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Wir haben Leute in ihren 20ern gefragt, warum sie noch bei ihren Eltern wohnen

"Heute noch bei meinen Eltern zu wohnen, ist für mich reiner Luxus. Lieber pendele ich am Tag zwei Stunden, als dass ich einen Haufen Geld für Miete liegen lasse."
Alle Fotos: Privat | Freundlich zur Verfügung gestellt

Foto: dierck schaefer | Flickr | CC BY-SA 2.0

Hotel Mama: Bekocht werden, ab und zu den Müll runterbringen und ansonsten sorgenfrei leben—das sind die gängigen Klischees für alle, die sich in ihren Zwanzigern nicht sofort auf in die große Stadt oder in ihre eigenen vier Wände aufgemacht haben. Laut dem Statistischen Bundesamt lebte 2010 knapp die Hälfte der Frauen, gegenüber fast drei Vierteln der Männer, zwischen 18 und 24 Jahren noch bei ihren Eltern. Grund genug, einen Blick auf die persönlichen Hintergründe für das Wohnen im Elternhaus zu werfen.

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Offensichtlich gibt es Nachteile am Wohnen bei den Eltern, wie die Bindung an den Geburtsort und seine Umgebung sowie kaum private Rückzugsorte, wenn du dich einmal nicht mit deinen Eltern auseinandersetzen möchtest. Im ungünstigsten Fall begegnet deine—abends auf Leisen Sohlen ins Haus geschlichene—Begleitung vom letzten Abend völlig zerstört deiner Mutter auf dem Weg zum Badezimmer. Auf der anderen Seite musst du dir vorerst keine Sorgen um hohe Mieten in schlechter Lage machen und mit deinen Eltern bleibt dir so manche unangenehme Überraschung erspart, die du mit notgedrungen zusammengesuchten Mitbewohnern erlebst.

Wir haben mit fünf Leuten gesprochen, die auch in ihren Zwanzigern noch oder wieder in ihrem Elternhaus wohnen. Auffällig ist, dass sich auf unsere Anfrage vor allem Männer gemeldet haben. Es bleibt die Frage, ob das eine reine Bestätigung statistischer Werte ist oder ob diese Jungs hier einfach unbeschwerter über ihre Wohnsituation sprechen können.

SANDRO, 21, STUDENT

VICE: Sandro, wohnst du noch bei deinen Eltern?
Sandro: Ja. Zuerst bin ich zur nächsten größeren Uni gependelt, später habe ich dann gewechselt. Jetzt liegt meine Hochschule nur zehn Minuten Fußweg von meinem Zuhause entfernt—da erscheint es mir sehr unnötig, bei meinen Eltern auszuziehen, nur um hinterher immernoch um die Ecke zu wohnen. Ich finde es super, nicht allein zu wohnen, sondern mit Leuten, die ich kenne.

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Gibt es Einschränkungen, was feiern, Besuch und so weiter angeht?
Dass meine Eltern so tolerant sind, was Besuch angeht, ist ein echter Bonus. Die bieten mir sogar von sich aus an, dass Leute vorbeikommen können, wann sie wollen. Es ist zwar etwas lästig, wenn du immer wieder auf die anfallenden Hausarbeiten hingewiesen wirst, aber in einer WG ist das ja nicht anders. Und allein ärgerst du dich auch, wenn du den Haushalt vernachlässigst und der Müll überquillt. Als Informatiker habe ich "Probleme" in diesem Zusammenhang wie weiblichen Besuch ohnehin nicht, weil du an unserer Hochschule in dem Studiengang kaum Frauen triffst. [Lacht]

Ist das Leben mit den Eltern anstrengender geworden, seit du mit der Schule fertig bist?
Seit ich mir einen Nebenjob gesucht habe, weil ich kein BAföG bekomme, ist nach der Schule eigentlich um einiges gechillter geworden. Das mit dem Feiern hat, seit ich studiere, einfach zugenommen. [Lacht] Mal bei mir, mal bei jemand anderem, aber meine Eltern kümmert das nicht. Die freuen sich sogar, wenn Besuch da ist, weil sie meine Kommilitonen so nett finden. Alles in allem ist mein Leben daheim nach der Schule noch besser geworden und meine Eltern haben eine große Rolle dabei gespielt.

Hilft dir dein sicherer Wohnsitz dabei, dich auf andere wichtige Dinge als Wohnungssuche zu konzentrieren?
Sehr. Solange ich mich nicht darum kümmern muss, jedes Semester eine neue Bude zu bekommen, kann ich mich deutlich besser aufs Studium an sich konzentrieren. Aber sobald ich mit meinem Studium fertig bin, will ich unbedingt woanders hin und was Neues sehen.

