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Warum Moses glückselig in seine Badewanne furzt

Da soll noch mal einer sagen, die Kunst der alten Renaissance-Meister sei lebensfern. Dank dem kanadischen Grafiker James werden Jesus und Moses zu Mutanten, Evel Knievel und dem A-Team.

James hat mir versichert, dass er weder kifft, noch sonstige Drogen zu sich nimmt. Er meint, es würde ihn paranoid machen, deswegen hätte er schon vor langer Zeit damit aufgehört. Ich möchte gar nicht wissen, was er damals für Visionen gehabt hat. Aber er wird wohl von Höllenhunden aus den abstrusesten Darstellungen der Apokalypse Hieronymus Boschs verfolgt worden sein.

Die Hemmschwelle fürs Groteske scheint für ihn dennoch etwas höher zu liegen, wenn man seine Ideen betrachtet, die er auf seinem Tumblr Scorpion Dagger in animierte GIFs packt.

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Er hat sich dazu entschieden, viele GIFs posten—am besten jeden Tag eins—, von denen man eines Tages vielleicht sagen wird, sie hätten die Zukunft der narrativen Bild- und Kunstgeschichte eingeleitet, erzählt uns der Künstler aus Montreal am Telefon. Jeder braucht wohl ein Ventil, um seiner ausufernden Fantasie freien Lauf zu lassen.

Zweifelsohne schafft er es damit, dass wir uns die Bilder der alten Meister der Renaissance Lukas Cranach d.Ä. oder Hans Memling noch einmal unter einem neuen Licht ansehen. Unverkennbar hatten diese Meister schon ein ausgeprägtes Gespür für das Überzeichnete und Hässliche, aber plötzlich taucht da neben Martin Luther das Pizzamonster auf, Jesus spielt mit seinen Jüngern auch mal gerne eine Runde Monopoly und Captain Picard rettet den heiligen Hirschen vor der Erschießung durch einen unbekleideten Heiligen, indem er sich vor den Pfeil beamt.

James gehört damit eindeutig zur Approbation Art, denn er nimmt Kunstwerke anderer Künstler und überarbeitet, überschreibt und imitiert sie, schreibt sie um, assimiliert, fälscht und manipuliert sie. Alles Techniken, die wir schon seit jeher aus der Kunstgeschichte kennen. Aber er animiert sie auch. Manchmal sieht das so aus wie eine endlos fortlaufende Szene aus Terry Gilliams Ritter der Kokosnuß—ein Vergleich, der James aber eigentlich überrascht und den er keinesfalls beabsichtigte.

James spart nicht an Ironie. Er spielt mit dem Paradoxen und mit dem eigentlich Unvereinbaren. Plötzlich sieht man die Figuren der Heiligen Geschichte als Menschen wie du und ich oder als Stars aus TV-Sendungen. Ein bisschen Ekel und Fremdscham dazu, und fertig wäre ein weiteres Nonsense-Meme.

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Eine sozialkritische bis politische Seite schlummert in diesen auf den ersten Blick als Spaßbildchen abzutuenden Kompositionen. Wir Betrachter sind dazu angehalten, die Einzelteile dieses Puzzles aus kulturkritischen Referenzen zusammenzusetzen. Nicht sicher, ob das im Gesamtbild aber letztlich Sinn macht.

Wenn ein Märtyrer brennt und von einem Hund dabei auch noch ins Bein gebissen wird, während klatschende Gaffer herumstehen und ein Patrizier mit seinem iPhone alles dokumentiert, so unterscheidet sich das gar nicht so sehr von der apathischen Sensationsgier, die wir jeden Tag sehen und von der wir lesen—oder es besser sein lassen sollten. Ist nur ein bisschen angenehmer als beispielsweise die Vorstellung eines Mannes, der beim Onanieren in seinem am Waldrand geparkten Auto einen Herzinfarkt bekommen hat oder abstoßende Fotos von herumfliegenden Körperteilen nach einem Bostonmarathon.

Dieses Interesse kommt nicht von ungefähr, denn bevor James sich entschieden hat, sein Leben der Kunst im digitalen Zeitalter hinzugeben, hat er in Montreal Politik und Geschichte studiert. Angefangen hat alles mit einem Tumblr, bis er bemerkt hat, dass sich die Stars der Renaissance-Kunst bestens eignen, um die Ängste und Freuden unserer Zeit zu zeigen.

