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​Wir haben Argumente von Impfgegnern mit Fakten widerlegt

Autismus, Diabetes, Epilepsie und Homosexualität: Die Argumente, die im Internet gegen Impfungen kursieren, sind teils richtig absurd. Zeit für einen Fakten-Check.
Nurse giving injection | photopin | (license)

Ich wurde 1985 geboren. Für meine Eltern galt es als Selbstverständlichkeit, mich gegen Keuchhusten, Mumps, Tetanus oder Masern impfen zu lassen. Laut meiner Mutter ließen in den 1980ern nur eine kleine Minderheit ihre Kinder gegen überhaupt nichts impfen. Impfkritiker oder -gegner soll es aber vereinzelt schon damals gegeben haben.

Wenn ich mich in meinem Freundes- und Bekanntenkreis umhöre und mich auf Facebook umsehe, scheint das heute anders zu sein: Eine bewusste und selbstbewusst zur Schau gestellte Impf-Skepsis oder sogar Verweigerung scheint irgendwie angesagt. Das dahinter liegende Weltbild ist simpel: Wer sich mit dem Thema beschäftigt und sich auf eigene Faust bei vermeintlich kritischen Quellen informiert, gilt als mündiger Bürger, der sich dem Diktat der Pharmaindustrie und der Schulmedizin nicht beugen will. Diejenigen, die ihre Kinder oder sich selbst impfen lassen, sind hingegen minderbemittelte Sheeple, die nicht gecheckt haben, was in der Welt abgeht.

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Dazu passt das Statement einer Bekannten, die meinte, Impfen sei ohnehin ein Unterschichten-Phänomen und bei jenen, die in der Lage seien, sich selbst zu informieren, völlig zu Recht verpönt. Aha. Klingt zunächst einmal etwas wirr, die in Europa grassierende Impfmüdigkeit ist laut Meinungsumfragen aber tatsächlich vorwiegend bei Menschen mit überdurchschnittlich guter Ausbildung anzutreffen. Eine Masern-Epidemie in einer Salzburger Waldorf-Schule passt hier wie die mit Globoli gefüllte Faust aufs homöopathisch behandelte Auge.

Impfgegner Meme

Ich als Was-Wäre-Wenn-Hypochonder habe mich jedenfalls 2010 vor einer längeren Asien-Reise sogar gegen Dinge impfen lassen, die von meiner Ärztin als „Luxus" bezeichnet wurden. Wenn es also neben selbsternannten Impfskeptikern und Impfgegnern auch so etwas wie bekennende Impfbefürworter gibt, falle ich wahrscheinlich in diese Kategorie—wobei ich trotzdem eine nicht genau definierbare, schwammige Skepsis im Hinterkopf habe. Schließlich kennt man ja vom Hörensagen einen Haufen Gerüchte zu vermeintlich unwirksamen oder für den Körper sogar negativ wirkenden Impfstoffen.

Dieses nicht genau definierbare Misstrauen verstärkte sich noch mehr, als ich damit angefangen habe, mich im Internet über das Thema Impfen zu informieren: von giftigem Aluminium ist hier die Rede; von Autismus, Diabetes, Epilepsie und sogar Krebs als Folge von Impfungen im Kindesalter. Dass sich sogar praktizierende Ärzte und Ärztinnen offen gegen Impfungen aussprechen, trägt einen ordentlichen Teil zum Verwirrspiel bei. Auch wenn darunter teils so viel absurder Scheiß—wie etwa von einer ordinierenden Ärztin in der Steiermark—zu finden ist, dass die Sache meist nicht sonderlich schwer zu durchschauen ist.

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Aber dass online jede noch so abstruse Theorie rauf und runter diskutiert wird, bis ich als halbwegs rational denkender Mensch nicht mehr sicher sein kann, ob ich nicht ein ferngesteuertes Chemtrail-Opfer bin, das von Massenmedien verarscht wird, ist auch kein Geheimnis. Dann gibt es da noch die Fluoridierung, die laut einschlägiger Kritik mindestens so schlimm ist wie Impfen und Chemtrails zusammen … aber das würde jetzt zu weit führen.

