Auf Besuch bei einer Samenbank

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Sex

Auf Besuch bei einer Samenbank

Wer spendet Sperma? Kann man damit wirklich reich werden? Und was für Pornos gibt es da eigentlich? Wir haben uns das mal angeguckt.

Alle Fotos: Grey Hutton

„Mein Job ist auf jeden Fall ein ziemlich gutes Thema für Partygespräche", sagt Ann-Kathrin Hosenfeld, während ich zum ersten Mal seit ziemlich langer Zeit ein Pornoheft in den Händen halte. Wir befinden uns mitten im „schicken Berlin", dem Teil rund um die Friedrichstraße, doch statt sich mit hysterischen Touristen um den besten Platz in der Starbucks-Schlange zu prügeln oder sich von Designermoden-Verkäufer wie ein Stück Deck behandeln zu lassen, befinden wir uns Auge in Auge mit—grob geschätzt—mehreren Litern tiefgekühltem Sperma. Frau Hosenfeld ist Laborleiterin bei der Berliner Samenbank und hat sich bereiterklärt, uns zu zeigen, wo die Kinder herkommen, wenn Mama und Papa (oder Mama und Mama) sich zwar ganz fest lieb haben, beim gemeinschaftlichen Geschlechtsverkehr aber außer viel Spaß nicht viel dabei herauskommt.

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„Am Anfang finden es die Leute immer lustig, wenn ich erzähle, wo ich arbeite. Dann kommen aber ziemlich schnell ernste Fragen, vor allem von Männern. Zum Beispiel: ‚Es gibt Sperma, das ist flüssiger, es gibt welches, das ist viskoser—was ist denn normal?'" Zugegeben: Wenn diese Frage jemand beantworten kann, dann wahrscheinlich sie. Durchschnittlich vier bis sechs Spermaproben nimmt sie täglich in Empfang, „wobei wir mehr Termine gegen Ende der Woche haben. Das liegt daran, dass der letzte Samenerguss des Spenders drei bis fünf Tage her sein muss, damit die Probe optimal ist. Und da die meisten Spender am Wochenende Geschlechtsverkehr hatten, kommen die dann am Montag oder Dienstag nicht."

Das überrascht. Ich bin eine alleinstehende Frau Mitte 20 und trage mich mit keinem akuten Kinderwunsch, deswegen dürfte es Leute geben, die im Thema Spermaqualität etwas versierter sind als ich, tatsächlich hatte ich Samenspende bisher aber für eine etwas … intimere Form des Blutspendens gehalten. Und eine besser bezahlte. Wie hoch die Ansprüche an Spender und deren Körperflüssigkeiten aber tatsächlich sind, zeigt allein schon die Aufnahmerate. Von den Männern, die sich dazu entscheiden, Spender werden zu wollen und sich vorherigen Sperma- und Bluttests zu unterziehen, werden nur 8 Prozent in die Kartei aufgenommen. Von vornherein ausgeschlossen sind Männer, wenn sie bestimmte Krankheiten haben, Alkoholiker oder drogenabhängig sind, die Altershöchstgrenze von 38 Jahren überschreiten oder der HIV-Infektionsrisikogruppe angehören—wie beispielsweise Homosexuelle. Diese Richtlinien gelten allerdings nicht, wenn jemand privat für beispielsweise ein befreundetes Paar spenden möchte.

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Ist ein Mann erst einmal als Spender aufgenommen, spendet er über den Zeitraum von einem Jahr einmal die Woche seinen Samen, wobei in regelmäßigen Abständen erneut die Qualität seines Spermas gemessen (und sein Blut auf mögliche Erkrankungen untersucht) wird. Bei der Berliner Samenbank gibt es zu diesem Zweck zwei spartanisch eingerichtete Räume, die mit klassischer Schwarz-Weiß-Aktfotografie an den Wänden und weißer Möblierung nicht unbedingt der Schmuddelästhetik entsprechen, die man beim Thema „Samenbank" möglicherweise im Kopf haben mag. In einem Waschbecken muss sich der Spender erst gründlich reinigen, bevor er es sich auf dem Ledersessel vor dem Fernseher bequem machen kann.

„Wir haben eine Auswahl verschiedener Videos aus allen möglichen Kategorien. Ein mal im Jahr werden die ausgetauscht, damit die Leute auch mal eine andere Auswahl haben", erklärt Frau Hosenfeld, während sie mit der Fernbedienung herumhantiert. „Was wir allerdings nicht haben, sind Schwulenpornos, wobei wir überlegen, das zu ändern. Wir haben ja nicht nur Spender, die für fremde Paare spenden, sondern auch Männer, die für einen späteren Zeitpunkt einfrieren—oder ein schwuler Spender, der zum Beispiel offen für ein lesbisches Pärchen spendet."

Eingekauft wird das Material von Dr. Peet, dem einzigen männlichen Mitarbeiter. „Ich selbst habe auch noch nie das Verlangen verspürt, mir die Filme in der Mittagspause oder so anzuschauen", sagt Ann-Kathrin Hosenfeld und lacht. Es tut mir ein bisschen Leid, dass wir sie aus journalistischen Gründen dazu zwingen, ein Video (Doubles Passions) auszuwählen, bei dem eine sehr blonde Frau von zwei Männern in absurd weiten Anzügen (Gangster? Halbseidene Geschäftsmänner?) bearbeitet wird. Erhebungen dazu, ob Berliner Samenspender eher auf Doppelpenetration oder Bondage-Streifen stehen, gibt es leider nicht. „Es gab noch nie eine Beschwerde. Was uns aber viele Leute sagen ist, dass sie die Videos gar nicht benutzen."

