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Drogen

Liebe Mama, darum bin ich drogenabhängig: Der Brief einer verlorenen Tochter

Die Autorin starb im Alter von nur 29 Jahren an einer Herzentzündung, die sie sich durch eine verunreinigte Nadel zugezogen hatte.
Foto von Händen und Spritzen
Im Zuge eines Spritzenaustausches werden saubere Nadeln verteilt | Foto: Robert Nickelsberg/Getty Images

Dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit mit Influence veröffentlicht.

Anmerkung der Redaktion: Den folgenden Brief, der leicht gekürzt wurde, hat Elizabeth Elliot* Ende 2010 an ihre Mutter geschrieben.

Elizabeth war in einer offenen Entzugsklinik, nachdem sie wegen Drogenvergehen in einem staatlichen Gefängnis eingesessen hatte. Als Absendeadresse stand auf ihrem Brief "10th Circle of Hell".

Als erwachsene Frau war sie durchgängig heroinabhängig und versuchte wiederholt—und jedes Mal erfolglos—, ihre Sucht durch Entziehungskuren zu besiegen.

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Nach ihrer Entlassung aus einer offenen Klinik verbrachte sie ihre letzten Jahre in Florida. Zu der Zeit gab es in dem Bundesstaat keine Programme, die Abhängigen Zugang zu sauberen Spritzen verschafften. Sie starb 2014, im Alter von nur 29 Jahren, an einer Herzinnenhautentzündung, die sie sich durch eine verunreinigte Nadel zugezogen hatte.

Ihre Mutter ließ diesen Brief Influence—einer Nachrichtenseite, die das gesamte Spektrum menschlicher Beziehungen mit Drogen abdeckt—zukommen, weil sie glaubt, dass er eine Sache deutlich macht: Menschen mit Drogenproblemen brauchen mehr Optionen, als momentan durch rein abstinenzbasierte Behandlungsmethoden angeboten werden. Dazu gehört eine breitere Verfügbarkeit schadensbegrenzender Maßnahmen.

Weitere Details zum Leben und Tod von Elizabeth findest du nach dem jetzt folgenden Brief.


Hallo Mama!

Es tut mir leid, dass ich Freitagabend so schlecht drauf war, als wir miteinander gesprochen haben. Der Ort hier setzt mir echt zu, vor allem die Sache mit dem verloren gegangenen Päckchen. Ich rede mir jeden Tag ein: "Morgen wirst du dein Zeug schon haben." Das Gefühl der Ohnmacht in dieser Situation ist einfach unerträglich.

Ich habe vor Kurzem Abbitte zu Ende gelesen; ein ausgezeichnetes Buch, auch wenn der Schluss absoluter Bullshit ist. Jetzt habe ich mich herabgelassen und mir die Schnulze Du bist nie allein von Nicholas Sparks gekauft, aber ich habe damit noch nicht angefangen. Hier liegt auch schon Bildnis einer Dame von Henry James rum, aber dafür hat mir in letzter Zeit einfach die Konzentration gefehlt.

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Ich konnte nicht glauben, dass meine eigene Mutter einen acht Seiten langen Brief hinbekommt—auch wenn die großen Zeilenabstände bestimmt geholfen haben. Aber das ist genau das, was ich gebraucht habe. Ich habe ihn schon dreimal gelesen.

OMG—Ich habe meinen CD-Spieler eingetauscht, um für ein paar Stunden Radio hören zu können. Und rate mal, was lief? "Just to win the love of a girl like you"!

Kannst du mir auch noch Depeche Mode schicken?

Die ersten 20 Seiten von Nicholas Sparks haben bei mir große Übelkeit ausgelöst. Darum beginne ich jetzt mit einem Buch von "Oprah's Club", und zwar The Story of Edgar Sawtelle. Das ist ein ziemlicher Schinken, der sollte mich aber eine Weile auf Trab halten.

Ah, außerdem habe ich mit Jesse letzte Woche darüber gesprochen. Wenn man im Gefängnis landet, muss man mit anderen Frauen duschen. Das führt dazu, dass einen plötzlich Körperstellen stören, an die man vorher nicht mal gedacht hat.

