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Musik

Zola Jesus wird niemals krank

Nika Roza, dieses kleine dürre Mädchen, dessen Erscheinung einem einerseits vor Augen führt, warum freakige, exzentrische Mädchen die besten sind und deren Projekt Zola Jesus andererseits innerhalb kürzester Zeit das gesamte Exzentriker-Spektrum von Industrial bis Darkwave und Synthpop auf den neuesten Stand brachte, spielte kürzlich auf dem Berlin Festival. Es war ein ganz gelungener Auftritt.

Sie wirkte zwar auf der Bühne etwas verloren, kompensierte das aber durch besessene Wanderungen über eben jene und kleine Klettereinlagen auf den herumstehenden Amps. Man musste während ihrer Performance auch feststellen, dass Nika als so etwas wie die Christina Aguilera des Goth durchgeht (was positiv gemeint ist). Vor der Show trafen wir uns mit ihr, um über alles, was gerade passiert, Kinderliteratur und Sinnsuche zu sprechen. Also die klassischen Festivalthemen halt.

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Vice: Momentan beschäftigt sich die Presse weitaus mehr mit dir als noch vor ein oder zwei Jahren. Gibt es etwas das du nicht machen würdest, wenn es um Promotion geht? Oder jemanden, mit dem du nicht sprechen würdest?

Zola Jesus: Ich habe das sichere Gefühl, das hier zu wollen. Ich will ein Musiker sein. Und ich will auch zu den Leuten sprechen, die meine Musik hören. Also empfinde ich es als Verpflichtung, mit der Presse zu arbeiten. Auf der anderen Seite bin ich auch jemand, dem sehr an Privatsphäre gelegen ist und es gibt viele Dinge, die ich einfach nicht mit anderen Leuten teile. Und das sind letztendlich die Dinge, die nichts mit der Musik zu tun haben. Ich versuche so viel wie möglich von mir in Interviews zu zeigen, aber da ist tatsächlich eine Grenze, die ich ziehe. Aber es ist nicht so, dass ich mit irgendjemandem nicht reden würde, es sind eher Fragen, die ich nicht beantworte.

Gab es auf der Highschool irgendjemanden, mit dem du dein Interesse für Musik teilen konntest, irgendjemanden, der dich unterstützt hat?

Ich hatte auf der Highschool keine Freunde. Ich war immer auf mich allein gestellt.

Generell?

Generell. Und buchstäblich. Aber das war meine eigene Entscheidung. Ich habe nie die Anstrengung aufgewendet, Freunde zu gewinnen.

Was hast du als Kind am liebsten gelesen?

Welches Alter?

10.

Kann ich mich nicht erinnern. Aber das erste Buch, das ich als so eine Art Lieblingsbuch begriffen habe, war „Kandide“ von Voltaire. Da war ich vielleicht 12.

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Du hast mit 12 Voltaire gelesen?

Vielleicht war ich auch 13. Was hast du denn gelesen?

Mein Lieblingsbuch als Kind waren die Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn.

Das habe ich nie gemocht.

Warum das denn nicht?

Keine Ahnung, kann ich nicht sagen.

Liegt es an Mark Twain oder an der Geschichte?

Ich erinnere mich, dass ich es las und nur so dachte, Huckleberry Finn ist ein Arschloch.

Was? Kannst du das erklären?

Ich glaube nicht.

Glaubst du, es ist ein Buch für Jungs?

Keine Ahnung. Ich weiß nur noch, dass wir es in der Schule lesen mussten und ich mir ständig dachte, was für ein Penner! War er nicht gemein zu seinen Freunden?

Eigentlich im Gegenteil, er war mit einem schwarzen Sklaven befreundet und hat ihm bei der Flucht geholfen. Aber davon abgesehen finde ich den Tom Sawyer-Teil ohnehin besser.

Hey, ist auch nicht so, dass ich dein Lieblingskinderbuch angreifen will. Warum war es dein Lieblingsbuch?

Schwer zu sagen. Befriedigung von Abenteuerlust? Ich stand auch auf Moby Dick, Robinson Crusoe und Robin Hood.

Ah, die ganzen Abenteuer-Klassiker. Aber „Kandide“ ist da ja gar nicht so unähnlich. Ist ja auch ein Abenteuer, nur etwas epischer.

Was liest du momentan am liebsten?

Ich fliege sehr viel. Und wenn ich im Flugzeug sitze, lese ich am liebsten Philip K. Dick. Ich versuche gerade, sein Gesamtwerk durchzuarbeiten.

Wie lange machst du eigentlich schon Musik?

Als Zola Jesus ungefähr seit sechs Jahren.

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Gemessen an deinem Alter hast du einen unfassbar hohen Output. Kann man sagen, du nimmst alles auf, was du schreibst und veröffentlichst alles, was du aufnimmst?

