Wir haben den einzigen Comic-Künstler Syriens getroffen

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Wir haben den einzigen Comic-Künstler Syriens getroffen

„Jeder Krieg endet mit Frieden", sagt Hamid Sulaiman. Ab Samstag stellt er seine Zeichnungen in Berlin aus.

Foto von der Autorin

Hamid Sulaimans Geschichte ist sein Erfolg—und gleichzeitig seine Tragödie. Er lächelt verhalten und sein Händedruck ist weich, als ich ihn zum Interview treffe. Der Comic-Artist hat nur noch einen Tag bis zur Eröffnung seiner Ausstellung in Berlin, aber wirkt nicht aufgeregt. Vielleicht, weil sich derzeit alle um ihn reißen. Gerade ist er aus Korsika gekommen, am Samstag fliegt er nach Paris, wo er wohnt und am Wochenende auf einem Festival ausstellt. Jeder will den syrischen Künstler treffen, der für Frieden kämpft und selbst im syrischen Gefängnis saß.

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Sulaimans Comicbuch handelt von Syrien—der Heimat, aus der er fliehen musste—und kommt in den nächsten Wochen gleich in mehreren Sprachen und Ländern heraus. Darin beschreibt er das „Freedom Hospital" (so heißen das Buch und die Ausstellung): ein Feldkrankenhaus, in dem sich die unterschiedlichsten Menschen treffen. Kurden und Aleviten, westliche Journalisten und muslimische Prediger, Rebellenkämpfer und Assad-Spione, dazwischen ganz normale Menschen, die ihre verwundeten Angehörigen retten wollen. Viele kämpfen für etwas. Andere wollen einfach nur überleben. An diesem Ort lässt sich die erschreckende Normalität des Krieges am besten beschreiben.

Das „Freedom Hospital" ist fiktiv—aber Feldkrankenhäuser gibt es überall, wo Menschen an der Front leben oder die anderen Spitäler zu gefährlich sind, weil sie dem Regime gehören. Sulaiman hat einige gesehen, manchmal sind sie nicht mehr als ein paar Krankenschwestern in einem Keller. In seinem Buch verdichtet Sulaiman den Krieg, der für viele unüberschaubar geworden ist, in einer Geschichte. Es ist seine Art, die eigenen Erfahrungen mit Folter, Flucht und Tod zu verarbeiten.

VICE: Wenn man deine Bilder sieht, wirken viele erschreckend vertraut: der Panzer zwischen Wohnhäusern. Das entstellte Kind auf dem Behandlungstisch. Ruinen einer Stadt aus der Luft.
Hamid Sulaiman: Ja, ich habe so 25 bis 30 YouTube-Videos als Vorlage genutzt, um die Geschichte zu illustrieren. Ich wollte echtes Leben in meine Charaktere bringen. Dabei erleben wir eine große Verwirrung darüber, was eigentlich in Syrien passiert. Es gibt eigentlich keine freien Journalisten oder Medien dort—genau das, was das Regime wollte. Ich als jemand, der es gelebt hat, der Teil der Geschichte ist, will diese Lücken füllen. Ich dokumentiere nicht und sage: Das ist die Wahrheit. Ich gebe nur meinen Blickwinkel wieder, vom Anfang bis heute.

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Courtesy Galerie Crone / Hamid Sulaiman

Du bist Maler und Architekt, Freedom Hospital ist dein erster Comic.
Seit ich aus Syrien raus bin, habe ich davon geträumt, eine Comic-Story zu zeichnen. Das ist ganz anders als Malen, eine andere Kunstform: sequential art, viel näher am Filmemachen. Das musste ich erst lernen, aber das Architekturstudium hat mir sehr geholfen. Auch da arbeiten wir mit Schatten, die das Objekt erst kreieren. In Wirklichkeit sehen wir ja nur Schatten. Das ist, als strahlt man ein Glas mit einer Lampe mit einer Million Lumen an: Da ist alles hell, und nur der Schatten zeigt uns, wie das Glas aussieht.

Welche Künstler haben dich beeinflusst?
Das sieht man meinen Zeichnungen sicher an: Will Eisner auf jeden Fall, das ist der Comic-Gott. Frank Miller, Joe Sacco, alle, die mit Massen von Schwarz und Weiß und starken Kontrasten arbeiten.

Courtesy Galerie Crone / Hamid Sulaiman

Keine syrischen Einflüsse oder Vorbilder?
Doch, aber nur beim Schreiben. Mein Erzählstil entspricht ziemlich der modernen arabischen Novelle. Wie die von Naguib Mahfouz, dem einzigen Araber, der einen Literaturnobelpreis bekommen hat. Die arabischen Erzählungen kennen nicht dieses Schema: Ein Held erlebt irgendwas von Anfang bis Ende. Manchmal langweilen mich solche Geschichten sehr. Meistens sind bei uns Orte die wahren Helden, und dazu kommt eine Galerie an Charakteren. So ist das auch bei Freedom Hospital. Das ist interessant, das passt auch zum Lebensstil hier in Europa: Der ist viel individueller. Man hat nicht diese Art Sozialleben, wo jeder in seiner Nachbarschaft bleibt. Wenn ich dagegen Freunde treffen will, muss ich sie oft nicht einmal anrufen. Ich gehe einfach in ein bestimmtes Café, und da sind dann alle, oder wenigstens einer aus der Gruppe.

