Die Waffentechnik-Schule in der Kärntner Einöde

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Die Waffentechnik-Schule in der Kärntner Einöde

Am nahe gelegenen Teich haben schon einige Enten dran glauben müssen.

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Wenn man über die Drau hinunter in die Ferlacher Talsohle fährt, eingeklemmt in die alles überblickenden Karawanken, liest man folgendes: "Ferlach—Willkommen in der Büchsenmacherstadt". Wenn man im Zentrum des Ortes ist, findet sich ein Jagdgeschäft nach dem anderen, eine Waffenwerkstatt an jeder Ecke, mit Aufschriften wie: "Josef Just: Jagdgewehre seit 1790." Kurz: was in Salzburg die Mozartkugeln sind, sind in Ferlach Büchsen und Flinten.

Schon seit dem 16. Jahrhundert werden in Ferlach Waffen gefertigt, vor allem wegen dem vielen Eisenerz, das dort abgebaut wurde und das als das wichtigste Rohstoffmaterial für die Gewehrproduktion zählt. Seit dem 19. Jahrhundert gibt es auch eine öffentliche Ausbildungsstätte in Waffentechnik, die 1963 in den Rang einer "Höheren Technischen Versuchs und Lehranstalt" aufgestiegen ist. Raphael K., 28, ehemals Jusstudent aus Bonn, ist einer von vielen internationalen Schülern an der HTL Ferlach. "In Ferlach ist es allumfassend; du lernst alles von Grund auf—es ist das Mekka der Waffentechnik. Um die Ecke sind die exklusiven Büchsenmacher, also kannst du gleich hier im Ort die Praktika machen, ob bei einer kleinen, feinen Werkstatt, oder in der Glock-Fabrik." Tatsächlich produziert der österreichische Waffenhersteller Glock, der unter anderem das österreichische Bundesheer und die US-amerikanische Polizei ausstattet, auch hier. Über 350 Mitarbeiter sind dort tätig. Aber K. lässt durchblicken, dass die Massenproduktion von Kunststoffpistolen nichts für ihn ist: "Du kannst dir aussuchen, ob du in einem Jahr 100.000 Knarren raushaust oder eine einzelne handgemachte Büchse für einen Jäger fertigst, der damit wahrscheinlich sein Leben lang auf die Pirsch geht."

Durchlöcherte Ortstafeln: Die alten Zeiten

Christian T., Jahrgang 1967, besuchte in den 1980ern die HTL Ferlach. Es waren damals im Ort wohl noch andere Zeiten. "Einmal hat ein Klassenkollege mitten im Unterricht eine Colt Python aus der Schultasche geholt. Das hat damals niemanden gejuckt, das waren einfach Prahlereien, sowie andere Jugendliche mit dem neuen Moped angeben." Passiert sei nie etwas, so Christian, obwohl man damals nicht zimperlich war. "Bei uns gab es kein Petzen; die Klassengemeinschaft war gut." Christian zeigt auf die "alte Stadtmühle", ein schon ziemlich verfallenes Gebäude mit Mauern, so dick wie die einer Ritterburg. "Da drinnen haben Schulfreunde von mir geschossen, und ein Kollege aus Oberösterreich war gerade auf dem Weg dorthin, mit einer dicken Reisetasche, nicht wissend, dass Leute aus dem Ort wegen der Schüsse bereits die Polizei angerufen hatten. Natürlich hielten ihn die Beamten auf, und fanden in seiner Reisetasche ein Thompson MP Sturmgewehr mit zwei Magazinen." Am Ende kam der Schüler mit einer einwöchigen Suspendierung von der Schule noch glimpflich davon. Zimperlich war man damals wirklich nicht. Trotzdem: Als in der Nacht des 14. Mai 1986 das Ferlacher Stadtkino Olsacher mit einem lauten Knall in die Luft ging und abbrannte, herrschte selbst hier Alarmstufe Rot. Man ging von einem Bombenattentat aus. Die Polizei kam mit einem solchen Personalaufgebot, dass man in Bussen anreiste—so gut wie jeder Schüler wurde einvernommen, jeder Winkel im Ort observiert. "Ich hätte lieber in die Handelsakademie gehen sollen, das hätte besser zu mir gepasst." "Meine Kollegen mussten alles Mögliche an Waffen und Munition verschwinden lassen—manche auch Material von der Nationalen Front", erzählt Christian. "Eine Granate aus dem Zweiten Weltkrieg lagerten sie unter meinem Bett. Wie viele Nächte ich nicht entschärften Sprengstoff unter meinem Hintern hatte, weiß ich nicht mehr, aber ein paar werden es schon gewesen sein, bis man alles einen Tag vor der großen Razzia wegschaffte." Am Ende der polizeilichen Untersuchungen wurde klar, dass es sich nicht um einen Anschlag, sondern um versuchten Versicherungsbetrug des Kinobesitzers handelte, der dabei tragischerweise selbst zu Tode kam. "Wochen später hat uns ein Professor ein Textbeispiel zum Rechnen gegeben: Wie viel Benzin ist nötig, damit ein Gebäude von der Größe des alten Stadtkinos Olsacher in die Luft geht." Heute ist Christian T. Versicherungsmakler: "Ich hätte lieber in die Handelsakademie gehen sollen, das hätte besser zu mir gepasst. Aber es war trotzdem eine geile Zeit in Ferlach. Auch wenn es mir nach der Matura niemals in den Sinn gekommen wäre, Waffen herzustellen."

