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Reisen

Interrail ist nicht so cool, wie ihr denkt

Interrail ist mein persönlicher Albtraum, und das hat nicht nur einen guten Grund.
Titelbild: arileu via photopin

Die meisten meiner Klassenkameraden haben ihre Matura-Vorbereitungszeit damit verbracht, einen Eurotrip (ja, ich nenne diese Reisen absichtlich so wie diesen furchtbaren Teenie-Film) zu planen. Diese Art des Urlaubs zeichnet sich dadurch aus, dass man wochenlang mit beschissenen Zügen von Stadt zu Stadt fährt, beschissen schwere Rucksäcke mit sich herumschleppt und in noch beschisseneren Hostels übernachtet.

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Erst war ich ziemlich neidisch auf diese ungestümen Naturburschen und -mädels, die sich unermüdlich von Stadt zu Stadt kämpfen, ganz Europa im Schnelldurchlauf besichtigen und dabei so ziemlich jeden Abend—auch außerhalb von Amsterdam—mit Kiffen und Saufen verbringen. Irgendwann hat mich dann aber doch die Realität eingeholt: In der Regel bin ich nämlich schon nach drei Tagen auf einem Festival so zerstört, dass ich eine einwöchige Regenerationsphase brauche, nachdem ich meinen Rucksack und ein Zelt maximal einen Kilometer weit getragen habe. Wie in aller Welt kann also jemand sein Zeug verkatert durch ganz Europa schleppen und auch noch ziemlich viel Geld dafür bezahlen wollen? Interrail ist mein persönlicher Albtraum und das hat nicht nur einen guten Grund.

Die Anstrengung

Rucksäcke schleppen, die größer sind, als man selbst, drei Wochen lang Sightseeing und permanent menschliche Gesellschaft—wer das durchsteht, ohne mindestens einmal durchzudrehen oder sich beziehungsweise seinen Freunden den Tod zu wünschen, dem gebührt mein ehrlicher und vor allem ewiger Respekt.

Nach meinem letzten, fünftägigen Städtetrip war ich so erledigt, dass ich mich gefühlt habe, als hätte ich den Ring gerade höchstpersönlich nach Mordor gebracht. Nennt mich Pussy, aber das kann doch kein Mensch angenehm finden. Mit einer Gruppe von Menschen im schlimmsten Fall einen ganzen Kontinent abzuklappern, wäre für mich eine Bestrafung, deren Grausamkeit ich mir nicht vorstellen möchte—dafür ist mir das Wohl meiner Fußballen zu heilig und der Stellenwert meiner Bequemlichkeit zu hoch.

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Kultur erleben ist zwar auch für mich ein wichtiger Teil eines Urlaubs, aber wenn der Erholungsaspekt völlig abhanden kommt, bleibt mir nichts anderes mehr übrig, als die Verrückten, die sich das tatsächlich antun wollen, ihrem Schicksal, ihren brennenden Fußsohlen und ihrer wasserabweisenden Funktionskleidung zu überlassen.

Das Geld

Wer an Interrail denkt, denkt an ranzige Hostels und verwahrloste Studenten, die sämtliche Kultur und Schnäpse in sich aufsaugen, bevor sie wieder in den halbgaren Ernst des Lebens zurück kehren. Das stimmt auch, aber es heißt noch lange nicht, dass Interrail ein kostengünstiger Urlaub ist—und jeder, der etwas anderes behauptet, lügt oder hat noch nie in seinem Leben ein Zugticket gekauft. Wochenlang mit dem Zug zu fahren erfordert Planung und diese Planung erfordert eine Unmenge an Reservierungen, die sich bitter auf das Budget auswirken können—vor allem, wenn eine Zugreservierung auch gerne mal mehr als das Ticket an sich kostet.

Das heißt, auch, wenn man beim Essen und allen anderen essentiellen Dingen spart, die andere Urlaube schön machen, wird einem die Interrail-Reise genau dasselbe perverse Loch ins Konto brennen, wie so ziemlich alle anderen Urlaube. Reisen ist nun mal teuer, egal wie man es anstellt. Fangt also schon mal damit an, euch von der romantischen Illusion der sich selbst versorgenden Backpacker auf der unbeschwerten Suche nach dem Sinn des Lebens zu verabschieden oder findet euch damit ab, dass ihr den ganzen Sommer hindurch in einer Felgenfabrik schichtarbeiten müsst, um genug Kohle für euren Kiffer-Urlaub zu verdienen.