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KAI, 20, DUALER STUDENT

Kai

VICE: Warum lebst du noch in deinem Elternhaus?
Kai: Ich studiere dual und muss daher ohnehin alle drei Monate den Ort wechseln und immer irgendwohin pendeln, wenn ich nicht dauernd hin- und herziehen will. Da mein Heimatort direkt neben meiner Arbeitsstelle liegt, habe ich es erstmal nicht eingesehen, umzuziehen. Außerdem habe ich dadurch weniger Stress zu Beginn gehabt. Zu Hause hast du außerdem unbestreitbare Vorteile, zum Beispiel einen gefüllten Kühlschrank. [Lacht] Den finanziellen Aspekt darf man auch nicht unterschätzen. Ich unterstütze meine Mutter mit einem Beitrag, aber das kann man nicht mit einer Miete vergleichen. Außerdem wollte ich in keine WG mit Unbekannten—in meiner Zeit auf dem Internat hatte ich erstmal genug "WG".

Habt ihr mehr Stress, seit du aus dem Internat raus bist?
Schwierig. Zur Schulzeit bin ich nur alle zwei Wochen oder in den Ferien nach Hause gefahren und war später in diesen Zeiten auch weniger in meinem Elternhaus und öfter bei Freunden. Dadurch gab es früher nicht so viele Zeitpunkte, an denen wir uns überhaupt hätten streiten können. Ich hatte zu meiner Mutter immer ein gutes Verhältnis und außerdem mache ich vieles auf eigene Faust, nicht so viel mit der Familie. Daher gab es nie viel Stress. Da ich jetzt aber immer zu Hause bin, gibt es schon mehr Reibungspunkte. Ich denke aber, dass man auch das nicht als ernsthaften Streit sehen kann, da wir beide sehr kompromissbereit sind.

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Wie viel Freiraum hast du für Besuch oder Ähnliches?
Ich habe schon hin und wieder Besuch, bin aber tendenziell eher bei anderen Leuten. In unserer Dreizimmerwohnung—zu viert und in einem Mehrparteienhaus—ist langes, lautes Feiern nachts einfach nicht drin und an Platz fehlt es dafür auch. Manchmal wäre es schon cooler, wenn ich alleine wohnen würde, einfach weil ich dann nur auf die anderen Mieter, nicht auf die anderen in der Wohnung Rücksicht nehmen müsste. Außerdem ist es mir ein wenig unangenehm, Leute mit nach Hause zu nehmen und die gleich allen vorzustellen. [Lacht] Und die Wände sind sehr dünn, auch nicht optimal.

Hast du schonmal über Alternativen nachgedacht?
Na ja, mein Studienort wäre eine realistische Möglichkeit, ich habe mir aber darüber noch keine großen Gedanken gemacht. Wenn ich ausziehe, dann wohl in keine Großstadt, sondern eher in die Umgebung meines Heimatortes.

JULIEN, 21, STUDENT

Julien

VICE: Warum lebst du noch bei deinen Eltern?
Julien: Mein Plan war eigentlich, auszuziehen, sobald ich anfange zu studieren. Für das Studium, das ich machen wollte, lag aber die beste Uni ganz in der Nähe meines Heimatortes und ich bin geblieben. Damit konnte ich mir dann diesen ganzen Stress mit der Wohnungssuche erstmal ersparen oder die Fragen, wie ich meine Wohnung und mein Leben finanziere. So konnte ich entspannt ins erste Semester starten. Außerdem ist mein alter Freundeskreis aus der Schule zu 90% hier in meiner Umgebung geblieben und meine Eltern sind dazu menschlich auch ziemlich entspannt.

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Welche Vor- und Nachteile siehst du jetzt, auch, weil du zuerst ausziehen wolltest?
Solange deine Eltern nicht anfangen, Untermiete von dir zu verlangen, fallen die finanziellen Sorgen durch die Miete weg. Mein Vorteil ist auch noch mein altes, gewohntes Umfeld. Ganz wichtig ist auch die familiäre Stütze, falls irgendetwas passieren sollte—mir hat das bei einem Autounfall vor einiger Zeit wirklich wieder auf die Beine geholfen. Das Pendeln ist der größte Nachteil: Der Zeitverlust summiert sich wahnsinnig schnell und deine Kumpels am Studienort erreichst du nicht immer zuverlässig mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Auch auf dem Rückweg bist du auf den letzten Zug nach Hause oder einen Schlafplatz angewiesen. Ich habe das Gefühl, so in meinem studentischen Umfeld nie ganz anzukommen.

Fühlst du dich im Elternhaus eingeschränkt?
Eigentlich nicht, sehr selten vielleicht. Bei mir ist das auch eher ein Spezialfall, weil meine Eltern beruflich sehr viel unterwegs und vielleicht ein Drittel des Jahres überhaupt zu Hause sind. Ich habe also Haus und Hof für mich und fühle mich beim Feiern kein bisschen eingeschränkt. Ich habe meinen alten Freundeskreis hier, habe in unserem Hof viel Platz oder kann an meinem Studienort bei jemandem übernachten.

