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Wir haben Frauke Petrys wahnsinniges Brüssel-Statement Satz für Satz analysiert

Unter anderem hat Frauke Petry alle, die um Brüssel trauern, als „Heuchler" beschimpft.
Foto: imago | Christian Thiel

Wenige Stunden, nachdem in der Abflughalle des Brüsseler Flughafens Zaventem zwei und in der U-Bahnstation Maalbeek eine Bombe explodierten, meldeten sich die ersten Politiker mit Solidaritäts- und Beileidsbekundungen zu Wort. Dabei schafften es die viele, einen angemessenen Ton zu finden—aber nicht die AfD-Europaabgeordnete Beatrix von Storch, die zynisch „Viele Grüße aus Brüssel" wünschte und dann irgendwie insinuierte, niemand außer ihr wäre in der Lage, Zusammenhänge herzustellen:

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Nachdem von Storch dafür allerdings doch eher mehr Empörung und Wut als Beifall erntete, ist sie mittlerweile (so halb) zurückgerudert bzw. hat noch eine ordentliche Portion Betroffenheit nachgeschoben. Trotzdem hatte von Storch am Dienstag den Vogel abgeschossen, was gefühllose Instrumentalisierung einer Tragödie angeht (Vera Lengsfeld hatte sich zwar auch ordentlich ins Zeug gelegt, aber die ist zum Glück nicht mehr so wichtig).

Das konnte von Storchs Chefin, die AfD-Vorsitzende Frauke Petry, natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Also schob sie am Nachmittag auch noch einen Facebook-Post hinterher, in dem sie direkt alle, die ihre Trauer um die Opfer von Brüssel ausdrücken, als „Heuchler" bezeichnet:

Man muss dazu wissen, dass sie diesen Erguss nicht einmal selbst fabriziert, sondern in weiten Teilen von der Facebook-Seite ihres Freundes, des AfD-Landesvorsitzenden von Nordrhein-Westfalen Marcus Pretzell, übernommen hat.

Es lohnt sich, diesen Text einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn immerhin bekommen wir hier einen direkten Einblick in die Art und Weise, wie die AfD-Führungspersönlichkeiten geopolitische Ereignisse interpretieren—und was sie daraufhin der Öffentlichkeit mitteilen wollen. Was man dabei lernt, ist genauso interessant wie unheimlich.

Es geht um unsere Identität als freiheitlich aufgeklärte Europäer!
Wir sind fest entschlossen, diesem Treiben ein Ende zu setzen!

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Zwei starke Sätze zur Eröffnung. Der erste legt schonmal fest, dass es jetzt um unsere „Identität" geht. Ganz klar ist nicht, wobei es genau darum geht: Bei den Anschlägen, oder bei dem, was jetzt passieren muss?

Aber lesen wir erstmal weiter: Die AfD will „dem Treiben" also ein Ende setzen. Auch hier: Was ist „das Treiben"? Wenn damit Terroranschläge gemeint sind, dann wäre das etwas größenwahnsinnig: Immerhin sind so ziemlich alle Sicherheitsbehörden Europas genauso entschlossen, dem Terror ein Ende zu setzen, und auch wenn sie oft versagen, haben sie wohl trotzdem mehr Kompetenz in der Terrorbekämpfung als die AfD-Mitglieder.

Vielleicht ist mit „dem Treiben" aber auch irgendetwas anderes gemeint: die Merkel-Politik halt, das Gutmenschentum, das Asylrecht, die Überfremdung—wir können leider nur mutmaßen, weil Petry und Pretzell keine Zeit haben, ihr dunkles Raunen zu erklären. Kann sich ja jeder selbst zurechtlegen, wem er die Schuld geben will.

Jetzt werden Sie nämlich wieder irgendetwas sein. Sie waren Charlie, sie waren Paris und jetzt sind alle Brüssel oder gar Belgien. (sic)

Hier kann man wohl davon ausgehen, dass mit „Sie"/„sie" alle gemeint sind, die bei #jesuischarlie oder #prayforparis oder dem Fahnen-Facebook-Bild mitgemacht haben—ein ziemlich großer und ziemlich gemischter Teil der Bevölkerung.

