Wird die Rote Flora zahm?
Foto: Katharina Bühler

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Wird die Rote Flora zahm?

Deutschlands berühmtestes besetztes Haus wird renoviert. Gentrifzieren die Anti-Gentrifizierer sich selber?

Als Laufsteg alternativer Hippnesskultur genießt das Hamburger Schanzenviertel seit vielen Jahren auch in Österreich Bekanntheit. Quasi unter Laborbedingungen lässt sich hier beobachten, wie urbane Verdrängungsprozesse funktionieren: Wohnten Mitte der 80er noch überwiegend Studenten und Senioren in der Schanze, so drängeln sich hier nun an sonnigen Samstagen Hunderte Touristen über die Bürgersteige. Vorbei an Modeboutiquen, die in den letzten Jahren aufpoppten wie Sexanzeigen auf Streaming-Websites. Menschentrauben auf der Lokalmeile „Piazza", die Anwohner „Ballermann für Brillenträger" nennen, liefern Spöttern die Substanz für altbekannte Klischees über Projekte pitchende Werber mit Man Buns. Und mittendrin: die Rote Flora, das wohl am längsten besetzte Gebäude Europas.

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Besetzt wurde sie vor mittlerweile fast 26 Jahren, Ende der 80er Jahre. Ein Investor wollte damals das leerstehende Flora-Theater in einen Musicaldome umwandeln. Das Phantom der Oper sollte dort aufgeführt werden—jenes Erfolgsmusical von Andrew Lloyd Webber, das 1986 in London seine umjubelte Premiere gefeiert hatte. Anwohner, die Touristenmassen und eine Explosion der Mieten befürchteten, gründeten Stadtteilinitiativen und machten gegen die Pläne des Investors mobil. Demos wurden organisiert, Brandsätze flogen. Der große Druck zwang den Investor schließlich zum Rückzug. Anwohner erkämpften daraufhin, dass sie das nun seiner Zukunftsperspektive als Musicalstätte beraubte Flora-Theater für drei Monate als temporäres Stadtteilzentrum nutzen dürfen. Als der Zwischennutzungsvertrag am 1. November 1989 ausläuft, erklären die Aktivisten die Immobilie pünktlich um Mitternacht für besetzt: Die Rote Flora ist geboren.

Seitdem genießt sie nicht nur in der linken Szene Kultstatus. Längst hat die Flora auch in Reiseführern einen prominenten Platz eingenommen, die ihr ein „spitzenmäßiges Clubprogramm" bescheinigen. Ein altes Motorrad, das Besetzer in den 90er Jahren über das Gartentor des Gebäudes geschweißt haben, gilt gar als eins der meistfotografierten Motive der Hansestadt. Überprüfen kann man diese Legende freilich nicht. Aber sie wird der etablierten Erzählung gerecht: Erst mit der Roten Flora als Flagshipstore subversiver Off-Kultur habe das seitens der Stadt als kreativ und trendy vermarktete Schanzenviertel die Attraktivität entwickeln können, von der nun Vermieter und Sterne-Gastronomen profitieren, die mittlerweile das sanierte Straßenbild bestimmen.

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Zu dieser Entwicklung scheint zu passen, dass seit anderthalb Jahren nun auch die Rote Flora renoviert wird. Das gesamte Gebäude ist mit einem Gerüst eingezäunt, vor dem ein rostiger Lieferwagen parkt. Zwei Frauen im Szenelook laden Holzlatten aus und tragen sie in die Flora. Riesige Planen, auf denen ein Abbild der Gründerzeitfassade des historischen Flora-Theaters gedruckt ist, verbergen den Blick auf das Gemäuer. Das konservative Hamburger Abendblatt kommentierte jüngst die Flora-Bauarbeiten süffisant als „Glasnost und Perestroika aus der Zitadelle des Widerstands" und meint, bei den Hausbesetzern eine „Tendenz zur Verbürgerlichung" ausgemacht zu haben. Die Floristen werden zahm, munkeln seit einiger Zeit auch viele andere Medien und Akteure der Hansestadt. Heißt es in der Schaltzentrale der autonomen Szene Norddeutschlands künftig Konsum statt Kommunismus?

