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Nutzt Political Correctness wirklich den Populisten?

"Heutzutage darf man ja gar nichts mehr sagen!" Aber wählen die Leute wirklich deswegen Donald Trump oder Schwarz-Blau?
Foto: Donkey Hotey, Flickr

Nichts darf man heutzutage mehr sagen. Die "Political Correctness" hat alle Lebensbereiche übernommen und führt ein strenges Regime. Es steht immer nur ein sexistischer Witz zwischen Erfolg und gesellschaftlichem Abseits. Zumindest könnte man diesen Eindruck bekommen, wenn man sich ein bisschen durch die Trump-bezogende Medienberichte liest.

Im Profil fand sich vor zwei Wochen ein Artikel von Rosemarie Schwaiger mit dem schönen Titel "Moralverkehr", der die angeblich "aus dem Ruder laufende" Political Correctness kritisierte. Es gäbe "ein paar handfeste Indizien dafür, dass 'Neusprech' und 'Gutdenk', wie George Orwell ähnliche Phänomene in seinem Roman '1984' nannte, hauptsächlich den Falschen nützen" würden. Schwaiger stellte die Behauptung auf, dass der Aufstieg von AfD und Marine Le Pen auch damit zu tun habe, blieb dafür allerdings Belege schuldig.

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Und auch nach der Wahl Donald Trumps waren sich viele einig, dass ihm die "PC Culture" geholfen habe. Die Wahl von Rechtspopulisten sei auch eine Wahl gegenüber besserwisserischen Gutmenschen und ihren Denkverboten. Die These ist eh schön, knackig und plausibel. Aber wie immer muss man sich fragen: Stimmt sie auch, oder tappt man da in eine Plausibilitätsfalle? Dieser Text soll sich also nicht mit der Frage beschäftigen, ob "Political Correctness"—was immer man darunter versteht—gut, schlecht, notwendig oder der Teufel ist. Er soll sich schlicht mit der Frage beschäftigen: Lassen sich empirische Belege dafür finden, dass sie populistischen Politikern nützt?

Der Begriff "Political Correctness" ist bereits über 200 Jahre alt. Seine moderne Geschichte geht auf die 90er-Jahre zurück, wo ihn die US-Republikaner als Kampfbegriff gegenüber einer als linksliberal empfundenen Bildungselite entdeckten. Noch heute ist es vor allem ein unbestimmter Kampfbegriff, unter den so ziemlich alles fallen kann, was der Kritiker gerade für einen Teil davon hält.

Für gewöhnlich gehören zumindest gendergerechte Sprache und Sensiblität für die eigene privilegierte Stellung sowie Rücksichtnahme auf marginalisierte Gesellschaftsgruppierung und ihre Empfindungen dazu. In unterschiedliche Qualität, Quantität und Ausprägung. Im Fall der "Political Correctness" würden die "strenge" und die "fürsorgliche" Weltsicht aufeinandertreffen, wie Elisabeth Wehling, Linguistin an der Universität Berkeley, vor einiger Zeit schrieb. Das erkläre auch zum Teil, warum das Thema so umkämpft sei.

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Wir wissen nicht, ob die Political-Correctness-Strategie wirkt. Es gibt aber Gründe, weshalb sie wirken könnte.

Stellt man ein paar klugen Menschen die Frage, merkt man schnell, dass es zwei Schwierigkeiten gibt. Zum einen ein Operationalisierungsproblem, also: Was ist "Political Correctness" und wie misst man die? Und zum anderen auch einfach ein Datenproblem: Wir wissen nämlich maximal indirekt, ob Political-Correctness-Kritik als Kommunikationsstrategie wirkt.

Wir wissen aber durchaus, warum sie theoretisch wirken könnte. "Was mir als gesichert erscheint: 'Political Correctness' ist etwas, was als Teil 'des Systems' empfunden wird, also 'die da oben sagen uns jetzt sogar schon, wie wir sprechen müssen'", sagt Eva Zeglovits vom Meinungsforschungsinstitut IFES.

Der Politikwissenschaftler Laurenz Ennser-Jedenastik von der Universität Wien verweist darauf, dass dieses Bild nicht völlig zufällig entsteht. Gesellschaftsliberale Einstellungen korrelieren mit Status und Einkommen, also hätten die Opinion-Leader in Medien, Kultur und Wissenschaft wohl wirklich überwiegend gesellschaftspolitisch liberale Einstellungen.

