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Wir haben uns mit dem Anführer von Wladimir Putins Lieblings-Biker-Club unterhalten

Am 9. Mai wollen die Nachtwölfe nach Deutschland kommen, doch wer ist eigentlich Alexander „Der Chirurg" Saldostanow, ihr Anführer?
Foto: Imago/ITAR-TASS

Maskierte Männer mit Fackeln marschierten in Hakenkreuzformation, während Trommler Kunstblut auf ihre Instrumente spien und einen bedrohlichen Rhythmus schlugen. Riesige mechanische Hände mit einem US-Siegel hoben eine brennende Silhouette der Ukraine über die marschierenden Neonazis, die anfingen, Steine zu werfen und Berkut-Polizisten anzuzünden.

Plötzlich tauchten gepanzerte Truppentransporter mit ukrainischen Flaggen auf und alles ging in einem Kugelhagel aus AK-47-Gewehren unter.

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So sah das Spektakel bei einer jährlichen „Motorradshow" auf der Krim vergangenen August aus, fünf Monate nach der Annektierung durch Russland. Die Produktion wurde organisiert von den Nachtwölfen, dem größten russischen Motorrad- und Rockerclub, der sich für den 9. Mai in Deutschland angekündigt hat, und stellt wohl die anschaulichste und surrealste Nachstellung der Propaganda aus dem Kreml über die ukrainische Euromaidan-Bewegung dar. Die neue pro-westliche Regierung in Kiew wurde von russischer Seite als „faschistische Junta" bezeichnet.

„Ewige Lakaien Europas, seine Sklaven im Geiste, ihr habt die Geschichte eurer Väter verdorben und die Gräber eurer Ahnen verkauft." Der Anführer der Nachtwölfe, Alexander „Der Chirurg" Saldostanow, schimpfte mit knurriger Stimme über Ukrainer. Er hatte die Veranstaltung geplant und moderierte sie außerdem. „Ein fremdes Land ist euch wichtiger als euer Vaterland, und aus diesem Grund werdet ihr immer nur den Willen eures Meisters kennen und ihm für immer dienen."

Eine gespielte Schlacht zwischen prowestlichen und prorussischen Fraktionen endete damit, dass die Nachtwölfe auf ihren Motorrädern in die Arena fuhren, die Fahnen der russischen Marine und der separatistischen Republiken der Ostukraine schwenkend, während der Chor der Schwarzmeerflotte die Sowjethymne sang.

Der große, massige Saldostanow las dem Publikum eine Botschaft von Präsident Wladimir Putin vor, in der er „treue Freunde, verbunden durch die Bruderschaft des Motorrads" pries und „die Wiedervereinigung der Krim mit Russland" feierte. Am folgenden Tag überreichte er Action-Darsteller Steven Seagal eine russische Kriegertrophäe und ein T-Shirt, auf dem Putin mit einer Sonnenbrille zu sehen war. Der Schauspieler ist bekannt als Putin-Fan und trat bei der Veranstaltung mit seiner Blues-Band auf.

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Das Oberhaupt der Nachtwölfe arbeitete früher als Chirurg in der Gesichtsrekonstruktion. Er trug zur Einführung westlicher Biker-Kultur in Russland bei, doch inzwischen führt er eine Welle des antiwestlichen Gehabes und des patriotischen Fanatismus an. Dieses Jahr startete Saldostanow eine „Anti-Maidan-Bewegung", um den Kreml vor Protesten wie der Euromaidan-Bewegung in der Ukraine zu schützen—die laut Saldostanow von den USA angezettelt wurde, um den prorussischen ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch zu stürzen.

Er hat Putins Gehör, denn die zwei sind enge Freunde. In seinem ersten Exklusivinterview mit einem amerikanischen Medium sagte er VICE News, er habe den russischen Präsidenten seit Jahren dazu ermutigt, sich die Krim anzueignen.

Um dabei zu helfen, stürmten Mitglieder seiner Bikergruppe eine Erdgasanlage und das Marinehauptquartier in Sewastopol, kurz nachdem russische Streitkräfte ohne Abzeichen im Februar und im März in der Krim einfielen. Saldostanow behauptet, mehrere ukrainische Mitglieder des Clubs würden nun in der Ostukraine an der Seite russisch finanzierter Rebellen kämpfen.

