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Kranker Scheiß aus dem Leben eines Würstelstandlers

Würstelstandverkäufer erleben in ihrem beruflichen Alltag allerhand verrückten Scheiß. Manchmal treffen sie auch auf inkontinente Ingenieure und nackte Frauen.
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Nachdem wir vor kurzem schon von den kranken Erlebnissen aus dem Leben einer Kosmetikerin erfahren haben, machen wir nun einen Abstecher in die Welt der Würstelstandler. Diese tapferen Menschen helfen uns nämlich nicht nur beim Vor-, Zwischen- und Nachglühen, sondern halten auch ein kulinarisches Kulturgut der Region am Leben—den Käsekrainer.

Als Würstelstandverkäufer ist man den ganzen Tag von betrunkenen Ur-Menschen und unwissenden Touristen umgeben, die sich durch das Fleischangebot kosten. Dabei kommt es nicht selten vor, dass Dinge passieren, die es wert sind, festgehalten zu werden. Hier sind zwei der besten Anekdoten, die uns ein Mitarbeiter an einem Verkaufsstand im 1. Bezirk so erzählt hat. Wir haben sie für euch in seinen Worten niedergeschrieben.

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Der Pisser

Einer unserer langjährigen Stammkunden verbringt täglich ziemlich lange bei uns am Stand und hat dabei sein ganz eigenes Ritual entwickelt. Vorab ist es wahrscheinlich ganz gut zu wissen, dass es sich dabei um einen pensionierten Ingenieur handelt, der bei seinen uralten Eltern wohnt, und eine drogensüchtige Freundin hat. Dieses Bild strahlen sie und ihre blauen Zähne zumindest aus.

Jeden Tag um 9:00 Uhr morgens taucht der Pensionist bei uns am Stand auf, wo er seinen Tag mit einem Frühstück, das ausschließlich aus Bier besteht, beginnt. Einige Frühstücke später und mit angehobenem Alkohol-Spiegel verschwindet er dann für eine gewisse Zeit irgendwo in der Innenstadt bis er abends—nicht weniger betrunken—wieder auftaucht und sein Abendessen in Form von Weißwein zu sich nimmt. Während der Spiegel immer weiter steigt, diskutiert er gerne über das politische Weltgeschehen, das seiner Meinung nach übrigens eine einzige riesengroße Verschwörung ist. Von Obama und Putin über Fischer bis hin zu irgendwelchen unbedeutenden Nachwuchspolitikern aus der Provinz hängt für ihn alles zusammen. Warum und wie genau, wisse er selbst nicht, aber Fakt sei, dass ihn die Menschheit grundlegend verarscht. Diese Tatsache erklärt er am liebsten entweder anderen Gästen, die dieselbe Diät halten und ihm absolut zustimmen, oder Touris, die außer „Servus" und „U-Bahn" kein Wort Deutsch sprechen.

Dabei bemerkt er gar nicht, wie sehr ihm sein flüssiges Festmahl auf die Blase drückt. Diese macht sich ab einem gewissen Zeitpunkt—meistens so um 22:00 Uhr herum—selbstständig und sorgt dafür, dass jede Nacht auf dieselbe Art endet. Manchmal merkt er selbst, wie nass und warm er es plötzlich hat und verabschiedet sich, so als hätte ihn die Mama zum Essen reingerufen. Oder aber er merkt es nicht und geht erst nach Hause, wenn wir ihn darauf aufmerksam machen, dass er in seiner eigenen Pisse-Lacke steht. So oder so geht er täglich angepisst nach Hause. Nicht im übertragenen Sinne, sondern im uringelben Sinne. Wir schauen dann immer noch seinen feuchten Schuhabdrücken nach und wissen, dass er sein Ritual, ob umgezogen oder nicht, am nächsten Morgen wiederholen wird. Kontinuität ist eben wichtig im Leben.

