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Eine Nacht durch die Augen eines Türstehers

Wie geht man mit alle den Drogen, Arschlöchern und willigen Frauen um, ohne den Verstand zu verlieren? Ein Türsteher gibt uns einen Einblick in seinen verrückten Arbeitsalltag an einem stinknormalen Wochenende.

Es ist 21 Uhr, Samstagabend. Ich stehe vor einem beliebten Club. Heute Nacht arbeite ich hier. Ein Penner versucht, sich in das Restaurant des Clubs einzuschleichen und spuckt mir direkt ins Gesicht, als ich versuche, ihn aufzuhalten. Als ich noch zur Uni gegangen bin, haben sie mir erzählt, dass ich mit meiner Ausbildung alles machen könnte. Das war vor der Rezession. Seitdem habe ich tatsächlich alles Mögliche gemacht, aber die meisten Sachen davon waren ziemlich unerwartet. Ich hätte zum Beispiel nicht gedacht, dass ich mit 30 Türsteher sein würde und mir Spucke aus dem Gesicht wischen muss.
2007 hat alles angefangen. Türsteher zu sein, hat mir nach meinem Studium dabei geholfen, mein Praktikum bei einer Zeitung zu finanzieren. Ich komme aus einer Fischerfamilie und bin auch schon selbst zur See gefahren. Als Türsteher zu arbeiten, schien mir nur ein weiterer harter Job auf dem Weg zu Besserem. Ich hatte ab und zu Erfolg als Journalist und auch als Akademiker. Ich war als Reporter im Yemen, Afghanistan und Syrien. Aber schöne Worte aus fremden Gefilden und marxistische Kritiken sind das Erste, was in einer Finanzkrise dran glauben muss (sie sind ironischerweise ziemlich schnell dran).
Nach zwei Jahren und 50 fehlgeschlagenen Bewerbungen dämmerte mir langsam, dass es mittlerweile zu meinem Alltag gehört, Leute von den Tanzflächen zu schleifen. Es ist besser bezahlt und interessanter, Türsteher zu sein, als sich in einem Café als Latte-Macchiato-Sklave einen abzuschuften oder sich die Finger in einem vollgequetschten Büro wund zu tippen. Manchmal frage ich mich, warum ich so viel Geld für ein anscheinend nutzloses Studium ausgegeben habe. Es ist aber durchaus nützlich, um beschreiben zu können, was man alles mitbringen muss, um in der Disco als Türsteher überleben zu können. Folgende Charaktereigenschaften braucht man, um als Türsteher nicht den Kopf einschlagen zu bekommen:

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- Empathie ist das Wichtigste. Sie stoppt 90 Prozent der Probleme, bevor sie überhaupt auftreten.

- An zweiter Stelle steht die Fähigkeit, Wut richtig auszudrücken. Wenn du das nicht kannst, bist du am Arsch, weil niemand macht, was du ihm sagst.

- Danach braucht man Selbstbeherrschung. Man kommt leicht in Versuchung, unverschämte Betrunkene zu schlagen. Gibt einem das Genugtuung? Mit Sicherheit. Ist es produktiv? Nein. Das Gleiche gilt für Anbaggerversuche von 18-jährigen Mädchen. Unser Gewerbe hat schon genug Imageprobleme.

- Zu guter Letzt brauchst du Sinn für Humor, sonst wirst du zu einer Lachnummer—Glatzbirne, Nackenspeck, Springerjacke und hungrig auf Macht, die du gar nicht wirklich hast. Ein großes Arschloch zu sein, ist gar nicht so wichtig, wie man meinen könnte. Deine Präsenz ist gefragt, aber die Dinge, die du wirklich brauchst, sind emotionale Intelligenz und Willenskraft.

Natürlich ist der Türsteherjob gefährlich. In meiner Laufbahn als Türsteher habe ich ziemlich unglaubliche Sachen gesehen. Ich habe gesehen, wie einem bewusstlosen Mann eine Zigarette im Auge ausgedrückt wurde, und musste die Polizei zweimal davon überzeugen, dass die Typen, die wegen mir im Krankenhaus lagen, selber Schuld waren (waren sie auch). Einmal haben ich und ein Kollege uns darüber unterhalten, dass wir eine Gehaltserhöhung brauchen, weil wir eine Horde betrunkener Hooligans nur loswerden konnten, indem wir auf das Dach gestiegen sind und ihnen dann ins Gesicht getreten haben.