Der Schüler: Ewiggestrige und der Wind of Change

Max S., ein jüngeres Semester, absolvierte 2016 das Ferlacher Kolleg für Industriedesign. Davor besuchte er fünf Jahre den Zweig für Fertigungstechnik. Natürlich bekam Maximilian auch einiges von den Kollegen aus der Waffentechnik mit. Dabei sei ihm schon eine gewisse Tendenz nach Rechts bei den Waffentechnikern aufgefallen, so Max: "In der Bude der Burschenschaft Hollenburg gleich neben der Schule habe zumindest ich nur Leute aus der Waffentechnik ein und aus gehen sehen", sagt er. Die Bude liegt tatsächlich nur einige Meter von der Schule entfernt. Im Garten steht eine große Eiche mit einem Stamm von vier Metern und einer Baumkrone, die das Dach überragt. "Die Eiche haben sie eingesetzt, als ich in die 4. Klasse Fertigungstechnik ging. Es ist der 'Lebensbaum' der Burschenschaft, wie die Mitglieder es nennen." Dass gleich neben der Schule eine Burschenschaft steht, ist für Maximilian ein Unikum der HTL Ferlach. "Zumindest mir ist kein zweites Beispiel bekannt. Wo doch außerdem eine Burschenschaft eigentlich eine Institution der akademischen Sphäre ist." Als Max während der ersten Jahre in der HTL noch im Internat untergebracht war, stellten Maturanten der Waffentechnik eine Kiste voll von verschiedensten Handfeuerwaffen im Eingangsbereich des Schülerheimes ab. "Die hatten ein Projekt am Laufen für das Bundesheer. Normalerweise müssen Waffen abgeschlossen verwahrt werden, aber damals nahm man das offenbar noch nonchalant. Den Anblick dieses Waffensammelsuriums im halböffentlichen Raum werde ich so schnell nicht vergessen."

Die Schülerin: Männerbünde, Mädchenklassen und die Abkehr

Lisa E. war 13, als sie sich als eines von wenigen Mädchen entschloss, den Waffentechnikzweig in Ferlach zu besuchen. "Ich wollte damals Polizistin werden, und habe mir gedacht: Das ist genau die richtige Ausbildung für diesen Beruf." Aus Eberstein im Bezirk St. Veit zog Lisa im zarten Alter von 13 in das tiefer gelegene Ferlach. Der Höhenunterschied beträgt zwar nur 114 Meter, aber Ferlach liegt direkt am Fuße der Karawanken, direkt unter dem mächtigen Ferlacherhorn, mit einer Höhe von 1840 Metern über der Adria—und der Unterschied war für sie durchaus bemerkbar. Im Winter steigt die Sonne nur kurz so hoch über die Berge, dass es wirklich im ganzen Ort hell wird. Die meiste Zeit liegt Ferlach im Schatten. Die regelmäßig wiederkehrende Nebelsuppe über dem Klagenfurter Becken tut ihr Übriges. "Ich weiß nicht warum, aber irgendwie war die Atmosphäre in Ferlach immer gedrückt", sagt sie. Wäre die Fortsetzung von Twin Peaks noch nicht gedreht, wäre das hier die perfekte Kulisse. Aus der angehenden Waffentechnikerin ist inzwischen eine Biologie-Studentin geworden. "Man brauchte nur ein paar Kilometer ins westlich gelegene St. Johann fahren, und schon war alles nicht mehr so düster." Am Anfang wohnte Lisa in einem Internat; dort wurden Burschen und Mädchen streng getrennt. "Bevor das Internat renoviert wurde, war der Mädchentrakt ein kleines Häuschen, in dem es immer kalt war. Dazu wurde der Trakt um halb 10 verschlossen—das heißt, man war ab da in dem Häuschen eingesperrt, bis zum Morgen." Am Anfang in der ersten Klasse, als der Stoff noch nicht so aufwändig war, kam nach der Schule am Nachmittag immer die große Ödnis auf. Meistens folgte Lisa dann ihren Freunden und sie verbrachten die Zeit von 15 bis 19 Uhr in den drei Fortgeh-Lokalen der Stadt, um sich zu betrinken, wie sie erzählt. Die Zahl der Mädchen im Waffentechnikzweig war sehr überschaubar: "Wenn es hoch kam, waren in allen 5 Waffentechnikklassen während meiner Zeit insgesamt 5 Mädchen, mich und meine Klassenkollegin eingeschlossen." Mit der lokalen Burschenschaft Hollenburg hatte auch sie Berührungspunkte: Ihr zufolge war die Organisation männlicher als selbst den Mitgliedern lieb war. "Wenn die Partys veranstalteten, kamen kaum Frauen. Zu Fasching oder Halloween gab es deshalb Freigetränke für weibliche Besucher, um Anreize zu schaffen", erzählt Lisa. In der Werkstatt hatte Lisa es am Anfang oft nicht leicht. "Die trauten mir als Mädchen kein handwerkliches Geschick zu." Aber sie war eine Einser-Schülerin. Zur Matura schrieb sie dann mit drei Klassenkollegen eine Abschlussarbeit in Kooperation mit dem deutschen Waffenhersteller Heckler und Koch. "Wir untersuchten, mit welcher Laufform man am genauesten zielen konnte. Dazu schrieben wir 300 Seiten, mit verschiedenster Ballistik-Fachliteratur." Heute studiert Lisa Biologie- und Lebensmitteltechnik an der BOKU in Wien. "Hier ist der Anteil von Frauen und Männern ausgeglichen und es ist liberal und alternativ", sagt sie. Ferlach sei im Vergleich eine völlig andere Welt. Mit Waffentechnik hat sie heute nichts mehr am Hut—obwohl ihr das technische Wissen um mechanische Abläufe im Studium noch sehr zu Gute kommt. "Als Waffenkonstrukteurin zu arbeiten, kam für mich nach der Matura nicht mehr in Frage. Ich möchte kein potentielles Tötungswerkzeug in die Welt setzen", so Lisa, die einmal Polizistin werden wollte. *Name von der Redaktion geändert