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Die Gesellschaft

Wie ein Mensch wirklich drauf ist, merkt man erst, wenn man mehrere Tage oder Wochen mit ihm verbracht hat. Ihr denkt, ihr könnt ohne Probleme mit eurer langjährigen Freundin eine WG gründen, ohne euch jemals zu streiten? Vergesst es—spätestens, wenn ihr das 11. Mal ihre angebrannten Nudeln aus dem Topf zu meißeln versucht, seid ihr vom Gegenteil überzeugt.

Genauso wird es euch auf Interrail ergehen. Den Freund, der täglich nur 10 Euro ausgeben will, egal, welchen Scheißdreck er dafür essen muss, werdet ihr als ersten hassen. Als nächstes die Person, der es permanent entweder zu heiß, zu kalt, zu windig oder zu anstrengend ist. Im Vergleich dazu werdet ihr denjenigen Freund, der euch täglich detailliert von seinem Stuhlgang berichtet, geradezu lieben.

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Ihr werdet also als verblendete Teenie-Gruppe voller Hoffnung in das Abenteuer eures Lebens starten und ohne Glauben in die Menschheit wieder zurückkommen. Euer Trip wird im Prinzip wie einer dieser Kabine-im-Wald-Horrorfilme ablaufen, in dem eine Gruppe Jugendlicher auf eine Waldhütte fährt, nur um sich das Leben zerstören zu lassen. Wollt ihr euch das wirklich antun?

Die Unterkünfte

Menschen, die auf Interrail fahren, wollen sparen. Da das Sparen im Alltag in tourismusstarken Städten ziemlich schwierig sein kann, wird im Bezug auf Unterkünfte wirklich alles genommen, was Airbnb und die Welt der abgefuckten Hostels so hergibt—und das ist so einiges.

Drei Nächte in einem Schlafsaal, den man sich mit einer Trommelgruppe teilt? Auf den Wertsachen schlafen, damit man nicht ausgeraubt aufwacht? Alles kein Problem, heruntergekommene Unterkünfte gehören schließlich zu einem echten Interrail-Trip dazu—zumindest redet man sich das gerne ein. Der Scheiß, den die zugreisenden Rucksacktouristen in Bezug auf ihre Unterkünfte in Kauf nehmen, macht alles nur noch anstrengender. Falls es eine Person unter euch gibt, die nach einer Nacht im Schlafwaggon ausgeruht und schmerzfrei aufgewacht ist, möge sie mich bitte kontaktieren. Eure Schlaftabletten möchte ich nämlich auch gerne.

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Das Sightseeing

Paris hat den Eiffelturm, Barcelona die Sagrada Familia und London hat Big Ben. Alles andere kann und wird man vergessen. Ich habe keine Ahnung, wie viele Kirchen ich in meinem Leben schon gesehen habe, und egal, ob sie in Reims oder Braunau gestanden haben, ich könnte euch keine einzige Sache über sie erzählen, außer dass sie wahrscheinlich einen Turm und buntes Fensterglas haben.

Tagelang bei absurder Hitze durch eine Großstadt zu hetzen, nur um Gebäude entweder von außen anzusehen oder stundenlang vor dem Louvre anzustehen, um ein Selfie mit Mona Lisa zu machen, mag zwar von der Idee her spannend sein, ist auf lange Sicht aber einfach nur sinnlos. Niemand von uns sieht sich die Urlaubsfotos von 2012 an, auf denen man im Park Guell vor einer bunten Säule steht. Wenn man an einen Urlaub zurückdenkt, denkt man nicht an die putzige Altstadt von Brügge, sondern die Party, auf der man mit einem Menschen geschmust hat, dessen Sprache man nicht einmal versteht und den Tag, als man mit seiner Mama in einem Coffee Shop Brownies gegessen hat.

Verena auf Twitter: @verenabgnr


Titelbild: after the big party via photopin (license)