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Wahlen 2015

Warum ein SVP-Politiker den Aargau mit IS-Propaganda vollkleistert

Der SVP-Fraktionspräsident im Aargau wollte eigentlich Wahlkampf betreiben. Stattdessen wirbt er für den IS.

Screenshot von Tele M1

Seit ein paar Wochen oder Monaten (respektive seit gefühlten Jahren) lächeln in der Schweiz wieder Politiker jeglicher Couleur von Plakaten. Im meist nichtssagenden Plakatwald finden sich hin und wieder aber auch Motive, die bewusst aus der Masse herausstechen. Die Juso versucht etwa über die Darstellung ihrer Ärsche und Penisse den Schnüffelstaat—und vor allem wohl sich selbst—in den Mittelpunkt zu rücken. In diesem Spiel möchte auch Andreas Glarner, der Fraktionspräsident der SVP Aargau, mitmischen. Nur liegt seine Stärke nicht bei nackter Haut, sondern bei Geschmacklosigkeiten, die in grafische Missgeschicke verpackt werden.

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Geht es nach seinen Wünschen, wird bald der ganze Aargau mit Plakaten zugekleistert, die auf die Scheusslichkeiten des Islamischen Staats anspielen. Auf einem dieser Plakate ist ein blutiges Messer neben dem Slogan „Kopf hoch statt Kopf ab!" zu sehen. Auf einem anderen der Schatten einer Person mit Maschinengewehr vor einer Mauer in den irakischen Staatsfarben—versehen mit dem Slogan „ … sie sind unter uns!". Beide Plakate ziert zusätzlich das islamische Glaubensbekenntnis im IS-Design und der warnende Claim „Nicht länger wegschauen!". Ob das

Irgendwie ist es auf eine seltsame Art ja ganz erfrischend, auch von der SVP mal wieder etwas Neues zu hören—auch wenn das Neue noch so schrecklich ist. Schliesslich laberte die Partei praktisch den ganzen Sommer über nur von ihrem herbeifantasierten „Asylchaos". Und auch Andreas Glarner war vor der Präsentation seiner eigenen Kampagne auf dieser Schiene unterwegs. Nicht nur sein Parteifreund Christoph Mörgeli postete etwa das eklige „Das Boot ist voll"-Foto, das ihm einige Stunden in der Facebook-Time-Out-Ecke bescherte—auch Glarner fand Gefallen daran, dank Anspielungen auf die ertrinkenden Flüchtlinge im Mittelmeer ins Gespräch zu kommen.

Dass Glarner nur zu gerne auf Kosten des Islams provoziert, zeigte er schon bei den letzten Wahlen vor fünf Jahren. Damals schaffte er es mit „Maria statt Scharia"-Plakaten ins öffentliche Gedächtnis (und zur Inspirationsquelle für die NPD). Weitere Slogans seiner Rechtsaussen-Traumfabrik damals waren: „Baden oder Bagdad" und „Aarau oder Ankara", versehen mit einer Frau in Burka respektive einem Minarett.

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Screenshot vonTele M1

Mit solchen Bullshit-Botschaften schafft es Glarner zwar zur Muse der NPD und der PI-News, sein fadenscheiniges Ziel, vor dem Islam zu warnen, verfehlt er aber alles andere als knapp. Das ist auch bei der jetzigen Kampagne so. Glarner schiesst sich—ganz auf dem Kurs der Grossen in der SVP—auf eine Mini-Minderheit ein und möchte sich über deren Köpfe profilieren. Das ist grundsätzlich schon scheisse.

Nehmen wir aber mal an, Glarners Forderung auf den Plakaten würde sich erfüllen und kein stolzer Eidgenosse würde mehr wegschauen vor der—faktisch kaum vorhandenen—islamistischen Bedrohung. Was würde passieren? Würden sich anstatt den Profis des Schweizer Nachrichtendienstes stolze Eidgenossen mit ihren Sturmgewehren um die potentiell gefährlichen Muslime kümmern? Würden sie jeden zweiten mit Vollbart als mögliche Gefahr exekutieren? Oder sollten die Eidgenossen statt zu den Waffen lieber zum Wahlzettel greifen und Glarner in den Nationalrat wählen? Würde er von dort aus den Islamischen Staat weiter mit seiner politischen Marktschreierei bekämpfen? Weiss Glarner überhaupt, wer Muslim ist und wer nicht? Und dass es im Islam unterschiedliche Strömungen gibt—oder gibt es in seiner Realität nur eine: den Terrorismus?