Also egal, wie sehr ich eigentlich mit meinem Körper zufrieden bin: Man fühlt sich ständig irgendwelcher Kritik ausgesetzt. Wenigstens kotze ich nicht—und ich versuche, hinsichtlich meiner Fitness disziplinierter zu werden.

Und um jetzt auf deinen Brief einzugehen: Ich bin dir wirklich dankbar dafür, dass du mir nach meiner Entlassung helfen willst, eine Unterkunft zu finden. Das beruhigt mich ungemein. Mir wird klar, dass der Rest meines Lebens von den Entscheidungen abhängt, die ich am Tag meiner Entlassung treffen muss.

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Glaub mir, ich bin mir der Herausforderungen, die vor mir liegen, durchaus bewusst. Ich habe das alles ja schon x-mal erlebt.

Ich weiß, dass ich es eigentlich satt habe, an Orten abzuhängen, die vor Reue und Sehnsüchten triefen. Ganz ehrlich, auch wenn es Treffen gab, die mir gefallen und mich angesprochen haben: Ich fühlte mich in den Räumen der Drogenberatungsstellen immer fehl am Platze.

Ich denke mir da immer: "Sind die tief im Herzen wirklich glücklich darüber, dass sie keine Drogen mehr nehmen?" Denn ich weiß für mich, dass ich immer noch high werden will—ich mein, es gehört nun mal zu meinen absoluten Lieblingsbeschäftigungen, wie wir wissen.

Ich habe es schon so oft gesagt: Ich will ICH WILL aufhören mit Drogen, aber als ich damals das erste Mal Dope probiert habe, war es so, als hätte ich das gefunden, wonach ich immer gesucht habe.

Ich konnte meinen Kopf ausschalten, nur indem ich ein bisschen Chemie zu mir nahm, und ich konnte meine Laune ändern und eine Person sein, die ich ohne Drogen nicht sein konnte.

All diese Konsequenzen SOLLTEN mich dazu bringen, nie wieder Drogen anzurühren. Doch leider habe ich diesen Punkt noch nicht erreicht.

Versteh mich nicht falsch: Ich will eigentlich keine Crackpfeife oder Spritze in die Hand nehmen, aber es fühlt sich für mich an, als würde ich ohne Joint oder Pille nicht mein Maximum abrufen können.

Ich habe neulich mit meiner Freundin Barbie gesprochen und die hat mir erzählt, dass ihre Mutter abhängig von Xanax ist, sie aber irgendeine Diagnose hat. Ihr Apotheker gibt ihr immer nur Wochenrationen, so dass sie keine Überdosen nehmen kann. Ich halte das für eine denkbare Lösung, was meinst du dazu?

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Ich möchte irgendwann mal an einem Ort sein, über den ich sagen kann, dass ich dort GAR KEINE Drogen brauche, um mich in meiner eigenen Haut wohl zu fühlen. Ich glaube, in einer Umgebung mit Menschen, die auch clean glücklich sind, wie in dieser Entzugs-Community in Florida, kann ich es endlich packen.

Es wird wohl noch eine Weile dauern, bevor ich die innere Stärke habe, die ich gerne haben würde. Und ich glaube, dass eine gewisse Unterstützung (in Form von Benzodiazepinen) dabei helfen könnte, angesichts der schwierigen Zeiten, die vor mir liegen.

Bei mir wurde Sozialphobie diagnostiziert und der Umgang mit anderen Leuten ist mir schon immer schwergefallen—selbst im Alter von fünf im Kreise meiner erweiterten Familie.

Wenn ich mir vornehmen würde, komplett clean zu bleiben, habe ich das Gefühl, dass ich mich innerlich gleich auf Scheitern einstellen kann. Denn wenn ich keine Hilfe hätte in einem ersten schwachen Moment, würde ich wahrscheinlich gleich auf die Straße rennen und dort nach Drogen suchen.

Vielleicht sind das nur faule Ausreden, ich weiß nicht. Aber irgendwie bilde ich mir ein, dass das meine Chancen erhöht. Ich kenne mich, und du weißt selber, wie schnell ich in der Vergangenheit wieder rückfällig geworden bin (am Tag meiner Entlassung, und das jedes Mal). Und dieses Mal hängt so viel davon ab, dass ich dieses Mal nicht schon wieder versagen will, bevor ich mir selber eine Chance gegeben habe.

