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Zeckenrap: Wenn Zecken rappen

Haben Punks plötzlich ihre Liebe zu HipHop entdeckt oder besetzen Rapper bewusst linke Themen, um eine Alternative zum gegenwärtigen Rap anzubieten?
zeckenrap
Foto: imago | Eastnews

Foto: Flickr | Libertinus | CC BY-SA 2.0 Phillie MCs „Unkraut“ war der erste Deutschrapsong, bei dem ich wirklich genauer hingehört habe, um zu verstehen, was mir der Rapper da erzählen will. Wenn dir jemand schildert, wie er in einer Pfütze liegt, während ein Nazi den weißgeschnürten Stiefel auf seinem Kopf platziert, um zuzutreten und er dadurch schmerzerfüllt in den Bordstein beißen muss, horchst du als Zehnjähriger eben irritiert auf. Ironischerweise war die erste Deutschpunkband, die ich ein paar Jahre später gehört habe, Band ohne Anspruch. Nicht Slime, Terrorgruppe, Schleimkeim oder Wizo, nein, eine kleine unbekannte Band aus Hannover, die mit Songs wie „Scheiß drauf“, „Weltkrieg 3“ und „Hippies müssen sterben“ mein Interesse für Punk weckten. Ironisch, weil der Kopf hinter der Ein-Mann-Band und Phillie MC ein und dieselbe Person waren: Oliver Sauerland aka Jonny Bockmist. Ein Rapper, der plötzlich Punk macht? Damals sicher ungewöhnlich, doch bei all dem heutigen kreativen Zerbersten von Schubladen ist das kein Grund mehr, verwundert aufzuheulen. Immerhin hat sich in den letzten Jahren Rap in alle Richtungen entwickelt und mit allen möglichen unsinnigen Wörtern geschmückt. Es gibt Zuhälter-Rap, Straßen-Rap, Penner-Rap, Bodybuilding-Rap, Nerd-Rap und in letzter Zeit wurde der Begriff des Zeckenrap immer häufiger in mein Bewusstsein gespült. Was Bockmist vor über zehn Jahren vorgemacht hat, scheint jetzt ein großes Ding zu sein. Haben Punks plötzlich ihre musikalische Liebe zu HipHop entdeckt oder besetzen Rapper bewusst linke Themen, um einen Gegenentwurf zum homophoben und sexistischen Sprachgebrauch vieler erfolgreicher Rapper anzubieten? Erst letzten Freitag haben der Hamburger Swiss seine EP Schwarz-Rot-Braun und das Hamburger-HipHop-Kollektiv Neonschwarz ihr Debütalbum Fliegende Fische veröffentlicht. Die beiden Releases sind auf ihre Art etwas Besonderes, rappt Swiss doch zu punkigen E-Gitarren-Riffs während Neonschwarz deutlich linke Texte auf ihre Beats legen. Wir haben die Musiker in Berlin getroffen, um herauszufinden, was es mit Zeckenrap auf sich hat.

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Swiss | Foto: Gergana Petrova

„Zeckenrap? Noch nie gehört.“ Dass ausgerechnet Swiss, der auf seiner Facebook-Seite praktisch in jedem Post das Wort „Zekke“ verwendet, absolut nichts über diese Bezeichnung weiß, ist im ersten Moment überraschend. Als ich ihm erkläre, dass beispielsweise Neonschwarz mit Zeckenrap in Verbindung gebracht werden, schüttelt er verwundert den Kopf. „Wenn du auf einen Samplebeat rappst und es dann Zeckenrap nennst, dann fühlt sich das für mich nicht zeckig an (…) Stell dir mal Sex Pistols auf R’n’B-Beat vor. Das wäre beschissen. Ich will jetzt aber nicht sagen, dass Zeckenrapper beschissen sind“, sagt er lachend. Swiss ist schon seit 2005 in der Deutschrap-Szene aktiv, sein drittes Album Es kann nur einer befehlen wird 2008 von Groove Attack vertrieben und macht mit der gleichnamigen Straßenrap-Single von sich reden. Damals will Swiss „Gangstarap töten“ und schießt frech in Richtung Boss: „Favorite ist korrekt, aber Kollegah ist ein Stricherkind.“ Bevor die Karriere so richtig losgehen kann, verfällt er in eine schwere Depression, lässt sich einweisen und muss eine dreijährige Zwangspause einlegen. Seit 2011 veröffentlicht er wieder Alben, entfernt sich aber immer mehr von Rap: „Ich hatte einen extremen Abturn auf die Rap-Arbeitsweise. Du bekommst irgendwelche Ordner mit 140 Beats aus Rheinland-Pfalz zugeschickt und laberst tagelang mit dem Produzenten was ab.“

