Wir haben mit syrischen Flüchtlingen über die Anschläge von Paris, den IS und Rechtsradikale gesprochen

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Wir haben mit syrischen Flüchtlingen über die Anschläge von Paris, den IS und Rechtsradikale gesprochen

„Ich weiß, dass jede Person, die ihren Kopf anstrengt, sofort sehen kann, dass das keine Flüchtlinge, sondern eine terroristische Organisation war."

Nach den Anschlägen von Paris hat sich der Ton in der Einwanderungsdebatte um einiges Verschärft. Hardliner fühlen sich nun bestätigt und fordern das Dichtmachen der Grenzen. Rechtspopulisten stellen Muslime unter Generalverdacht und verlangen schärfere Kontrollen. Laut Vertretern der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) werden Übergriffe auf Muslime immer drastischer: Es würden nicht mehr bloß Scheiben eingeschlagen, sondern Häuser angezündet und Schusswaffen eingesetzt. Letzten Monat hat das BKA für die ersten drei Quartale 2015 mehr als 460 Angriffe auf Asylunterkünfte in Deutschland berichtet.

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Ich habe am vergangenen Freitag das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) in Berlin besucht, um dort mit syrischen Fliehenden zu sprechen. Ich wollte wissen, wie sie die wachsende Islamophobie empfinden, wie sie auf die Anschläge von Paris reagiert haben und was sie von der NPD-Demo vor dem LaGeSo an jenem Abend hielten.

Firas (35) aus Aleppo

VICE: Wie lange hast du gebraucht, um nach Deutschland zu gelangen?
Firas: Lange. Wir haben drei Monate lang in der Türkei auf die Todesschiffe gewartet.

Wie wurdest du empfangen?
Wir sind als Flüchtlinge hierher gekommen, ich habe eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten und dafür bin ich sehr dankbar, aber sie verlangen zeitraubende Deutschkurse und Formulare, während ich mich noch um meine Familie und meine Kinder in Syrien sorge. Meine kleine Tochter hat bereits seit einem Monat keinen Zugang zu Milch.

Wie hast du von den Anschlägen in Paris erfahren?
Vier von uns haben im Lager das Spiel Frankreich-Deutschland angesehen, als sie die Übertragung unterbrochen haben, um über die Anschläge zu berichten. Am Anfang haben wir nicht wirklich verstanden, was los war, weil alles auf Deutsch war, aber später haben wir auf Facebook erfahren, dass es Terroranschläge waren.

Wie habt ihr darauf reagiert?
Syrien ist ein Land im Krieg und wir denken daran, dass nach solchen Geschehnissen automatisch mit dem Finger auf uns gezeigt wird. Wir dachten also, dass man uns die Schuld für die Anschläge geben würde.

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Hast du mitbekommen, dass sie einen gefälschten syrischen Pass neben der Leiche eines der Attentäter gefunden haben?
Ich habe gemerkt, dass man sich auf diesen Pass konzentriert hat, während die syrische Bevölkerung seit fünf Jahren massakriert wird, ohne dass jemand versucht hätte, dem ein Ende zu setzen. Ich habe mir Sorgen gemacht, dass es Vergeltungsaktionen gegen uns geben würde, aber es hat keine gegeben.

Heute findet hier noch eine NPD-Demo statt. Was würdest du diesen Leuten gerne sagen?
Ich würde einfach gerne sagen, dass wir, als Syrer, hier sind, weil wir ein Kriegsgebiet verlassen haben. Und es tut uns sehr Leid, wenn Syrer sich auf irgendeine Weise verhalten haben, die ihnen dieses Gefühl gegeben hat. Letzten Endes ist es ihr Land. Wir bitten sie nur um Geduld mit uns, nur für ein paar Jahre. Wir haben sehr viel durchmachen müssen, wir wollen nur für kurze Zeit ein bisschen Stabilität und wir werden nach Syrien zurückkehren, sobald wir können.

Samer (34) aus Syrien

VICE: Warum hast du dich entschlossen, nach Deutschland zu kommen?
Samer: Anfangs wollte ich noch nach Norwegen, aber in Ungarn war ich gezwungen, meine Fingerabdrücke zu geben, also beschloss ich, nach Deutschland zu kommen, denn das ist das einzige Land, das einen aufnimmt, wenn man vorher schon in einem anderen Land war. Norwegen hätte mich nur zurück nach Ungarn geschickt.

Hast du davon gehört, dass ein falscher syrischer Pass in der Nähe eines der Attentäter von Paris gefunden wurde?
Ja, und ich habe seitdem Angst vor den aggressiven Reaktionen der Deutschen. Aber bisher habe ich keine solchen Reaktionen erfahren.