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Am Anfang hatte ich Angst, eine kaputte Flasche ins Auge zu bekommen, aber ich habe mittlerweile ein dickeres Fell. Ich habe zu akzeptieren gelernt, dass ich manchmal bewusstlos geschlagen werde, oder irgendwelche Gangster mich mit Messern bedrohen. Deshalb kann ich ohne Angst arbeiten, aber es kann anstrengend sein, sich so gefühlstaub zu stellen.

Kombiniert mit den Anforderungen dieses Jobs bekommt man entweder ein Burnout oder wird deutlich brutaler, wenn man sich nicht richtig um seine mentale Gesundheit kümmert. Schlimmer als das ist allerdings, wenn Leute mich wie einen Idioten behandeln, oder ich mitbekomme, dass sie meine Kollegen so behandeln. Die meisten Türsteher sind einfach das Produkt ihrer Umgebung und sie halten jedes Wochenende Tausende Menschen davon ab, sich selbst oder andere zu verletzen.

Es ist jetzt 23 Uhr und Sammy und Silvia, das Tür-Team, sind eingetroffen. Sie gehören für mich zu den besten Türstehern der Stadt. Die beiden bleiben an den Ein- und Ausgängen und ich gehe durch die Menge. Wir bräuchten mehr Türsteher, aber der Besitzer hat keine Lust, dafür Geld auszugeben. Sammy ist 35 und lernt für sein Chemiestudium. Man könnte meinen, dass er jung aussieht für sein Alter, aber wenn er dich anschaut, dann machst du, was er dir sagt. Er ist seit sieben Jahren hier und ich wusste, dass er mein Mann ist, als wir eine Gruppe Flaschen schwingender Jugendlicher abgewehrt haben, die von ein paar Drogendealer unterstützt wurden, die in einer Wohnung über dem Club verkaufen. Es war nicht, was Sammy währenddessen gemacht hat, sondern was er danach zu mir gesagt hat:

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„Ich verstehe einfach nicht, wie man an einer Stichwunde sterben kann“, wunderte er sich. „In Nigeria haben Leute Macheten dabei. Menschen laufen da mit riesigen Narben durch die Gegend“, erklärte er mir, indem er eine Linie in seinem Gesicht andeutete. „Aber die leben noch. Die haben Baby-Messer hier. Wieso sollte ich mich vor so etwas fürchten?“

Du willst ein guter Türsteher sein? Dann brauchst du so eine Einstellung.

Zurück zur Party. Mittlerweile sind hier 300 Leute. Es kommen jedes Wochenende Drogen im Wert von mehreren tausend Euros durch die Tür, versteckt in Socken, Boxershorts oder BHs. Man muss den Drogenkonsum nur gerade so viel stören, dass alle merken: Es ist nicht legal. Wenn man mehr macht, braucht man den Club gar nicht erst aufzumachen. Ich habe schon mal Dealer rausgeschmissen, aber ich bin mir sicher, dass die meisten Leute vorher ihre eigenen Drogen kaufen.
Ich könnte pro Abend Kokain und Ecstasy im Wert von einigen hundert Euro beschlagnahmen. Ein guter Anfang sind die zwei Gramm, die ich gerade von dem hübschen Jungen und seiner kurzhaarigen Freundin bekommen habe. Sie haben es zu öffentlich gemacht. Also habe ich ihm die Drogen aus der Hand genommen und den Kopf geschüttelt, so als wäre ich sein Vater. Er hat mich gefragt, ob er seine Drogen zurück haben könnte, und ich habe geantwortet, dass er froh sein könne, dass ich ihn nicht rausschmeiße. Der Inhalt des Beutels war klumpig, also gehe ich davon aus, dass es guter Stoff war.

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Als ich wegging, sah ich, dass der Besitzer in der Nähe war und uns beobachtete. Auf dem Schild an der Toilette steht eindeutig „JEDER, DER MIT DROGEN GESCHNAPPT WIRD, WIRD ANGEZEIGT UND DES CLUBS VERWIESEN“. Ich bin mir nicht so sicher, was der Besitzer genau davon hält, aber ich glaube, dass er das selber nicht weiß. Es ist klar, dass er keinen offenen Drogenkonsum toleriert, aber manchmal fragt er mich, ob ich ihm mal eins von den Päckchen, die ich beschlagnahmt habe, geben könnte. Die Meinung des Managers ist: Beschlagnahmen, aber nicht rausschmeißen.