Gibt es Streitpunkte bei euch zu Hause?
Meine Eltern sehen eigentlich das ganze Leben entspannt, bis auf den Punkt, dass sie für mich eine gesicherte Zukunft wollen—was, seit ich studiere, tatsächlich immer mehr zum Streitthema wird. Meine Eltern würden mich unterstützen, egal, was ich tue, bis auf die Frage nach einem gesicherten Einkommen. Das höre ich so oft, aber ich scheiße offen gestanden drauf. Ich mache das, wo meine Leidenschaften liegen, und das, worauf ich Lust habe. Das ist in einer gewissen Weise schon stressiger geworden als das Leben in der Schule. Denn hier schaust du nicht mehr von Tag zu Tag, was sich entwickelt, sondern alle wollen wissen, welchen Job und wie viel Geld du nach deinem Studium einmal machen kannst.

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Hast du durch deinen sicheren Wohnsitz den Kopf frei für andere Dinge?
Hätte ich etwas Wichtigeres als mein Studium zu tun, dann könnte ich mich wahrscheinlich hier nicht besser darauf konzentrieren als an meinem Studienort. Ich bin zu Hause extrem unproduktiv, weil das immer der chilligste Ort für mich war und ich hier auch nie Verpflichtungen in dem Sinne hatte. Das trägt sich natürlich in den Lebensstil genau so weiter. Ich habe aber auch nicht das Bedürfnis, in einer größeren Stadt zu wohnen, mittelgroße Städte finde ich perfekt.

SANDRA, 23, IMMOBILIENKAUFFRAU

VICE: Bist du immer in deinem Elternhaus geblieben?
Sandra: Nein, ich bin früh nach der Schule ausgezogen und habe einige Zeit in Frankfurt am Main gewohnt. Meine Mutter war aber schon länger schwerkrank und ich bin deshalb wieder in mein Elternhaus gezogen. Ich wollte meinen Vater bei der Pflege unterstützen und der Umzug war die logische Konsequenz.

Welche Vor- und Nachteile siehst du an deiner Wohnsituation?
Der Vorteil am Leben mit den Eltern ist einfach das Zusammenleben an sich. Du hast immer jemanden um dich herum und kannst mit Menschen sprechen, denen du vertraust. Dieses Gefühl des "Heimkommens" habe ich einfach nur im Elternhaus. Ein Nachteil ist vielleicht die Rücksicht, die wir aufeinander haben müssen, einfach, was die Lautstärke angeht, wann wer die Küche oder das Auto braucht und so weiter. Mein Leben zu Hause war aber durchweg entspannt. Es gab nie Stress und ja, Einschränkungen habe ich ebenfalls keine. Wenn ich zum Beispiel Besuch habe oder dergleichen, dann wird das toleriert und akzeptiert.

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Kannst du dich im Elternhaus besser auf andere wichtige Dinge konzentrieren—außer der Wohnungssuche?
"Andere wichtige Dinge"? Seltsame Frage. Ich empfand es nicht als unwichtig, mich um mein Leben zu kümmern. Der Umzug nach Frankfurt war eines der besten Dinge, die ich hätte machen können. Und wenn ich nicht wieder zu Hause hätte einziehen können, dann hätte ich mich frühzeitig um eine neue Bleibe umgesehen. Man wächst mit seinen Erfahrungen.

PHILIPP, 22, STUDENT UND BARISTA

Philipp

VICE: Wie findest du es, noch bei deinen Eltern zu leben?
Philipp: Mit 22 bei meinen Eltern zu wohnen, ist für mich reiner Luxus. Lieber pendele ich am Tag zwei Stunden an die Uni, als dass ich einen Haufen Geld für Miete liegen lasse. Die meiste Zeit sieht man sich nicht, da ich oft unterwegs bin. Auch abends, obwohl es kein Problem wäre, Freunde auch über Nacht mit nach Hause zu nehmen. Meine Eltern stört es auch nicht, wann ich nach Hause komme, auch wenn am nächsten Tag Vorlesung ist und sie das wissen. Bisher hat das wunderbar geklappt. Bekocht zu werden, ist natürlich auch super, auch wenn ich im Normalfall nicht großartig mit eingeplant werde—ein wunderbares Miteinander- und Nebeneinanderherleben.

Was ist anders, seit du mit der Schule fertig bist?
Nach der Schulzeit hat sich nicht viel zu Hause verändert. Gut, den meisten Papierkram für die Uni muss ich selbst auf die Reihe bekommen, aber bei BAföG-Anträgen bekomme ich zum Glück noch Hilfe. Noch will ich ehrlich gesagt nicht ausziehen, das ziehe ich in Betracht, sobald ich meinen Bachelor beendet habe und durch einen anständigen Job etwas mehr Geld aufs Konto fließt. Und schließlich will man ja auch irgendwann mit der Freundin zusammenziehen.

Hat es dich schonmal in die Großstadt gezogen?
In einer 32.000 Einwohner großen Kreisstadt aufzuwachsen, war für mich die perfekte Umgebung. Da ich in meiner Kindheit viel Natur erlebt habe, zieht es mich auch heute nicht wirklich in eine große Stadt. Lieber mit Freunden in der Stammkneipe als in Großraumdiscos der Großstädte.