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Weißt du, dass später die NPD genau hier demonstriert? Wie findest du das?
Ich denke, es ist normal, dass sie Angst haben, weil so viele Fremde auf einmal kommen. Sie wissen nicht, was das für Menschen sind. Ich bin nicht wütend auf sie. Es ist ihr Recht, sich so zu fühlen, aber gleichzeitig haben wir keine andere Wahl.

Hoffst du, hier bleiben zu können, oder willst du irgendwann zurück nach Syrien?
Im Moment kann ich gar nicht an Zukunftspläne denken. Für den Krieg in Syrien scheint kein Ende in Sicht, also hätte ich nichts dagegen, in Deutschland zu bleiben.

Sosan (36) aus Homs

VICE: Warum Deutschland?
Sosan: Weil wir gehört hatten, dass Deutschland Leute aufnimmt, und dass ich den Rest meiner Familie später nachholen könnte. Wir hatten auch gehört, die Lebensqualität sei hier gut. Aber es war alles andere als einfach.

Wo ist der Rest deiner Familie?
Ich habe zwei Kinder bei mir, und die zwei anderen Kinder sind mit ihrem Vater in Syrien. Es war zu teuer, zusammen hierher zu kommen.

Wie viel hat es dich gekostet, euch drei hierher zu bringen?
Insgesamt 12.000 Euro. Wir wurden in der Türkei betrogen. Wir haben 5.400 Euro im Voraus bezahlt, um auf ein Schiff zu dürfen, aber wir sind nie an Bord gegangen, weil meine Kinder krank waren. Wir haben nur die Hälfte wiederbekommen. Diese Leute sind Verbrecher.

Machst du dir Sorgen, welche Auswirkungen die Anschläge von Paris auf Flüchtlinge haben könnte?
Natürlich! Das tun wir alle. Wir können nachts nicht schlafen. Gestern haben wir am Hermannplatz eine Tasche auf der Straße gesehen und alle hatten Angst davor und sind davor weggelaufen.

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Hast du davon gehört, dass einer der Attentäter einen falschen syrischen Pass dabei hatte?
Ich glaube, das ist alles gefälscht. Wie kann jemand, der verbrannt ist, noch seinen Pass neben sich haben? Ich glaube ja ohnehin, dass die Pariser Anschläge das Werk von Israel waren. Israel hasst uns und das ist für sie eine gute Methode, uns zu peinigen.

Weißt du, dass es hier eine NPD-Demo geben wird? Was würdest du den Leuten dort gerne sagen?
Ich will ihnen sagen, dass unser Land zerstört ist, unsere Leute sind gestorben, unsere Häuser sind zerstört und wir können nirgendwo hin. Und wir sind nicht mit Hass hierher gekommen, sondern wollen einfach nur in Frieden leben, bis es wieder sicher ist, zurück nach Syrien zu gehen. Ich würde ihnen einfach sagen, dass sie uns in Frieden lassen sollen. Wir wollen nur nicht, dass unsere Kinder sterben.

Machhour (45) aus Damaskus

VICE: Wie habt ihr euch für Deutschland entschieden?
Machhour: Ich hatte bereits Verwandte hier. Aber ich habe vor, mich gut zu integrieren, die Sprache zu lernen. Ich habe auch gehört, die Situation auf dem Arbeitsmarkt sei hier besser. Ich muss meine Mutter in Jordanien finanziell unterstützen. Mein Bruder sitzt seit vier Jahren in den Gefängnissen des syrischen Regimes. Das letzte Mal, das ich ein Lebenszeichen von ihm erhalten habe, ist zwei Jahre her.

Wie habt ihr von den Pariser Anschlägen erfahren?
Wir haben auf Facebook davon gehört und Angst bekommen. Wir waren in einem Hotel, als es passierte. Wir hatten Angst vor Vergeltungsaktionen, und davor, dass man uns zurückschickt. Doch nach ein paar Stunden haben sie uns in Form von Aushängen an den Wänden mitgeteilt, dass das alles nichts mit Flüchtlingen zu tun hatte, und versucht, uns zu trösten. Es gibt Deutsche, die so nett zu uns sind, es ist einfach unglaublich.

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Macht ihr euch Sorgen, wie die Bevölkerung nach den Anschlägen auf Flüchtlinge reagieren könnten?
Anfangs schon, aber jetzt nicht mehr.

Wisst ihr, dass jetzt gleich eine NPD-Demo hier stattfindet?
Das macht uns Angst. Wir wurden bereits angegriffen, als wir in einem Restaurant gegessen haben. Jemand hat uns angegriffen, aber ein deutscher Mann kam dazu und hat uns verteidigt.