Nun werden alle so damit beschäftigt sein, gegen rechte Hetzer aufzustehen und zu demonstrieren, dass sie dabei vergessen, etwas dagegen zu tun! Dann heißt es vielleicht bald: Ich bin Berlin, Rom, Malmö und Rotterdam!

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Hier zeigen die AfDler, wie sie fast alles auf sich selbst beziehen: Zwar ist es generell nicht falsch, „gegen rechte Hetzer aufzustehen"—aber das war nach den Anschlägen von Paris wirklich für niemanden die erste Priorität. Dass Petry und Pretzell das offenbar glauben, zeigt eigentlich nur, wie unfähig sie mittlerweile sind, noch über irgendetwas anderes als ihr Kernthema („Wir sind keine Nazis!") nachzudenken.

Damit Sie Ihre nutzlosen Bilder nicht immer austauschen müssen, ein kleiner Tip: #IchbinWelt
Das passt immer und vor allem immer öfter, ihr Heuchler. Heute sind wieder Menschen gestorben und es werden weitere sterben, so lange ihr selbst nicht wisst, wer ihr wirklich seid und wofür ihr steht. Es geht nämlich um unsere Identität als freiheitlich aufgeklärte Europäer!

Diese Passage ist gleichzeitig irgendwie inkohärent und maximal beleidigend. Petry und Pretzell bezeichnen hier alle, die Gesten der Solidarität („nutzlose Bilder") gemacht haben, als „Heuchler".

Man kann die Bilder zwar nutzlos finden—darüber wurde auch viel diskutiert—, aber die Menschen, die solche Bilder benutzen, als „Heuchler" zu beschimpfen, geht deutlich zu weit. „Heuchler" impliziert, dass diese Menschen kein echtes Mitgefühl hatten.

Wir erwarten jetzt Maßnahmen gegen Terroristen und nicht Lichterketten gegen diejenigen, die vor diesen Zuständen seit Jahren warnen! Der Traum vom bunten Europa ist kaputt, weggebombt zum wiederholten Mal! Akzeptiert es endlich!
Zeit für Veränderungen!

Hier wird noch einmal die völlig schwachsinnige Aussage wiederholt, außer der AfD seien jetzt alle mit „Lichterketten" gegen rechts statt mit Terrorbekämpfung beschäftigt (kleiner Realitätscheck: Die europäischen Innenminister haben schon gestern beschlossen, sich in Kürze in einem Sondertreffen über europaweite Terrorbekämpfung zu koordinieren).

Danach wird es historisch: Der „Traum vom bunten Europa" (gegen den sich die AfDler ja schon immer wehren) ist jetzt kaputt, wir müssen es endlich akzeptieren, es ist „Zeit für Veränderungen!" Welche genau, wird natürlich wieder nicht gesagt, aber man darf annehmen, dass die AfD dabei eine Rolle spielen möchte. Ein bisschen erinnern die kurzen, martialischen Sätze mit den vielen Ausrufezeichen an politische Kampfschriften aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Auch in denen konnte man diese Aufregung spüren, das Gefühl, dass es bald richtig kracht—und dann die Zeit der neuen Macher beginnt.

Bei aller Wut und Trauer sind unsere Gedanken bei den Opfern und deren Angehörigen dieses sinnlosen Anschlags.

Gut, dass sie das noch nachgeschoben haben. Man hätte ja sonst auf die Idee kommen können, dass sie den gewaltsamen Tod von über 30 Menschen einfach mal so zum Anlass nehmen, um wieder nach Aufmerksamkeit für ihre halbgaren Ideen zu heischen. Um rumzujammern, weil rechte Hetze nicht bei allen gut ankommt, um dunkel raunend Zusammenhänge anzudeuten, Trauernde zu beleidigen und schließlich mit „Wir haben es ja gesagt!" zu enden. Aber nein, sie sind in Gedanken ja bei den Opfern.