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‚Germany’s Next Topmodel‘ ist jetzt offiziell nicht jugendgefährdend – aber trotzdem unverantwortlich

Die Kommission für Jugendmedienschutz hält den Umgang von Heidi Klums Show mit fragwürdigen Körperbildern für angemessen. Ja, wirklich.
Foto: imago | Revierfoto

Germany's Next Topmodel könnte mitverantwortlich dafür sein, dass junge Frauen Essstörungen entwickeln—zu diesem Ergebnis kam Anfang des Jahres das Internationale Zentralinstitut für Jugend- und Bildungsfernsehen. Auch von Medienvertretern und Zuschauern gab es immer wieder Kritik, dass die Castingshow ein Körperbild propagiere, welches insbesondere sehr junge, noch leicht zu beeinflussende und in ihrer Selbstwahrnehmung noch unsichere Mädchen in die Magersucht treiben könnte.

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Dies nahm die Kommission für Jugendmedienschutz zum Anlass, die zehnte und somit aktuellste Staffel genauer unter die Lupe zu nehmen. Jetzt, rund ein halbes Jahr später, steht das Ergebnis fest: Heidi Klums TV-Dauerbrenner verstößt nicht gegen die Jugendschutzbestimmungen.

Maßgebend für das Urteil der Kommission war vor allem, dass die Sendung die gestellten Anforderungen immer im Bezug zur Berufsrealität der Modeindustrie setze. So „seien problematische Szenen ausreichend relativiert worden, indem kritische Kommentare (z. B. ‚Du bist zu dick') ausdrücklich auf die beruflichen Anforderungen an ein Laufsteg-Model bezogen worden seien", heißt es in der Pressemitteilung, die die KJM heute veröffentlichte. Wie genau Heidi Klum den Kandidatinnen dadurch „verdeutlicht, dass Hungern kein Weg sei", wurde allerdings nicht erklärt.

Zusammenfassend wurde das Format als solches als „nicht entwicklungsbeeinträchtigend für Kinder und Jugendliche" eingestuft. Orientiert wurde sich bei der Entscheidung an den Bestimmungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags, mit dem unter anderem die Wahrung der Menschenwürde sichergestellt werden soll.

Wir können also aufatmen. Es ist nichts Verwerfliches daran, leicht beeinflussbare Minderjährige rudimentärst bekleidet durch Einkaufszentren zu hetzen und ihnen anschließend zu sagen, was man von ihrem Arsch hält. SO LANGE man klar macht, dass der im Wachstum befindliche Körper nur für den Modeljob nicht gut genug ist. Taff moderieren oder beim Promidinner mitmachen geht schließlich auch mit nicht ganz so eklatanter Unterernährung.

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Jetzt kann man sich dazu natürlich mehrere Fragen stellen. Beispielsweise, ob es denn zwingend notwendig ist, ein Format zu entwickeln, in dem ein „kritikwürdiges Schlankheitsideal" vorherrscht—wie die KJM immerhin zugibt—, das sich in seiner Konzipierung und Aufmachung ganz bewusst an junge Frauen richtet.

Germany's Next Topmodel und die Kleine-dumme-Mädchen-Falle.

Zum Anderen ist es ja noch nicht einmal so, dass die Kandidatinnen der Sendung tatsächlich auf den ganz großen Laufstegen dieser Welt landen. Viel mehr scheint Germany's Next Topmodel eine Art sendereigene Nachwuchs-TV-Sternchen-Fabrik geworden zu sein, in der man sich frische Gesichter für Shows und Promi-Formate direkt selbst nachzüchtet. Warum muss ein Format auf eine potentiell gesundheitsgefährdende „Berufsrealität" vorbereiten—und damit das Risiko eingehen, dass selbst superschlanke Teenager vor dem Fernsehbildschirm plötzlich darüber nachdenken, noch ein bisschen öfter auf Kohlenhydrate zu verzichten—, wenn das Erfüllen dieser Maßstäbe am Schluss größtenteils irrelevant ist?

Für den Großteil der öffentlich abgeurteilten Kandidatinnen geht es nach der Teilnahme sowieso zurück auf die Schulbank oder ins mehr oder minder normale Berufsleben. Alles, was sie mitnehmen, sind ein paar tausend Instagram-Follower, die Erinnerung an eine Zeit, in der man mal eine Handtasche und Sponsoren-Wimperntusche umsonst bekommen hat, und die indoktrinierte Gewissheit, dass man nie dünn genug sein kann, wenn man erfolgreich sein möchte.

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Für jede Finalistin, die nach ihrer Teilnahme eine Boulevardsendung moderieren darf oder in irgendeinem Promis-tun-Dinge-Format verwurstet wird, gibt es Dutzende Mädchen vor der Kamera und Hunderttausende vor den Fernsehbildschirmen, denen direkt oder indirekt mitgeteilt wird: Du bist nicht schön. Oder zumindest nicht schön genug.

Wenn bei GNTM von den „schönsten Mädchen Deutschlands" die Rede ist, dann bezieht sich diese Aussage eben nicht mehr nur auf ein Business, das eine ganz spezielle Vorstellung von Attraktivität hat, die mit einem natürlichen, normalen Körperempfinden nicht mehr viel bis gar nichts zu tun hat. Dann ist das eine allgemeingültige Aussage darüber, was als attraktiv gilt, und was eben nicht.

Germany's Next Topmodel ist sicherlich nicht die Wurzel, sondern nur einer der Ausläufer dieses Problems und ja, im Laufe der vergangenen Staffeln wurde (sicherlich auch wegen des öffentlichen Drucks) bewusst versucht, den Umgang mit den Mädchen freundschaftlicher und wärmer zu gestalten. Aber trotzdem findet da eine Beurteilung statt, die auf körperliche Merkmale abzielt, sie sich in vielen Fällen eben nicht mehr auf gesundem Wege ändern lassen. Und das rein zum Amusement des Zuschauers.

In Zeiten, in denen Schönheit oft genug immer noch als wichtigstes Attribut einer Frau gehandelt wird, ist das nicht nur kritisierungswürdig, es ist eigentlich unverantwortlich.

Lisa käme bei GNTM nicht mal in die Vorrunde. Folgt ihr trotzdem bei Twitter.


Titelfoto: imago | Revierfoto