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Gibt es eine Comic-Szene in Syrien?
Nein, diese Kultur kennen wir nicht. Denk dir Ostdeutschland und füge noch das Konzept einer wirklich konservativen Gesellschaft hinzu. Seit Bashars [al-Assad, Anm. d. R.] Vater war alles aus dem Westen immer verboten. Sogar Donald Duck, und ganz besonders sein Onkel, der immer über Geld redet und andere kapitalistische Dinge. Das war schwer verboten.

Courtesy Galerie Crone / Hamid Sulaiman

Also bist du der einzige Comic-Artist Syriens?
Es gibt da einen französisch-syrischen Typen, Riad Sattouf, der L'Arabe du futur geschrieben hat, „der Araber von morgen". Das ist ein wirklich sexistisches Werk, geradezu ein Hass-Meisterwerk. Aber der war eigentlich auch nur zwei Jahre in Syrien, glaube ich, und spricht auch nicht wirklich arabisch. Es gibt auch welche, die machen Comics für Kinder. Aber für Erwachsene bin ich wohl der einzige.

So ein großes Land, und nur ein Comic-Zeichner.
Ja, aber so ist das mit Diktatoren. Die mögen keine berühmten Menschen außer sich selbst. Wie Gaddafi: Der verbot angeblich, die Namen von Fußballspielern bekanntzugeben. Wenn du ein Match angeschaut hast, hieß es im Fernsehen immer: Spieler Nummer Neun spielt einen langen Pass zur Elf.

Courtesy Galerie Crone / Hamid Sulaiman

Wenn etwas verboten ist: Gibt es nicht meistens einen anderen Weg?
Genau—das Internet. Sogar, obwohl alles verboten war—YouTube, Wikipedia, Facebook—, konnten sie es nicht kontrollieren. Es gab zwar kleine Untergrund-Festivals und ähnliches, aber es war so gut wie unmöglich, etwas außerhalb des Regimes zu tun. Ich malte und malte und fand keine Galerie. Also lud ich es bei Facebook hoch. Dort bekam ich Feedback, Leute teilten meine Sachen. Ich war 22, 23 Jahre alt und mochte das so wie viele andere auch. Als dann die Revolution kam, war die ganze Kunst plötzlich da. Sie war es immer gewesen. Das ist die Macht von Social Media.

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War es nicht auch gefährlich, sich im Internet zu bewegen?
Doch, aber am Anfang sparte ich die drei Tabu-Themen aus: Politik, Religion und Sex. Ich malte Porträts und Panoramen von Städten. Aber ich wollte mich mehr engagieren. Und ich wusste nicht, wie gefährlich es eigentlich ist. Ich wurde verhaftet, ich wurde bedroht von Islamisten und vom Regime, und ich wurde ins Exil gezwungen. Das ist alles ziemlich schwer zu verarbeiten.

Du warst dann bald bei den Protesten als Aktivist dabei. Was ist passiert?
Ich war schon sehr früh sehr frustriert, dass es keine Freiheiten gab. Die Typen, die die Revolution starteten, waren alles junge Träumer: Leute, die gerade mit der Uni fertig oder noch dort waren, und eine bessere Zukunft wollten. Ich wurde ein paar Mal verhaftet: zum ersten Mal nach einer Demo, beim zweiten Mal für zwei Tage. Sie nahmen dann meine Eltern als Geiseln, also musste ich mich ein drittes Mal stellen.

Und bliebst für eine Woche im Gefängnis.
Sie wollten mich davon überzeugen, im Fernsehen zu sagen: Das Regime ist toll und es war dumm, am Protest teilzunehmen. Ich sagte: Gut, mal sehen, können wir irgendwie machen. Die Geheimpolizei entließ mich dann, aber ich hätte noch zum Gericht gemusst. Mit dem, was in dem Bericht stand, hätte ich ins Gefängnis kommen können. Für lange, lange Zeit.

Courtesy Galerie Crone / Hamid Sulaiman

Wurdest du gefoltert?
Nein, nein! Da war zu viel Aufmerksamkeit durch die Medien. Aber sie benutzten psychische Folter. Zum Beispiel habe ich nie meinen Befrager gesehen, meine Augen waren verbunden. Manchmal setzen sie Freunde neben dich—du siehst sie ja nicht—und zwingen dich, über sie zu sprechen. Manchmal bist du auch der, der zuhört. Sie hatten auch Protokolle aller meiner Telefonate, da muss wirklich einer über Jahre am Hörer gesessen und alles fleißig mitgeschrieben haben. Und dann hörst du oft Menschen, die gefoltert werden, auch Kinder.

Was denkst du: Wie wird der Konflikt in Syrien ausgehen?
Ich denke, dieser Krieg wird mit Frieden enden. Alle Kriege tun das. Ich wünsche nur, es wäre besser heute als morgen.