Sehen wir uns gängige Impfmythen, die auf Facebook und anderswo diskutiert werden, also mal genauer an.

„Impfungen sind unnötig, weil sowieso jeder geimpft ist"

Wahrscheinlich das kurzsichtigste, dümmste und gefährlichste Argument: So lange es eine hohe Durchimpfungsrate—je nach Krankheit mindestens 75 bis 92 Prozent—und dadurch eine Herdenimmunität gibt, profitieren davon auch nicht geimpfte Menschen. Sinkt die Durchimpfungsrate unter die vermuteten Schwellenwerte, sind bewusste aber auch zwangsweise Ungeimpfte (beispielsweise Neugeborene oder an Immunschwäche erkrankte) gefährdet. Das Argument, dass Impfen eine Privatsache sei, ist somit auch Blödsinn. Das Tragen eines Sicherheitsgurtes ist eine individuelle Entscheidung, Impfen aber nicht.

Facebookposting einer Impfgegnerin

Dass sogar kleinere Epidemien möglich sind, beweisen einige Fälle aus der jüngeren Vergangenheit: Eine nicht geimpfte Frau löste durch einen Besuch in Disneyland beispielsweise rund 12 Prozent aller jährlichen Masern-Ausbrüche in den USA aus.

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Dass Krankheiten nicht komplett ausgerottet werden können, scheitert auch heute noch an einer zu geringen Durchimpfungsrate. Polio (Kinderlähmung) wurde 1980 von der WHO für global ausgerottet erklärt, was wiederum auf eine extrem hohe Durchimpfungsrate zurückzuführen war. Dazu kommt, dass Krankheiten wie etwa Mumps, Röteln, Polio oder Windpocken nicht nur bei ungeimpften Kindern, sondern vor allem bei nicht geimpften Erwachsenen extrem gefährlich sein können.

Schwellenwert für Herdenimmunität bei unterschiedlichen Erkrankungen

Nötige Schwellenwerte zur Wahrung der Herdenimmunität. Quelle: Wikipedia

Laut Umfragen glauben in Österreich nur rund 40 Prozent der Menschen vorbehaltlos an die Wirkung von Impfungen, die Mehrheit ist skeptisch und eine Minderheit deklariert sich selbst als Impfgegner (in Deutschland werden zu dieser Gruppe etwa 3 bis 5 Prozent der Bevölkerung gezählt). Aufgrund der erwähnten Herdenimmunität sind diese Zahlen durchaus als gefährlich zu interpretieren, da dadurch längst vergessene—weil mit hohen Durchimpfungsraten bekämpfte— Krankheiten zurückkommen könnten.

„Impfungen schützen nicht, sondern lösen Krankheiten aus"

In der Regel werden Impfstoffe in Form von abgetöteten oder abgeschwächten Erregern geimpft. Als Folge kann es zu leichtem Fieber oder Schwellungen an der Impfstelle kommen. Auch Komplikationen sind möglich, aber extrem selten und im Vergleich zur durch die Impfung zu verhindernden Krankheit zahlenmäßig weit weniger tödlich. In Deutschland werden pro Jahr durchschnittlich 34 Impf-Komplikationen gemeldet—bei 50 Millionen Impfungen.

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Derzeit zugelassene und in Verwendung befindliche Impfstoffe lösen selbst bei Säuglingen keine Überlastungen des Immunsystems aus. Fakt ist, dass es keine wissenschaftlichen Beweise dafür gibt, dass ungeimpfte Kinder gesünder als geimpfte sind. Blöd für impfkritische Eltern, denn das ist eines ihrer populärsten Argumente.