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Mit der neuen EP stellt er einen gänzlich neuen Sound vor. Zusammen mit seiner Band Die Andern rappt er mit kratziger Stimme auf Punkgrooves. Allerdings sind die Texte nicht unbedingt politisch motiviert. Zwar bedient er sich mit Wörtern wie „1.Mai“, „Yuppie“ oder „Zeckengang“ klar links konnotierter Begriffe, thematisiert aber keine linken Inhalte. Als ich ihn zu dem Song „Schwarz-Rot-Braun“ befrage, der sich über deutsche Klischees lustig macht und schon allein durch den Titel deutliche Kritik an überschwänglichem Patriotismus vermuten lässt, meint Swiss nur: „ Es ist eine Hassliebe (…), es ging nicht darum, die Deutschen schlecht zu machen, sondern stolz mit einer komischen Identität umzugehen.“ Lediglich der Track „Vermisse dich“ hat ein starkes Punk-Feeling. In diesem besingt er zusammen mit Ferris MC seine Jugend als Punker in Hamburg. Swiss hört dank seiner Eltern zwar seit der Kindheit Bands wie Die Goldenen Zitronen oder Die Sterne, sieht sich aber nicht als musikalischer Aktivist: „Du machst eben die Musik, die du machen kannst. Es ist immer noch Rap, aber ich hatte Bock einen neuen Sound zu haben.“ Das Konzept funktioniert, vor allem auf Konzerten entlädt sich die euphorische, fast kindliche Energie, die eben diese Art von Musik in Menschen auslöst: „Es ist ein Punkkonzert, es eskaliert. Die Kids, die da hingehen, haben Iros, sind zerfetzt und haben ihre letzten 10 Euros genommen, um auf die Show zu gehen.“

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Auf der anderen Seite haben Neonschwarz und ihr Umfeld den Begriff des Zeckenrap durch die TickTickBoom-Zeckenrap-Gala erfunden. TickTickBoom ist ein Zusammenschluss verschiedener linksorientierter Produzenten, Veranstalter, Grafiker und Rapper wie zum Beispiel Sokee, Refpolk, Kurzer Prozess, Pyro One, Kobito, Radial Hype und eben Neonschwarz. Durch die eindeutige Bezeichnung wollten sie „das negative Klischee, dass eben Nazis die Linken immer als Zecken beschimpfen, neu besetzen“, so Johnny Mauser, der zusammen mit den Rapperkollegen Captain Gips und Marie Curry sowie dem DJ Spion Y Neonschwarz gründete: „Wir sind keine abgefuckten Typen, die nur Schrammelpunk machen, sondern coolen HipHop und wir nennen es Zeckenrap.“Alle vier kommen aus der HipHop-Szene, haben teilweise aber auch viele Deutschpunk-Bands wie Ton Steine Scherben und Slime gehört. Gerade zu den Scherben ließen sich laut Johnny Parallelen ziehen: „Ton Steine Scherben haben sich damals auch mit dem Besetzen von Häusern und der Wohnraum-Politik auseinandergesetzt. Das machen wir heute eben auch.“

Tatsächlich wird beim Hören des neuen Albums schnell klar, dass die vier strikt antifaschistisch, anti-homophob und anti-sexistisch sind und sich positiv über die Hausbesetzerszene äußern. Die offen bekundete Sympathie mit dieser alternativen Form der Wohnraumbeschaffung hatte zwei Bandmitgliedern in der Vergangenheit schon Probleme bereitet. Captain Gips und Johnny Mauser hatten 2010 bereits ein Kollabo-Album namens Neonschwarz herausgebracht, welches allerdings wegen dem Song „Flora bleibt“ auf dem Index landete. Einmal im Verfassungsschutzbericht, immer im Verfassungsschutzbericht und so muss sich etwa Johnny immer noch mit den Konsequenzen rumärgern: „Einmal sollte ich in Osnabrück spielen und die Stadt wollte mir im Vorfeld schon eine Geldstrafe aufbrummen. Für den Fall der Fälle, dass ich diesen einen verbotenen Song spielen würde. Völlig absurd.“ Mit dem Verfassungsschutz kann er genauso wenig anfangen wie mit den stolzen Deutsch-Bekenntnissen eines Fler. Dies sei „eben ein abgrenzendes Moment (…) das führt doch gesellschaftlich nicht besonders weit.“

