Ein Monat in der rechten Blase

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Die längste Wahl der Welt

Ein Monat in der rechten Blase

"Der typische VdB-Wähler: ewigstudierend, arbeitsscheu, dumm, parasitär, gegendert, Frauenkleider tragend und rauschgiftsüchtig."

Ginge es nach meinem Newsfeed, würde Van der Bellen bei der Bundespräsidentschaftswahl ein DDR-ähnliches Ergebnis einfahren. Nicht, weil meine Facebook-Freunde unbedingt alle Fans von ihm oder Grünwähler sind, aber weil sie die Wahl für zu wichtig befinden, als dass sie nicht oder Norbert Hofer wählen würden. Dass das nicht die Mehrheit der Bevölkerung widerspiegelt, zeigen alle Wahlen in der Geschichte dieses Landes.

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Dabei lösche ich die FPÖ-Wähler gar nicht gezielt aus meiner Freundesliste—sie waren einfach nie Teil davon. Ich war nie mit jemandem befreundet, der FPÖ wählen würde; zumindest nicht, seit ich in einem Alter bin, in dem man sich mit solchen Dingen aktiv beschäftigt. Passiert irgendetwas, dann sehe ich von fast jedem in meiner Wohlfühl-Blase dieselben Meinungen. Und es ist meine Meinung. Ich höre hunderte Male mich selbst und es ist schön. Die Welt ist so, wie ich sie mir wünsche.

Abseits meiner Internet-Welt gilt das natürlich viel weniger. Draußen wurde Donald Trump gerade zum US-Präsidenten gewählt. Draußen könnte es bald den ersten freiheitlichen Bundespräsidenten geben. Draußen wird Marine Le Pen in die Stichwahl der französischen Präsidentschaftswahl kommen. Draußen brennen Asylheime.

Draußen glauben Menschen keinen seriösen Medien mehr, dafür aber Blogs, die Informationen ohne Quellenangaben verbreiten. Weil auch sie nur das hören wollen, was ihnen in ihre Welt passt. Weil auch sie gerne hundertfach ihre eigene Meinung lesen würden.

Um endlich auch mal aus meiner Blase auszubrechen, habe ich mir also ein Alter Ego auf Facebook geschaffen, das Norbert Hofer unterstützt und Mitglied in Gruppen ist, in denen Menschen angeben, nur Hofer könne uns vor "den Invasoren noch retten" oder "der Chef" (Anm.: Adolf Hitler) sei "der Einzige [gewesen], der den Krieg nicht wollte". Aber es ist gleichzeitig auch eine Welt, in der Mütter schreiben, sie hätten Angst um die Zukunft ihrer Kinder und könnten sich ein Leben in einem kommunistischen Österreich unter Van der Bellen nicht vorstellen.

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Immer wieder liest man dort, Van der Bellen würde erwarten, dass Frauen nur noch in Burka auf die Straße gehen—und schon jetzt sei keine unverschleierte Frau auf Österreichs Straßen mehr sicher. Ein User schreibt zum Beispiel: "Der typische VdB-Wähler: ewigstudierend, arbeitsscheu, dumm, parasitär, gegendert, Frauenkleider tragend, rauschgiftsüchtig und überall unangenehm auffallend. Sie schimpfen über die Heimat … und profitieren am allermeisten davon." Darunter kommentieren andere User Dinge wie: "Das Schlimmste ist für mich, dass die frei rumlaufen … unfassbar", "degenerierte Inzucht" oder "ein dreckiges Pack."

Zu diskutieren bringt in dieser Timeline nichts. Einmal, als ich frage, weshalb meine Facebook-Freunde Hofer wählen, bekomme ich neben ewig langen Kommentaren einer unermüdlichen Van der Bellen-Wählerin, die versucht, mich zu überzeugen, nicht Hofer zu wählen, vor allem Antworten wie diese: "Wenn wir VdB als Präsident bekommen, was haben wir dann, Pädophile, Islamisierung usw. Ich möchte nicht mit Burka durch die Gegend rennen, damit ich nicht vergewaltigt werde", oder: "Norbert Hofer hat allein durch seine bisherige Lebenserfahrungen weitaus mehr Potential als VdB."

