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Popkultur

​,Germany’s Next Topmodel’ ist geil und hat das Böse nicht erfunden

„Diese Mischung aus Mode, Wettbewerb und Streitereien, macht die Show zu meinem absoluten Highlight des Fernsehjahres."
Foto: Beyrouth | Flickr | CC BY 2.0

Mit 14 habe ich angefangen, Germany's Next Topmodel zu schauen und schon bald war es meine liebste Sendung im gesamten Fernsehprogramm. Auch wenn ich zwischendurch ein oder zwei Staffeln ausgelassen habe, bin ich immer wieder zum Donnerstagabend auf Pro7 zurückgekehrt. In den 10 Jahren lernte ich gemeinsam mit den Models die wichtigsten Facts über Castings und Foto-Shoots und sie kommen mir mittlerweile so unumstößlich vor wie die 10 Gebote: Du musst enge Jeans und ein neutrales Shirt zum Casting tragen. Du darfst dein Modelbuch nie vergessen. Du musst tragen, was der Designer für dich bestimmt hat. Wenn deine Schuhe nicht passen, dann ist das dein Problem.

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Ihr fragt euch vielleicht, warum ich mir die Show seit 10 Jahren anschaue, wenn GNTM doch Mädchen mit einem oberflächlichen Weltbild indoktriniert. Darüber habe ich in letzter Zeit auch nachgedacht—auf der einen Seite wegen der anonymen Teilnehmerin, die in ihrem VICE-Artikel die Zustände bei GNTM klar angesprochen hat , auf der anderen Seite auch wegen einer Zuschauerin, die sich seither das Schauen aus Gewissensgründen abgewöhnt hat . Natürlich habe ich mein Gewissen auch gefragt, ob GNTM noch OK ist. Danach war kurz Funkstille zwischen uns. Ich versuchte mir ganz klar vor Augen zu führen, was alles falsch daran ist. Trotzdem freue ich mich noch immer auf jede neue Folge.

Modeln ist einfach ein ziemlicher Scheißdreck, aber das Zusehen ist lustig.

GNTM ist eben eine sehr gut gemachte Unterhaltungssendung. Von der Dramaturgie über die Musik bis zu den ganzen Shootings und Catwalks: Die Showmacher wissen, wie man gutes Fernsehen macht. Bei GNTM kann man sich fast zwei Stunden am Stück einer Illusion hingeben, dass die Dialoge nicht forciert, die Streitigkeiten nicht angeregt und die Entscheidungen nicht von Haus aus festgelegt wurden. Ich persönlich habe kein Problem damit, etwas Künstliches zu genießen. Ich schaue ja auch Filme, gehe ins Theater und liebe Richterin Barbara Salesch. Trotz meiner Liebe für Mode, Schminken und Foto-Shoots wäre es mir nie in den Sinn gekommen, bei Germany's Next Topmodel mitzumachen. Modeln ist einfach ein ziemlicher Scheißjob.

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Kleidung vor der Kamera und auf dem Laufsteg zu präsentieren ist eben kein Lifestyle, sondern ein Beruf. Es ist aber auch ein Beruf, der sehr glamourös wirken kann, wenn man sich ein bisschen Mühe gibt, ihn so darzustellen. Der Clou an der Sache ist, dass Unterhaltungsfernsehen ein Ort für maximale Übertreibungen ist. Auch GNTM verschönert die Tatsache, dass eine Reise von L.A. nach Hawaii ziemlich anstrengend ist, vor allem, wenn man am nächsten Tag gleich wieder zurückfliegt und dann sofort zum Foto-Shooting muss. In der Show überwiegen dann die positiven Seiten des Trips: Der wunderschöne Strand von Honolulu, der Erfolg bei einem Casting und das Lob des Fotografen.

Trotzdem sieht man auch dort, wie die gereisten Mädchen nachher aussehen. Die dunklen Augenringe sind da noch das geringste Übel. Und jede Person, die einen gesunden Menschenverstand hat, muss doch 1 und 1 zusammenzählen können und erkennen, dass dieses Jetset-Leben nicht für alle geeignet ist. Ich möchte Teenies hier nicht ihren Menschen- oder Hausverstand absprechen, aber sie sind eben empfänglich für positive Darstellungen. Deswegen möchte ich auch gar nicht leugnen, dass es ein Problem ist, wenn Minderjährige bei so einer Show mitmachen dürfen.

