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Ich habe abgetrieben – und meine anschließende Fehlgeburt hat mich trotzdem zerstört

Frauen, die sich einmal gegen ein Kind entschieden haben, sind keine egoistischen Monster. Ein Plädoyer für mehr Mitgefühl.

Mit 21 Jahren habe ich abgetrieben. Ich bereue es keine Sekunde, denn auch wenn ich immer einen Kinderwunsch hatte, war die Zeit nicht die Richtige und ich hätte komplett alleine da gestanden. Andere entscheiden sich in solch einer Situation trotzdem für das Kind, ich aber nicht. Ich hätte es als unverantwortlich empfunden, ein Kind in die Welt zu setzen, ohne es wirklich zu wollen. Dafür musste ich mir, auch in meinem Bekanntenkreis, ziemlich schlimme Dinge anhören.

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Was viele überzeugte Abtreibungsgegner nämlich gerne vergessen: Frauen, die sich für eine Abtreibung entscheiden, sind keine gefühlskalten Egomonster. Ich kann nur von mir und mir bekannten Frauen sprechen, aber die meisten haben sich das gut überlegt und eine sehr schwere Entscheidung getroffen. Besonders schwer deshalb, weil der Körper bereits ordentlich Schwangerschaftshormone produziert und erste Muttergefühle in einem aufkeimen.

Viele geben als Argument an, dass sie gegen Abtreibung sind, weil das Mord an einem unschuldigen Leben ist, aber keiner will helfen, sobald das Kind einmal da ist. Meine Entscheidung war keine leichte und obwohl ich sie nicht bereue, bedeutet das nicht, dass ich nicht manchmal daran denke und traurig werde. Das ist nämlich auch so eine Fehleinschätzung vieler Abtreibungsgegner: Sie denken, dass man keine Wertschätzung für das Leben hatte, dass in einem herangereift ist. Wie sehr ich wirklich für ein Kind bereit war, sollte ich allerdings erst Jahre später merken. Als ich eine Fehlgeburt erlitt.

Mit 25 habe ich meinen damaligen Freund kennen gelernt. Wir waren unheimlich glücklich und sind schnell zusammengezogen. Es war nicht so, dass wir aktiv versuchten, ein Kind zu bekommen, wirklich verhütet haben wir allerdings auch nicht. Er ist fünf Jahre jünger als ich und wollte schon damals früh Vater werden. Als nach nur sechs Monaten Beziehung dann der positive Schwangerschaftstest vor uns lag, konnten wir unser Glück kaum fassen. Ich war in der fünften Woche schwanger und hatte es sofort gespürt. Die Vorzeichen lagen dieses Mal komplett anders. Eine Abtreibung kam mir nicht einmal kurz in den Sinn.

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Die folgenden Wochen verbrachte ich mit Arztterminen und damit, mich zu zwingen, erst einmal niemandem von der Schwangerschaft zu erzählen,. Das gestaltete sich ziemlich schwierig, weil ich dafür bekannt war, ein ziemlich exzessives Partyleben zu führen—da bleibt es natürlich nicht unbemerkt, wenn man von heute auf morgen weder trinkt noch raucht. Ich habe damals sogar den Raum verlassen, sobald sich jemand eine Zigarette anzündete!

Meine engsten Freunde wussten also relativ schnell Bescheid, zumal meine „Symptome" ziemlich ausgeprägt waren. Ich fing bei der merci-Werbung an zu weinen und mein Geruchssinn wurde extrem verstärkt, was dazu führte, dass ich oft würgend durch die Straßen lief.

Abtreibungsgegner wollen dein Baby.

Ich war sehr darauf bedacht, mich richtig zu ernähren und nahm regelmäßig meine Schwangerschaftsvitamine. Bis auf leichte Blutungen in der achten Woche lief auch alles komplikationslos ab und auch mein sehr verständnisvoller Arzt versicherte mir, der panischen werdenden Mutter, dass alles in Ordnung sei. So zogen mehrere Wochen ins Land, mein Körper veränderte sich und ich sah, groß und dürr wie ich war, mit der immer größer werdenden Kugel am Bauch zunehmend lustiger aus. Ich war in der 16. Woche, nach wie vor überglücklich über meine Zustand und bekam fast täglich kleine Geschenke oder Besuch von Freunden, die sich mit mir freuten.

Der Schock kam in der 16. Woche.

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Ich hatte schon seit mehreren Tagen ein komisches Gefühl gehabt. Ich fühlte mich nicht mehr schwanger, meine Brüste hatten aufgehört zu schmerzen und auch die ständige Übelkeit hatte nachgelassen. Beim routinemäßigen Ultraschalltermin folgte die traurige Gewissheit: mein kleiner Wurm war in meinem Bauch abgestorben, hatte sich seit Wochen nicht weiterentwickelt und es war kein Herzschlag mehr zu hören. An die Momente nach der Nachricht kann ich mich nur dunkel erinnern, alles war dumpf. Ich konnte nicht verstehen, was mein Arzt mir erklärte. Das Einzige, was ich behielt, war: Ich musste operiert werden, da ich den toten Fötus nicht ausgeschieden hatte.

Als wir zu Hause ankamen, konnten mein Freund und ich uns gerade noch ins Bett schleppen, bevor wir weinend zusammenbrachen. Wir waren beide am Boden zerstört. Es war doch unser Baby gewesen. Die nächsten Tage waren die absolute Hölle, auch körperlich. Ich bekam unerträgliche Schmerzen, die ich erst einmal aushalten musste, da der OP-Termin noch einige Tage vor uns lag. Am dritten Tag waren die Schmerzen allerdings so schlimm, dass ich einen Krankenwagen rufen musste und dann notoperiert wurde. Als es endlich vorbei war, verließ ich mein Bett wochenlang nicht.