O. (27) aus ar-Raqqa

VICE: Wie würdest du das Leben in ar-Raqqa beschreiben?
O.: Es ist sehr traurig. Wir können keine westliche Kleidung tragen und keine Fernseher, Handys oder Internet benutzen. Wir dürfen uns nicht einmal rasieren. Frauen müssen sich komplett bedeckt halten und Männer müssen eine Abaya tragen. Wenn man nicht richtig gekleidet ist, wird man 50 Mal ausgepeitscht und für zwei Tage eingesperrt. Dasselbe passiert, wenn man raucht, sich rasiert, etc. Eine Frau müsste 6.000 Lira zahlen und ein Mann aus ihrer Familie müsste ausgepeitscht werden. Frauen dürfen auch nicht ohne männliche Begleitung auf die Straße.

Wie bist du entkommen?
Wir sind in der Nacht los und haben behauptet, wir bräuchten medizinische Behandlung. Wir waren vier Tage lang an der türkischen Grenze, bevor wir es in die Türkei geschafft haben. Die ganze Reise nach Deutschland hat uns 5.000 US-Dollar gekostet. Slowenien war am schlimmsten, denn wir hatten kein Wasser, kein Essen und keine Unterkunft.

Wo warst du, als du von den Pariser Anschlägen gehört hast?
Zu Hause. Wir haben im Internet davon erfahren. Unsere Verwandten haben uns erzählt, ISIS würde gleich nach den Anschlägen die Internetverbindungen überall in ar-Raqqa kappen. Davor war es auf sehr begrenzte und zensierte Art an bestimmten Orten erlaubt. Im Moment gibt es nirgends mehr Internet und wir haben seitdem nicht mehr von unseren Verwandten gehört.

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Hast du Angst, dass Flüchtlinge wegen der Anschläge hierzulande verfolgt werden?
Ja, wir haben sehr große Angst wegen Vergeltungstaten, die von Islamophobie motiviert sind. Daesh [Der IS] machen dem Islam einen schlechten Ruf und die Leute neigen dazu zu verallgemeinern. Daesh sind furchtbar und haben auch viele Muslime getötet. Wir sind wegen unserer Kinder hierher gekommen. Bildung ist in ar-Raqqa verboten.

Weißt du, dass heute hier eine Demo gegen Flüchtlinge stattfindet?
Gestern Nacht haben sie unser Lager angegriffen. Wir haben Angst, dass sie uns angreifen werden. Wir können uns nicht verteidigen. Wir möchten gerne sagen, dass wir friedliche Muslime sind. Wir haben Krieg wirklich satt. Fünf Jahre sind eine lange Zeit. Wir sind weder hier, um euer Land zu zerstören, noch wollen wir Probleme verursachen. Wir wollen einfach nur Frieden.

Ali (23) aus Tartus

VICE: Wann bist du in Deutschland gekommen?
Ali: Ich bin vor einem Monat angekommen. Ich denke, ich werde hier eine bessere Zukunft haben. Ich bin Seemann und hoffe, auf die Segelakademie in Hamburg gehen zu können. Mein Ziel ist es, Kapitän eines Schiffs zu werden.

Was hältst du von dieser NPD-Demo?
Ich habe einige Leute gefragt, und sie haben mir erklärt, das seien Nazis, die uns nicht hier haben wollten. Vielleicht haben sie recht, vielleicht haben sie unrecht, ich weiß es nicht. Sie wissen nicht, wer hier in ihr Land kommt, also befürchten sie Probleme.

Und machst du dir aufgrund der Anschläge in Paris nun mehr Sorgen darüber?
Ja, aber ich weiß auch, dass jede Person, die ihren Kopf anstrengt, sofort sehen kann, dass das keine Flüchtlinge, sondern eine terroristische Organisation war. Ich verstehe schon, wie sich das schlecht auf uns auswirken kann, aber wir haben keine Wahl, also müssen wir annehmen, was auch immer wir von anderen Menschen und den Regierungen bekommen. Wir sind Flüchtlinge.

Machst du dir Sorgen wegen des falschen syrischen Passes, der neben einem der Selbstmordattentäter von Paris gefunden wurde?
Ich lache. All dieser Schaden, all diese Zerstörung, und der Pass ist noch heil? Wie ist das möglich? Aber vielleicht verleiht mir das ja ungeahnte Kräfte, vielleicht könnte mich mein syrischer Pass beschützen.

Wie werden diese Anschläge sich auf Flüchtlinge auswirken, die hierher kommen wollen?
Ich denke, das lässt sich schwer kontrollieren. Zu viele Leute kommen innerhalb von zu kurzer Zeit. Ich denke, es wird neue Regeln für Flüchtlinge geben, die nach Deutschland kommen, und alle, die bereits hier sind, werden vielleicht länger auf die Dinge warten müssen, die sie benötigen.