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Wie gefährlich sind Deutschlands Waffenexporte?

Panzer an Katar, U-Boote an Israel oder Sturmgewehre an die Peschmerga—wo richten deutsche Waffen am meisten Schaden an?
Foto: imago | Christian Thiel

Deutschland ist nach den USA und Russland der drittgrößte Waffenhändler der Welt. Die deutsche Regierung genehmigte im Jahr 2015 fast doppelte so viele Waffenexporte, wie im Jahr davor und der Aufwärts-Trend scheint weiterzugehen: Die Welt am Sonntag meldete, dass in der ersten Hälfte dieses Jahres schon wieder Waffenexporte im Wert von 4,029 Milliarden Euro genehmigt wurden—mehr als letztes Jahr im selben Zeitraum.

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Das steht im Gegensatz zu dem Vorhaben des deutschen Bundeswirtschaftsministers Sigmar Gabriels, der 2013 erklärte die Waffengeschäfte deutlich senken zu wollen. Zumindest einen kleinen Erfolg konnte er erzielen: Deutsche Firmen verkaufen weniger "Kleinwaffen" (Maschinengewehre oder Panzerfäuste) als in den letzten 15 Jahren.

Waffenexporte sind nicht gleich Waffenexporte. Ein paar hundert Sturmgewehre in den falschen Händen können viel mehr Schaden anrichten als 30 Hightech-Patrouillenboote, die Ölbohrinseln irgendwo auf dem Meer bewachen. Deshalb haben wir uns die Waffenexporte, die in Deutschland genehmigt wurden, angeschaut und sie nach Gefährlichkeit geordnet.

Tankflugzeuge an Großbritannien

Als dieser Deal beschlossen wurde, war noch nicht abzusehen, dass Großbritannien womöglich bald aus der EU austritt, und Lieferungen an EU-Mitglieder gelten gemeinhin als nicht besonders umstritten. Jetzt treten die Briten aber wahrscheinlich aus, und deshalb ist es natürlich gefährlich, deren Luftwaffe aufzurüsten!

Auch zum Thema: Verursachen deutsche Waffenexporte Flüchtlingsbewegungen?

Nein, Scherz beiseite: Erstens ist auch jetzt noch unwahrscheinlich, dass die Briten dem Kontinent in der nächsten Zeit den Krieg erklären, und zweitens handelt es sich eben nur um Tankflugzeuge. Die tanken zwar womöglich auch die britischen Bomber auf, aber da Großbritannien immer noch zur Nato und damit zu den Guten—oder zumindest zu uns—gehört, müssen wir ihnen vertrauen, dass sie damit keinen Unsinn anstellen.

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Fregatten nach Algerien

Eine "Meko 200"-Fregatte | Foto: Joost J. Bakker | Wikimedia | CC BY 2.0

Algeriens Militärregierung unter Abdelaziz Bouteflika hat zwar nicht die besten Zeugnisse, was Menschenrechte angeht. Die vier Fregatten, die Deutschland an das Land liefert, stellen trotzdem kein Risiko für die Zivilbevölkerung dar, weil sie eben auf dem Meer rumfahren und Algeriens Küste sichern sollen. Grundsätzlich gilt: Kriegsgerät in diesen Dimensionen hat zwar potenziell viel Zerstörungskraft. Aber da es meistens eher der Abschreckung dient und vor allem nie von irgendwelchen durchgedrehten Gruppen geklaut und eingesetzt werden kann, geht wenig konkrete Gefahr davon aus—solange die Regierung, die sie befehligt, sich nicht gerade auf einen Krieg vorbereitet.

U-Boote nach Israel

Foto: shlomiliss | Wikimedia | CC BY 3.0

Die U-Boote der "Dolphin"-Klasse, die Deutschland schon seit Jahren an Israel liefert, sollten theoretisch also genauso "harmlos" beurteilt werden wie die Fregatten für Algerien. Es gibt aber zwei Gründe, warum diese Waffenlieferung trotzdem umstritten ist: Erstens kauft Israel sein schweres Gerät zwar auch vor allem zur Abschreckung, hat aber kein Problem damit, es im Ernstfall einzusetzen (zum Beispiel im Libanonkrieg 2006).