In der Nähe des Flora-Eingangs stellt sich eine mit Funktionskleidung und Stadtplänen ausgestattete Touristengruppe auf. „Hier soll demnächst ein Café entstehen", erzählt der Touristenguide mit Blick auf das Baugerüst. Seine Zuhörerschaft beginnt, irritiert zu raunen. Man habe gehört, dass Autonome immer noch das Gebäude besetzt hielten. Von Straßenschlachten hätte etwas in der Zeitung gestanden. Der Guide weiß keine richtige Antwort und führt die Gruppe weiter. Eine, die hingegen die Antwort weiß, ist Myra. Sie schließt die schwere Metalltür an der Gebäudeseite auf und bittet mich hinein. Nach einigem Hin und Her hat das Flora-Plenum entgegen der sonstigen Hauspolitik, Journalisten meist nur mit kurzen Statements abzuspeisen, einem ausführlichen Pressegespräch zugestimmt.

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Myra ist seit etwa sieben Jahren in der Flora aktiv. Sie hat eine Nase, Mund und Haare, außerdem trägt sie Kleidung—mehr Details möchte sie nicht über sich lesen. Auch fotografiert werden will sie nicht. Sie verweist auf die Gefahr staatlicher Repression: So wurden in der Vergangenheit zum Beispiel mehrfach Handys von Flora-Aktivisten abgehört. Gegenüber der Flora, so erzählt sie, befänden sich in einer leerstehenden Wohnung gar Polizeikameras, die Tag und Nacht den Eingang filmten. Letzten Herbst enttarnten Aktivisten zudem eine verdeckte Ermittlerin des LKA, Iris P. Sechs Jahre lang spionierte sie in der Flora unter falscher Flagge für die Sicherheitsbehörden. Da sie ihre Spitzeltätigkeit nach allem, was bisher bekannt ist, auch fernab des rechtlich Erlaubten ausübte, sorgte der Fall in der Hansestadt für allerhand politischen Wirbel. Kurz vor Fertigstellung des Artikels enttarnten Hamburger Autonome eine weitere verdeckte Ermittlerin, Maria B., die jahrelang mit Tarnidentität und Staatsauftrag in der linken Szene unterwegs war. Genau wie zuvor auch Iris P. soll sie sexuelle Beziehungen mit Aktiven aus der linken Szene eingegangen sein. Ob aus Liebe oder um an Informationen zu gelangen, ist unklar.

Als ich Myra treffe, ist es Mitte August, die „Affäre Maria B." ist noch nicht an das Licht der Öffentlichkeit geraten. Myra gehört zu denen, die vor einiger Zeit auf dem Flora-Plenum den Vorschlag einbrachten, umfassende Umbauarbeiten am Gebäude vorzunehmen. Zu dieser Zeit, im Herbst 2013, stellte der Investor Klausmartin Kretschmer, damaliger Besitzer der Immobilie, Pläne vor, auf dem Filetgrundstück einen sechsstöckigen Neubau für kommerziellen Veranstaltungsbetrieb zu errichten. Vielen schien dadurch eine baldige Räumung der Flora realistisch. Die Besetzer reagierten so, wie sie seit 1989 stets reagiert hatten, wenn die Zukunft des Projekts gefährdet schien: Sie stilisierten die Parole „Flora bleibt" zum Schlachtruf der Stunde und luden zur Großdemonstration. Über 10.000 Menschen kamen, das Schanzenviertel und St. Pauli wurden zum Schauplatz stundenlanger Straßenschlachten. Am Ende triumphierten die Autonomen: Investor Kretschmer ging pleite, für einen Spottpreis erwarb eine städtische Stiftung die Immobilie. Seitdem ist ein Rausschmiss der Floristen erst einmal vom Tisch. Zu groß scheint die Angst des Senats, durch eine Räumung monatelange Konflikte heraufzubeschwören.

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Während Myra durch den mit Baumaterial zugestellten Flur des Gebäudes führt, erklärt sie, dass man sich damals zur Verhinderung der Räumung nicht allein auf jene Aktionsformen beschränken wollte, die Boulevardmedien gerne als „bürgerkriegsähnliche Zustände" betiteln. „Die Idee, in der Flora mit Bauarbeiten zu beginnen, sollte unmissverständlich signalisieren, dass wir überhaupt nicht in Erwägung ziehen, uns hier nach 25 Jahren vor die Tür setzen lassen. Im Gegenteil, wir haben gesagt: Jetzt erst recht—wir richten den Kasten her und machen ihn für die nächsten 25 Jahre Besetzung wetterfest".