„Mein Ziel war es, alles zu tun, damit Sewastopol wieder an Russland zurückging", sagte er über die Hafenstadt auf der Krim, wo Russland seit 1997 eine Marinebasis gepachtet hatte. „Das war mein kleiner Beitrag zu all dem. Jetzt habe ich etwas, mit dem ich vor Gott treten kann."

Es war etwa 2 Uhr nachts an einem Wochentag und Saldostanow saß vor einem Teller Garnelen und Bohnen-Granatapfel-Salat in einem volkstümlich-russisch eingerichteten Restaurant, das zu seinem Motorradcenter in Moskau gehört. Wie immer trug er seine lederne Nachtwölfe-Weste, verziert mit einem Orden, den Putin ihm 2013 persönlich überreichte. Sein langes dunkles Haar war mit einem schwarzen Haargummi zusammengehalten.

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„Bei uns zählen andere Werte. Wir machen das für unser Mutterland."

Mit seiner indirekten grünen, roten und blauen Beleuchtung und den übergroßen Skulpturen von Motorrädern, Wölfen und Vögeln erinnert das Motorradcenter an eine Art gruselige Jahrmarktsattraktion—nur eben eine, die sowohl innen als auch außen mit einer Bar ausgestattet ist und in der stiernackige Biker ein- und ausgehen. Ein Tanklaster mit der Aufschrift „Mad Max" deutet auf die Inspiration für das Dekor hin, nach dessen Ästhetik auch die große Darbietung gehalten war. Saldostanow sagte, der Mel-Gibson-Film erinnere ihn an den Zerfall Russlands nach dem Ende der Sowjetunion.

Er begegnete Putin 2009, als der damalige Premierminister das Motorradcenter besuchte. Saldostanow, der zu jener Zeit seine erste Motorradshow in Sewastopol organisierte, erinnert sich, dass er zuerst einfach auflegte, als man ihn aus dem Büro des Premierministers anrief. Er hatte es für einen Streich gehalten, doch er bekam einen weiteren Anruf, in dem ihm nüchtern mitgeteilt wurde, er möge sich im Kreml melden. Am nächsten Tag überreichte er Putin Briefe und Geschenke von Einwohnern von Sewastopol und sagte ihm, die Stadt müsse Teil Russlands werden.

Putin verleiht

Nach dieser Begegnung hielt Putin die Moskauer Behörden davon ab, das Motorradcenter zur Räumung zu zwingen. Saldostanow sagt, er habe den Präsidenten seitdem beim Motorradkauf beraten. Putin fuhr 2010 bei einer Motorradshow der Nachtwölfe in Sewastopol eine dreirädrige Harley Davidson neben Saldostanow her, und wieder bei einer Show 2011 in Noworossijsk, bei der er den Bikern dafür dankte, dass sie solch „unerlässliche patriotische Veranstaltungen" abhalten.

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Der Biker-Anführer ist auch im Gegenzug bei vielen von Putins Veranstaltungen erschienen. Erst vor Kurzem hatte er bei einer riesigen Kundgebung vor dem Kreml zum einjährigen Jubiläum der Krim-Annektierung kurz vor Putin das Wort.

Im Laufe der Jahre hat sich Saldostanow vom Straßenkämpfer-Biker zum unermüdlichen politischen Parteianhänger entwickelt, der für extrem konservative Ansichten und unkritische Loyalität zu Putin wirbt. Saldostanow hat oft schon gegen „Schwuchteln" gewettert und Homosexuellen die Mitgliedschaft bei den Nachtwölfen verwehrt. Auch wenn er die ukrainischen „Nationalisten" und „Faschisten" beschuldigt, ihr Land ruiniert und den Krieg angezettelt zu haben, ist sein Loblied auf das besondere Wesen Russlands und dessen Verschiedenheit zum Westen auch schon höchst nationalistisch.

„Weder ich noch die Anti-Maidan-Bewegung wollen provozieren, aber wir lassen uns auch nicht so leicht unterkriegen."

