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Wie viel "Nazi-Dichter" steckt in Ottokar Kernstock?

Kitschige Klischees, rückwärtsgewandtes Denken und völkische Hetze: So bereitete der Dichter dem Nationalsozialismus den Weg.
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Deutsch sein und zusammenhalten!
Alles andere wird Gott walten.
Ottokar Kernstock

Am Nationalfeiertag machte FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache den "steirischen Heimatdichter" und Priester Ottokar Kernstock zum Thema. Auf Straches Facebook-Seite wurde die Kernstock-Hymne, die ab 1929 die Hymne der Ersten Republik war, gepostet. Ziemlich gleich darauf reagierten die ersten entsetzt mit Wikipedia-Links und Liedtext-Screenshots zu Kernstock. War das nicht dieser "Nazi-Dichter"?

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Laut Strache kann er das gar nicht sein. Ottokar Kernstock starb 1928. Der Nationalsozialismus kam in Deutschland 1933, in Österreich 1938 an die Macht. Kernstock war auch nie Mitglied der NSDAP. Ihn gegen den Nazi-Vorwurf zu verteidigen ist daher eine leichte Übung und vielleicht auch eine bewusste Entscheidung.

Wer Kernstock gegen den Angriff "Nazi-Dichter" verteidigen will, will über Parteimitgliedschaft und Beteiligung am NS-Regime diskutieren. In diesen Punkten ist Kernstock auf jeden Fall ziemlich einfach "freizusprechen". Worüber bisher aber eher nicht gesprochen wird ist, was hinter dem Vorwurf steht. Eine differenzierte Diskussion von Kernstocks Person und Werk findet im Buch Die wehrhaft Nachtigall von Charlotte Grollegg-Edler statt.

Zu Kernstocks Beziehung zum Nationalsozialismus gibt es nur eine kurze Episode gegen Ende seines Lebens, als er ein Gedicht für die Fürstenfelder Ortsgruppe der Deutschen Nationalsozialistischen Arbeiterpartei (DNSAP) verfasste—das "Hakenkreuzlied". Davon distanzierte er sich bald insofern, als er sich dagegen verwehrte, dass die NSDAP das Gedicht an anderer Stelle im Wahlkampf verwendete.

Daraus allein lassen sich aber keine ernstzunehmenden Schlüsse in die eine oder andere Richtung ziehen. Kernstock verurteilte nicht die politische Weltanschauung, sondern distanziert sich, auf Nachfrage, von politischen Gegnern seines christlich-sozialen Umfelds.

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Er betonte, kein "Hakenkreuzler" zu sein und erklärte, dass er ein Gedicht geschrieben habe "das den idealen Zielen galt, die ursprünglich den Hakenkreuzlern vorschwebten und mit denen sich jeder brave Deutsche einverstanden erklären musste".

Als Kernstock das Hakenkreuzlied 1923 schrieb, traten die Nazis freilich schon offen rassistisch, antisemitisch, antidemokratisch und kriegsverherrlichend auf. Was Kernstock zum NS-Regime gesagt hätte, muss aber Spekulation bleiben.

Doch was Kernstock problematisch macht, ist gar nicht seine Beziehung zum Nationalsozialismus. Das Problem ist eher, was er mit dem Nationalsozialismus gemeinsam hat: Aggressiver Deutschnationalismus, Rassismus und Kriegstreiberei. Neben der zeitlichen Nähe sind das die Gründe, warum Kernstock mit dem Nationalsozialismus assoziiert wird.

Hitlers Bart

Gegen Vergleiche mit dem Nationalsozialismus gibt es oft Trivialbeispiele als Einwand. Du hast einen Bart, Hitler hatte einen Bart, also bist du Hitler. Offensichtlich absurd. Rein formale und triviale Parallelen—wie "Hitler war 1,75 groß, du bist 1,75 groß" oder/und triviale generelle Dinge, die auf viele oder alle Menschen zutreffen—, sind natürlich kein Argument, um jemanden als Nazi zu verdammen.

Die Parallelen zwischen Kernstocks Werk und der Ideologie und Politik des Nationalsozialismus sind aber nicht formal, sondern inhaltlich, und sie sind nicht trivial, sondern brutal. Ottokar Kernstock dichtete, vertrat und verbreitete Rassismus und aggressiven Deutschnationalismus.

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Das wird bereits in seinen frühen Werken deutlich, kann also nicht als Reaktion auf den Zusammenbruch der Monarchie und die Sorge um die Überlebensfähigkeit des neuen Österreichs gedeutet werden. Der Einwand, dass großdeutsches Denken zu Kernstocks Zeit weit verbreitet war, stimmt.

Ein rassistischer Nationalismus wird nicht weniger gefährlich, weil er zu einer bestimmten Zeit von mehr als einer Person vertreten wurde.

Das ist eine Beschreibung und vielleicht sogar eine Erklärung, aber keine Verteidigung und schon gar keine Entschuldigung. Ein rassistischer und expansionistischer, also kriegstreibender, Nationalismus wird nicht weniger unmoralisch und gefährlich, weil er zu einer bestimmten Zeit von mehr als einer Person vertreten wurde.