Und so machten sich Myra und die Flora-Baugruppe vor etwas mehr als anderthalb Jahren ans Werk. Die Baustelle bezeichnen die Aktivisten als das „größte und ambitionierteste linksradikale Bauprojekt seit 30 Jahren". Um sie tatsächlich realisieren zu können, standen sie vor der Aufgabe, Hunderttausende Euro an Spendengeldern sammeln zu müssen. Für Baumaterial und Verpflegung der Helfer, für Schuttcontainer. Nicht wenige Floristen schätzten die Erfolgsaussichten anfänglich gering ein. Sie irrten. „Tatsächlich ging das letztlich viel einfacher und schneller, als wir uns je zu träumen gewagt hätten"—dank einer Spendenbereitschaft, die Myra „enorm" nennt. Alleine durch Tausende Kleinspenden seien innerhalb weniger Wochen mehr als 80.000 Euro zusammengekommen („Was zeigt, wie unglaublich viele Menschen hinter der politischen Idee der Roten Flora stehen"). Der FC St. Pauli, der sein erfolgreich vermarktetes Image als „Kultclub" maßgeblich seiner linksalternativen Fanszene zu verdanken hat, startete gar ein Crowdfunding; einige Sympathisanten tätigten Großspenden von jeweils mehreren tausend Euro. Architekten und Handwerker, die sich der Flora politisch verbunden fühlen, zeichneten kostenlos Konstruktionspläne und stellten Baustoffe zur Verfügung. Im Zuge einer Sommerbaustelle kamen schließlich im vergangenen Juli über 50 Wandergesellinnen und Wandergesellen aus ganz Deutschland in die Rote Flora. Sechs Wochen lang wohnten sie im Gebäude, um sich rund um die Uhr an den Bauarbeiten zu beteiligen. „Einsatz in vier Wänden" ohne Tine Wittler, dafür mit Sturmhaube.

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Myra zeigt mir das alte Treppenhaus. Die Wände sind nach wie vor mit Graffiti und Stickern übersät. Im Kontrast dazu wirken die neuen Treppenstufen aus Edelholz wie aus dem IKEA-Katalog. Am Treppengeländer funkelt ein vor wenigen Tagen angebrachter Oktopus aus Metall im Neonlicht. Weit mehr als 6.000 Arbeitsstunden habe man auf der Baustelle insgesamt investiert, schätzt Myra. Mindestens.

Wände wurden eingerissen, ein Anbau hochgezogen. Ein neuer Eingang ermöglicht es nun, einzelne Räume separat zu nutzen, ohne dafür das gesamte Gebäude aufsperren zu müssen. Eine eigens zusammengezimmerte Wendeltreppe wurde eingebaut, die zu neu geschaffenen Räumen führt. Mit dem Umbau verbunden ist auch ein neues Nutzungskonzept. Zwar finden in der Flora seit Beginn der Besetzung regelmäßig viele Konzerte und Partys statt, mit deren Erlös linke Gruppen und Bündnisse aus ganz Hamburg angeblich ihre politische Arbeit finanzieren. Auch größere Diskussionsveranstaltungen und Vollversammlungen könne man hier gut abhalten, konstatiert Myra. Für abendliches Zusammensitzen, kleinere Konzerte oder regelmäßig geöffnete Ausstellungen sei die Flora aus baulichen Gründen jedoch bislang nicht besonders geeignet gewesen. Zu weitläufig das Gebäude, zu ungemütlich die hallenartigen Räume, deren besprühte Betonwände kalt sind und kaum über Fenster verfügen. Durch den umfassenden Umbau des Vokü-Bereichs („Volxsküche") habe man das ändern wollen. Im Veranstaltungskalender sind bereits diverse Punk- und Antifa-Abende eingetragen, die nach der Neueröffnung regelmäßig unter der Woche stattfinden sollen.

