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Wir haben K.I.Z., Spitzenkandidaten der PARTEI, im Berliner Wahlkampf begleitet

"Über Hitler haben sie auch gesagt, dass er nichts ernst meint und nur Spaß macht."

Auf ihren Plakaten bohrt Anna Bauer in der Nase. Die echte Anna fährt gerade den an einem Fahrrad befestigten Wahlkampfwagen vor die Berliner Parteizentrale der Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative—kurz: DIE PARTEI. In Berlin wird am Sonntag das Abgeordnetenhaus neu gewählt, deshalb will der Landesverband durch den Kiez spazieren und das "Wahlvieh" von sich überzeugen. Sie haben Kondome dabei, Größe XXL, mit der Aufschrift: "DIE PARTEI fickt dich richtig". Und sie haben Nico Seyfrid und Maxim Drüner dabei. Die beiden Rapper von K.I.Z. Sie sind die Spitzenkandidaten.

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Spitzenkandidaten Nico Seyfrid und Maxim Drüner auf dem Weg von der PARTEI-Zentrale zum Heinrichplatz | Alle Fotos: Christophe Gateau

Die Strategie der PARTEI: Sie ziehen intellektuellen Störenfrieden einen grauen Anzug an und binden ihnen eine rote Krawatte um. Da sind K.I.Z. passende Verbündete. In ihren Songs singen sie: "Ihr Party-Patrioten seid nur weniger konsequent als diese Hakenkreuz-Idioten. Die gehen halt noch selber ein paar Ausländer töten, anstatt jemand zu bezahlen, um sie vom Schlauchboot zu treten." Mit solchen Zeilen haben sie dem HipHop in den letzten Jahren eine neue Heimat unter Leuten gegeben, die sich nicht so recht entscheiden können zwischen Hipster und Proll, links und grundlos böse sein. Dass ihnen dabei die anarchisch gute Laune einfach nicht ausgeht, lässt auf ein ausreichendes Maß an Widersprüchlichkeit schließen. Vielleicht genug, um auch in der Realpolitik klarzukommen.

Vor der Parteizentrale in Kreuzberg sitzen die Parteigenossen auf Bierbänken, trinken Kaffee, rauchen Zigaretten und versuchen, sich gegenseitig zur Arbeit zu überreden. Sie müssen noch Plakate kleben, "Flüchtlinge halbieren"-Buttons pressen und eine Rollkofferdemo gegen Touristen organisieren. Aber die Sonne scheint und Nico zeigt auf seinem Handy erstmal ein Video, in dem er während eines Konzerts besoffen von der Bühne fällt.

Als er und Maxim vor fünf Jahren einfach mal bei einem PARTEI-Treffen aufgetaucht sind, räumte ihnen der Landesverband sofort die ersten beiden Plätze auf der Landesliste frei. Maxim kommentierte das damals vor dem Roten Rathaus mit den Worten: "Ich fand Macht schon immer richtig geil, und es macht mich jetzt schon auch sehr geil."

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Plakat-Partner-Look

Auf Platz drei steht der Vorsitzende der PARTEI Berlin, Riza Cörtlen. Ein Mann, dessen Gebiss aussieht, als würde er seit den frühen 80ern Polizisten fressen und sich danach nicht die Zähne putzen, aber er kann damit lammfromm lächeln. Er erzählt, die PARTEI versuche, die Schallgrenze von einem Prozent der Stimmen zu durchbrechen, ab der werden nämlich Wahlkampfkosten erstattet. Hier in Kreuzberg und im benachbarten Neukölln hat sie sogar gute Chancen, die Drei-Prozent-Hürde zu knacken und ein Mandat für die Bezirksverordnetenversammlung zu erlangen. Cörtlen saß dort auch schon mal, allerdings für eine andere Partei. Bei Abstimmungen habe er einfach gewürfelt, sagt er.

Seine Partei befinde sich in der "extremen Mitte", also dort, wo man, bildlich gesprochen, mit einem Hitler-Bärtchen (extrem) das Wahlplakat des lieben Onkels von der CDU (Mitte) verschönert, um zu zeigen, was dieser sich nur denkt oder bestenfalls am Stammtisch mal rauslässt. Aber was unterscheidet einen dann überhaupt noch vom "Endlich-sagts-mal-einer"-AfD-Politiker, der sich ja auch manchmal das Hitler-Bärtchen aufsetzt, nur um ihn gleich wieder abzunehmen und zu sagen, dass es gar nicht so gemeint war? Wahrscheinlich nur der graue Anzug als Ganzkörper-Clownsnase.