"Es kann so der Eindruck entstehen, dass man gewisse Dinge nicht (mehr) so sagen darf, weil sie im Eliten-Diskurs nicht legitimiert sind", sagt Ennser-Jedenastik. "Populistische Politiker können so einen Konflikt zeichnen, wo sie auf der Seite des 'Volkes' stehen, das einer feindlich gesinnten Elite gegenübersteht."

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Meinungsforscher Peter Hajek führt außerdem noch an, dass "Political Correctness" nicht als Thema empfunden würde, das alle betreffe und deshalb nachrangig behandelt wird. "In der politischen Forschung gibt es dafür den Begriff der 'sunshine issue'", erklärt Hajek. "Das Thema funktioniert nur dann, wenn es allen gut geht."

Zusätzlich spielt sicher auch etwas hinein, das die Kommunikationswissenschaft den Hostile-Media-Effect nennt: Menschen, die starke Einstellungen zu bestimmten Themen haben, neigen dazu, diese in den Massenmedien unterrepräsentiert zu sehen. Und zwar unabhängig von der tatsächlichen Berichterstattung. Dieselbe Medienlandschaft kann gleichzeitig als zu links oder zu rechts gelten. Das ist nur eine Frage des Standpunkts.

Zumindest beim Thema Binnen-I und bei geschlechtersensibler Sprache—beides Themen, die in regelmäßigen Abständen Foren kochen lassen—tappt man in Österreich nicht ganz im Dunkeln. Das Linzer Meinungsforschungsinstitut Spectra hat das im Jahr 2014 untersucht. In der repräsentativen Studie gaben immerhin 30 Prozent an, vom Thema "geschlechtergerechte Sprache" mittlerweile genervt zu sein. Bildungsgrad und Alter hatte einen Einfluss darauf, das Geschlecht allerdings nur bedingt.

86 Prozent der Republikaner glauben, dass die "PC Culture" ein größeres Problem als Vorurteile sei.

Ingesamt muss man aber sagen, dass für den deutschsprachigen Raum ganz einfach die Daten fehlen. Mehr als ein halbwegs fundierte Vermutung ist da nicht möglich. Die USA sind da deutlich weiter. Dort tobt zum einen seit geraumer Zeit eine Debatte über den Begriff der "Mikroaggressionen" und zum anderen gibt es dort auch etwas, das im deutschsprachigen Raum fehlt: wissenschaftliche Untersuchungen zum Phänomen.

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Im Rahmen der GenForward-Studie wurden im Juni 2016 insgesamt 1750 junge Amerikaner zwischen 18 und 30 Jahren befragt. Auf die Frage nach dem gewünschten Ausmaß der Political Correctness sagten 41 Prozent, die Menschen sollten sensibler mit den Gefühlen ihrer Mitmenschen umgehen. 58 Prozent sagten hingegen, Menschen seien heute zu schnell beleidigt.

Die Antworten hatten einen großen Race-Gap: Während Schwarze und Latino-Jugendliche deutlich für mehr Sensibilität plädierten und es sich bei den asiatischen Amerikanern zumindest knapp die Waage hielt, waren knapp zwei Drittel der weißen Befragten der Meinung, Leute wären heutzutage zu empfindlich. Ein relativ logisches Ergebnis: Die theoretischen Überlegungen dahinter gehen ja gerade davon aus, dass sich durch die Begrifflichkeiten Machtstrukturen manifestieren, die Teilnehmer privilegierter Gruppen weniger betreffen. Political Correctness lässt sich einfacher kritisieren, wenn man einer dieser berühmten weißen, heterosexuellen Männer ist.

Im Juli diesen Jahres führte das Pew Research Center ebenfalls eine große, landesweite Umfrage mit Menschen aller Altersgruppen durch, die eine ähnlichen Frage aufwarf. 59 Prozent sagten, Menschen seien heutzutage zu schnell beleidigt. Nur 39 Prozent sprachen sich für eine höhere Sensibilität in der Sprache aus.

Der Race-Gap war ähnlich wie in der GenForward-Studie. Aber die Studie offenbarte zusätzlich einen extremen Bruch nach Wahlverhalten: Während 59 Prozent der Hillary-Unterstützer sprachliche Zurückhaltung befürworten, lehnten 83 Prozent der Trump-Wähler sie ab. Das ist happig—und wurde auch noch in einer Studie der Quinnipac University bestätigt. Darin stimmten 86 Prozent der Republikaner der Aussage "In Amerika ist die PC Culture ein größeres Problem als Vorurteile" zu, aber nur 16 Prozent der Demokraten. Ein Bruch wie aus dem Lehrbuch.