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Die Flora als offener Stadtteiltreff, in dem Linksradikale und Interessierte niedrigschwellig ins Gespräch kommen, so stellen es sich viele der Besetzer vor. Myra führt mich in die neue Vokü: Die Wände sind frisch verputzt, der abgeschmiergelte Holztresen mit Sonnenblumen bestückt. Noch sieht es zwar ein wenig nach Baustelle aus. Die neuen Unisextoiletten („extra barrierefrei") sind jedoch bereits gekachelt, bunte Mosaiksteine zieren dort die Wände. Alles wirkt sauber und hell—Tags und Sticker, wie sie die Wände im unrenovierten Gebäudeteil der Flora überwuchern, sucht man hier vergeblich („Sobald hier wieder der Betrieb losgegangen ist, wird sich das wohl schnell wieder ändern").

Zwar steht die Großbaustelle jetzt kurz vor der Fertigstellung, an vielen Ecken der Flora wird jedoch noch gewerkelt. Eine der noch anstehenden Aufgaben ist die Erneuerung der Fassaden. Als mich Myra auf das Gerüst führt, sitzen dort gerade etwa 12 Leute, auch sie wollen nicht fotografiert werden. Sie hören rumpeligen Deutschpunk und reden über das letzte Spiel des FC St. Pauli, während sie Farbreste von den Außenwänden spachteln. Präsentierte sich das Gebäude in den letzten Jahrzehnten senfgelb, soll ihm jetzt ein gänzlich neuer Farbton gegeben werden. Welchen, möchte Myra nicht verraten. Zwei Frauen aus der Gruppe treten an uns heran, sie stimmen jetzt doch einem Foto zu („Solange die Gesichter nicht zu erkennen sind").

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Von dem Medienecho über den Status Quo der Flora fühlen sich die Besetzer zunehmend genervt. Bundesweit berichten Zeitungen und Fernsehsender von einer „Charme-Offensive" der Floristen. Davon, dass sich die „anarchistische Trutzburg" nun womöglich endlich in ein gewöhnliches Stadtteilzentrum verwandle. SPD-Politiker erklären, dass Hamburg Orte wie die Rote Flora aushalten müsse, ja: gar von ihrer Vielfältigkeit profitieren könne. Die Forderung der CDU, das Gebäude zu räumen, wenn die Besetzer sich nicht umgehend von ihren radikalen Positionen distanzieren und einen Mietvertrag mit der Stadt abschließen, ist plötzlich eine Minderheitenposition in der Hamburger Bürgerschaft. Die Zeit und bürgerliche Kulturinstitutionen, die nicht gerade als Staatsfeinde bekannt sind, klopfen mittlerweile bei der Flora an und wollen dort Veranstaltungen durchführen.

Wie fühlt es sich an, wenn jene, denen man in der Flora seit fast 26 Jahren die Pest an den Hals wünscht, plötzlich angetan sind von der Arbeit der Autonomen? Myra winkt ab. Man habe es mit einer kalkulierten Vereinnahmungsstrategie zu tun, einer „Fortsetzung der Räumungsdrohung mit anderen Mitteln. Sie haben erkannt, dass unser Rückhalt in den letzten Jahren eher gewachsen als gesunken ist. In Zeiten, in denen die Mieten kontinuierlich steigen und Flüchtlinge massenhaft im Mittelmeer ertrinken, fangen viele Menschen an, den Kapitalismus zunehmend infrage zu stellen. Die Rote Flora wird in diesem Kontext als Symbol eines legitimen Kampfs für eine solidarische Gesellschaft verstanden, weit über die Grenzen Hamburgs hinaus". Myra, die sich in der Rolle der Agitatorin zu gefallen scheint, grinst verschwörerisch: „Außerdem ist den Politikern bewusst, was passiert, wenn sie uns räumen". Deshalb würde ihnen jetzt als Plan B „Honig ums Maul" geschmiert, um den Konfliktherd zu befrieden.

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Und überhaupt: „Die Rote Flora hat sich nie von der Öffentlichkeit abgeschottet". Myra zeigt Fotos aus den Anfangstagen, die Floristen beim Kaffeekränzchen in der Vokü mit betagten Omas aus der Nachbarschaft zeigen. „Jeder kann theoretisch die Rote Flora aktiv als Kulturzentrum nutzen" und hier zum Beispiel eigene Veranstaltungen durchführen, solange sie einen unkommerziellen Charakter haben und man „politisch kein Arschloch" sei.