Nein, überhaupt nicht. Ich nehme tatsächlich echt viel Scheiße auf. (lacht) Aber es gab schon diesen Punkt, an dem viele Anfragen kamen und ich bereits viel Material aufgenommen hatte. Vielleicht erklärt dass diese Releaseflut.

Du hast einen Jefferson Airplane-Song gecovert. Was bedeutet dir diese Band?

Als ich aufwuchs hat meine Mutter sie immer gehört. Grace Slick ist eine tolle Sängerin, ich habe mich ihr sehr verbunden gefühlt. Ich finde es erstaunlich, dass sie immer als diese Hippie-Band wahrgenommen werden, obwohl sie eine enorm düstere Aura haben. Ja, mir wäre es auch lieber, wenn sie dieses Hippie-Image nicht hätten. Das verleidet mir die Musik auch irgendwie.

Du magst die Hippie-Idee nicht?

Nein. Das ist alles zu gutmütig. Dieses „Oh Sex und Drogen, mach was immer du willst“-Ding. Nein Mann, du musst dir was verdienen, verdammt. Du musst arbeiten. Die arbeiten doch noch nicht mal. Du musst dir doch dein Platz und deinen Sex verdienen. (lacht) Weißt du, was ich meine? Einfach zu gutmütig.

Schreibst du auch außerhalb von Musik?

Du meinst im literarischen Sinn? Eigentlich kaum noch, ich kam mir immer blöd vor, wenn ich Lyrik verfasst habe.

Du hast jetzt deinen Studienabschluss. Machst du dir über die Zukunft Gedanken?

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Auf jeden Fall. Ich habe viel im Kopf und ich weiß, viele Leute setzen sich Grenzen. Sagen sich, das kann ich sowieso nicht. Ich könnte mich hinsetzen und sagen, ich bin nur ein kleines Mädchen aus Wisconsin. Ich kann keine Musikerin werden und um die Welt reisen. Aber wenn du dir diese Grenzen nicht setzt, kannst du alles machen.

Zola Jesus - Sea Talk (Official Video) from Souterrain Transmissions on Vimeo.

Aber es ist schon so, dass es in deiner Zukunft um Musik gehen wird.

Ja, darum ging es auch immer schon. Ich wollte immer Musikerin sein, nichts anderes. Ich bin zur Uni gegangen, um einen Backup-Plan zu haben und meine Eltern zu beruhigen. Ich ging zur Uni, machte nebenbei Musik, fing an zu touren und stellte fest, ich brauche die Schule eigentlich nicht. Aber ich beende gern das, was ich anfange.

Was ist deine Definition von Erfolg?

Deine Ziele zu erreichen. Deine Ziele in der Art zu erreichen, dass dir kein weiteres Ziel einfällt. Das wird sicher nie passieren, also werde ich nie erfolgreich sein, aber das ist OK. (lacht) Es ist ja schon so, dass nach einem Wunsch der nächste folgt.

Wie sah der letzte Traum aus, an den du dich erinnern kannst?

Oh, keine Ahnung, ich kann mich nicht erinnern. Tut mir leid, ich kann mich nicht so gut an meine Träume erinnern.

Ich habe gelesen, dass du Schopenhauers Ideen magst. Die Leidensästhetik und die Idee des wilden Lebens. Was ist das animalischste Element deiner Existenz?

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OK, da muss ich etwas ausholen. Du musst dir bewusst sein, dass du als Tier auf der Welt bist, du bist zwar ein Mensch, aber trotzdem genau so primitiv wie ein Hund oder ein Bär bist. Wir alle versuchen, nach Sinn zu suchen. Aber du musst für dich entscheiden, spielst du das Spiel so, wie es jeder spielt und versuchst deine Rolle als Mensch so zu definieren, dass du das tierische verleugnest oder akzeptierst du einfach, was du wirklich bist. Und das beschäftigt mich jeden Tag. Mir zu überlegen, wenn ich eigentlich ein Tier bin, wie lebe ich mein Leben richtig? Als Tier solltest du ehrlich und freundlich und stark sein. Nur die starken überleben, das ist nun mal so. Wie in einem Wolfsrudel. Wenn du krank bist, wirst du sterben und die anderen fressen dich. Deswegen sei stark.

Und werde nicht krank.

Ja tatsächlich. Selbst wenn du dich schwach fühlst, sei stark. Sonst wirst du sterben.

Woher nimmst du die Substanz für diesen Lebensstil?

Weiß ich nicht. So wurde ich erzogen.

Danke.

Zola Jesus’ EP Stridulum II ist bei Souterrain Transmissions erschienen.

Fotos von Christoph Voy