Meine Meinung: Ich bin selbstständig und bei einer Agentur angestellt. Also können die mich jederzeit ohne Grund rausschmeißen. Falls die Polizei sich mal über unsere Drogenpolitik erkundigen will, bin ich der erste, der dafür rausfliegt. Wenn ich aber strenger mit Drogenkonsumenten bin, werde ich gefeuert. Merkt euch eins—es gibt niemanden, der Türsteher beschützt. Das Schlimmste, das passieren kann, ist, dass du gefeuert wirst, es sei denn natürlich, du schlägst jemanden richtig zusammen oder bist selber involviert mit Drogen.

Es ist jetzt 2 Uhr nachts. In den letzten beiden Stunden habe ich zwei weitere Beutel mit Ketamin beschlagnahmt und einen Beutel voller MDMA. Ich habe Bestechungsgeld von einem Typen, der auf der Toilette gekokst hat bekommen und eine Frau davor gerettet, vor ein Auto zu laufen. Sie hatte versucht, ein Taxi zu bekommen, und wäre dabei fast direkt in den Gegenverkehr gelaufen. Bei solchen Aktionen sterben andauernd Leute auf den Straßen, deswegen habe ich sie erstmal hingesetzt und ihr selber ein Taxi gerufen.

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Du verbringst viel Zeit damit, nach Mädchen zu schauen, die zu besoffen oder high sind, um zu wissen, was sie tun. Du kannst sie nicht ganz alleine rausschmeißen, weil sie eine Gefahr für sich selbst sind; du musst ihre Freunde oder Freundinnen finden, die alle versprechen, auf sie aufzupassen, es aber nicht tun. Dann musst du nach ihren Freunden schauen, wenn irgendein Creep versucht, sich an sie ranzuschmeißen und abzuschleppen. Wegen so etwas fühle ich mich dann traurig und allein.

Jungs sind eine andere Geschichte. Die werden einfach rausgeworfen, wenn sie zu voll sind. Wenn sie sich benehmen, sage ich ihnen, sie sollen in den nächsten 20 Minuten versuchen klarzukommen. Wenn sie dann höflich sind und mich nicht nerven, indem sie besoffen versuchen, sich mit mir anzufreunden, während ich mich um tausend andere Dinge kümmern muss, lass ich sie wieder rein. Es gibt drei Dinge, die Türsteher auf Typen aufmerksam machen—sich unvorhersehbar verhalten, übertrieben aufgedreht, oder aggressiv sein. Du denkst vielleicht, das sollte jedem klar sein, aber natürlich verlieren die Leute auch ein Gefühl für sich selbst, wenn sie betrunken oder drauf sind.

Es gibt ein Gerücht, dass Männergruppen grundsätzlich nicht in Clubs gelassen werden, aber das stimmt so nicht. Es sind Arschlochgruppen. In dem seltenen Fall, dass es zu einer unerträglichen Schwanzparade kommt, wird es auch mal schwerer. Dann kommst du einfach nicht rein und wenn du mal kurz innehältst und darüber nachdenkst, willst du das wahrscheinlich auch gar nicht.
Ich habe das besoffene Mädchen wieder zum Tanzen geschickt. Tanzen ist die Geheimwaffe eines jeden Türstehers; es beruhigt Leute und du kannst immer noch beobachten, was gerade passiert. Dennoch macht es nicht alles einfacher. Es gibt immer einen Idioten, der den Durchgang vom Klo zur Tanzfläche blockiert. Dann gibt es eine Schlange von Menschen, die wieder zurück auf die Tanzfläche möchte, und der Typ tut so, als hätte er es nicht bemerkt, scheinbar bloß für sein eigenes Vergnügen. Das macht die Leute ganz zappelig, aber sie sind oft zu sehr auf Drogen, um den Typen einfach aus dem Weg zu schubsen.

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„Die Leute wollen hier vorbei, Junge“, sage ich ihm.

„Na und?“

„Beweg deinen Arm zur Seite und stell dich bitte nicht in den Durchgang.“

„Was?“

Ich packe seinen Arm: „Hau ab. Jetzt!“

Er bewegt sich, aber gibt mir dann diesen Stone-Cold-Steve-Austin-Blick und streckt seine Brust raus. Da kann ich nicht zurückweichen. In solchen Momenten ist es am besten, dein Gesicht direkt vor seins zu schieben.

