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Wie 'Österreich' Terroristen die Arbeit abnimmt

Terroristen müssen nicht mehr zuschlagen, um Angst zu schüren. Dafür gibt es Medien wie 'Österreich'.

Screenshot der -Startseite

Oe24

2016 ist ein Jahr, in dem wir nur wenig durchschnaufen konnten. Die Welt befindet sich in ständiger Alarmbereitschaft, Menschen sind ängstlicher und fliegen weniger. Vor einigen Wochen war es nicht mehr leicht, den Überblick zu wahren. Nizza, Ansbach, München, Reutlingen, Florida—wer hat wo noch mal was genau wo genau getan?

War es Terror, war es Amok, war es ein Attentat? War es ein einzelner Verrückter, war es ein Kämpfer der Terrormiliz IS? Sind IS-Kämpfer einzelne Verrückte? Hatte die Miliz ihre Finger von Anfang an in der Planung oder sich nur danach "dazu bekannt"? Es war völlig verständlich, dass Menschen sagten, sie würden die Nachrichten weniger verfolgen. Bei zu vielen Horrormeldungen muss man irgendwann auch schauen, wie man selbst damit umgehen lernt.

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In den Redaktionen hat all das nicht nur zu viel Stress und Überforderung geführt, sondern auch zu hohen Zugriffszahlen. Das scheint man bei Österreich und dem dazugehörigem Online-Portal Oe24 zu vermissen. Dort warnt man gerne einmal vor nichtexistenten Gefahren. Einem Meteoriten, der die Erde zerstören soll, zum Beispiel. Man warnt auch mal vor einem Zombie-Virus, Todes-Orkanen oder Feuerstürmen. Oder Aliens, die Russland bedrohen sollen. Und nein, das ist kein Scherz. Wir haben einige dieser Artikel einmal gesammelt. Was bringt das der Zeitung? Zugriffe. Das ist an sich nicht verwerflich—man muss sich aber fragen, mit welchen Mitteln man diese erzielt.

Donnerstagvormittag teilte das österreichische Innenministerium mit, in den Morgenstunden habe es schriftliche Terrordrohungen gegen Polizeieinrichtungen in mehreren Bundesländern gegeben. "Die österreichischen Sicherheitsbehörden sehen aktuell keinen Anlass für Panikmache, jedenfalls aber Grund zur Vorsicht", hieß es weiter. Ob es taktisch klug von Seiten des Innenministeriums war, diese Aussendung überhaupt zu machen, ist eine andere Frage. Aber ungeschickte oder unvorsichtige Äußerungen sind nichts, was Medien fremd ist. Die eigentliche Aufgabe der Medien ist nach einer Meldung wie dieser, verantwortungsvoll zu überlegen, wie mit solchen Information umgegangen wird.

Wird darüber berichtet? Und wenn ja, wie? Oe24 hat sich nicht für Verantwortung, sondern für Klicks entschieden. Groß wurde auf Facebook davor gewarnt, der Terror sei nun auch in Österreich angekommen.

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Vier Stunden nach dem ersten Posting wurde der Text ein wenig geändert.

In einem Video auf der Website sagt eine Frauenstimme: "Was viele befürchtet haben, ist nun eingetreten: Es gibt Terroralarm für ganz Österreich." Das ist nicht nur unverantwortlich, sondern auch faktisch falsch: In der Mitteilung des Innenministeriums hieß es, Polizeistellen in Wien, Niederösterreich und der Steiermark seien betroffen.

In mehreren Artikeln und Facebook-Postings wurde Angst geschürt. Die Redaktion selbst gab auf Facebook sogar an, Angst zu haben.

Man entschied sich, einen Live-Ticker einzurichten. Nichts passierte, Informationen fand man trotzdem. Unter der Überschrift "Aufregung am Hauptbahnhof" zum Beispiel. Dazu heißt es auf Oe24: "Aufregung gab es laut ÖBB-Sprecher Christopher Seif allerdings kurz vor Mittag im Untergeschoß des Bahnhofs, weil bei einem Gastronomiebetrieb der Brandmelder Alarm schlug. … Mit den Terrordrohungen hatte das aber nichts zu tun." In einem weiteren Video berichtet Oe24: "Auch am Wiener Hauptbahnhof herrschte heute große Aufregung, der sogar evakuiert wurde." Dass die Evakuierung aus einem ganz anderen Grund passierte, verschweigt man. Bei den ÖBB bestätigt man, dass es keine Evakuierung aufgrund von Terrordrohungen gegeben habe.

Die Terroristen wollen, dass wir uns fürchten; sie wollen, dass wir uns unsicher fühlen in Europa. Sie schüren zunehmende Feindseligkeit gegenüber Muslimen, schaffen Gräben zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen und bewirken so, dass sich viele Muslime in Europa nicht mehr willkommen fühlen, keine Zukunft sehen, und in weiterer Folge anfälliger für die utopischen Versprechen der Terrormiliz sind—so wie umgekehrt Nicht-Muslime anfälliger für die utopischen Versprechen rechtspopulistischer Parteien werden sollen. Terror ist, wie der Comedian Jim Jeffries in seinem neuesten Netflix-Programm sagt, ein Rekrutierungswerk der IS-Miliz. Auf beiden Seiten werden Angst und Vorurteile geschürt; und die Extreme gewinnen.

"In den USA ist es in den meisten Jahren wahrscheinlicher, von einem Kleinkind erschossen zu werden, als durch einen Terroristen", erklärte der Risikoforscher Gerd Gigerenzer unlängst in der Zeit. "Terroristen schlagen zweimal zu. Zuerst mit physischer Gewalt und dann mithilfe unserer Gehirne, unserer Angst. Ihr eigentliches Ziel ist es, eine Gesellschaft zu destabilisieren." Doch mit einer unverantwortlichen Berichterstattung wie der rund um die "Terrorwarnung für Österreich", nimmt Wolfgang Fellners Blatt den Terroristen einen Arbeitsschritt ab. Terroristen müssen nicht mehr zuschlagen. Sie brauchen keine physische Gewalt, um Angst zu schüren. Das schaffen wir ganz alleine.

Hanna auf Twitter: @HHumorlos.