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Wir haben mit einem der WTC-Attentäter von 1993 über den IS und terroristische Massenschießereien gesprochen

„Derzeit herrscht einfach das Recht des Stärkeren."

Auch die Namen der sechs Opfer des Terroranschlags vom 26. Februar 1993 sind in der Gedenkstätte des World Trade Centers eingraviert. Foto: Rebecca Wilson | Flickr | CC BY 2.0

Eyad Ismail gehört zu den Männern, die wegen der Durchführung des Anschlags auf das World Trade Center im Jahr 1993 verurteilt wurden. Ismail kam in Kuwait als Sohn eines palästinensischen Vaters und einer jordanischen Mutter zur Welt und wurde für seine Tat zu 240 Jahren Haft verurteilt—er fuhr einen gemieteten Lieferwagen, der mit einer Bombe beladen war, in die Tiefgarage des World Trade Centers. Bei der Detonation wurden sechs Menschen getötet und mehr als 1000 verletzt. Während der Verhandlung beteuerte Ismail, unschuldig zu sein und nicht gewusst zu haben, was sich in dem Lieferwagen befand. 20 Jahre nach seiner Verhaftung wurde er schließlich von einer Haftanstalt mit höchster Sicherheitsstufe in Colorado in das Hochsicherheits-Staatsgefängnis in West Virginia verlegt, wo auch ich inhaftiert bin.

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Ismail ist einer meiner Kollegen in einer Arbeitseinrichtung auf dem Gelände, wo den Häftlingen die Chance gegeben werden soll, der Glücksspiel-, Drogen- und Gewaltspirale zu entkommen, die sonst den amerikanischen Gefängnisalltag bestimmt. Er wirkt wie ein intelligenter und bescheidener Mann, und für jemanden, der Ungläubige hassen soll, zeigt er keine Anzeichen der Abscheu gegenüber den vielen Häftlingen und Wachen, die ihn offenkundig verachten.

Trotzdem machen Ismails ethnische Zugehörigkeit und die Art seines Verbrechens den Araber zu einem ständigen Ziel. Und jede weitere schreckliche Tragödie mit terroristischem Hintergrund, die in den Nachrichten gezeigt wird, verschärft diese Ablehnung nur noch weiter. Nachdem ich mit Ismail gesprochen hatte, schockierte mich der in den vergangenen beiden Jahrzehnten erfolgte Anstieg des radikal islamischen Terrors jedoch gar nicht mal mehr so sehr. Und als ich mit dem Araber nach den Terroranschlägen von Paris über den IS reden wollte, stellte er mir direkt eine Gegenfrage: „Warum haben sie das deiner Meinung nach getan?"

Meine Antwort basierte auf der einzigen Sache, die ich wusste: „Sie hassen uns."

Eyad Ismail vor Gericht 1995 | AP Photo | Ruth Pollack

Er lächelte und verdrehte die Augen, so als wollte er damit sagen, dass ich keine Ahnung habe. Und so kam es zu einer ungewöhnlichen Bekanntschaft zwischen einem Hippie-Bankräuber aus Pittsburgh und einem verurteilten Terroristen aus dem Nahen Osten.

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Vor Kurzem habe ich mich dann noch mal mit dem 44-jährigen Muslim hingesetzt, um seine Ansichten über den Islamischen Staat, die Massenschießerei von San Bernardino sowie andere Tragödien wie etwa den Anschlag auf die Planned Parenthood-Klinik in Colorado herauszufinden. Dabei meinte er, dass es wichtig sei, „als Menschen" miteinander zu kommunizieren, um die Konflikte zwischen Extremisten aus dem Nahen Ostern und der westlichen Welt beizulegen. Gleichzeitig stellte er aber auch klar, dass er zumindest ein bisschen mit dem Islamischen Staat sympathisieren würde. Es überraschte mich kaum, dass viele von Ismails Aussagen und Ansichten für einen Großteil von uns ziemlich haarsträubend klingen, aber unser Gespräch ermöglichte mir auch einen Einblick in die Weltanschauung von Menschen, die die USA für den Terrorismus verantwortlich machen.

Motherboard: Wo fanden die schlimmsten Terror-Angriffe seit dem Jahr 2000 statt?

VICE: Wie schätzt du als islamischer Terrorist einer früheren Generation die Mitglieder des IS ein? Was sind das für Menschen und wo kommen sie her?
Eyad Ismail: Beim Islamischen Staat handelt es sich nicht um Dschihadisten, die aus der ganzen Welt für den Kampf rekrutiert wurden, sondern um sunnitische Muslime, die seit 25 Jahren Kriege, Folter und Vergewaltigungen überstehen müssen. Das sind Iraker und Syrier, die unter den ungerechtfertigten und von den USA begonnen Kriegen zu leiden haben. Und als sich die USA 2010 zum Großteil aus dem Irak zurückzogen, fing die schiitische Regierung unter Nuri al-Maliki damit an, die Sunniten umzubringen—und das unter der Aufsicht der Amerikaner.