Ein Politiker überhöht sich selbst

Anna Bauer, die schon 2011 kandidierte, als der Slogan noch "Milfs gegen Merkel" lautete, tritt in die Pedale des Wahlkampfwagens. "Die beiden berühmten HipHopper", wie die Genossen sie nennen, stiefeln mit ernster Miene nebenher, in grau-roter Uniform, ein intellektueller Schlägertrupp. Ein paar Fotografen umkreisen den Tross wie Fliegen.

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Voraus liegt das Kottbusser Tor. Laut Facebook-Seite der PARTEI hängt dort ein Großplakat, auf dem Nico und Maxim einem tätowierten Muskelberg mit Glatze in die Wange kneifen. "Duzi duzi du opfer", steht darunter. Tatsächlich aber gab es nicht genügend Geld für das Plakat und so wurde es danke Photoshop zwar digital aufgestellt, aber am Kotti selbst ist davon nichts zu sehen. In der Politik kann man schließlich viel behaupten kann. Hauptsache, das "Wahlvieh" glaubt es.

Wir biegen rechts ab in eine Straße mit historischen Laternenpfählen, an denen Wahlplakate hängen. Auf einem ist ein Grünen-Politiker mit kleinen, runden Brillengläsern zu sehen. Bei den Genossen schrillen sofort die Alarmglocken, Plakatieren an historischen Laternenpfählen ist nämlich verboten. Also laden die Denunzianten die Ordnungsamt-App herunter, finden das dann aber zu anonym und lahm und beschließen, doch lieber direkt anzurufen. Oder zumindest so zu tun, denn in der Politik zählen nicht Taten, sondern Worte, auch wenn sie in einen toten Hörer gesprochen werden.

"Geht natürlich keiner ran", sagt Maxim, während er sich sein iPhone ans Ohr hält. "Typisch!"

Der junge Mann auf dem Mofa stellt die Ziele der PARTEI infrage. Die Kandidaten kontern

Ein Stück die Straße runter werden wir von einem blonden Mann angehalten, der in Badeshorts auf einem Mofa sitzt. Hinten drauf seine Freundin, sie schraubt nervös am Deckel einer Mate-Flasche rum. "DIE PARTEI, ist das auch ironisch?", fragt er.

Maxim starrt ihn an. "Ich versteh die Frage nicht. Was soll ironisch sein?"

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"Na, das hör ich immer über K.I.Z., die meinen nichts ernst, die machen nur Spaß …"

"Ja, das haben sie über Hitler auch gesagt."

"Aber warum sagt ihr dann so krasse Sachen?"

"Die Antwort darauf kann nur praktisch sein. Die Quatscher quatschen, die Macher machen."

Wir müssen weiter. Nico reicht dem Jungen die Hand und verabschiedet sich mit: "Waidmannsheil!"

Der Trupp biegt an einem Kanal ab, wo Menschen mit Tätowierungen und Metall im Gesicht aufs Wasser blicken, in dem die Sonne glitzert. Sicher alles Alkoholiker, völlig verwahrlost, Seelen auf der Suche nach starker, ehrlicher Führung in maßgeschneiderten Anzügen, wie sie nur DIE PARTEI bietet. Anna Bauer ruft ihnen aus dem Sattel des Wahlkampfwagens Versprechen zu. Sie würden die Stadt zum halben Preis zu ruinieren. "Korruption, nur billiger!"

An einer roten Ampel versucht ein Mann, der mit seinem Sohn unterwegs ist, die Parolen zu begreifen.

"Verstehe, die PARTEI kann das wenigstens direkter rüberbringen, was eigentlich Sache ist."

"So sieht's aus. Und ich brauch das Geld wirklich", sagt Anna Bauer.

"OK, aber habt ihr denn überhaupt keine Ansätze?"

"Dönerpreisbindung!", sagt ein Genosse.

"Neubau der Mauer!", sagt ein anderer.

"Ach komm, Neubau der Mauer, das ist doch wieder so 'ne Verarsche. Wir wollen doch Brücken bauen", sagt der Mann.

Landesvorsitzender Riza Cörtlen schaltet sich in das Gespräch ein: "20 Prozent der Befragten hätten die Mauer gern wieder. Und was wäre das Problem, wenn sie da wär? Es wär einfach nur 'ne Wand. Wir haben immer gesagt, Schießbefehl wird es mit uns nicht geben. Und die Leute wissen vorher, dass die Mauer kommt. Sie können einfach auf die Seite gehen, die sie bevorzugen."