Ein gängiger Impfmythos ist auch, dass die Kombinationsimpfung Masern, Mumps und Röteln (MMR) Entwicklungsstörungen auslösen würde. Das Ganze geht zurück auf den britischen Mediziner Andrew Wakefield, der in einer 1998 veröffentlichten Studie behauptete, er habe einen Zusammenhang zwischen der MMR-Impfung und Autismus entdeckt. Die Folge war, dass es in Großbritannien zu einem deutlichen Rückgang von Impfungen und Jahre später zu einem Anstieg von Masern-Erkranknungen kam. Anfang 2004 stellte sich heraus, dass Wakefield die Ergebnisse manipuliert hatte, um mit Eltern von vermeintlich durch Impfungen an Autismus erkrankten Kindern hohe Summen von Pharmakonzernen einklagen zu können.

„Impfungen sind der Grund weshalb Allergien und Ekzeme immer verbreiteter werden"

Auch ein attraktives Argument von Impfgegnern: Wenn du irgendwann krank wirst oder allergisch auf irgendwas reagierst, ist wohl irgendeine Impfung, die du irgendwann bekommen hast, schuld daran.

Auf wissenschaftlicher Seite sieht es hier so aus, dass im Zuge einer groß angelegten Studie sogar ein gegenteiliger Zusammenhang festgestellt wurde: Geimpfte haben tendenziell weniger Allergien und sind weniger anfällig auf Ekzeme als Ungeimpfte. Das Belegen verschiedene wissenschaftliche Studien aus Deutschland und Finnland.

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Facebbokposting eienr Impfgegnerin

Ein generelles Ansteigen von Allergien ist laut der Hygiene-Hypothese darauf zurückzuführen, dass die Hygiene-Standards in den letzten Jahrzehnten enorm gestiegen sind und Kinder immer weniger mit Krankheitserregern und Keimen in Berührung kommen. Irgendwie lustig: einerseits macht bessere Hygiene in den Augen vieler Kritiker Impfungen obsolet, andererseits steigen dadurch Allergien an, die ja wiederum von Impfungen ausgelöst werden sollen.

„Impfstoffe enthalten für den Körper giftiges Aluminium"

Klingt ziemlich gefährlich und stimmt in Ansätzen sogar: Impfstoffe enthalten wirklich Chemikalien wie Formaldehyd, Phenol und auch Aluminium oder Quecksilber. Allerdings sind die Mengen so verschwindend gering, dass sie weit unter den Werten liegen, die zum Beispiel durch verschiedene Nahrungsmittel aufgenommen werden.

Facebookpost einer Impfgegnerin, die die Anzahl an Massenmördern in unterschiedlichen Ländern mit Impfungen in Zusammenhang bringt

Während die Chemtrail-Fraktion von euch jetzt genug haben dürfte und mit Schaum vorm Mund zum Kommentarbereich runterscrollt, muss ich etwaige Mind-Control-Fantasien leider den Wind aus den Segeln nehmen: Mit Formaldehyd werden Impferreger abgetötet, Aluminiumhydroxid verstärkt die Wirkung und Phenol macht das Ganze länger haltbar.

Aluminium wird übrigens auch ganz konkret mit Autismus in Verbindung gebracht, wofür es aber, wie bereits erwähnt, keine Beweise gibt. Vereinzelt und selten auftretende Nebenwirkungen werden von Impfgegnern in der Regel als Beleg angesehen, dass der Impfstoff selbst gefährlich ist und nicht die Krankheit, vor der er schützen soll. Die durch Impfungen verhinderten Folgeschäden (von Fieber, über Gehirnhautentzündung bis zum Tod) werden viel seltener auftretenden Impfstoff-Nebenwirkungen übergeordnet.