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Die Antwort der USA fiel dann folgendermaßen aus: „Dabei handelt es sich um ein internes Problem. Wir wollen uns in deren Angelegenheiten nicht einmischen." In der Fernsehsendung Rise of ISIS wird genau das gezeigt, obwohl auch gleichzeitig versucht wird, die ganze Sache so darzustellen, als ob es sich beim Islamischen Staat um Aliens von einem anderen Planeten handeln würde, die die Massaker der Schiiten—also der irakischen Regierung—an der sunnitischen Bevölkerung ausnutzen, um neue Anhänger zu rekrutieren.

Jeder Araber und jeder Muslim weiß jedoch, dass der IS aus Irakern und Syriern besteht. Deshalb ist Abu Bakr al-Baghdadi auch der Kopf dieser Organisation. Während der US-Besatzung des Iraks saß er in einem von den Amerikanern betriebenen Gefängnis. Außerdem gilt er als ein Gelehrter aus der Familie des Propheten. Deshalb findet er auch so viele sunnitische Anhänger.

Man muss keine Leute für den Islamischen Staat rekrutieren, denn auf der ganzen Welt gibt es bereits Muslime, die diese Ungerechtigkeit jetzt schon 25 Jahre lang mitansehen müssen und ihren Brüdern deshalb helfen wollen. Man muss an dieser Stelle auch anmerken, dass die Iraker die sturköpfigsten Muslime sind. Dinge wie Besatzungen oder Erniedrigungen lassen sie sich nicht gefallen.

All diese Faktoren intensivieren sich täglich und irgendwann bricht der Vulkan dann eben aus. Genau das passiert gerade im Irak sowie in Syrien und trägt den Namen Islamischer Staat.

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Haben dich die IS-Anschläge von Paris überrascht?
Die Leute in der westlichen Welt fragen ständig, warum der Islamische Staat das gemacht hat. Die Leute aus dem Nahen Osten stellen hingegen die Frage, warum die USA ihnen das antut. Man muss sich mal in deren Lage versetzen: Frankreich bombardiert den Irak nun schon seit einem Jahr und in Syrien haben sie jetzt auch damit angefangen. Dabei wird alles zerstört—Gebäude, Frauen und Kinder. Eine Rakete unterscheidet nicht zwischen IS-Mitgliedern und Zivilisten, sie zerstört einfach nur.

In einer aktuellen Ausgabe von USA Today meinte Deborah Lee James, die administrative Leiterin der Luftstreitkräfte der USA: „Unser Geschäft ist das Töten von Terroristen. Und das Geschäft läuft gut." Für die ist das Ganze also nur ein Geschäft. Allerdings geht es hier um Menschenleben. Menschen haben ein Recht darauf, so zu leben, wie sie es wollen.

Betrachte das Ganze doch mal aus der Lage der Iraker und Syrier: Nach einem Jahr der Bombardierung wurden viele deiner Mitmenschen umgebracht, dein Land zerstört und Kinder so sehr verschreckt, dass sie den ganzen Tag lang nur noch in irgendwelchen Ecken kauern. All das ist den Raketen zuzuschreiben und du kannst nichts dagegen machen. Wie würdest du denn da reagieren?

Aber selbst wenn man die französischen Luftschläge als falsch ansieht, wie rechtfertigt das dann den Terror?
Da fällt mir eine Geschichte ein. Es gab mal einen Löwen, einen Tiger und ein Zebra. Der Löwe ist der Meinung, dass im Dschungel irgendetwas schief läuft, weil es schon lange nicht mehr geregnet hat. Er will der Sache auf den Grund gehen, um so den Regen zurückzuholen. Deshalb kommen die drei zusammen und der Löwe fängt an: „Ich habe eine Antilope gesehen, umgebracht und gefressen." Alle drei sind sich einig, dass das OK ist. Danach meint der Tiger: „Ich habe einen Hasen gesehen, gejagt und gefressen." Wieder sind sich alle drei einig, dass das in Ordnung geht. Als letztes folgt das Zebra: „Ich habe einen Flecken Gras gesehen und ein bisschen davon gegessen, um meinen Hunger zu stillen …" „Packt ihn!", brüllen der Löwe und der Tiger daraufhin vor Zorn.

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Die Frage sollte eher lauten: Wer trägt eigentlich die Schuld? Man muss immer beide Seite der Geschichte betrachten.

Wie denkst du über die Massenschießerei von San Bernardino?
Als ich zum ersten Mal von diesem Anschlag hörte, hoffte ich sofort, dass es sich bei den Tätern nicht um Muslime handeln würde. Das hatte mehrere Gründe. Zuallererst mal waren die Opfer Zivilisten, die mit der ganzen Sache nichts zu tun haben. Meine Religion verbietet Angriffe auf Zivilisten. Leider wissen viele Muslime nur sehr wenig über den Islam.