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Darum will ich den Florida-Trip nicht allzu lange aufschieben. Ich hoffe, ich kann dank meines Jobs ein bisschen Geld beiseite legen—es wird aber schwierig, wenn man bedenkt, dass sie mir fast die Hälfte meines Einkommens abnehmen.

Ich weiß, dass Nüchternsein meine oberste Priorität sein müsste—darum gehe ich auch in eine offene Entziehungsklinik. Denn glaub mir, dass Letzte, was ich will, ist, mich in einer zu durchstrukturierten Umgebung aufzuhalten. Ich war schließlich fast elf Monate weggesperrt. Aber ich weiß, dass es meine Chancen erhöhen wird, Problemen aus dem Weg zu gehen.

Ich muss mir echt angewöhnen, jemanden anzurufen, wenn ich high werde. Denn ehrlich gesagt, sobald ich diesen Zustand erreiche, ist das Letzte, worauf ich Lust habe, mir selber vorzuschreiben, damit aufzuhören.

Ich weiß, dass so viel von dieser neuen Chance abhängt, auch was meine Familie betrifft. Aber—ohne undankbar klingen zu wollen—ein Brief hier und da und ein einzelnes Paket sind auch nicht das, was man starken Rückhalt nennen würde.

Wenn ich entlassen werde, habe ich am Anfang keine andere Wahl, als meinen eigenen Arsch zu verkaufen. Denn Stütze für Leute mit Drogenvorstrafen gibt es nun mal nicht. Wenn du mich nicht unterstützt, weiß ich nicht, was ich machen soll.

OK, ich habe mich jetzt lange genug zusammengerissen. Ich habe gerade eine adaptierte Version von "Stairway to Heaven" gehört, "Stairway to Gilligan's Island".

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Bevor ich es vergesse—was war nochmal der Song von Finger Eleven, von dem ich dir erzählt habe?? Ich komm nicht drauf und das macht mich wahnsinnig!! Bitte hilf mir, wenn möglich gleich samt Songtext.

Ich habe den Tag damit verbracht, die 2010er-Ausgabe des "Birnbaum Guide to Walt Disney World" zu lesen [wo sie und ihre Mutter hinwollten, um für Elizabeth ein drogenfreies Zuhause zu finden]. Heute setze ich mich mit Anissa zusammen, um den Reiseplan durchzugehen.

Ich vermisse und liebe dich! Ich hoffe, bald von dir zu hören!

In Liebe, deine Little Lizzie


Elizabeth wuchs im US-Bundesstaat Pennsylvania auf. In der Grundschule und der Junior High blühte sie richtig auf und holte bis zur achten Klasse nur Einsen. Auch in Musik, Kunst und Sport war sie ausgezeichnet, und die Musik sollte für sie bis zu ihrem Lebensende ein wichtiger Part bleiben. Sie litt von klein auf an Sozialphobie, lehnte aber stets eine Therapie ab. Als lustiger, lieber und einfühlsamer Mensch zeigte sie auch in der Highschool sowohl im Unterricht als auch außerhalb gute Leistungen.

Mit 15 rauchte sie zum ersten Mal Marihuana. Als ihre Mutter das herausfand, meinte Elizabeth, dass sie nur mal probieren wollte. Später gestand sie dann ihrer Mutter, dass sie angefangen hatte, vor und nach der Schule—und sogar vor dem Schlafengehen—zu kiffen.

Sie ging an die University of Delaware, um Modedesign zu studieren. Da sie dort aber unter schwerer Sozialphobie und Depressionen litt, verließ sie kaum ihr Zimmer und flog deswegen von der Uni.

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Mit 19 bekam sie einen Job als Kellnerin. Und durch ihre Kollegen kam sie zum ersten Mal mit Kokain und Heroin in Berührung. Schon kurz darauf wurde sie heroinabhängig.

Sie erzählte ihrer Familie von ihrer Abhängigkeit und gestand, dass sie an Hepatitis C erkrankt war, weil sie sich Nadeln mit anderen Abhängigen geteilt hatte. Ihre Familie schickte sie in eine Entzugsklinik. Am Ende machte sie sechs 12-Stufen-Entzüge, darunter einen in einer geschlossenen Einrichtung in New Jersey.