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Die nackte Diebin

Es war Hochsommer, es war Mittagszeit, es hatte 35 Grad und die Hitze war kaum auszuhalten, als plötzlich eine leicht bekleidete Dame mittleren Alters bei uns auftauchte. Mit leicht bekleidet meine ich Strumpfhose und Sportschuhe und aus. Der Rest war nackt und verschwitzt. Die Dame spazierte also oben ohne zu mir an den Würstelstand, bestellte seelenruhig ein Bier, zahlte und begann, mit mir zu plaudern. Dabei lehnte sie sich mit dem tiefsten aller Ausschnitte lässig an die Theke während mir ihre Brüste förmlich ins Gesicht sprangen. Dabei verhielt sie sich so normal, dass ich mir nicht sicher war, ob sie sich ihrer Nacktheit wirklich bewusst war. Aber „Hey, wissen Sie eigentlich, dass sie nackt sind?" wollte ich dann auch nicht fragen.

Ich stieg also leicht verunsichert in das Gespräch ein und merkte beiläufig, dass sie währenddessen in ihrer Umhängetasche herumkramte. Eine kurze Zeit später, als das Gespräch von ihr schlagartig für beendet erklärt wurde, ging die nackte Frau gelassen zu einem Fahrrad, das nebenan geparkt war. Ich sah, dass sie in ihrer Tasche die ganze Zeit nach einer übergroßen Zange gesucht hatte. Die zog sie nun heraus und begann, am Schloss herum zu werkeln.

„He Sie! Was machen Sie da??"
„Nix."
„Was machen Sie da mit der Zange?"
„Nihiix!"
„Hallo!? Das ist mein Rad, was soll das?"

In diesem Moment hat es wohl in ihrem Kopf geklickt, denn augenblicklich wurde aus der nackten Ruhe in Person ein panisches, ängstliches Kind (das immer noch nackt war). Sie kam aufgelöst zurück zum Stand, warf sich auf die Knie und schrie: „Es tut mir leid, es tut mir so leid! Ich wusste nicht, dass das dein Rad ist. Bitte verpfeif mich nicht. Bitte, bitte!"

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Sie erklärte mir verzweifelt, wie arm sie wäre und dass sie nichts zu essen hätte. Natürlich hatte ich Mitleid. Was, wenn sie so arm war, dass sie sich keine Kleidung leisten kann (aber Bier schon)? Vielleicht war sie nicht freiwillig nackt, sondern musste gezwungenermaßen nackt leben. In meinem Kopf ersetzte ich sie mit Tom Hanks aus Cast Away oder irgendeinem nackten Charakter aus Herr der Fliegen und den Dschungel mit dem ersten Wiener Gemeindebezirk (zugegeben nicht die ähnlichsten Gegenden, aber wer schon einmal bei Nacht Junkies und Party-Touristen durch die Gassen schreien gesehen hat, weiß, was ich meine). Ich meinte, dass es schon OK wäre, sie bräuchte sich keine Sorgen zu machen. Ich würde nicht petzen, weil ja auch nichts passiert wäre. Außerdem wäre das gar nicht mein Fahrrad.

Und wieder machte es klick.

„Was, wirklich? Nicht deines? Kann ich also weitermachen?"
„Von mir aus. Wenn du keine Angst vor der Polizei hast, ist mir das auch egal. Ist deine Sache."

Diesmal klickte das Schloss und fort war die Nackte auf dem Fahrrad. Offensichtlich hatte sie keine Hemmungen in Sachen Diebstahl, solange der Besitzer nicht anwesend war. Ich hätte wohl nicht zugeben sollen, dass es nicht mein Fahrrad war. Irgendwie war ich naiv genug, zu glauben, dass die reine Erwähnung der Polizei sie sicher abhalten und verscheuchen würde. Wie und ob die Nacktheit mit dem Diebstahl zusammenhing, weiß ich bis heute nicht. Tatsache ist aber: Sie war nackt und hat das Rad gestohlen.


Wenn ihr in eurem Berufsalltag auch krankes Zeug erlebt, meldet euch gerne unter philipp.kienzl@vice.com oder schreibt Philipp auf Twitter: @Phimiki

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