Wer zu diskutieren beginnt, wird als "linke Zecke" bezeichnet und sofort blockiert. Wer nach Beweisen fragt, wird ignoriert. Stattdessen posten mehrere Menschen Bestätigungen unter nicht belegte Aussagen: "Ja, das stimmt. Habe ich auch gehört." Wenn es keine Beweise gibt, dann ist die Regierung daran schuld, weil sie die Veröffentlichung der Tatsachen verhindert.

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Wenn etwas Berichtenswertes passiert und ich lese die Nachrichten erst in meiner und dann in der blauen Blase, gibt es in den vergangenen Wochen beinahe keine Nachrichten (außer der Mindestsicherung), in denen beide Lager gleicher Meinung wären. Sebastian Kurz, Donald Trump, Weihnachtsgeld für Muslime, Felix Baumgartner, Gabalier Unplugged, die Norbert Hofer-Homestory.

Da erstellen Menschen Veranstaltungen, die Namen wie "Selbstverteidigungskurs für Schafe gegen IS-Terroristen" tragen—eine Veranstaltung, für die sich immerhin 10.000 Menschen interessieren und bei der 3900 angegeben haben, teilzunehmen. Es ist natürlich keine echte Veranstaltung, aber eine eindeutige Andeutung darauf, Muslime würden Tiere missbrauchen.

In meiner Blase wird oft wiederholt, man dürfe Hofer-Wähler nicht als dumm darstellen; das würde sie nur in ihrer Opferrolle bestätigen und an der Problematik vorbeigehen. Natürlich sollte man nicht die halbe Bevölkerung pauschal verurteilen. Aber man muss die beiden Seiten im Kontext zueinander sehen, statt sie isoliert zu betrachten: Natürlich gibt es Van der Bellen-Wähler, die abfällig über Hofer-Wähler sprechen—aber genauso gibt es die Hofer-Wähler, die alle Unterstützer von Van der Bellen kollektiv als "anarchistisches dummes Dreckspack" darstellen.

Oft werden in meiner rechten Blase auch Menschen bewusst in falschen Zusammenhängen gezeigt oder gleich ganz offensichtlich mit Photoshop bearbeitet: Fotos zeigen zahnlos grinsende Menschen und darüber steht etwas, das andeutet, die Person sei Grünwähler/Gutmensch/Asylwerber. Fotomontagen von Angela Merkel als Drache oder als nackte Frau, die ihre Flüchtlingspolitik nur betreibt, wie sie es tut, damit möglichst viele Männer kommen, die mit ihr Sex haben würden.

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Überall herrscht die Meinung vor, Asylwerber würden alles gratis bekommen. Sie wären gerne arbeitslos, sie kämen ausschließlich nach Europa, um fürs Nichtstun bezahlt zu werden. Ständig habe ich Artikel in meinem Feed, die Schauergeschichten erzählen: Über Frauen, die in Deutschland nach einer Vergewaltigung auf die Straße geschmissen wurden, von getöteten europäischen Kindern, dem drohendem Untergang des Abendlandes und dem eintretenden "Bevölkerungsaustausch", wenn Alexander Van der Bellen Bundespräsident würde.

Wenn es sich bei solchen Behauptungen nicht einfach nur um Bilder mit Text oder Postings ohne Belege handelt, dann sind es Links, die auf verschiedenste dubiose Seiten ohne seriöse Quellenangaben führen. Die Artikel werden auf Blogs wie zum Beispiel MZW-Widerstand.com veröffentlicht—einer Seite, auf der Sätze stehen wie: "70 Jahre Holocaust-Lügen-Seuche haben nämlich eine Gehirn-Fäulnis erzeugt, wie sie in der Menschheitsgeschichte noch nicht vorgekommen ist." Auf Twitter beschreibt sich die Seite so: "Nachrichten seriös, schnell und kompetent."