Saldostanow hat auch mit anderen rechtsextremen Rednern wie dem Verschwörungstheoretiker Nikolai Starikov zusammengearbeitet, um die Anti-Maidan-Bewegung ins Leben zu rufen. Mitglieder dieser Bewegung haben im Februar versucht, eine Kundgebung gegen den Krieg niederzubrüllen, und organisierten später dann noch eine eigene Demonstration gegen den ukrainischen „Staatsstreich", wo dann Demonstranten mit Botschaften wie „Wir brauchen keine westliche Ideologie und Schwulenparaden" rumliefen. Im Fahrwasser von Putin argumentiert Saldostanow damit, dass Russlands demokratische Opposition Politiker der „Fünften Kolonne" beherbergt, die das Land unterwandern wollen.

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Starikov und Saldostanow hielten vor Kurzem auch eine Pressekonferenz ab, bei der sie behaupteten, dass der Oppositionsführer Boris Nemtsov von seinen „amerikanischen Kuratoren" getötet wurde—alles als Teil eines Plans zur Unruhestiftung und zu einem Regimewechsel in Russland.

Kurz nach dieser Pressekonferenz wurde ein hochrangiger Beamter eines tschetschenischen Polizeibataillons für den Mord an Nemtsov angeklagt. Dieses Polizeibataillon ist bekannt für seine Loyalität zu Ramzan Kadyrov, dem politischen Führer der Gegend, der über die Jahre auch vieler Morde und Menschenrechtsverletzungen bezichtigt wurde. Saldostanow und Kadyrov sind gute Freunde und zusammen haben sich die beiden letztens einen Mixed Martial Arts-Kampf in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny angesehen. Saldostanow meinte, dass Kadyrov gerade dabei ist, ein formales Mitglied der Nachtwölfe zu werden, obwohl der tschetschenische Politiker anscheinend gar nicht mal so gut Motorrad fahren kann.

Saldostanow wurde im ukrainischen Kirovograd geboren, wuchs aber zum Großteil in Moskau auf. Bis zu seinem 15. Lebensjahr besuchte er jeden Sommer ein Camp in Sewastopol, wo ihm der „Kult" der Schwarzmeerflotte näher gebracht wurde. Obwohl sein Vater Ukrainer war, wurde bei Saldostanow zu Hause primär Russisch gesprochen. Er erzählte VICE News beim Abendessen, dass er „die ukrainische Sprache nie wirklich ernst genommen hat" und sie eigentlich als russischen Dialekt ansieht. Er betrachtet die Russen und Ukrainer auch als „ein Volk" und behauptet, dass die Ukraine ein „künstliches Land" ist, das eigentlich zu Russland gehört.

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Obwohl ihm bereits russischer Hurrapatriotismus vorgeworfen wurde, sagte Saldostanow, dass er nur die „erzwungene Ukrainisierung" der Ukraine stoppen und den russischsprechenden Teilen des Landes eine Chance geben wolle, sich Russland anzuschließen. Er besteht darauf, dass der einzige Weg aus der ukrainischen Finanzkrise und dem separatistischen Konflikt eine freiwillige Eingliederung in Russland ist.

„Russland ist ihre Mutter, Europa wäre hingegen nur eine Stiefmutter", meinte er. „Eine Stiefmutter kann die wahre Mutter niemals ersetzen, selbst wenn sie reicher und erfolgreicher ist."

Foto: Imago/ITAR-TASS

Genau wie seine Mutter hat auch Saldostanow Medizin in Moskau studiert. Er wurde ein so erfolgreicher Chirurg, dass ihm ein Job in einem angesehenen Institut angeboten wurde, das sich auf posttraumatische Gesichtsrekonstruktion spezialisiert hat. Dank den Konflikten der kriminellen Interessen während des Niedergangs der Sowjetunion war für Saldostanow reichlich Arbeit vorhanden. Seine Patienten wiesen dabei Schuss- oder Stichwunden auf—in einem Fall wurde sogar mal eine Schaufel als Waffe benutzt.

Damals hatte er sich bereits sein erstes in Tschechien gebautes Motorrad gekauft, mit dem er nachts durch die Stadt fuhr. Wenn er dann am Morgen an seinem Arbeitsplatz ankam, benutzte er immer den Hintereingang, um die Patienten mit seinen Klamotten nicht zu verschrecken—laut eigener Aussage waren die damals nämlich „100 Mal schlimmer" als sein jetziger Lederjacken-Look.

