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Ich hasse es, jeden Tag nach Zürich zu pendeln

Es gibt nur etwas, das schlimmer ist als Zürich: Jeden Tag nach Zürich zu pendeln.
Alle Bilder von Benjamin von Wyl

Liebe Zürcher, ich weiss, dass euch niemand mag. Ich weiss, dass ihr euch negative Vorurteile gewohnt seid. Deshalb werde ich diesen Teil kurz halten: Ja, ich hasse Zürich! Ich hasse Leute, die in der Schweiz leben und mit 23 zum ersten Mal in Bern waren. (Womöglich noch wegen einem Gig.) Ich hasse die Leute hier, die Musik hören, die niemand sonst hört. Ich hasse es, wenn ich frage, ob sie für den Ausgang 30 Minuten Zug fahren würden und sie antworten: „Dann kann ich ja gleich nach Ibiza." Zürcher machen mich so paranoid, dass ich bei der ersten Begrüssung tief in ihre Nasenlöcher linse, um zu schauen, ob sie koksen.

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Alle Fotos von Benjamin von Wyl

Ach, liebe Zürcher, ich wollte das nicht, aber jetzt bin ich doch wieder ausgerastet. Ich will euch sagen: Ich mag viele Orte, Kreise, Quartiere hier. Der Üetliberg hat eine tolle Schlittelpiste. Ich mag auch viele Individuen unter euch. Und generell soll es darum auch gar nicht gehen: „Ich hasse es jeden Tag nach Zürich zu pendeln." Da ist Zürich schon ein Faktor. Aber primär geht es um den Weg, das Pendeln.

Pendeln ist mindestens genau so schweizerisch, wie Zürich zu hassen. Und mindestens genau so viele Menschen tun es. Für mich heisst „pendeln" um 07.35 auf das Tram zu rennen (Ich renne eigentlich jeden Tag).

Nach Fahrplan habe ich 18 Minuten an den Bahnhof Basel SBB. Dann steige ich in den 8.07-Zug und bin—wiederum nach Fahrplan; also nur theoretisch—um 09.00 am Hauptbahnhof. Dann fahre ich mit den Wirtschaftsmenschen an die Hardbrücke (Eigentlich nicht mit den Wirtschaftsmenschen; die meisten von denen fahren 1. Klasse. Wohl eher mit ihrem Kantinenpersonal.) und bin um 09.10 im Büro. Am Abend habe ich dasselbe Programm in der Gegenrichtung. (Mit dem Unterschied, dass mir der Blick am Abend richtig Spass macht! Titelstorys wie „Rummel um das Rammeln" bieten keine Information, aber halt doch Unterhaltung.)

Wer will kann sich ausrechnen, wann ich abends ungefähr zuhause bin. Und Zahlen-Neurotiker dürfen sich ausrechnen, wie viel Tageslicht ich im Februar in Basel erlebe. (Hint: Gleich viel wie am Polarkreis.) Also, wieso lebe ich da? Ich behaupte wegen meiner WG, wegen dem Bedürfnis mich von meiner Arbeit örtlich abzugrenzen und natürlich—wer hätte es gedacht?—aus verkrustetem Zürich-Hass.

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Meine Mitarbeiter sagen, es sei wegen einer philosophischen Konstruktion, einem Trugbild von Basel. (Den Baslern möchte ich nicht vorenthalten, dass sie auch solche Sätze sagen: „Du sprichst nicht mal Baseldeutsch. Du könntest dich hier assimilieren.")

Ausserhalb meines Wohnhauses treffe ich Leute, die in Basel wohnen, hauptsächlich im Zug nach Zürich oder im Zug nach Basel. Der eine Mitpendler macht Öffentlichkeitsarbeit für eine Stiftung für Kinder- und Jugendmedien, der andere absolviert ein Stage (Er legt Wert darauf, dass es kein Praktikum ist.) bei einem liberalen Denkblatt, der dritte wird Lehrer. Es werden auch immer mehr: Diese Woche hat eine Kollegin angefangen vom Klybeck nach Wiedikon zu pendeln. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es nur in Zürich Arbeitsplätze gibt.

Mit diesen Reisekumpanen—The Fellowship of the ICE—versuche ich die Pendelzeit zu gestalten: Das Kafi im Restaurant des 8.07-Zug ist billiger als beim Bahnhofsbäcker, da es ein ICE der Deutschen Bahn ist, der von Frankfurt kommt. Wir schwafeln, diskutieren und „bonden" so eng, wie man es ausserhalb von Mutter-Kind-Beziehungen kann. Wir ignorieren, dass wir im öffentlichen Raum sind, reden über alles, als sässen wir um 02.30 in der Joha oder der Friends-Bar. (Diese Orte kennen die Zürcher Leser wohl nicht. Schade.)

So treffen wir auch neue Leute, eine nette Zugkumpanin lernte ich kennen, als ich zu meinem Mitfahrer sagte: „Nein, in dem Zug ist niemand von Watson. Die machen alle um fünf Feierabend." Sie nahm die Kopfhörer ab und rief aus: „Manchmal arbeiten wir auch bis sechs, imfall!" Die weiteren Gespräche waren deutlich herzlicher. Pendeln ist also nicht nur Hass. (Und trotzdem hasse ich mich jeden Morgen dafür, wenn ich den Wecker verschlafen habe und um 07.30 aus dem Haus hetze.)

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Aber: Pendeln macht einfach keinen Sinn. Es ist irrational. (Vor allem, wenn man von Stadt zu Stadt pendelt. Mieten und Steuern sind da kaum ein Argument.) Es ist—da haben meine Mitarbeiter recht—eine „philosophische Konstruktion": Ich will mich abgrenzen, mich schützen, mich einigeln. Aber volkswirtschaftlich, individualwirtschaftlich (GA & Kafis), ökologisch und sozial macht es keinen Sinn. Es ist gelebte Sturheit. (Ja, das habe ich als Kompliment an mich gemeint.)

Und ich weiss nicht, wie lange ich das noch durchhalte. Meine Freundin und meine Arbeit sind in Zürich. Die paar Rezensionen und Kunstprojekte, die ich in den Speichen meines Voyeurismus-Schreibens für VICE sammle, sind auch in Zürich. Einer meiner besten Freunde (und Mitbewohner) studiert ab diesem Herbst vielleicht in Zürich Schauspiel. Er wird umziehen müssen. Und ich habe ihm in einer Basler Bar ( die so chic ist, dass sie auch in Zürich stehen könnte,) versprochen, dass ich mit ihm mitziehe, falls die Schule ihn annimmt. Eine Mitarbeiterin hat mir gestern gesagt: „2016 wohnst du in Zürich!" Vielleicht hat sie recht. Vielleicht werde ich dann aber auch depressiv.

Wir werden sehen. Ich weiss aber nicht, was die Zürcher in meinem Büro davon haben, wenn ich künftig nicht mehr übers Pendeln nach Zürich motze, über Zürich aus der Aussenperspektive fluche, sondern mich über mein Scheiss-Leben in Zürich—eingepfercht zwischen Niederdorf, kommerzialisierten Kreativwirtschaftlern und Anzugträgern im Biobistro auslasse. Ich persönlich glaube, es gäbe meinem Hass mehr Glaubwürdigkeit, wenn ich hier auch leben würde.

Zürich-Hasser Benj auf Twitter: @biofrontsau

Vice Switzerland auf Twitter: @ViceSwitzerland