FYI.

This story is over 5 years old.

News

Warum Wien womöglich doch nicht die beste Stadt der Welt ist

Wieder mal wurde Wien zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt. Aber was bedeutet das Ranking und wen soll es ansprechen?

Foto von Stefanie Katzinger für Wien ist ein Paradies

Am Dienstag stellte das Personalunternehmen Mercer seine 18. jährliche Umfrage zur Lebensqualität vor und kürte Wien wieder einmal zur lebenswertesten Stadt der Welt. Wie zu erwarten stimmte sich die österreichische Medienlandschaft auf diese Nachricht mit einem kollektiv hyperventilierenden „OMG!"-Schrei ein, der den ganzen Tag andauerte und in der Berichterstattung immer noch nachhallt.

Anzeige

Aber auch, wenn die Umfrage nicht zwangsweise falsch oder fehlerhaft ist, sollte man den Siegesplatz zumindest kritisch hinterfragen. Sicher, es hebt die Moral und ist der österreichischen Mentalität zuträglich—vor allem, wo wir doch sonst eher als eine Nation von Flüchtlings-Hardlinern, Fritzls oder gar Hitlers gesehen werden. Aber mit der Beschönigung kommen auch die Fragen: Für wen ist die Umfrage gedacht? Wie definiert sie Lebensqualität? Und wie misst man eigentlich Glück und Zufriedenheit?

Für wen ist die Umfrage?

Über die Methoden und Ziele der Mercer-Befragung habe ich bereits in diesem Artikel kurz geschrieben. Es handelt sich dabei nicht um eine wissenschaftliche Studie, in der ein repräsentativer Querschnitt durch sämtliche Bevölkerungsgruppen abgebildet werden soll, um die Lebensqualität vor Ort zu bestimmen. Das Ziel von Mercer ist es viel eher, multinationalen Unternehmen bei der Frage zu helfen, wohin sie ihre Mitarbeiter entsenden sollen. Deshalb ist für Mercer auch „Sicherheit im Speziellen einer der Schlüsselfaktoren" (mehr dazu später).

Nicht, dass Mercer damit nicht einen Punkt hätte. Wer mit seinem Unternehmen expandieren oder umsiedeln will, hat in Wien vermutlich einen guten Ort gefunden, um sein Geld darin zu investieren. Das liegt hauptsächlich daran, dass Geschäftsleute in den nettesten Gegenden leben, in den besten Hotels unterkommen und generell eher selten die zwielichtigen Viertel einer Stadt besuchen. Hier ist eine Hypothese: Wenn man 500 Obdachlose, Arbeitslose und Junkies zwischen Gumpendorfer Straße und Karlsplatz befragt, dürften die Ergebnisse abweichen.

Anzeige

Die Mercer-Befragung sagt weniger über die tatsächliche Lebensqualität für die durchschnittlichen Bewohner, als sie einfach eine Antwort auf die Frage geben will: In welcher Stadt mit anständiger Infrastruktur und schönen Shopping-Möglichkeiten werden Geschäftsleute am wenigsten mit den unangenehmen Auswirkungen von Krieg oder Gewalt konfrontiert?

Foto von Stefanie Katzinger für Wien ist ein Paradies

Wie definiert man Lebensqualität?

Was mich zur Definition von Lebensqualität bringt. Wie gesagt stellt Sicherheit für Mercer einen Schlüsselfaktor dar. Und ja, Wien ist ziemlich sicher. Hier durch die Straßen zu wandern, fühlt sich an wie durch Disney World zu spazieren: Alles ist sauber, aufgeräumt und sieht hübsch antik aus (und genau wie in Disney World sind auch die Kaffeehäuser hier meistens nur Nachbildungen). Aber nicht jeder findet ein Leben in Disney World erstrebenswert. Die Kehrseite davon ist, dass Wien überbehütet, kulturell nach wie vor Jahre im Rückstand und voller Hundekacke ist.

Darüber hinaus ist die Stadt bei aller Sicherheit trotzdem nicht so sicher, wie die Ergebnisse von Mercer nahelegen. Sieht man sich etwa die Länderreihung aus dem 2015 Legatum Safety & Security Index an, sind die drei sichersten Länder China, Island und Finnland. Österreich kommt dabei lediglich auf Platz 16.

Lebensqualität besteht allerdings nicht nur aus Hard Facts, sondern auch aus den Soft Skills einer Stadt, die zugegeben schwer zu messen sind: Wie nett sind die Menschen, wie einfach ist es, jemand Neues kennenzulernen, wie lebendig ist das Nachtleben oder wo kann man am Sonntag einkaufen. Die Antworten dazu sind, in dieser Reihenfolge: nicht nett, nicht einfach, nicht lebendig und so gut wie nirgendwo (abgesehen von schlecht bestückten Tankstellen und zirka drei Supermärkten, in denen man sich beim Schlangestehen wie ein Prepper kurz vor der Apokalypse fühlt).

