Wie eine junge Seconda mit Swissness gegen Ausbeutung kämpft

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Schweiz

Wie eine junge Seconda mit Swissness gegen Ausbeutung kämpft

Schweizer Bergkristalle waren durch die Globalisierung schon bedeutungslos geworden. Dann kam Jelena Brkic.

Alle Fotos zur Verfügung gestellt von Jelena Brkic

Meinen ersten und einzigen Schweizer Bergkristall kaufte ich mir, als ich die Schweiz das erste Mal für länger verliess. Es war ein milchiger Stein so gross wie ein Zweifränkler, den ich meiner Gastmutter zu Beginn meines Sprachaufenthalts in San Diego überreichte. Für mein 17-jähriges Ich war der Stein das ultimative Symbol für die Schweiz: kalt und schön zugleich.

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Bis ich Jelena Brkic vor ein paar Wochen traf, hatte ich allerdings keine Ahnung, dass ich da ein bedrohtes Stück Schweiz verschenkt hatte. Jelena hat sich der Aufgabe verschrieben mit ihrem Schmucklabel Elvetia den Handel und das Kunsthandwerk mit einheimischen Bergkristallen wiederzubeleben. Es ist eine Branche, die durch die Globalisierung fast komplett zusammenbrach, da Kristalle und ihre Verarbeitung im Ausland viel billiger zu haben sind.

Um mehr über Jelenas Plan zu erfahren, treffe ich die 31-Jährige in einem kleinen Zürcher Laden am Ufer der Limmat, wo auch ihre Halsketten und Ringe verkauft werden. Ein kurliger Ort. In den wandhohen Vitrinen funkeln Quarzlandschaften, Totenköpfe und durchsichtige Kristalldildos. Kurzum alles Erdenkliche und Unerdenkliche, was sich aus Stein schleifen lässt.

In den Vitrinen der Kristall-Höhle glänzen neben Jelenas Schmuck auch Kristallstrahlen

Jelena begrüsst mich an der Ladenschwelle zur Kristall-Höhle, ihre Stimme kratzt und springt, ihre Locken trägt sie wie immer ungekämmt. Sie sprudelt gleich los. Erzählt, wie sie Mitte 20 neben ihrer Arbeit als Marketingmanagerin begann, ihren eigenen Kristallschmuck herzustellen, dann aber irgendwann ins Grübeln kam: "Ich habe mit Entsetzen festgestellt, dass die Mineralien, die ich für meinen Schmuck verwendet habe, keine saubere Sache sind. Sie werden wie Diamanten und Gold in Minen abgebaut. Die Bedingungen für die Arbeiter dort sind miserabel. Da konnte ich nicht mehr dahinter stehen."

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Damit sie sicher sein kann, dass ihre Produkte weder Menschen noch der Natur schaden, reift in Jelena die Idee, ein Schmucklabel zu gründen, das nur mit Schweizer Kristallen und Handwerk auskommt. Auf viel Gegenliebe trifft das zuerst nicht: "In der Ausbildung zur Betriebswirtschafterin bekam ich immer zu hören, dass es sich nicht lohne, eine rein schweizerische Wertschöpfungskette zu haben." Sie fährt fort: "Für einen Made in Switzerland-Stempel reicht es leider oft, wenn nur 60 Prozent der Herstellungskosten in der Schweiz anfallen. Ich will mit meinem Label beweisen, dass Made in Switzerland ohne Abstriche möglich ist."

Geboren und aufgewachsen ist Jelena in Zürich. Ihre Mutter ist Mazedonierin, ihr Vater Kroate. Für sie hat die Bewahrung eines Stücks Schweizer Kultur eine tiefere Bedeutung: "Ich habe lange gebraucht um herauszufinden, wo meine Heimat ist. Ich fühle mich in der Schweiz zu Hause und verstanden. Was mir hier jedoch sehr fehlte, war ein Zugang zu Schweizer Traditionen. Die wurden mir weder beigebracht, noch konnte ich sie seitens meiner Familie richtig leben." Dank ihrer Arbeit mit den Kristallen habe sich das endlich geändert.