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Gegenüberstellung der Komplikationen von Erkrankung und nach Impfung von Masern, Mumps und Röteln

„Die Pharma-Industrie betreibt mit Impfstoffen reine Geldmacherei und ist böse"

Laut WHO betrug der weltweite Umsatz, den Pharmakonzerne 2013 mit Impfstoffen erwirtschaften, rund 24 Milliarden US-Dollar. Das sind 2 bis 3 Prozent des geschätzten Marktvolumens von pharmazeutischen Produkten. Die oft kritisierten Kombinationsimpfungen wie etwa gegen Masern, Mumps, Röteln und Windpocken kosten in Deutschland rund 100 Euro und sind somit billiger als einzelne Impfungen.

Bei vielen reicht aber sowieso nur das Wort „Pharma" aus, um die Weltverschwörungs-Alarmglocken im Hinterkopf schrillen zu lassen. Davon profitieren eine Reihe von Webseiten und Autoren—allen voran der Kopp-Verlag, quasi das Zentralorgan aller Verschwörungstheoretiker, Weltpolitik-Durchschauer und Impfgegner.

Posting eines Impfgegners

Dort ist beispielsweise in einem jüngeren Artikel mit dem catchy Titel „Von Big Pharma unterdrücktes Dokument beweist: Impfstoffe verantwortlich für plötzlichen Tod" zu lesen, dass Impfstoffe gar nicht positiv wirken, sondern sogar zum Tod führen. Links zu den einzelnen Vorwürfen gibt es im Artikel selbst keine, dafür aber neun Verweise zu verschiedenen Webseiten ganz unten, darunter größtenteils seltsame Wordpress-Privat-Blogs und Seiten wie vaccidemic.org, die sich mit dem überaus neutralen Slogan „Vaccines are an Epidemic Pushed by Big Pharma Charlatans" schmückt.

Dass die einzelnen Quellen teils bis ins Jahr 2013 zurückreichen und sich um Fälle drehen, die mit dem im Artikel nichts zu tun haben, stört hier scheinbar nicht. Aber hey, Anti-Impf-Artikel ist Anti-Impf-Artikel und muss als Quelle reichen. Und Kopp-Verlag.de-Leser wissen ohnehin, dass Urin sowieso geiler ist als Penicillin und die MMR-Impfung zusammen.

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Fazit

Fest steht, dass es in Europa eine Impfmüdigkeit gibt. Impfmüde bedeutet aber nicht gleich, erklärter Impfgegner zu sein. Offiziell wird sogar zwischen Impfskeptikern und dezidierten Impfgegnern unterschieden. Die Motive sind ganz unterschiedlich: von der eigenen Religion, über ein mangelndes Vertrauen in die Schulmedizin bis hin zum Glauben an Alternativmedizin (etwa Homöopathie oder noch weiter in die Pseudowissenschaft abdriftende Antroposophie) sind viele Gründe zu finden.

Ein Faktor ist sicher, dass die Generation unserer (Ur)Großeltern noch mitbekommen hat, wie Verwandte, Freunde oder eigene Kinder an Pocken, Masern oder Kinderlähmung starben beziehungsweise ihr Leben lang von deren Folgen gezeichnet blieben. Impfstoffe, die diese Krankheiten in wenigen Jahrzehnten de facto ausradierten, schienen für diese Menschen wahrscheinlich wie ein Wunder. Impfskepsis ist laut einer Studie aber auch auf den generellen gesellschaftlichen Trend zurückzuführen, dass viele Menschen öffentlichen Institutionen nicht mehr vertrauen.

Und dann ist da natürlich auch noch unser Drang nach Individualismus, der die eigene—im Idealfall möglichst weit von der medialen Norm abweichende—Meinung (Stichwort Lügenpresse) glorifiziert. Vielleicht sollte eine medizinische Errungenschaft, die unsere Lebenserwartung in wenigen Jahrzehnten enorm erhöht und die Kindersterblichkeit signifikant gesenkt hat, doch nicht für das Werk von diabolischen Konzernen gehalten werden. Denkt mal darüber nach, ihr egoistischen Klugscheißer!

Beschimpft Raphael auf Twitter als Pharma-Lobbyisten: @raphschoen