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Es scheint also etwas dran zu sein: Ein nicht mal kleiner Anteil der Bevölkerung lehnt die "PC Culture", was immer man (oder auch die Befragten, in Umfragen wurde das nichts weiter spezifiziert) sich darunter vorstellt, ab. Das überrascht vielleicht in seiner Ausprägung, aber nicht grundsätzlich. Es ist grundsätzlich nicht unplausibel, das in seinen Grundaussagen auf Europa und Österreich umzulegen. Eine wichtige Frage ist damit aber noch nicht beantwortet: Ist das auch ein Wahlmotiv? Und wenn ja, wie wichtig ist es?

Political-Correctness-Kritik muss als Teil einer größeren Elitenkritik gesehen werden.

Wenn man sich durch die Hochrechnungen wühlt, wird man maximal indirekt fündig. Fragen nach der Wichtigkeit von gesellschaftspolitischen Themen gibt es nicht, geschweige denn nach Political Correctness. Das heißt aber nicht, dass man nicht ein paar halbwegs sinnvolle Vermutungen anstellen kann.

Das wichtigste Merkmal, das bei der Kandidatenwahl den Ausschlag gab, war "kann Veränderung bringen". Das sagten immerhin 39 Prozent, von denen dann auch 83 Prozent Trump wählten. Man kann davon ausgehen, dass die Überschneidung mit den 48 Prozent, die sich vom nächsten Präsidenten eine konservativere Politik wünschen, und den 56 Prozent, die von einer Clinton-Präsidentschaft "besorgt" oder sogar "verängstigt" wären, recht hoch ist.

Das sind die Menschen, die Trump auch wählen, weil sie Clintons "liberale Agenda" tief ablehnen. Diese Menschen wollen auch nicht den "Change", den Obama 2008 versprach und letztlich nur bedingt einlösen konnte. 70 Prozent der Trump-Wähler geben an, dass sich Amerika seit den 1950ern verschlimmert habe. Diese Menschen wollen den Change, der die Zeit zurückdreht. Der Backlash gegen gendergerechte Sprache, die Forderung nach weniger "übertriebenen Feminismus" und ähnliches werden wahrscheinlich ein Teil davon sein.

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In Österreich war die Situation nicht grundsätzlich anders. Für Hofer- und Van-der-Bellen-Wähler war die Verhinderung des Gegenkandidaten das jeweils wichtigste Wahlmotiv. Irgendwo darin werden sich die Haltungen zur "PC culture" verstecken. Die Politikwissenschaft sagt grundsätzlich, dass Einstellungen zu gesellschaftspolitischen Themen heutzutage eine deutlich sichere Voraussage über das Wahlverhalten zulasse als beispielsweise Einstellungen zu ökonomischen Themen.

Aber sie sind vor allem auch ein Teil einer größeren Konfliktlinie. "Populismus ist vor allem Eliten-Kritik", sagt Karin Priester, Populismusforscherin an der Uni Münster. "Da lassen sich einzelne Aspekte wie die 'Political Correctness' nicht isolieren, sondern sind nur eine Facette." Ein Wegfall der "Political Correctness" würde also wahrscheinlich nicht ein Ende des Populismus bedeuten.

Es ist plausibel, dass ein Teil der FPÖ-Wähler die Partei auch deshalb wählt, weil sie Angst vor "Redeverboten" hat. Genau wissen tun wir es nicht. Ein hoch umkämpftes Politfeld und damit ein Mittel zur Mobilisierung ist es wohl mit hoher Wahrscheinlichkeit, sonst würde Strache es nicht bei fast jeder Rede bemühen. Man darf aber natürlich nicht vergessen, dass gesellschaftspolitische Themen auch für den politischen Gegenpart mobilisierend wirken. Auf die Frage, wer davon mehr profitiert, gibt es aktuell wohl viele Bauch- und relativ wenig Kopfantworten. Mehr Forschung ist notwendig.

Der Autor ist auf Twitter: @L4ndvogt


Titelbild: Flickr | Donkey Hotey | CC BY 2.0