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diskriminierung

Wir haben einen Experten gefragt, warum wir Österreicher so gerne Deutsche hassen

Die Deutschen sind plump, humor- und kulturlos und können weder Auto noch Ski fahren – zumindest, wenn man Österreicher fragt.

Screenshot via YouTube

Es gibt nicht viele Menschengruppen, über die man heute noch rücksichtslos schimpfen kann, ohne Angst haben zu müssen, von irgendjemandem, der halbwegs vernünftige Ansichten hat, zurechtgewiesen zu werden. In Österreich haben wir uns in dieser Hinsicht aber eine Ausnahme erhalten: die Deutschen.

Das Verhältnis, das wir Österreicher zu unseren deutschen Nachbarn pflegen, ist ein faszinierend seltsames. Natürlich hassen wir sie nicht wirklich, aber so richtig mögen tun wir sie definitiv auch nicht. Wenn du in Österreich sozialisiert worden bist, dann ist dir die Abneigung gegen Deutsche quasi in die Wiege gelegt worden.

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Schon beim Ein echter Wiener geht nicht unter-Schauen haben wir gelernt, dass man ihnen „mim Oasch ins Gsicht foan" muss. Dass die Serie den Österreichern den Spiegel vorhalten sollte, blieb Kindern und weniger reflektierten Zuschauern mit ziemlicher Sicherheit verborgen – genau wie der Umstand, dass sie eigentlich mit Ein Herz und eine Seele ein deutsches Vorbild hatte. Die mehr oder wenige subtile Abneigung gegen Deutsche zeigt sich an allen Ecken und Enden des Alltags, sei beim Wintersport oder im Straßenverkehr ("WOS FOAHT DER VORN FÜR EINEN SCHEISSDRECK ZOM?! EH KLOA, A PIEFKE!"). Gerade angesichts der Tatsache, dass wir uns mit unseren Nachbarn nicht nur die Sprache, sondern auch eine nicht gerade einfache Geschichte teilen, fragt man sich, wie und warum dieser nationale Groll auf österreichischer Seite eigentlich entstanden ist. Diese Frage stellte man sich mittlerweile auch in der Wissenschaft. Thomas Köllen lehrt und forscht an der WU Wien, und hat der Problematik des Antigermanismus eine ganze Studie gewidmet. Unter anderem hat er dabei in einer Studie erforscht, wie Deutsche die Diskriminierung im österreichischen Arbeitsalltag wahrnehmen.

VICE: Wie sind Sie dazu gekommen, sich in Ihrer Forschung mit dem Thema Antigermanismus zu beschäftigen?
Thomas Köllen: Ich bin jetzt schon viele Jahre an dem Gender- und Diversity-Institut der WU Wien. Hier habe ich meine Doktorarbeit gemacht, momentan habilitiere ich hier. Gerade dadurch, dass ich schon so lange in Österreich lebe – ich bin 2001 aus Deutschland nach Wien gekommen –, habe ich gewisse Erfahrungen gesammelt. Randbemerkungen, die man am Anfang gar nicht wahrnimmt, aber die durch ihre Häufung dann noch Bedeutung gewinnen. Man beginnt dann, tiefer reinzuhören, was da eigentlich dahinter steckt. Ich fand es interessant, mich diesem Thema zu widmen.

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Ist man sich als Deutscher, der nach Österreich kommt, überhaupt darüber bewusst, dass es diesen Konflikt auf österreichischer Seite gibt?
Ich kann natürlich nicht für ganz Deutschland sprechen. Ich komme aus dem Rheinland – dort gibt es dieses klischeehafte, sehr positive, aber eben auch nicht besonders fundierte Bild von Österreich. Als ich aus Köln herkommen bin, war Österreich für mich ganz weit weg und ich hatte ein zuckergussmäßiges Österreichbild. Vor diesem Hintergrund habe ich viele Dinge und Aussagen anfangs auch ganz anders interpretiert. Dieses Polarisierungsbedürfnis der Österreicher zu Deutschland, das war mir nicht bewusst. Gerade die Tatsache macht es für mich eben auch besonders interessant, zu erforschen, wie diese Bilder von Deutschen in Österreich erzeugt wurden – und da ist ja durchaus Methode dahinter.