Zweitens gilt es als "offenes Geheimnis", dass Israel diese U-Boote mit Nuklear-Raketen ausstattet. Israels (nie öffentlich anerkanntes) Nuklear-Arsenal dient zwar auch der Abschreckung, hat aber gleichzeitig dafür gesorgt, dass alle anderen Staaten der Region auch gerne eins hätten. Weil das seit Jahren die Situation vor allem mit dem Iran extrem anspannt, ist dieser Export nicht völlig ungefährlich.

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U-Boote nach Ägypten

Dass Deutschland überhaupt U-Boote nach Ägypten liefert, ist ein ziemlich gutes Beispiel dafür, wie man als Waffenhändler herrlich Geld verdienen kann, wenn man beide Seiten eines Konflikts beliefert. Ägypten und Israel haben zwar offiziell schon lange einen Friedensvertrag geschlossen, aber weil sie wissen, dass viele Ägypter Israel immer noch hassen, trauen die Israelis dem nicht wirklich. Als die Muslimbrüder 2012 an die Macht kamen, wurde Jerusalem richtig nervös über die deutsche Lieferung. Seit die Generäle unter al-Sisi wieder die Kontrolle übernahmen, hat sich das zwar etwas gelegt, aber ein gewisses Restrisiko eines mediterranen U-Boot-Krieges bleibt.

Sturmgewehre nach Jordanien

Foto: imago | Sebastian Backhaus

Sowohl 2014 als auch 2015 genehmigte die Bundesregierung die Ausfuhr von Sturmgewehren, Maschinenpistolen und Munition nach Jordanien. Weil Sturmgewehre sprichwörtlich kinderleicht zu bedienen sind und unbemerkt über Ländergrenzen geschmuggelt werden können, ist es ziemlich bedenklich, wenn die deutsche Regierung Tausende davon in ein Nachbarland des syrischen Bürgerkriegs liefert. Andererseits braucht die jordanische Armee natürlich Waffen, um Angriffe wie das IS-Selbstmordattentat an der Grenze Ende Juni abzuwehren. Man kann also nur hoffen, dass diese Waffen wirklich in den Händen der jordanischen Sicherheitskräfte bleiben—und die damit nicht auf Demonstranten oder ihre Ausbilder schießen.

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Eine ganze Panzerfabrik an Algerien

Diesen Deal hat zwar noch die schwarz-gelbe Bundesregierung eingefädelt, am Ende musste ihn aber Gabriel abnicken: Rheinmetall hat die Erlaubnis bekommen, eine ganze Fabrik in Algerien aufzubauen, in der bis zu 1.000 Radpanzer im Lizenzbau zusammengesetzt werden können. Das ist schon deutlich problematischer als eine Fregatte, weil in dem Land immer wieder bürgerkriegsähnliche Zustände ausbrechen, es außerdem noch eine offene Rechnung mit dem Nachbar Marokko gibt und man solche Panzer auch ganz hervorragend gegen die eigene Zivilbevölkerung einsetzen kann.

Sturmgewehre und Milan-Raketen an die Peschmerga

Peschmerga-Kämpfer mit dem G36 | Foto: imago | Sebastian Backhaus

Die 2015 vom Bundestag beschlossenen Waffenlieferungen an die kurdischen Peschmerga im Nordirak dienen zwar eigentlich einem guten Zweck: Die Kurden sollten damit den Islamischen Staat bekämpfen, und oftmals haben sie dieses Ziel auch erreicht.

Auf der anderen Seite ist es eben immer ziemlich heikel, Kleinwaffen direkt in ein Krisengebiet zu kippen: Auch wenn nicht stimmt, dass kurdische Kämpfer ihre deutschen Gewehre reihenweise verkauft haben, kann es trotzdem vorkommen, dass die Gewehre in den falschen Händen landen. Zum Beispiel, wenn der IS sie erbeutet, was laut Medienberichten durchaus schon vorgekommen ist. Noch gefährlicher ist das bei den deutschen MILAN-Raketensystemen, mit denen Fußsoldaten gepanzerte Fahrzeuge bekämpfen können.