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Neonschwarz | Foto: Gergana Petrova

Mit ihrer extrem politischen Haltung sind sie im deutschen HipHop ein Kuriosum. Sich für alternative Lebensräume einzusetzen und soziale Missstände zu kritisieren, wirkt neben dem Fitnesswahn, der Kriminalitätsglorifizierung und dem tränenreichen Liebeskummer anderer Rapper surreal. Für Captain Gips sei es aber wichtig, „sich nicht total abzugrenzen und zu sagen: Wir sind antagonistische Kräfte. Nein, wir können auch alle miteinander klarkommen und wir bringen einfach nur neue Inhalte in die Kultur.“ Schließlich sehen sich die vier Hamburger immer noch als Teil der HipHop-Szene, der es zurzeit eben an Idealen und Inhalten fehlt.

Etwas, das für Johnny ein sehr persönliches Anliegen ist. Er hat beruflich viel mit Kindern und Jugendlichen zu tun: „ Sie haben nicht so wie wir diese 90er-Kultur vor Augen. Die hatten ja gar keine anderen Möglichkeiten, als dieses Macho-Gehabe und zweifelhafte Frauenbilder kennenzulernen. Wenn sich das als Bild von HipHop und der Gesellschaft durchsetzt, finde ich das schon beängstigend.“ Captain Gips fügt hinzu: „Die kannten Dendemann oder Beginner gar nicht. Das fing halt bei ihnen mit Kool Savas und Aggro Berlin an. Das ist für die Rap, eben das, was für uns Advanced Chemistry war.“ Daher wollen sie die Möglichkeit nutzen, mit ihrer Musik eine Alternative anzubieten. Marie Curry erzählt: „Manche Leute haben sich irgendwann von HipHop abgewandt, weil sie die alten Zeiten gefeiert haben und mit dem aktuellen Kram nichts anfangen können. Die sagen aber, dass sie unsere Musik endlich wieder cool finden und dadurch zum HipHop zurückgefunden haben.“

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Swiss hat sich dagegen schon ein wenig vom Deutschrap entfernt. Ihn interessiere vieles von dem, was da zurzeit abgeht, einfach nicht. Das habe weniger mit der Musik zu tun, als vielmehr mit der Verschiebung der Werte: „Es geht ja gar nicht um Musik, es ist ein Kapitalgewerbe geworden. Das Battle findet nicht mehr unbedingt auf lyrischer Ebene statt, sondern auf kommerzieller.“ Die Punkszene als umkommerzieller Gegenentwurf scheint da näher an seinen Vorstellungen von Musik zu sein. Vielleicht ist es aber auch einfach nur eine Phase: „Ich habe mich nicht von Rap abgewandt, aber wo ist denn der geile Rap? Gibt halt wenig Gutes (…) Wenn die Energie stimmt, ist es scheißegal, was für Musik das ist.“ Das passt zu Swiss, hat er sich doch vor der EP an Dubstep-Rap ausprobiert.

Es bleibt abzuwarten, welchen Stellenwert Zeckenrap und damit linke Ideale in der deutschen Raplandschaft einnehmen werden. Dass andere Rapper tatsächlich umdenken und weniger sexistische und homophobe Lines schreiben, ist absolut nicht zu erwarten. Dafür sind diese Ideen zumindest sprachlich viel zu sehr in der Musik verwurzelt. Wenn dir das zu dumm und pubertär ist, bieten die Rapper wie Neonschwarz eine sinnvolle Alternative, die Liebe zu Rap am Leben zu halten. Wenn du einfach nur Spaß suchst und dir monotones Arm-Gewinke auf Konzerten als hipperes Äquivalent zum Klatschen im Zeitlupen-Modus beim Musikantenstadl zu langweilig ist, kannst du bei Swiss und seiner Zekkengang freidrehen: „Hier ist Anarchie angesagt. Ich hatte früher nie so ein cooles Publikum, auch nicht als ich bekannter war.“ Dem könnte Jonny Bockmist wohl nur zustimmen. Schließlich hat er später Songs wie „Atzin“ für Die Atzen geschrieben und sitzt jetzt am Schlagzeug der Altherren-Punkband Abstürzende Brieftauben. Der erste Zeckenrapper seiner Art hat sich also endgültig vom Rap verabschiedet.

Du kannst die neue EP Schwarz-Rot-Braun von Swiss & Die Andern bei Amazon oder iTunes kaufen. Fliegende Fische von Neonschwarz gibts auch bei Amazon und iTunes.

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