Ich hatte weder die Kraft, aufzustehen, noch Freunde zu treffen oder zu telefonieren. Ich vergrub mich in Serien und Filmen und bewegte mich nur, um zur Toilette zu gehen. Durch die Schwangerschaft hatte ich zwar etwas an Gewicht zugelegt, doch die eigentliche Gewichtszunahme kam durch die folgende Depression. Ich bin Schauspielerin und habe damals auch als Model gearbeitet, denn ich bin sehr groß und war sehr schlank. In diesem Jahr also sagte ich Castingtermine für wichtige Rollen ab und wollte weder Fotoshootings noch sonstige Dinge machen. Ich wollte, dass die Welt mich in Ruhe lässt, keine Fragen nach meinem Zustand beantworten und vor allem nicht jedem erklären müssen, dass die Sache mit der Schwangerschaft sich erledigt hatte. Mit meinem Kind schien auch mein Lebenswille gestorben. Das Gefühl war mit dem nach meiner Abtreibung nicht im Ansatz zu vergleichen.

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Wenn Frauen für Fehlgeburten lebenslänglich kriegen.

Nicht mal meine eigene Mutter konnte mit meinem Schmerz umgehen und sagte mir, ich solle mich endlich zusammenreißen. Andere sagten, dass ein gemeinsames Kind am einem derart frühen Punkt in einer Beziehung sowieso eher kontraproduktiv wäre. Die schlimmsten Reaktionen auf meinen Verlust allerdings habe ich von Leuten erlebt, die von meiner Abtreibung wussten—was nicht wenige waren. Schließlich war ich immer offen damit umgegangen. Viele haben mich gefragt, ob das denn so schlimm für mich sei, schließlich hatte ich ja auch schon abgetrieben. Ich war sprachlos und wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Hatte ich als Frau etwa das Recht verloren, um mein Kind zu trauern, weil ich bereits abgetrieben hatte? Mir ist klar, dass einem in einer Situation wie dieser oft die richtigen Worte fehlen, aber eins ist sicher: Das waren sie nicht.

Meine Depression wurde so nur noch verschlimmert. Ich konnte mir nicht einmal mehr vorstellen, jemals wieder auf der Bühne zu stehen. Gleichzeitig nahm ich mir durch mein Frustessen auch die Möglichkeit, mir durch meine gewohnten Modeljobs wieder ein bisschen Normalität zu erkämpfen. So wuchs mit meiner Trauer auch mein Selbsthass, denn mein Körper war nicht mehr der, den ich kannte und ich wusste nicht mehr, was ich vom Leben überhaupt noch wollte. Über ein Jahr lang lag ich tagein, tagaus weinend im Bett. Wenn ich es mal verließ, dann nur in Leggings und weiten Pullis. Ich war nicht mehr das lebensfrohe, hübsche Mädchen, dass sich gerne schick anzog und Leute zum Lachen brachte. Ich war jemand, der seinen Schmerz mit Drogen und Alkohol betäubte und an allen Fronten auf Unverständnis stieß. Eigentlich ein Wunder, dass mein Freund mich damals nicht verlassen hat.

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Foto: Akio Takemoto | Flickr | CC BY-SA 2.0

Das Ganze ist jetzt vier Jahre her und ich habe mich mühsam aus dem Sumpf herausgekämpft. Nichts und niemand konnte mir dabei helfen, außer mein eigener Wille. Ich bin vor zwei Jahren eines Tages aufgewacht und habe entschieden, dass es jetzt reicht mit dem Selbstmitleid und dass ich endlich wieder glücklich sein will. Also habe ich mir einen Job gesucht, nur um wieder rauszukommen, mein Freund und ich haben unsere Beziehung einvernehmlich beendet und seit einem Jahr geht es mir wieder wirklich gut.

Ich verstecke mich nicht mehr vor Leuten, die mich fragen, wo denn mein Kind sei. Ich habe mich damit angefreundet, dass ich nun mal jetzt eher eine kurvige Figur habe, und fast gefällt mir das auch besser. Ich mache Sport und bin dabei, wieder meine Schauspielkarriere aufzunehmen, auch wenn ich sicher nicht mehr die gleichen Chancen wie früher habe. Dafür habe ich einiges mehr an Lebenserfahrung und vielleicht auch die Erkenntnis, dass ein Kind zu dieser Zeit mit diesem Partner nicht sein sollte.

i-D: Der Versuch der Filmindustrie, Depressionen richtig darzustellen.

Den Kinderwunsch habe ich nach wie vor, im Moment konzentriere ich mich allerdings eher auf mich und darauf, das zu tun, was mich glücklich macht. Vor allem, erst einmal meine finanzielle Situation zu sichern. Ich bin sicher, das Kind kommt schon früh genug und falls nicht, habe ich ein Arsenal an kleinen Schwestern, denen ich ungewollte Ratschläge und Vorschriften machen kann.

Eine Fehlgeburt ist für jede Frau anders und tatsächlich absolut nichts seltenes. Leider ist es immer noch ein Tabuthema, über das viele Frauen nicht sprechen. Meine Erfahrung hat mir jedoch geholfen, mich besser zu verstehen und mir beigebracht, dass ich nicht alles kontrollieren kann, auch wenn ich es noch so sehr möchte. Wenn ich all den Frauen da draußen, die etwas ähnliches mitgemacht haben, einen Ratschlag geben kann, dann ist es dieser: Lasst euch von niemandem vorschreiben, wie ihr mit eurem Schmerz umzugehen habt. Egal, welche Entscheidungen ihr in der Vergangenheit getroffen habt.


Titelfoto: Jerry Lai | Flickr | CC BY-SA 2.0