Germany's Next Topmodel hat genauso wenig Magersucht erfunden, wie Call of Duty Amokläufe.

Doch ich wundere mich weniger darüber, dass junge Mädchen empfänglich für den Glamour sind, sondern über deren Eltern. Haben die eigentlich keine Bedenken, wenn ihre sensible oder schüchterne oder einfach nur junge und noch nicht komplett stabile Tochter fast 24 Stunden am Tag von Kameras beobachtet und von autoritären Menschen bewertet wird? Vielleicht wussten sie vor GNTM gar nicht, dass Modeln ein echter Beruf ist, aber wenn mein Kind so für etwas schwärmt, dass es sich für eine TV-Show bewerben möchte, sollte ich mich eigentlich ein bisschen besser darüber informieren.

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Außerdem ist es wichtig, zu hinterfragen, was sich das Mädchen von der Teilnahme bei GNTM verspricht. Auch in der aktuellen Staffel gibt es junge Mädchen, die dank hänselnder Arschlöcher ein falsches Selbstwertgefühl aufgebaut haben. Sie verwechseln das Lob über ihr Äußeres mit echter Anerkennung. Jedes vermeintlich nette Wort vom Fotografen wird zum Balsam für die angekratzte Seele. Dass dahinter nichts als Business steckt, kann man leicht ignorieren. Das sind dann die Mädchen, die von einem einzigen negativen Kommentar aus dem Gleichgewicht gebracht werden können. Und solche labilen Kandidatinnen gehören nicht ins Fernsehen. Trotzdem hat Germany's Next Topmodel genauso wenig Magersucht erfunden, wie Call of Duty Amokläufe.

Denn darum dreht sich ja die meiste Kritik an GNTM: Um die aktive Förderung von Essstörungen. Sozial isolierte oder anderswie für Beeinflussungen anfällige Mädchen werden wohl auch ohne GNTM ihren Weg in Probleme finden, auch wenn das hart klingt. Beim Wettkampf um die Bulimie-Motivation dürften Eltern deutlich gegen Germany's Next Topmodel gewinnen. Denn die zwei Stunden, in denen GNTM pro Woche zu sehen ist, können nie im Leben so viel Einfluss auf die Betroffenen haben, wie Familie, Freunde und Bekannte.

Mittlerweile hat auch mein Gewissen beschlossen, mich zu unterstützen und wir stehen nun beide dazu, dass ich Germany's Next Topmodel mag. Auch wenn ich manchmal über die Fotografen schimpfe, finde ich die Shootings meistens toll. Diese wahnsinnig aufwendigen Kostüme, das ausgeklügelte Make-up und die Settings machen mich glücklich. Da kann ich mich einmal in der Woche ganz der Modewelt hingeben, deren kreative Seite mich einfach fasziniert. Weil ich selber ehrgeizig bin, schaue ich den Mädchen gerne dabei zu, wie sie sich im Lauf der Zeit entwickeln. Diese Mischung aus Mode, Wettbewerb und Streitereien macht die Show zu meinem absoluten Highlight des Fernsehjahres.

Ich habe aber überhaupt nichts dagegen, wenn jemand die Show nicht ausstehen kann. Aber es ist heuchlerisch, wenn Leute so tun, als wäre es nur ein verabscheuenswürdiges Guilty Pleasure, obwohl sie es kaum erwarten können, donnerstags vorm Fernseher zu sitzen. Das System wird nicht besser, weil man hinter vorgehaltener Hand über die doofen Mädchen lacht und dann lautstark gegen die schlimmen Showmacher zetert. Wenn mir aber jemand wissenschaftlich beweisen könnte, dass mit dem Absetzen von GNTM auch die Häufigkeit von Essstörungen im deutschsprachigen Raum abnimmt, dann wäre ich eine der ersten Befürworterinnen. Leider glaube ich nicht daran, dass das je passieren wird.

Anne-Marie auf Twitter: @Viennesecat


Foto: Beyrouth | Flickr | CC BY 2.0