Außerdem hat James mir gleich zu Anfang gesagt, dass Pizza sein Lieblingsessen ist und er davon nie genug kriegt. Von seinem Hauptnahrungsmittel wimmelt es nur so in seinen GIFs (seine Mutter liebt auch Pizza, deswegen hat er das GIF mit dem Pizzagesicht auch ihr gewidmet).

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Am Anfang war also der Teig—um sein „täglich Brot“ entwickelt sich da eine ganze Heilsgeschichte. Die Idee einer fortlaufenden Narration mit immer wieder auftauchenden Charakteren gefällt James besonders gut und ist mit diesen Bewegbilderreihen natürlich besonders anschaulich zu erzählen.

Wenn man einmal all diese Figuren entsprechend ihrer Zeit kontextualisiert, dann sieht man eine Welt, die eigentlich gar nicht so verschieden von unser heutigen war. Eine demokratisierende Vermenschlichung all dieser in stillen Museen vor sich hin hängenden Bibel- und Geschichtsprominenz ist ein wertvoller Verdienst dieses Blogs.

Die Anbetung der drei Könige Cranachs ist ein typisches Beispiel für die pietätvolle Atmosphäre, die Bilder aus der Renaissance innehaben. Auch heute noch scheinen sie sich bestens für die Repräsentation unserer Ersatzreligion des Konsums zu eigenen.

Pizzajesus wurde selbstverständlich in einer Pizzaschachtel zur Welt gebracht und uns wurde die Erlösung zuteil—ähnlich wie bei uns, wenn der Pizzabote, demnach die Reinkarnation Marias, nach stundenlangem Warten in Hunger und Bauchkrämpfen endlich an der Haustür klingelt.

Die reinste Epiphanie des Alltäglichen. Heutzutage sucht sich ja auch jeder einfach irgendetwas aus, das er anbetet—Tacos, Shopping oder halt die Schalmei-Virtuosen der soeben entdeckten Mittelalter-Folk-Band Elutallica mit ihrer feuerspeienden Bühnenshow. James meinte, für ihn ist es halt die Pizza, die er anbetet, weil sie ihm so gut schmeckt.

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Dabei möchte er aber betont nicht anti-religiös rüberkommen, äußerst skeptisch steht er dem Glauben in all seinen Erscheinungsformen aber schon gegenüber.

Andy Warhol verläuft sich irgendwie auch immer wieder ins falsche Zeitalter und schaut gerne mal mit dem hellauf begeisterten Johannes dem Täufer ein Shakespeare-Ballett, auch der Liebling aller Popstars, die Performancekünstlerin Marina Abramoviç ist präsent. Letztere diesmal als Transsexuelle verkleidet (obwohl eigentlich niemals klar war, welches Geschlecht sie wirklich ist), sehr herausfordernd, das war bestimmt sehr hart für sie. Gerne könnt ihr euch jetzt interpretatorische Fragen dazu stellen, die ich euch aber trotz meines Kunstgeschichtsstudiums bestimmt nicht schlüssig genug beantworten kann.

Ob das Bild Marias, die sich ein Bier reinschüttet, weil sie von ihren feierwütigen Trinkschwestern dazu angehalten wurde, eine Maß zu exen, ein Hinweis darauf sein soll, dass unsere Erlösung tatsächlich im Bier liegt, sei einmal als Denkanstoß dahingestellt.

Letztendlich kann man sich ein Lächeln kaum verkneifen, wenn ein gutbetuchter Jüngling mit voller Konzentration das Level auf dem Gameboy zockt, bei dem Johannes mal wieder den Laserstrahlen des grässlichen Gegners ausweichen muss, um ihm sogleich auch ein paar Herzen in den Bauch zu werfen. Und wer könnte dieser Endgegnner sein außer, klar, der Teufel höchstpersönlich.

In kaum einem Produkt der Bildgeschichte wurde die Sisyphus'sche Absurdität unserer Existenz auf Erden besser beschrieben als in diesen sich ständig wiederholenden GIFs, zum Beispiel von unserer Freundin Venus, die immer wieder von einer an ihren Rücken klatschenden Welle erwischt wird.

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Es macht aber auch einfach Spaß zu sehen, wie der gute alte Moses in seine Badewanne furzt. Übrigens laut James das Lieblings-GIF seiner Mutter.

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