Anzeige

Aber wer braucht schon Sonntagseinkäufe, wenn man dafür eine derart blühende Wirtschaft hat, dass man ohnehin jeden Sonntag an einer malerischen Einkaufsstraße brunchen kann, richtig? Wie der Guardian erwähnt, zählt das Bruttoinlandsprodukt von Österreich zu einem der höchsten weltweit, nur wenig hinter dem der USA.

Foto von Stefanie Katzinger für Wien ist ein Paradies

Das alles klingt ziemlich großartig, wäre da nicht dieser kleine Bankenskandal rund um die Hypo Alpe Adria, der Österreich erstens den internationalen Spitznamen „kleines Griechenland" eingebracht hat und zweitens mit 19 Milliarden Euro Schulden zurückließ und damit in etwa gleich viel kostet wie sämtliche Flüchtlinge zwischen 1950 and 2275 zusammen1950 and 2275 zusammen. Verschuldet wurde der Spekulationsskandal übrigens von der FPÖ Kärnten—und damit jener Partei, die heute am lautesten gegen Flüchtlinge mobil macht.

Die Hypo ist zwar nicht „die Wirtschaft" und Kärnten ist nicht Wien. Aber die Rechnung des Guardian, der das Landes-BIP als Argument für die Qualität von Wien heranzieht, ist leider nicht haltbar.

Ein anderer finanzieller Indikator für Lebensqualität könnte die Höhe der Mietpreise sein. Hier zitiert der Guardian eine einzige in Wien geborene Frau, die erzählt, dass sie für ihre 100-Quadratmeter-Wohnung in bester Lage nur 20 Gehminuten vom Zentrum nicht mehr als 800 Euro pro Monat—und damit 8 Euro pro Quadratmeter—zahlt. Das ist großartig, aber auch weit vom Durchschnitt entfernt. Eine kleine interne Umfrage unter 10 Leuten in der Wiener Redaktion ergab, dass die Leute hier im Schnitt um die 11 Euro pro Quadratmeter zahlen. Und niemand in der VICE-Redaktion lebt in einem Jahrhunderwende-Bau, wie ihn die Befragte im Guardian beschreibt. Sieht man sich darüber hinaus die Statistik an, liegt der niedrigste Durchschnittspreis pro Quadratmeter bei 11,97 Euro—im 11. Bezirk. Die Gürtelbezirke sind preislich sogar eher bei 15 Euro (innere Bezirke) beziehungsweise 12 bis 13 Euro (äußere Bezirke) angesiedelt.

Anzeige

Wie misst man eigentlich Glück?

Geld ist auf lange Sicht also wohl auch nicht das herausragende Kriterium, das Wien zur besten Stadt der Welt macht. Nicht, dass es nicht wichtigere Dinge gäbe. Wie etwa Glück und Zufriedenheit (auf die Gefahr hin, wie ein Hippie zu klingen). Aber wie misst man Glück und wie gut schneidet Wien beziehungsweise Österreich darin ab? Eine (ziemlich naheliegende) Art, das herauszufinden, besteht darin, einfach nachzufragen.

Das ist es auch, was die Vereinten Nationen getan haben. Für ihren weltweiten Glücks-Report hat die UN Daten aus einer weltweiten Gallup-Umfrage in über 150 Ländern kumuliert. Das Ergebnis: Die Glücklichsten Nationen sind die Schweiz, Island und Dänemark—Österreich schafft es auf Platz 13 nicht mal unter die Top 10.

Eine andere Studie, die das weltweite Wohlbefinden erfassen will und ebenfalls von Gallup unter 146.000 Befragten in 145 Ländern durchgeführt wurde, listet Panama, Costa Rica und Puerto Rico als die drei Ländern mit der größten generellen Zufriedenheit auf. Hier belegt Österreich Rang 9.

Natürlich ist eine Gleichsetzung von Ländern mit ihren Hauptstädten immer schwierig und man darf davon ausgehen, dass das Gesamtbefinden eines Landes etwas näher am Median liegt als das in einzelnen Metropolen.

Allerdings gibt es keine international akzeptierten Standards für eine Messung der zufriedensten, besten oder glücklichsten Städte, wie auch die Financial Times anmerkt. BrainJet erklärte basierend auf dem Glücks-Report von 2013 die Städte Århus, Oslo und Genf zu dendrei glücklichsten der Welt. Der Reader's Digest zog 2010 Reiseerfahrungen zu Rate und ernannte Singapur, Århus und San Luis Obispo zu den zufriedensten Orten. Genau diese fehlende Einheitlichkeit ist aber der Punkt: Die Rangliste von Mercer ist eben nur eine von vielen und deckt sich in ihren Ergebnissen mit kaum einer anderen.

Wie man es auch dreht, Wien scheint mit ziemlicher Sicherheit nicht der glücklichste Platz auf dem Planeten zu sein. Was also macht Wien für Mercer zu der Stadt, in die Firmen ihre Mitarbeiter entsenden sollten? Immerhin ist die Stadt fake, mittelmäßig und macht nur dann Sinn, wenn man sich nicht mit solchen Dingen wie Realität oder Gegenwart auseinandersetzen will. Andererseits sind das vielleicht genau die Eigenschaften, nach denen Firmen in einer Stadt suchen.

Markus auf Twitter: @wurstzombie