Trotz all diesem Bullshit in Glarners Kampagne, kommt sie für die SVP genau zum richtigen Zeitpunkt. Die „Asylchaos"-Strategie zeigte zwar ihre Wirkung und sorgte dafür, dass die Sonnenpartei im kürzlich veröffentlichten Wahlbarometer um ganze zwei Prozentpunkte zulegen konnte—jedoch lohnt es sich nicht mehr wirklich, dieses Thema in der Schweiz zu bewirtschaften. Nicht einmal mehr die Forderung, keine weiteren Flüchtlinge aufzunehmen und gleichzeitig die Grenzen der Schweiz mit Soldaten zu „sichern", hievte die SVP in die richtig grossen Schlagzeilen.

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Screenshot von Tele M1

Zu seiner Kampagne meint Andreas Glarner gegenüber dem lokalen TV-Sender Tele M1, dass er die Leute vor der drohenden Terrorgefahr warnen wolle. Man könne nicht weit genug gehen, um zu sagen: „Passt auf, bei uns kommt das auch!" Im inoffiziellen SVP-Parteiblatt Schweizerzeit schrieb Glarner deutlicher: „Der Islam erobert still und fast unbemerkt Europa […] In der Schweiz liesse sich dies vielleicht noch aufhalten—aber nur, wenn wir jetzt handeln." Was Glarner im Nebel seiner Islamophobie nicht sieht: Mit seiner Kampagne hilft er auch seinem angeblichen Feind, dem Islamischen Staat.

Der IS hat es innert kürzester Zeit geschafft, sich einen Platz in unseren Gehirnen zu sichern. Irgendwo zwischen Gedanken zum Dritten Reich und al-Qaida malt er dort Bilder von brutalen Enthauptungen, Verbrennungen und Steinigungen—und das ganz bewusst. Der IS plant diese Bilder bis ins letzte Detail. Das 16-minütige Video der Enthauptung der amerikanischen Geisel Peter Kassig etwa hat laut Experten satte 200.000 US-Dollar gekostet—das sind 208 US-Dollar pro Sekunde. Gedreht wurde es innerhalb einer Zeitspanne von vier bis sechs Stunden, wie die Experten bei einer Analyse der Lichtverhältnisse herausfanden.

Solche professionell inszenierten Hinrichtungen sind wichtig für den IS—mindestens so wichtig wie die Brutalität innerhalb des Islamischen Staates an sich. Denn diese Bilder verbreiten sich über die (sozialen) Medien rund um den Erdball und prägen so das Image des IS. So kann er zum einen sein Image als unmenschliche Brutalo-Organisation festigen und dadurch in unseren Köpfen ebendiese von Angst geprägten Bilder zeichnen. Und zum anderen Menschen erreichen, die—aus welchen Gründen auch immer—auf solche Blutorgien stehen, und mit dem IS sympathisieren.

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VICE-Journalist Medyan Dairieh war der erste Medienschaffende mit Zugang zum IS:


Andreas Glarner präsentiert auf seinen Plakaten zwar keine Hinrichtungen, seine Message zielt aber in die gleiche Richtung: Die Islamisten sind böse und gefährlich—und sie könnten jederzeit auch in der Schweiz zuschlagen. Oder in anderen Worten: Er schürt Ängste vor Islamisten. Glarner zeichnet dadurch im in der Schweiz legalen Rahmen genau jenes Bild des IS, das dieser gerne von sich sieht.

Laut eigener Aussage macht Glarner das, weil er uns davor warnen möchte, dass solche Horror-Szenen—wie wir sie aus der Tagesschau und von den IS-Videos auf Facebook und Twitter kennen—auch bei uns jederzeit Realität werden könnten. Doch im Grunde verbindet ihn mehr mit dem IS, als er sich wünscht: Sie sind beide mit Bullshit verdammt laut. Der IS muss dafür Menschen quälen und töten, Andreas Glarner nur mit ein paar absurden Text-Bild-Kombinationen die Bilder dieser Toten in unseren Köpfen wecken.

Sebastian auf Twitter: @nitesabes

VICE Schweiz auf Twitter: @ViceSwitzerland