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All By Myself, Nymphomane, Sex DOLLS—die Clipauswahl ist in beiden Räumen dieselbe. Nur die Auswahl an Pornoheftchen, die sich fast verschämt auf dem Beistelltisch mit den Kosmetiktüchern verstecken, variiert. Auch die sehen aus wie neu. Es fällt schwer, sich vorzustellen, wie sich hier jemand hochkonzentriert bis panisch durch Brüste unterschiedlicher Größe und Form blättert, um schlussendlich in einen Plastikbecher zu ejakulieren, während draußen der ganz normale Labor- und Beratungsbetrieb weiterläuft. „Wir sind immer positiv überrascht, wie sauber das hier alles hinterlassen wird. Da denke ich mir oft: Eigentlich müsste man hier gar nicht putzen", sagt die Laborleiterin, beeilt sich allerdings zu versichern: Natürlich tun sie es trotzdem. Sogar die Hefte—egal ob benutzt oder nicht.

„In der Regel braucht ein Spender zehn bis zwanzig Minuten, bis er die Probe abgegeben hat. Ist da jemand länger als eine bis eineinhalb Stunden drin, würden wir anklopfen und nachfragen, ob alles in Ordnung ist. Könnte ja sein, dass jemand da drinnen einen Herzinfarkt bekommen hat." Mitnehmen darf man in den Raum übrigens niemanden, auch nicht zur Hilfestellung: „Sonst könnte die Probe durch Bakterien oder Partikel von der anderen Person verunreinigt werden."

Ist das Sperma erfolgreich gewonnen, wird es mit einer Art Frostschutzmittel behandelt und mit flüssigem Stickstoff gefroren. Anschließend ist es quasi unbegrenzt haltbar. „Wir vernichten die Proben aber 15 Jahre nach der letzten Abgabe."

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Interessiert werfe ich einen Blick in einen der großen Kühlcontainer, in denen das Sperma in so genannten „Straws" (Strohhalmähnliche Behältnisse, die aussehen, als hätte jemand sehr dickflüssigen White Russian getrunken) aufbewahrt wird. Da ertönt plötzlich ein sehr lauter, sirenenartiger Ton, der ein bisschen so klingt, als würde in einem Film gerade ein Labor evakuiert, weil das Reagenzglas mit dem Killervirus umgefallen ist. „Das ist der Ton, der ansagt, dass jemand eine Probe abgestellt hat. Wir haben da eine Lichtschranke." Ich frage nicht, wie oft sich ein frischgebackener Spender schon so erschreckt hat, dass er das Spermabecherchen hat fallen lassen.

Eine Samenbank ist—obwohl sich Paare mit Kinderwunsch ihren Spender natürlich nach gewissen Parametern aussuchen können—kein Wunschkind-Generator. Fotos der Spender werden grundsätzlich nicht an die Kunden weitergegeben. „Bildung und Optik sind die Hauptpunkte. Bei der Optik soll der Spender dem Empfängervater möglichst ähnlich sein, wenn es um ein heterosexuelles Paar geht. Wir suchen dann die passenden Männer raus und versehen sie—je nach Ähnlichkeit—mit Schulnoten. Auf Basis davon können sich die zukünftigen Eltern dann entscheiden."

50 Prozent der Kunden, die zur Berliner Samenbank kommen, sind übrigens lesbische Pärchen. Und die scheinen ziemlich genau zu wissen, wessen Gene sie sich für ihr Kind wünschen: „Es gibt viele lesbische Paare, die schicken vorher eine richtige Collage mit Fotos von Stars mit. Manche gehen da zum Beispiel in Richtung ‚Typ Orlando Bloom', bei anderen sind Fotos von verschiedenen Prominenten drauf, die sich auch selbst gar nicht ähnlich sehen. Hauptsache so attraktiv wie der, wird dann gesagt."

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Rund 200 Spender hat die Samenbank in ihrem Portfolio, in den Kühlbehältnissen lagern an die 20.000 Spermaproben. Trotzdem ist es nicht immer möglich, den passenden Spendervater für ein Paar zu finden. „Es ist schwierig, afrikanische Spender zu finden. Da hätten wir gerne mehr, weil wir auch Anfragen von Paaren aller Nationalitäten haben. Wir waren zeitweilig die einzige deutsche Samenbank, die zumindest Einen hatte—von dem gibt es jetzt aber auch keine Proben mehr. Italienische Spender gibt es auch kaum", erklärt Ann-Kathrin Hosenfeld. Deswegen versucht die Einrichtung gerade auch durch Werbung an Universitäten, an neue Spender zu kommen.

Der ultimative Studentenjob ist Samenspende trotzdem nicht. Zwar wird jede Probe in „ausreichender Qualität" mit etwas über 100 Euro vergütet, gleichzeitig kann man so aber auch Vater von bis zu 15 Kindern werden. Das ist die vorgeschriebene Höchstgrenze, „um einerseits den Spender nicht zu überfordern, und andererseits Halbgeschwister zu begrenzen, damit sich da keine Liebschaften entwickeln." Kinder, denen man das Recht einräumen muss, dass sie einen—wenn sie es denn wünschen—kontaktieren dürfen. Dieser Verantwortung muss man auch erst einmal gewachsen sein.

Als wir die hellen, sauberen Räumlichkeiten verlassen, muss ich an meinen Kollegen denken, der mir nur unter einer Bedingung seinen Kugelschreiber geliehen hatte: „Bitte leg den Stift nirgendwo hin. Ich möchte ihn nicht klebrig zurückkriegen." Im Nachhinein wünschte ich mir, mein Schreibtisch wäre einmal so sauber und aufgeräumt wie die Maturbationsräume einer Samenbank.

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