Dann ist es im Islam auch noch verboten, einen Vertrag zu brechen—und jedes Mal, wenn man mit einem Visum in ein Land einreist, handelt es sich bei diesem Visum eben um einen Vertrag. Man muss das Gesetz des Landes, in dem man lebt, respektieren.

Und drittens: Ich schaue jetzt schon viele Jahre Nachrichten und habe dabei den Eindruck gewonnen, dass alle Medien kontrolliert werden. Dort weiß man genau, wie man einen solchen Zwischenfall so hindrehen kann, um noch mehr Öl ins Feuer zu gießen und ihm keine Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen. Wenn Muslime solche Taten begehen, dann wird rund um die Uhr darüber berichtet. Wenn die Täter nicht dem Islam angehören, dann gerät das Ganze allerdings schnell wieder in Vergessenheit.

Und was sagst du zu dem Anschlag auf die Planned Parenthood-Klinik?
Was dieser Mann gemacht hat, ist schlimmer als das, was die Ärzte machen. Er war wütend darüber, dass dort Leben vernichtet werden, aber seine Taten waren keinen Deut besser. Der Islam verurteilt Abtreibung, denn jedes Leben ist wertvoll, aber er hat erwachsene Menschen umgebracht. Wie will er damit das Problem lösen?

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Wenn die Regierung das Ganze erlaubt, dann hat man verloren und muss damit klarkommen. So läuft es nunmal im Leben. Wenn man damit ein Problem hat, dann sollte man sich an die Regierung wenden und nicht alles an den Ärzten auslassen, die eigentlich nur das machen, was die Regierung für legal erklärt hat. Man kann die Symptome eines Problems heilen, was aber nur eine temporäre Lösung darstellt. Man kann jedoch auch die Wurzel des Problems angehen, was langfristig hilft.

Auf jede Aktion erfolgt eine Reaktion. Wenn man einen Ball an eine Wand wirft, dann wird er zurückkommen. Wenn man einen Ball hart an eine Wand wirft, dann wird er auch hart zurückkommen. Genau das ist das Problem aller in diesem Krieg involvierten Parteien. Wir greifen euch an, ihr greift uns an. Wir greifen euch erbarmungslos an, ihr greift uns erbarmungslos an. Hin und her, hin und her. Niemand gewinnt. Auf beiden Seiten gibt es nur Tod und Zerstörung.

Noisey: Xatar über den IS und die Rekrutierung in Deutschland

Aber Araber bilden diese Terrorzellen doch nur, um in der westlichen Welt Anschläge zu verüben?
Die Araber radikalisieren sich nicht selbst. Das machen die Handlungen und Entscheidungen der Regierung. Die in Frankreich und Europa lebenden Muslime sehen täglich die Bilder der Bombardierungen und der Millionen Flüchtlinge, die vor diesem Krieg fliehen. Das sind schreckliche Bilder. Sollen sie dann wirklich noch „Vive la France" rufen?

Weißt du, die Araber wollen einfach nur nach ihren Vorstellungen leben. Wir haben in jedem Jahrhundert unter Diktatoren und Tyrannen zu leiden gehabt, die von der westlichen Welt unterstützt wurden. Wir wollen einfach nur ein normales Leben führen, das ist alles. Die westliche Welt will jedoch, dass wir uns bestimmten Vorschriften unterwerfen. Wir können so aber nicht leben. Wir sind anders als die Menschen der westlichen Welt. Die einzige Sache, die bei uns für Recht und Ordnung sorgt, ist der Islam, denn im Islam kommt der Frieden und die Gerechtigkeit aus dem Himmel. Er, der die Erde und die Menschen erschaffen hat, weiß es am besten.

Wenn wir von einem Araber ohne den Islam angeführt werden, dann wird dieser Araber zu einem Diktator. Der Islamische Staat wurde ausgerufen, weil sich die USA nach einem Jahrzehnt voller Diktatoren zurückgezogen und einfach einen neuen Tyrannen bestimmt haben. Das war deren Lösung für ein Symptom—aber eben wieder nur eine temporäre. Dann kam der IS und alles wurde nur noch schlimmer.

Wie können wir das Problem dann endgültig aus der Welt schaffen?
Um das Problem an der Wurzel anpacken zu können, muss sich jeder einfach nur menschlich verhalten. Wir müssen als Menschen miteinander reden. Lasst die Leute selbst darüber entscheiden, was sie wollen. Lasst sie in Ruhe. Natürlich kann man immer zusammenkommen und sagen, dass jetzt endgültig Schluss ist, aber wie lange werden wir diese Scharade noch aufrecht erhalten? Für den Rest unseres Lebens?

Derzeit herrscht einfach das Recht des Stärkeren. Wir wurden jedoch mit mehr Vernunft gesegnet. Wir könnten mit erhobenem Haupt voranschreiten. Leider hängen unsere Köpfe aktuell nach unten. Wir müssen nach vorne blicken und das Gehirn benutzen, das uns von Gott gegeben wurde.