Aus zwei Einrichtungen wurde sie geschmissen, weil sie sich mit Männern einließ, während sie aus der geschlossenen Einrichtung abhaute. Sie wurde nach jeder Entlassung schnell wieder rückfällig.

Mit Mitte 20 heiratete sie und bekam ein Kind. Sie verlor aber das Sorgerecht, als das Baby sechs Monate alt war, und ihr Mann ließ sich von ihr scheiden, als sie im Gefängnis saß.

Als Elizabeth verhaftet wurde, wollte die Justiz sie nicht in das staatliche Gefängnis stecken. Dann floh sie aber aus einer geschlossenen Anstalt, und weil sie auch noch Selbstmordfantasien hatte, kam sie für einen "Drug Court" nicht mehr in Frage. Wegen anhaltender positiver Drogentests wurde ihr schließlich die Bewährung gestrichen.

Wegen Besitzes verbotener Substanzen und Zubehör wurde sie zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt, aber nach drei Monaten vorzeitig auf Bewährung entlassen. Sie wurde rückfällig, verwirkte so die Bewährung und wanderte für elf weitere Monate ins Gefängnis.

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Nach ihrer Entlassung aus der Klinik, wo der Brief geschrieben wurde, und ihrer Ankunft in Florida kontaktierte Elizabeth einen cleanen Freund, der sich leider als nicht clean entpuppte. Nach nur wenigen Tagen rauchte sie schon wieder Crack und spritzte sich Heroin. Sie nahm einen Job bei einem Eskortservice an, um so für ihre Drogen und die Miete zahlen zu können.

Dann zog sie mit einem neuen Lebenspartner zusammen und hörte auf, als Eskortdame zu arbeiten. Sie und ihr Freund haben zum Teil tagelang Crack geraucht, bevor sie sich dann Heroin gespritzt haben.

2012 wurde sie wegen einer Blutinfektion für ein paar Tage stationär behandelt. Im selben Jahr lieh sie sich Geld von ihren Großeltern, um ein letztes Mal eine Entziehungskur zu machen. Noch am Tag ihrer Entlassung wurde sie wieder rückfällig.

Im Dezember 2013 wurde sie wegen einer Herzinnenhautentzündung ins Krankenhaus eingeliefert. Die hatte sie sich zugezogen, weil sie Nadeln mehrfach verwendet hatte. Wo sie lebte, gab es nur eine begrenzte Anzahl an sterilen Nadeln. Sie reinigte ihr Nadeln mit Bleichmittel, aber das war nicht genug. Ein Chirurg entfernte Geschwülste aus ihrem Herzen. Sie musste für insgesamt sechs Wochen im Krankenhaus bleiben.

Als sie noch im Krankenhaus war, plante sie einen Aufenthalt in einer Buprenorphin-Klinik. Sie verließ das Krankenhaus an einem Sonntag und fand die Klinik geschlossen vor. Noch am selben Abend spritzte sie sich wieder.

In den darauffolgenden Monaten erkrankte sie immer wieder an Herzinnenhautentzündungen. Sie ging in Krankenhäuser, lehnte dort aber eine Behandlung ab, weil ihr die Schmerzmittel nicht stark genug waren.

Am 18. April 2014 betrat Elizabeth die Notaufnahme. Am selben Abend benachrichtigte ein Arzt ihre Mutter und teilte ihr mit, dass sie nicht überleben würde. Mittlerweile war sie nicht mehr ansprechbar, schien aber keine Schmerzen zu haben. Der Arzt hatte keine Ahnung, wie sie es alleine in die Notaufnahme geschafft hatte.

Elizabeth starb am frühen Morgen des 19. April. Als Todesursache wurden eine schwere Blutvergiftung, eine Herzinnenhautentzündung durch intravenösen Rauschgiftkonsum, Nierenversagen sowie Atemversagen angegeben.

*Elizabeths Nachname und ein weiteres für eine Identifikation wichtiges Detail wurden verändert, um die Privatsphäre ihrer Familie zu schützen.

Dieser Artikel erschien ursprünglich bei Influence, einer Nachrichtenseite, die das gesamte Spektrum menschlicher Beziehungen mit Drogen abdeckt. Folge Influence auf Facebook oder Twitter.