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Wir lassen den Mann verwirrt stehen und wollen gerade über eine mehrspurige Straße gehen, als ein Auto anhält. Ein Typ, der eine Silberkette und ein Muscle-Shirt mit buntem Totenschädel darauf trägt, hüpft aus seinem Auto und auf den Wahlkampfwagen. Er umarmt Nico, redet kurz mit ihm und nimmt dann ein paar XXL-Kondome mit, für die Tochter, gerade eingeschult. Dann ist er auch schon wieder weg.

Jemand fragt Maxim, wo er denn drogenpolitisch stehe, ob die Legalisierung schon beschlossene Sache sei. "Wenn wir erstmal die Macht übernommen haben, werden die Leute gar keine Drogen mehr brauchen …", sagt er. Sein Blick geht in die Ferne, während er das sagt, in Gedanken ist er schon da, an der Macht.

Die Genossen bauen derweil eines der weltweit ersten interaktiven Wahlplakate auf. Es zeigt Nico und Maxim, die einen Wähler fest im Griff haben—oder ihn streicheln, so ganz klar wird das nicht. Der Wähler ist kopflos, über seinem Hals befindet sich ein Loch, damit jeder mal seine Visage reinhalten und ein Selfie mit K.I.Z. machen kann, ohne die echten Rapper ständig damit zu belasten. Über dem Loch auf dem Plakat steht "Reinstecken und Wohlfühlen" und "Alles andere ist nur Politik".

Der letzte Akt der Plakat-Aktion

Weil sich niemand fotografieren lassen will, macht es Nico einfach selbst und steckt seinen Kopf durch die Öffnung. Als der aufgemalte den echten Politiker umarmt, geschieht es, ein Riss zieht sich durchs Raumzeitgefüge. Nicos Knie macht schlapp und die Operation muss abgebrochen werden. Er hatte sich beim Sturz von der Bühne verletzt. Vermutlich hat er aber auch einfach keinen Bock mehr.

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Auf dem Weg zurück zum Hauptquartier erläutert Spitzenkandidat Maxim den Zustand der linken Szene: "Geile Partys. Süße Chicks. Drinks schmecken gut. Nice Drugs. Drogenkonsum ist vorbildlich. Social Media Game ist auch sehr advanced."

Und wenn jemand links sei, dann sei die Partei eben auch links, um Stimmen zu bekommen, erklärt Nico. Bei so etwas ist man hier flexibel. Seine erste Amtshandlung wäre übrigens: "Die hundert reichsten Deutschen erschießen."

Hier wird ein Plakat promotet

Vor der Tür des Parteiquartiers erklärt ein Mann einem Haufen Schüler gerade DIE PARTEI: "Im Grunde ist das nur so eine Satire-Nummer, wisst ihr. Das ist nicht ernst gemeint. Die Plakate haben oft 'ne doppelte Bedeutung."

Der Parteivorsitzende Martin Sonneborn sitzt immerhin seit 2014 im Europaparlament. Und auch in Island sind 2010 tatsächlich einmal ein Haufen alter Rockstars und Punks unter dem Namen "Die Beste Partei" ins Kommunalparlament von Reykjavík eingezogen, mit Forderungen nach mehr Badetüchern für Schwimmbäder und einem Eisbären für den Zoo, während das Land durch den Bankencrash über Nacht fast komplett pleite geworden war. Sie waren so erfolgreich bei der Wahl, dass sie sogar den Bürgermeister stellten. Eine volle Legislaturperiode lang betrieben sie Politik als Theater, weil sie schockiert vom Theater der Politik waren. Der einzige Unterschied zur PARTEI liegt darin, dass die Isländer nicht so geile graue Anzüge hatten.

Mit den Worten "fettes Bild" soll Nico dieses Bild kommentiert haben, sagt der Fotograf. Mittig: PARTEI-Kollege Riza A. Cörtlen

Als Maxim hört, wie es die "Beste Partei" unter dem Slogan "Hurra für alle möglichen Dinge" tatsächlich schaffte, erfolgreich zu regieren und Reykjavík wieder auf Kurs zu bringen, schaut er streng.

"Wir werden diesem Land nicht aus der Scheiße helfen. Das ist ein Versprechen."