Die einzig mögliche Rechtfertigung wäre es, zu beweisen, dass Kernstock so denken musste, dass es unter den Umständen seiner Zeit tatsächlich unmöglich war, anders zu denken. Das ist offensichtlich nicht der Fall.

Sowohl aus der Monarchie als auch aus der Ersten Republik sind Andersdenkende bekannt. Selbst während des Weltkriegs, als chauvinistische Propaganda allgegenwärtig war, entlarvte Karl Kraus in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Die Fackel Kernstock.

Kernstocks Kriegslust

Der Kernstock, den Kraus angreift, ist nicht nur der überzeugte Deutschnationale mit besonders ausgeprägtem Hass auf "Slawen". Es ist Kernstock, der blutrünstige Kriegstreiber. Seine Kriegsgedichte sind sprachlich roh und zwischen nationalistischer Kriegsbegeisterung und Aufruf zum Völkermord angesiedelt, wie zum Beispiel hier:

Steirische Holzer holzt mir gut
mit Büchsenkolben die Serbenbrut!
Steirische Jäger trefft mir glatt
Den russischen Zottelbären aufs Blatt!
Steirische Winzer presst mir fein
Aus Welschlandfrüchten blutroten Wein!

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aus dem 1916 mit Peter Rosegger verfassten Gedichtband "Steirischer Waffensegen"

Der "steirische Heimatdichter" Kernstock entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als eine Fiktion, als unvollständige Erzählung einer Biografie voller Rassenhass und völkischem Kriegstreiben.

Warum sind dann noch immer rund 50 Straßen und Plätze in sieben Bundesländern nach Kernstock benannt. An Kernstocks literarischer Qualität kann es nicht liegen, findet der Germanist Uwe Baur: "Ästhetisch gesehen ist das alles Klischee", sagt er.

Baur ist Universitätsprofessor im Ruhestand und Mitarbeiter der Forschungsstelle Österreichische Literatur im Nationalsozialismus an der Uni Graz. Er zeigt Verständnis für AnrainerInnen, die ihre Straße wegen des Aufwands nicht umbenennen wollen—aber dann müsse man zumindest gut über Kernstock aufklären.

Baur wird immer wieder als Experte eingeladen, wenn irgendeine Ehrung von Kernstock zur Diskussion steht. Etwa bei der Diskussion um die am Ende umbenannte "Kernstock-Kapelle" in Pöllau. Die Ehrungen Kernstocks stammen aus einer Zeit, in der ihm eine gewisse Bedeutung zugemessen wurde, die er für "konservative Deutschnationale bis in den Ständestaat hatte", so Baur.

Kernstock war "rückwärtsgewandt, konnte mit Demokratie und Moderne überhaupt nichts anfangen". Heute hat Kernstock keine literarische Bedeutung mehr, führt Baur aus: "In der Nazizeit ist Kernstock auch gefeiert worden, aber nach 1945 hat er de facto keine Bedeutung mehr, außer im Rechtsaußen-Lager."

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Mein Fazit

Was von Kernstock bleibt, sind kitschige Klischees, rückwärtsgewandtes Denken und völkische Hetze. Kernstock vertrat vieles von dem, was der Nationalsozialismus vertrat—und das bereits Jahre, bevor sich die NSDAP formierte und an die Macht gelassen wurde.

Kernstock war eine öffentliche Figur, die zu Lebzeiten durchaus erfolgreich war. So bereitete er, wie viele andere, mit seinem völkischen Denken, seinem glühenden Deutschnationalismus und seiner Lust am Krieg dem Nationalsozialismus den Weg.

Ja, der Dichter Ottokar Kernstock war nie Mitglied einer nationalsozialistischen Partei. Aus heutiger Sicht war er damit kein Nazi. Aber aus heutiger Sicht war Kernstock auch kein bedeutender Dichter.

Die Frage, die bleibt, ist aber eher, wie genau wir "Nazi-Dichter" definieren. Eines war Kernstock nämlich schon: Ein Dichter, der viele Inhalte der Nazis vertrat, den die Nazis für seine Überzeugungen schätzten und dessen völkisches Werk sie gerne in der Propaganda verwendeten.

Es gibt auch keine unterschiedlichen oder widersprüchlichen Phasen in Kernstocks Werk, keine biografischen Einschnitte, die es rechtfertigen würden, einzelne Gedichte herauszulösen und unabhängig vom Denken und Werk des völkischen Kriegstreibers zu sehen. Kernstock war nicht "kurz dafür" und sonst dagegen. Kernstock war nicht frühverblendet und spätgeläutert. Wer Kernstock zitiert, zitiert einen Wegbereiter des Nationalsozialismus—vielleicht unbeabsichtigt, aber damit nicht weniger bedenklich.


Thomas Knapp wuchs in Vorau auf, wo Kernstock noch allgegenwärtig ist. Deshalb betreibt er eine Website über Kernstock, die Informationen leicht zugänglich machen und so zur Aufklärung über dessen Werk und Vita beitragen soll.