo da draußen im Dschungel und tötet und vergewaltigt Kinder nun nicht nur in Uganda, sondern auch im benachbarten Kongo, wenn bestimmt jeder einzelne von euch das Video gesehen hat? Trotz der immensen digitalen Verbreitung der Kampagne scheiterte sie an einer Sache: Kony2012 schaffte es nicht, den Sprung in die echte Welt zu meistern. Mit der Aktion „Cover the Night“, die Invisible Children startete, wurde probiert, die Metropolen der Welt mit Postern, die das Antlitz Konys zeigen, vollzukleistern, doch das ging in Österreich wie auch weltweit aufgrund allgemeinen Desinteresses gründlich daneben.

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Die Kony2012-Kampagne war im Grunde Kindergarten-Online-Aktivismus. Ein Video über einen religiösen Irren, der seit 25 Jahren durch den Busch marodiert, blendet komplett die wahren Gründe des seit Ewigkeiten herrschenden Konfliktes und des Leidens in der Region aus. Obwohl Kony mit Sicherheit ein Schwein ist, ist er nicht das einzige Schwein, das in Uganda und seinen Nachbarländern Menschenrechte mit Füßen tritt. Doch zumindest lässt sich seine Figur emotional aufladen und macht sie somit für uns vor unseren Computern greifbar.

Die Realität ist jedoch nicht so schwarz und weiß und vor allem schnell erfassbar. Die ugandische Armee, die von Invisible Children als eine Triebkraft des Guten in der Region dargestellt wird und deren Aufrüstung von Russell gefordert wurde, ist ebenso verkommen und hat sich ebensolcher schwerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht wie die LRA. Abgesehen davon ist Kony keinesfalls nur in Uganda tätig, wie es Invisible Children dargestellt hat, sondern in der gesamten Region von Dafur bis in den Kongo. Dieser ganze Hexenkessel wird zudem durch den enormen Bedarf des Westens an Mineralien befeuert und finanziert, die wir dringend für die Herstellung all unserer elektronischen Gerätschaften und somit zur Erhaltung unseres wirtschaftlichen Wohlstands benötigen. Invisible Children warf uns, dem Westen, damals nur Ignoranz vor, doch in der Realität könnte sich der Westen ebenso gut direkt zusammen mit Kony auf die Anklagebank im Internationalen Strafgerichtshof setzen.   Natürlich ist es schwer, diesen komplexen Sachverhalte in ein 30-minütiges Video zu quetschen und dieses viral zu machen, denn niemand würde jemals auf die Idee kommen, auf „Like“ zu klicken, nachdem er feststellen musste, dass er selber einfach durch das Leben, das er lebt, zu diesem alltäglichen Horror in Ostafrika beiträgt.

Als Erfolg kann natürlich angeführt werden, dass die Kampagne kurzfristig mehr Interesse an Afrika weckte als vieles zuvor, doch der gigantische Erfolg von Kony2012 ist eher auf eine grandiose Online-Marketing-Strategie zurückzuführen, die jede Marke und jedes Werbebüro vor Neid erblassen lässt, als uns irgendetwas über die wahren Verflechtungen in dieser geopolitischen Krise zu erklären. Es ist schlicht und ergreifend einfach, ein emotional aufgeladenes Video zu teilen, einen Hashtag rauszufeuern und vielleicht nebenbei ein paar Euro über Paypal zu spenden, bevor man weiter zur nächsten Pornopage surft Online-Aktivismus hat bestimmt eine Menge Potential, wenn wirklich nachhaltig Inhalte vermittelt werden und dennoch ist eine Bewegung im virtuellen Raum nicht unbedingt die erfolgreichste Strategie, um einen Terroristen zu fassen. Tweets, Likes und Views halten keinen Irren Tausende Kilometer von der eigenen warmen Couch entfernt davon ab, an Kinderbeinen zu nagen und Dörfer niederzubrennen. Das schaffen leider nur Knarren, Bomben und eine Menge Soldaten, wie kürzlich die Franzosen in Mali bei den dortigen Dschihadisten demonstrierten.   Das ist vielleicht auch der Grund, weshalb der Kongo am 17. Februar 500 Soldaten nach Uganda geschickt hat, damit sie sich 2000 Soldaten aus Uganda und 500 aus Süd-Sudan anschließen, die mit der Unterstützung von 100 amerikanischen Militärberatern bereits Jagd auf Kony und seine knapp 350 Kämpfer machen. Dennoch bricht die Bevölkerung Ugandas deshalb nicht gerade in Jubel aus, sondern drängt eher darauf, eine politische Lösung zu finden, wie zum Beispiel das Gesetz für Amnestie zu erneuern, das seit dem Jahr 2000 knapp 26.000 Miliz-Soldaten dazu gebracht hat, ihre Waffen zu strecken, jedoch 2012 gestrichen wurde. Eine weitere militärische Konfrontation würde ihrer Ansicht nach nur noch zu mehr Leid und Chaos führen und die Spirale der Gewalt in Zentralafrika bis in alle Ewigkeit rotieren lassen.