Wie Myra berichtet, war die Baustelle szeneintern lange umstritten. Einige Aktivisten befürchteten, dass sich die Flora von innen gentrifiziere. Saubere Wände und lichtdurchflutete Räume—das passt anscheinend nicht zur Identitätskonstruktion einiger Autonomer. Ein Florist antwortete darauf in einer Szenepublikation, auch in Richtung der Medien: „Weder bei Marx, Lenin oder Rosa Luxemburg steht geschrieben, dass die Voraussetzungen für eine revolutionäre Umwälzung der Verhältnisse darin bestehen, im ewigen Siff und unangepassten Ambiente der Sperrmüllästhetik zu verharren." Szene-Folklore hinter sich lassen, um Gesellschaftskritik in soziale Kämpfe zu tragen—das sei die Devise, fasst Myra zusammen. Sichtlich stolz erzählt sie, dass neulich bereits eine Bürgerinitiative aus einem anderen Stadtteil vorbeigekommen sei, die mit Unterschriftensammlungen seit einiger Zeit versucht, den Bau von Bürokomplexen und Loftwohnungen in ihrem Viertel zu verhindern. Erfolg hatten sie damit bislang nicht. Deshalb wollten sie, allesamt „brave Bildungsbürger", wissen, was man von der Flora lernen könne.

In den Abendstunden, als Myras Führung durch die Flora beendet ist, kehrt das Phantom der Oper, das die Aktivisten in den 80er Jahren aus dem Schanzenviertel vertrieben haben, zur Roten Flora zurück. Der Künstler Christoph Faulhaber führt es im Rahmen des Kampnagel-Sommerfestivals auf dem Flora-Balkon auf, der zwei Wochen zuvor von den Wandergesellen mit einer Marmorbalustrade aufgehübscht worden war. Faulhaber, der seit einigen Jahren wegen überwachungskritischer Aktionskunst auf der Terrorliste des FBI steht, hat die Handlung des Originalmusicals extra für den heutigen Abend umgeschrieben. Eine Kampfansage an den durchkommerzialisierten Kulturbetrieb soll es nun sein.

Als die Darsteller nach einiger Verspätung mit der Aufführung beginnen und ein Kranwagen eine riesige Discokugel in den Nachthimmel hebt, haben sich vor der Flora bereits knapp 2.000 Menschen versammelt. Darunter viele Teilnehmer einer Demo für den Erhalt autonomer Freiräume, deren Abschlusskundgebung eine Stunde zuvor unmittelbar vor der Roten Flora stattgefunden hat. Nach anfänglicher Neugier verfolgen die meisten den weiteren Verlauf des Stücks eher mit Desinteresse, man trinkt Bier und unterhält sich. Nur zwischendurch wird hin und wieder gejohlt, zum Beispiel wenn das von Faulhaber als Punk neukonzipierte „Phantom" ein Manifest vorlesen lässt, in dem zum Widerstand gegen Gentrifizierung aufgerufen wird.

Nach Ende der Aufführung betreten knapp 50 Floristen den Balkon und das Baugerüst und hissen Transparente, auf denen unter anderem „Refugees welcome" zu lesen ist. Über Lautsprecher geben sie bekannt: „In einer Stadt, in der Menschen in Containern, Zelten und Lagern schlafen müssen und es gleichzeitig Leerstand gibt, bleiben wir unverträglich." Es gibt Applaus. Als aus den Boxen „Revolution Action" von Atari Teenage Riot erklingt, fackeln die Besetzer Wagenladungen an Pyrotechnik ab, schießen Leuchtspurmunition in den Nachthimmel. Die Menschen auf der Straße jubeln, viele rufen Parolen („A-Anti-Anticapitalista"). Partytouristen zücken ihre Smartphones und knipsen Fotos für Instagramm, bevor sie sich wieder ihrem Bier und Kneipengesprächen widmen. Ein 15 Meter langes Transparent wird zwischen den beiden Flora-Türmen entrollt: „Deutschland, du mieses Stück scheiße". Nach zahm gewordenen Hausbesetzern klingt das eher nicht.