Man stolpert über schauerliche Schlagzeilen, die zum Beispiel zur Seite 24Aktuelles.com führen. Man kommt auf einen Artikel, der über Mord und Totschlag in Europa berichtet; macht man nur einen Klick auf die Startseite, sieht man dort folgende Erklärung: "Erfinde deine eigenen Fake News und lege alle deine Freunde rein! Du kannst deine erfundenen Nachrichten auf Facebook und anderen sozialen Netzwerken teilen. Worauf wartest du noch? Lass den Spaß beginnen!"

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Aber bereits diesen einen Klick machen viele nicht. Die Meldung wird geglaubt, der Artikel geteilt, drunter finden sich dutzende schockierte Kommentare. Und eigentlich sind die Leser zu Recht wütend. Wären diese Nachrichten echt, wären sie schrecklich. Nur wissen viele nicht, dass sie das eben nicht sind. Und wüssten sie es, es wäre vielen egal. Man glaubt eben lieber das, das schon ins Bild passt. Und es gibt schließlich genügend Artikel, die über ähnliche Schauergeschichten berichten—auch wenn diese eine Nachricht vielleicht ausnahmsweise (und erwiesen) mal nicht stimmt.

Interessant ist auch, dass auch Artikel von Medien wie zum Beispiel dem Standard oder dem Kurier geteilt werden, wenn sie Tatsachen und Fakten beinhalten, die die vorherrschende Meinung stützen. Obwohl diese Medien sonst als verlogen, zensiert oder gekauft bezeichnet werden. Auf gewisse Weise scheint man sich aber der Parallelwelt bewusst zu sein und ein besonderes Erfolgsgefühl zu empfinden, wenn eine tatsächliche Nachricht, wie man sie sonst nur in der Horrorwelt unseriöser Fake-Blogs findet, sogar bis in solche Medien durchdringt.

Unter einem Posting wie dem folgenden wüten einige User, dass es eine Unverschämtheit sei, in einem Land wie diesem zu leben, in dem man einfach vergewaltigen, sich aber nicht auf Facebook darüber beschweren dürfe. Das untenstehende Posting nennt keine Quelle, kein Beispiel, nichts. Die Reaktionen sind auch hier—wie zu erwarten—empört, wütend und aufgebracht.

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Eines fällt dabei auf. Diese Blase ist mindestens genauso abgekapselt wie meine eigene. Es gibt hier niemanden, der nicht Norbert Hofer wählt. Es gibt hier kein Pro-Hofer-Posting, unter dem sich nicht dutzende Menschen gegenseitig darin bestärken, wie wichtig Norbert Hofer für die Zukunft Österreichs sei. Dieser Zusammenhalt scheint sehr stark zu sein; stärker als in meiner Blase. Auch mein Alter Ego hat sehr schnell viele neue Facebook-Freunde. Auch hohe FPÖ-Politiker adden mich sofort oder nehmen meine Freundschaftsfragen ohne zu zögern an. Sie geben mir das Gefühl, dazuzugehören.

Dieses extrem starke Zugehörigkeitsgefühl (das tatsächlich auch mein Alter Ego ein bisschen entwickelt) scheint die eigene Meinung noch viel extremer zu bestärken. 100 Likes bei einem Posting über Van der Bellens Vergesslichkeit, vielleicht zusätzlich noch einen Kommentar von einem (namhaften) FPÖ-Politiker und die Meinung ist verfestigt. Van der Bellen ist wirklich vergesslich. Wenn das sogar der … liket!