Es war nach 1945 der politische Wille in Österreich, diese Polarisierung zu erzeugen – und man hat das auch sehr gut gemacht.

Inwiefern hatte das Methode?
Es war nach 1945 der politische Wille in Österreich, diese Bilder zu erzeugen – und man hat das auch sehr gut gemacht, das kann man nicht anders sagen. Verbreitet wurde das Zuckergussbild Österreichs in den Köpfen der Deutschen etwa durch die ganzen extrem populären Heimatfilme, die nach dem Zweiten Weltkrieg erzeugt wurden – oft Kooperationen von ORF, ZDF und ARD. Die haben durchaus gewirkt. Auch das negative Deutschen-Bild wurde von diversen Medien über Jahrzehnte ganz stark befeuert: Wenn Sie sich zum Beispiel alte ORF-Übertragungen von Skirennen oder der Vier-Schanzen-Tournee an österreichischen Austragungsorten anschauen und beobachten, wie sich nicht nur das Publikum, sondern auch Kommentatoren bei deutschen Athleten verhalten haben: Das war schon ein riesiges Fest, wenn Deutsche einfach nicht gewonnen haben.

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Die Stabilität dafür lieferte die Koalition aus den österreichischen Parteien. KPÖ und ÖVP etwa waren ja durchaus inhaltlich sehr gegensätzliche Parteien, aber sie hatten nach dem Krieg aus unterschiedlichen Motiven ein gemeinsames Interesse an dieser Darstellung von Deutschland: Die KPÖ verfolgte dieses Ziel aus Gründen des Widerstandes, die ÖVP aus der Idee der Erschaffung eines neuen Österreich-Bildes – eines Österreichs, das nichts mit Deutschland zu tun hat. Beide Interessen haben dann in die gleiche Richtung gewirkt.  Später hat sich dann auch die SPÖ diesem Bild angeschlossen. Damit hatte man einen neuen Bösewicht. Von sich selbst etablierte man diesen Selbstentwurf als Kulturnation. Denken Sie zum Beispiel daran, wie etwa Mozart außenpolitisch ganz stark instrumentalisiert wurde. Die meisten Leute glauben heute, dass all das einfach etwas Wesenshaftes an Österreich ist, ohne zu sehen, dass das etwas ist, das mit einem politischen Willen erschaffen wurde.

Hat es diesen Antigermanismus in Österreich vor der Zweiten Republik noch gar nicht gegeben?
Gewisse stereotypische Bilder waren sicherlich auch vor 1945 schon da – in ganz alten Zeiten vor allem von Preußen. Aber dieses Projizieren und Auffetten mit Klischees über Deutsche, die etwa den Nationalsozialismus betreffen, und das Gleichsetzen dieser preußischen Stereotype mit ganz Deutschland – das ist erst nach dem Zweiten Weltkrieg passiert.

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Der plumpe, humor- und kulturlose, laute Deutsche – das ist praktisch eine Spiegelung des österreichischen Selbstbildes.

Ist das auch aus der Intention passiert, die Schuld des Nationalsozialismus auf Deutschland abzuwälzen, um sich nicht mit seiner eigenen Rolle konfrontieren zu müssen?
Auch, aber ich würde es nicht darauf reduzieren. Natürlich geht es auch um diese Schuldfrage, und die hat diesen ganzen Mythos auch notwendig gemacht. Aber das Ganze ging darüber hinaus, sich als Opfer dazustehen und die Alliierten davon zu überzeugen, dass man ein Opfer war. Es ist auch einfach eine Art von Selbstmarketing gewesen.

Das heißt, diese ganze Abwertung der Deutschen diente in erster Linie der Aufwertung von Österreich selbst?
Definitiv. Sie müssen sich nur die ganzen Attribute, die Deutschen zugeschrieben wurden, ansehen: Der plumpe, humor- und kulturlose, laute Deutsche – das ist praktisch eine Spiegelung, ein Gegenbild, des österreichischen Selbstbildes. Zumindest des Selbstbildes einer gewissen Generation. Die ganz junge Generation würde ich da nicht so pauschal miteinzubeziehen. Man hätte sich damals nicht zwangsweise so darstellen müssen, um politisch das zu erreichen, was man dann ja spätestens mit 1955 eh erreicht hatte. Es war eine Art Selbstvergewisserung, dass man als Nation doch toll ist.