"Flugkörper" an Pakistan

Das Horror-Szenario in Realität: IS-Kämpfer hantieren mit einem erbeuteten TOW-System | Foto: imago | ZUMA Press

Wie aus dem Rüstungsbericht der Bundesregierung für 2014 hervorgeht, wurde in dem Jahr der Verkauf von "Flugkörpern" im Wert von 8,5 Millionen Euro an Pakistan genehmigt. Das Problem ist, dass die Bundesregierung sich selbst auf Nachfrage weigert, genau zu sagen, was für Flugkörper das sind.

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Zwar ist es sowieso schon gefährlich, Waffen an ein Land zu liefern, das sich seit Jahren ein erbittertes Wettrüsten mit seinem Nachbarn Indien (an den wir schlauerweise auch Waffen liefern) leistet. Aber wenn es sich um Raketen handeln sollte, die man nur vom Flugzeug abfeuern kann, dann hat sie zumindest nur die Regierung unter Kontrolle. Wenn es aber Missiles sind, die man auch als Fußsoldat abfeuern kann, dann wäre es ziemlich gefährlich, die in ein Land zu liefern, in dem es von Taliban nur so wimmelt.

Tonnenweise Panzer an Katar

Im Jahr 2013 genehmigte die vorherige Bundesregierung die Ausfuhr von 62 "Leopard II"-Panzern und 24 mächtigen Panzerhaubitzen an die Regierung des Emirats Katar. Als es 2015 dann wirklich zur Auslieferung der ersten Panzer kam, versuchte Gabriel zwar noch, sich quer zu stellen, traute sich am Ende aber doch nicht, den Deal platzen zu lassen.

Das bedeutet, dass jetzt schon vier Panzer und drei Haubitzen in Katar sind—und womöglich im jeminitischen Bürgerkrieg gegen die schiitischen Rebellen eingesetzt werden. 2013 wusste natürlich noch niemand, dass Katar sich in einen Bürgerkrieg einmischen würde. Aber das ist das Problem mit Waffenlieferungen: Die politischen Gegebenheiten können sich vor allem in Krisenregionen jederzeit verändern, und plötzlich werden deutsche Panzer in einem Krieg eingesetzt, der laut Amnesty International "eine Schneise ziviler Opfer und Zerstörung" durch das Land zieht.

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Eine Sturmgewehr-Fabrik an Saudi-Arabien

Bewaffnete Rebellen im Jemen | Foto: imago | Xinhua

Dass ausgerechnet Saudi-Arabien 2008 die Erlaubnis bekommen hat, die Sturmgewehre G3 und G36 in Lizenz zu produzieren, ist zwar nicht Gabriels Schuld. Aber auch unter dieser Bundesregierung werden immer noch Einzelteile aus Deutschland geliefert, die dort nicht hergestellt werden können. Die Regierung hat allerdings keine Kontrolle, wo diese Waffen dann landen. Mittlerweile sind schon deutsche Sturmgewehre in den Händen von anti-schiitischen Milizen im Jemen aufgetaucht, und niemand kann sagen, ob die saudische Regierung damit nicht auch sunnitische Rebellen in Syrien ausstattet. Außerdem gibt es keine Garantie, dass die al-Sauds sich ewig an der Macht halten können. Sollte Saudi-Arabien eines Tages im Chaos versinken, würden Tausende deutsche Sturmgewehre dabei sicher eine Rolle spielen.

Fazit

Wenn man von der Nuklearoption einmal absieht, dann sind "Kleinwaffen" die gefährlichsten Waffen von allen. Bei aller Aufregung über Kampfpanzer, U-Boote und Schlachtschiffe sollte man nie vergessen: Durch Kleinwaffen sterben jedes Jahr zwischen 200.000 und 400.000 Menschen, mehr als durch jede andere Art von Waffe.