Das Bling-Bling aus den Bergen zieht Schaufenster-Shopper in seinen Bann

An Schweizer Kristalle heranzukommen, gestaltet sich zuerst schwieriger als erwartet. In der Schweiz existieren nur noch eine Handvoll professioneller Kristallsucher. Zum einen gibt es immer weniger Käufer, zum anderen ist der Beruf des Strahlers einsam und gefährlich. Denn Kristalle kann man nicht einfach wie Blumen vom Boden pflücken. Die Jahrmillionen alten Quarze müssen mit Spezialwerkzeug und unter strengen Vorschriften aus dem Berg gegraben werden. Im Wallis verstarben zuletzt 2015 zwei Schatzsucher. Der eine stürzte den Berg hinunter, der andere wurde von einem fallenden Felsen in einer Grotte erschlagen.

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Die Menschen, auf die Jelena bei ihrer Suche nach Geschäftspartnern in den Mineralienverbänden trifft, glauben kaum daran, dass der inländische Handel mit Bergkristallen und Mineralien noch einmal aufblühen kann. Die älteren Mineraliensucher haben den Niedergang der Bergkristallbranche miterlebt und denken mit Wehmut an die Geschichten ihrer Grosseltern, die davon erzählen, wie europäische Könige ihre Schlösser noch mit Kronleuchtern aus alpinem Kristall ausstatteten.

In den 90er-Jahren wurde es für die Hobbystrahler immer schwieriger, selbst gefundene Kristalle zu verkaufen. Massenware aus Brasilien und später auch aus China, überschwemmte den Markt. Viele verloren ihre Hoffnung, als das Schweizer Heimatwerk seine Mineralienabteilung schloss und so kaum mehr jemandem Kristalle abkaufte. Zudem sind die älteren Kristallliebhaber Jelena gegenüber misstrauisch: "Die dachten sich: 'Was will uns diese junge Frau ohne Schweizer Wurzeln über unsere Tradition erzählen?'", sagt Jelena. Entmutigen liess sie sich von diesen Erfahrungen nie. Im Gegenteil: "Wenn etwas für andere unmöglich ist, ist es für mich umso interessanter", erklärt sie mir.

Jelena braucht zwei Jahre bis sie den Mann findet, der ihr Projekt vorantreibt: Vladimir Pusec ist der Inhaber der Kristallhöhle. Der Mineraloge und Berufsstrahler ist gewillt, Jelena mit anderen Strahlern zu vernetzen und auch selber in den Alpen nach Kristallen für ihren Schmuck zu suchen. Im Sommer besuchte ihn Jelena mehrere Male auf seinen Strahlertouren auf dem Piz Beverin in Graubünden und dem Piz Giuv in den Glarner Alpen.

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Den Moment, als sie zum ersten Mal selber einen Kristall aus einer Kluft zog, wird sie nie mehr vergessen: "Meine Hände bluteten. Ich war so aufgeregt und glücklich, dass ich mit meinen Fingern in der Kristallkluft gegraben hatte." Magisch sei es gewesen: "Dank dir kommt ein Jahrmillionen alter Schatz das erste Mal ans Tageslicht. Du wäschst einen unscheinbaren Stein in einem Bach, und irgendwann fängt der Kristall an zu glitzern."

Schweizer Handarbeit: Eine Ringfassung aus Jelenas Kollektion wird in Form gebracht

Neben Vladimir und anderen einheimischen Strahlern arbeitet Jelena mittlerweile auch noch mit einem Goldschmied und zwei Kristallschleifern zusammen. "Das sind wichtige Schritte auf meinem Weg, dem Schweizer Kunsthandwerk und dem Strahlerberuf eine Zukunftsperspektive zu geben", sagt sie. Eine eigene Werkstatt für ihr Label ist in Planung.

Um das Verständnis für die Welt und Geschichte der Kristalle in der Schweiz zu fördern, hat Jelena bereits mit der Stiftung Sasso San Gottardo ein Crowdfunding lanciert. Am Gotthard soll eine "Kristall-Wunderkammer" eröffnen, ein Museum, wo wichtige Mineralienfunde aus der Region wie die 1,5 Tonnen schweren Riesenkristalle vom Planggenstock ausgestellt werden und die Geschichte der Strahler und  der Schweizer Handarbeit beleuchtet wird.

Die Bergung des Riesenkristalls vom Urner Planggenstock im Jahr 2008

Bis es soweit ist, hat die Unternehmerin noch einiges vor. In wenigen Wochen wird sie Mutter. "Das wird mich nicht von der Verwirklichung meiner Träume abhalten", sagt sie lachend. Sie kann es kaum erwarten, bis sie nächsten Sommer wieder auf Schatzsuche gehen kann. Ich sehe sie schon vor mir, wie sie mit dem Strahlstock in der Hand und dem Baby auf dem Rücken den nächsten Berg hochkraxelt.

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