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„Ich führte quasi zwei Leben … was der Regierung und der Polizei ein Dorn im Auge war", erzählte Saldostanow. „Damals gehörte ich zur Opposition. Wir hatten unseren eigenen Club und ich war ständig in irgendwelche Auseinandersetzungen verwickelt."

Zum ersten mal mit der westlichen Biker-Kultur kam Saldostanow Mitte der 80er Jahre in Berührung, als er in Westberlin als Türsteher arbeitete. Heute sagt er, dass er in jungen Jahren ein „romantisiertes Bild der westlichen Zivilisation" hatte und die Hells Angels aus religiösen Gründen nie wirklich mochte (auf YouTube gibt es allerdings ein Video, in dem ein junger Saldostanow deutsche Hells-Angels-Mitglieder durch Moskau führt).

Saldostanow hat zwar eine entscheidende Rolle dabei gespielt, die westliche Biker-Kultur nach Russland zu bringen, aber er meint trotzdem, dass sich die Nachtwölfe im Gegensatz zu anderen Clubs mehr auf Patriotismus und Glauben konzentrieren als auf Verbrechen und Gewalt. Mehrmals im Jahr veranstalten die Nachtwölfe zum Beispiel Pilger-Motorradfahrten an verschiedene heilige Orte der russisch-orthodoxen Kirche.

„Wir gehen von Satan zu Gott—also quasi genau andersrum", sagte er. „Wir sind zwar auch dazu bereit, jemanden so richtig zu vermöbeln, aber eben nicht wegen Drogen oder so. Bei uns zählen andere Werte. Wir machen das für unser Mutterland."

Saldostanows Bewunderung für das Mutterland geht bis zu Josef Stalin zurück. Der ist für ihn ein Held und wird von ihm auch oft bei seinen Motorradshows zitiert.

„Die Leute, die dir etwas von Unterdrückung erzählen, sind auch die, die mehr Menschen als Stalin getötet haben", merkte Saldostanow an. „Die amerikanische Demokratie hat weltweit viel mehr Menschen umgebracht—überall haben sie Kriege angefangen und die neue Theorie des kontrollierten Chaos eingeführt. Sie setzen Technologie als Waffe ein und haben die Regierungen von Libyen, Syrien, Serbien und des Iraks zerstört. Nicht einer dieser Kriege hat irgendetwas Gutes hervorgebracht."

Saldostanow beschrieb seinen Motorradclub einmal als patriotische Organisation, die mit der Veranstaltung von Motorradtouren und -shows positive Werte pflegen will. Er merkte auch an, dass dabei auch humanitäre Hilfsgüter für die Sezessions-Regionen der Ostukraine gesammelt wurden. Dazu hatte er noch vier Wohnungen in Moskau bereitgestellt, wo Flüchtlinge aus diesen Regionen untergebracht werden konnten.

Saldostanows primäres politisches Projekt scheint derzeit allerdings nur daraus zu bestehen, das Bild von Putin als starken Anführer zu festigen, der auch dem Druck des Westens standhalten kann. Dabei steht er so sehr für seine Ansichten ein, dass manche Leute den Verdacht hegen, der Kreml setze die Nachtwölfe als eine Art Privatmiliz von unerschütterlich loyalen Bikern ein, und Saldostanow ist dabei ein möglicher Regierungskandidat, der dabei helfen kann, nationalistischen Eifer zum Vorteil des Kremls zu nutzen.

Saldostanow bestreitet jedoch, dass Putin mit seinem Club irgendwelche politischen Ziele verfolgt, und meint, dass er sich selbst nicht zur Wahl stellen wird. Er widmet sich lieber der Planung der zukünftigen Aktivitäten der Nachtwölfe und will mit dem Club das Mutterland vor augenscheinlichen Politikern der Fünften Kolonne und vor den schädlichen Plänen des Westens schützen.

„Weder ich noch die Anti-Maidan-Regierung wollen provozieren, aber wir lassen uns auch nicht so leicht unterkriegen", sagte Saldostanow. „Wir werden uns nicht bloßstellen lassen. Wenn man mir gegenüber keine Gewalt anwendet, dann werde ich das auch nicht tun. Wenn man uns jedoch vergewaltigen will, dann werden wir auf noch grausamere Art und Weise antworten."