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In diesem Alter lernte ich auch, weniger Platz einzunehmen, stiller zu sein und komplett unbemerkt zu agieren, so als ob ich gar nicht da wäre. Ich erkannte, dass meine Präsenz für meine Mutter nur eine Last war. Eine lästige Pflicht. Einige meiner Mitschüler fingen an, mich als "Geist" zu bezeichnen—und zwar nicht nur wegen meiner Blässe, sondern auch, weil ich so unscheinbar auftrat. Letzte Woche hat meine Mitbewohnerin Folgendes zu mir gesagt: "Wenn du dich immer so leise durch die Wohnung bewegst, dann vergesse ich manchmal, dass du überhaupt da bist." Manche Gewohnheiten legt man wohl nie ab.Krankheiten und Tod sind Dinge, die Menschen und Familien verändern. Sie zwingen uns dazu, unser Innerstes nach und nach offenzulegen und die Dinge zu enthüllen, die uns zusammenschweißen. Gleichzeitig wird unter solchen Umständen aber auch klar, dass wir auseinanderbrechen können.Genau das ist im Laufe der darauffolgenden Jahre eingetreten: Meine Familie brach auseinander. Meine Mutter vergaß für kurze Zeit, wie man spricht und schreibt. Meine älteren Geschwister rutschen immer weiter in die Sucht ab. Mein Vater war aufgrund seiner verschiedenen Behandlungen und Untersuchungen mehr im Krankenhaus als zu Hause. Und ich steckte inmitten dieses Chaos fest.Meine älteren Geschwister rutschen immer weiter in die Sucht ab.
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Die Mitleidsausflüge ins Einkaufszentrum und zu TGI Friday's, während sich mein Vater einer Knochenmarktransplantation unterzog, machten mir Spaß. Geld auszugeben, ist immer eine gute Ablenkung—vor allem dann, wenn man darauf wartet, dass jemand stirbt. Als ich 14 war, nahm mich meine ältere Schwester auch immer öfter mit in ihre Lieblings-Bikerbar.Sie wollte nicht, dass ich einsam bin. Inmitten der Shots und Bier trinkenden Gäste lernte ich etwas über das wahre Leben außerhalb der Schule und der Krebsstation, wo ich mir immer unsichtbar vorkam. In den Reihen der Arbeiter, Motorradfahrer, Außenseiter und stadtbekannten Alkoholiker hatte jeder eine persönliche Geschichte zu erzählen. Unter ihnen war ich nicht nur eine bemitleidenswerte Jugendliche. Nein, ich war jemand mit eigenen Narben und damit hatte ich mir meinen Platz neben ihnen verdient.Inzwischen bin ich 31 und habe die Hälfte meines Lebens ohne Vater verbracht. Wenn meine Freunde freudig von ihrer Kindheit erzählen, die von Familienurlauben und außerschulischen Aktivitäten geprägt war, dann kann ich mich nur schwer hineinversetzen. Ich weiß nicht, wie eine typische Kindheit aussieht. Ich weiß nicht, wie es ist, einen normalen Vater oder einen richtigen Familienzusammenhalt zu haben. Und ich weiß nicht, wie es ist, als Erwachsener den eigenen Vater anzurufen und um Rat zu fragen, so wie es viele meiner Freunde oft tun.Ja, das alles ist scheiße, aber ich bin dennoch nicht der Meinung, dass ich deswegen unglaublich viel Mitleid verdient habe. Ich sehe das Ganze eher mit einer "So ist das Leben, Shit happens!"-Attitüde.Es ist nicht leicht, ein Leben zu vermissen, das man nie gelebt hat. Noch schwerer ist meiner Meinung nach nur, eine Familie zu vermissen, die es nie gab.Es gab jedoch auch schöne Momente.