Ist dieses Verhältnis, das Österreich zu Deutschland hat, einzigartig, oder findet man so etwas auch in anderen europäischen Landen?
Es gibt auch Studien zum Verhältnis von anderen Ländern mit ähnlichen Ausgangssituationen, etwa Irland und Großbritannien, oder der französischen Schweiz und Frankreich. Aber diese Konflikte sind alle nicht so intensiv wie der Konflikt, den Österreich mit Deutschland hat. Was die Sache in Österreich auch nochmal besonders macht, ist eine Art Konsens, dass dieser Konflikt in Österreich bleibt, und ein gewisses Maß an Außenwahrnehmung nicht übersteigt.

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Dieses Unterschwellige macht den Konflikt der Österreicher mit Deutschland zum Beispiel ganz anders, als jenen der Schweiz mit ihren Nachbarländern. Was dabei sehr geholfen hat, ist die Tatsache, dass etwa der ORF in weiten Teilen Deutschlands jahrzehntelang nicht zu empfangen war – so konnte dieses nationale Selbstgespräch aufrecht erhalten werden. Dasselbe gilt auch für die meisten großen österreichischen Zeitungen, die waren in Deutschland praktisch nicht verfügbar. Man konnte diese Bilder von Deutschland erzeugen, ohne Widerstand von deutscher Seite zu ernten. Das war auch wichtig, weil man dieses positive Bild, dass man in Deutschland über Österreich hatte, erhalten wollte – auch aus touristischen Gründen. Dieses Selbstgespräch kann man bis heute beobachten.

Gerade das Milieu, das sich selbst als links oder linksliberal wähnt, ist besonders involviert.

Aber im österreichischen Alltag sind diese abschätzigen Bemerkungen gegenüber Deutschen doch permanent zu finden.
Ja, aber vor allem in Situationen, bei denen deutsche Ohren nicht anwesend sind. Sobald deutsche Zuhörer dazukommen, wechselt meiner Erfahrung nach zwar nicht zwingend das Thema, aber die Intonation, in der über das Thema geredet wird. Ich persönlich kann das natürlich nur schwer erleben – beziehungsweise geht das bei mir nur, wenn ich noch nicht gesprochen habe und Leute annehmen, ich komme eh aus Wien oder Österreich. An öffentlichen Orten passiert das immer wieder.

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Wenn Österreicher unter sich sind, dann stehen oft die österreichischen Bundesländer-Konflikte im Mittelpunkt. Wenn dann aber ein Deutscher dazukommt, dann wechselt das Thema in diese Richtung – das Abgrenzungsbedürfnis zu Deutschland ist dann größer als das zu Leuten aus anderen Bundesländern, oder zu Leuten aus anderen Nationen. Das ist doch etwas ziemlich Besonderes.

Sie haben ja eine ganze Studie zur Situation von Deutschen in Österreich gemacht. Was genau haben Sie dabei herausgefunden?
Der Kern der Studie war es, zu erfassen, was Deutsche, die in Österreich leben, in ihrem Arbeitsalltag erleben. Erhoben wurde dabei auch der allgemeine Lebensalltag. Die Kernerkenntnisse waren für mich, dass dieses Abgrenzungs- und Polarisierungsbedürfnis von österreichischer Seite tatsächlich existiert und durch verschiedenste Kleinigkeiten in den Arbeitsalltag durchschlägt. Ein zweites Teilergebnis: An internationaleren Arbeitsplätzen – davon gibt es in Wien ja viele – gaben die deutschen Mitarbeiter an, dass diese Ressentiments eher von österreichischen Kollegen bedient werden, und nicht von Kollegen aus anderen Ländern.
Das dritte Element: Dieser Begriff der Political Correctness, der als Korrektiv für andere „Ismen" funktioniert – wenn etwa Ressentiments gegen Türken oder Menschen aus den ex-jugoslawischen Ländern bedient werden. Der fehlt bei antideutschen Ressentiments eigentlich komplett. Auch hier nehme ich die ganz junge Generation, die jetzt im Studienalter ist, wieder aus.