Manchmal ist es auch richtig unheimlich in der Bubble. Während ich meine als wohlwollend und positiv betrachte, ist das hier eine wütende Bubble, in der über Ausländer, Grüne, naive "Bahnhofsklatscher" und Homosexuelle geschimpft wird. Jedes zweite Posting strotzt vor wütenden Emojis, Schimpfwörtern, Diffamierungen oder Drohungen. Es ist Hass gegenüber jenen, die angeblich schuld an steigenden Vergewaltigungen sind (die Zahl der Vergewaltigungen ist im Vergangenen Jahr übrigens nicht angestiegen). Aber es ist vor allem auch ein sehr tief sitzender Hass gegenüber Medien.

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Egal, wo Norbert Hofer, Heinz-Christian Strache oder Herbert Kickl diskutieren, die Moderatoren waren angeblich unfair, bösartig, zum Kotzen, voreingenommen, haben zu böse geschaut oder zu gemeine Fragen gestellt. Und sie haben gelogen. Viele wollen dem an diesem Tag betreffenden Moderator etwas antun. Ihre Möglichkeit für eine Rache sehen sie in einem Sieg Hofers. Dann würde das alles anders. Bei einem Sieg Van der Bellens seien sie bereit zu kämpfen, schreiben viele. Sie hätten bereits Waffen und seien vorbereitet. Es ist unheimlich, diese Sachen zu lesen.

In den letzten Tagen vor der Wahl ist auch in meiner Blase Frust zu lesen, aber der Großteil schimpft nicht. Niemand droht. Die Menschen plädieren für Zusammenhalt und Offenheit, Toleranz, Akzeptanz.

Es tut ein bisschen weh, aus der eigenen Blase zu kommen. Es ist wie dieser Luftzug, der einen schlagartig nüchtern macht, wenn man betrunken das Lokal verlässt, in dem man einen schönen Abend verbracht hat. Oder wie der Moment, in dem man aus der Matrix ausgestöpselt wird und sich plötzlich isoliert vom Rest der angenehmen, wenn auch gefälschten Welt fühlt.

"Die allererste Filterblase ist der menschliche Verstand", schreibt Christoph Behrens in der Süddeutschen Zeitung. Unsere Filterblasen entstehen nun einmal nicht nur aus unserer jetzigen (politischen) Einstellung. Alle unsere Leben sind anders verlaufen. Wir sind in verschiedenen Ländern oder Städten, mit unterschiedlichen Eltern und Geschwistern in anderen Schulen und Freundeskreisen aufgewachsen. Jeder hat andere Erfahrungen gemacht. So sind wir im echten Leben wie im Internet zu dem Umfeld gekommen, in dem wir uns nun bewegen. Und auch ohne das Internet suchen wir nach gleichen Meinungen und verändern unsere Meinung unserem Umfeld entsprechend.

Aber wir wissen nun einmal nicht, wie es im Kopf eines anderen ist. Behrens erwähnt hier den Aufsatz des amerikanischen Philosophen Thomas Nagel aus dem Jahr 1974 "Wie es ist, eine Fledermaus zu sein": Um herauszufinden, wie es ist, eine Fledermaus zu sein, könne man sich wie eine Fledermaus verhalten, mit den Armen schlagen, Insekten essen und nachts kopfüber in einer Höhle von der Decke hängen. Man weiß danach aber nicht, wie es ist, eine Fledermaus zu sein, sondern lediglich, wie es ist, eine Fledermaus zu imitieren. Wie es ist, eine Fledermaus zu sein, wisse hingegen nur die Fledermaus selbst. Umgekehrt weiß die Fledermaus auch nicht, wie es ist, eine Katze zu sein. Ein Hofer-Wähler nicht, wie es ist, Van der Bellen-Wähler zu sein und umgekehrt.

Aber man kann es versuchen. Und gerade das scheint in den letzten Monaten wichtig geworden zu sein. Wenigstens versuchen, zu verstehen. Von beiden Seiten aus.