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Ist dieser Antigermanismus also auch in linken, liberaleren Kreisen weit verbreitet?
Gerade das Milieu, das sich selbst als links oder linksliberal wähnt, ist besonders involviert in dieser Abgrenzung, und dort greift dieses Korrektiv der Political Correctness, wenn es um Deutsche geht, erst recht nicht. Wenn Sie sich zum Beispiel das Forum des Standards ansehen, sind die Ressentiments gegen Deutsche dort am krassesten. Auch dazu haben wir zwei Studien gemacht: Dabei haben wir gemerkt, dass auch Der Standard selbst durch die Wahl von Überschriften und gewisse Färbungen genau solche Ressentiments bedient. Das kann man ein bisschen in die Richtung deuten, dass die Correctness in dem Fall von Deutschland so aussieht, dass man dieses deutschlandkritische Bild haben muss, um Österreich an sich nicht in Frage zu stellen. Ansonsten sieht man sich schnell mit dem Killer-Begriff „Deutschnational" konfrontiert, der ja früher noch viel mehr benutzt wurde, aber immer noch herumschwirrt und es quasi politisch inkorrekt macht, positiv oder zumindest neutral gegenüber etwas eingestellt zu sein, das aus Deutschland kommt.

Das Bewusstsein dafür steigt mit der Aufenthaltsdauer in Österreich. Je länger Deutsche in Österreich sind, desto negativer wird ihr Österreichbild.

Wie genau sehen diese Abwertungen von Deutschen im Arbeitsalltag aus?
Das zeigt sich vor allem in subtilen Aussagen – man wird ja  am Arbeitsplatz nicht verprügelt. Etwa durch das Betonen vom "Die" und "Wir", das oft durchaus wertend gemeint ist und eben dieses Abgrenzungsbedürfnis widerspiegelt. Besonders verdichtet ist das natürlich unter dem Begriff "Piefke". Der Begriff spielt auch im Alltag immer wieder eine Rolle, aber er wird weniger in der Gegenwart von Deutschen verwendet. In solchen Situationen ist oft von "Die Deitschn" die Rede – wenn man sich ansieht, was dabei inhaltlich transportiert wird, dann geht es da eben ganz klar um die Abwertung der Deutschen und die Aufwertung des eigenen Besonders-Seins.

Wie belastend wird dieser Diskurs von den Deutschen, die in Österreich leben, denn jetzt wirklich wahrgenommen?
Das ist ganz unterschiedlich. Das sieht man auch an der Bandbreite der Antworten der Befragten. Viele Deutsche spielen diese Alltagssituationen auch für sich herunter und entwickeln irgendwelche Standard-Antworten, um solche Situationen zu lösen.
Was man aber sagen kann: Das Bewusstsein dafür steigt mit der Aufenthaltsdauer in Österreich. Je länger Deutsche in Österreich sind, desto negativer wird ihr Österreichbild. Und was das Ganze noch verstärkt: Wenn man es wirklich als schlimm empfindet, dann geht man ja normalerweise wieder weg – diese Leute sind also gar nicht in unserer Studie erfasst. In der Schweiz, in der wir ja die selbe Studie durchgeführt haben, ist es interessanterweise umgekehrt – je länger Deutsche dort leben, desto positiver wird ihr Bild von der Schweiz.

Sie haben immer wieder die jüngere Generation von Österreichern ausgenommen. Glauben Sie, dass diese Haltung auf österreichischer Seite ein bisschen entspannter wird?
Ich glaube schon, dass die Intensität weggeht. Meine und ältere Generationen sind da noch voll drinnen, aber gerade die jüngere Generation hat diese Art von Selbstdefinition über Deutschland nicht mehr nötig. Vor allem Medien ändern ihren Diskurs in dieser Sache – da kann man etwa durchaus die Presse und den Kurier hervorheben, selbst die Krone ist da heute nicht mehr so krass. Früher konnte man im ORF zum Beispiel noch problemlos das Wort Piefke verwenden, heute macht man das nicht mehr. All das wird einen Einfluss haben. Ich persönlich glaube sogar, dass es irgendwann mal tatsächlich ein Verhältnis wie mit jeder anderen Nachbarnation werden kann. Aber das dauert noch, und wird erst mit neuen Generationen kommen. Tori auf Twitter: @TorisNest

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