„Glaubst du, ich mache das, weil ich eine verdammte Pussy bin?“

Er bemerkt dann auch sofort seinen Fehler und entschuldigt sich ganz wehleidig. In solchen Situationen ist es wichtig, dankend zu antworten; Aggressivität sollte es nicht geben. „Passt schon“, sage ich ihm. „Genieß die tolle Party.“

Ich höre lautes Geschrei aus der Damentoilette. Als ich die Tür öffne, treffe ich auf fünf hübsche Italienerinnen, die sich im Spiegel betrachten und unverständlich vor sich hin plappern. Gleichzeitig drehen sie lächelnd ihre Köpfe zu mir und zwinkern mir innerlich zu. Es ist seltsam und fantastisch, aber wahrscheinlich auch das Beste, ihnen abzusagen. Dann ist es besser, den Zeigefinger vor die Lippen zu halten und zu verschwinden, bevor dich ein ausgestreckter Arm packen kann und dich über die Türschwelle zieht. Vor ein paar Wochen habe ich versucht, drei Hipster-Studentinnen an der gleichen Stelle zurechtzuweisen. Anstatt Reue zu zeigen, haben sie mich umzingelt und fingen an, mich abzuknutschen, bis ich absolut wehrlos war.

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Der Club schließt. Es ist früh am Morgen. Wir sind bei der Garderobe. Ich bringe die Leute heraus und gehe sicher, dass auch alle ruhig sind. Da ist auch wieder der Typ mit der gebrochenen Nase. Er will sein Kokain wieder haben. Es muss gutes Zeug sein, denn er ist mittlerweile ziemlich schlecht gelaunt. Die Musik ist aus, die Lichter sind an und die Leute schauen zu. In solchen Situationen darfst du dein Gesicht nicht verlieren. Ich lache ihn aus und sage, dass das nicht passieren wird. „Ich kenne dein Gesicht—du wirst noch Ärger bekommen“, sagt er.

Ich bewege meinen Kopf und Körper etwa 10 Zentimeter in seine Richtung, als ob ich auf ihn losginge. Er weicht (zum Glück!) zurück. Ich grinse höhnisch, nenne ihn ein Arschloch und sage seiner Freundin, sie solle ihn loswerden. So etwas solltest du eigentlich nicht machen, das macht nur Ärger. Aber ich bin müde und ich werde nicht gerne bedroht. Dennoch wäre es keine zivilisierte Gesellschaft, in der wir leben, hätte ich dem Wichser in die Kehle geboxt.

Alle sind draußen und der ganze Laden ist dicht. Die Angestellten trinken im Restaurant ein Bier. Ich gebe dem Manager alles außer dem Koks von dem Arschloch. Wir sollen eigentlich alle Drogen einsammeln und in einem Safe verschließen und dann den Behörden übergeben, aber das ist ein Drahtseilakt; du willst der Polizei nicht zu viel geben, weil du nicht willst, dass der Club wie eine Drogenhöhle wirkt. Auf der anderen Seite kannst du aber auch nicht gar nichts übergeben—die Bullen sind nicht dumm. Ich kenne Clubs, die selbst Drogen für den Safe kaufen, weil die Türsteher die Drogen, die sie finden, nicht hergeben wollen.

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Eine Party von einem Radiosender in einem Lagerhaus hat noch eine After Hour. Ich bin noch aufgedreht von der Nacht und gewiss noch nicht in der Laune zu schlafen. Im Taxi mit den Barmädels auf dem Weg dorthin entferne ich das Schweizer Taschenmesser von meinem Schlüsselbund und verstaue es zusammen mit dem Koks in meinem Stiefel. Das Messer hab ich einem Typen abgenommen, der damit letzten Monat in den Club wollte.

„Man bringt doch kein Messer mit in einen Club“, habe ich ihm erzählt. Ausnahmsweise mache ich das heute selbst. Es ist legal, solange ich niemanden damit bedrohe, nützlich in meinem alltäglichen Leben und ich habe es gerne bei mir, wenn ich an der Tür stehe. Ich glaube, das ist symbolisch für die vieldeutige Arbeit an der Tür. Du musst darauf vorbereitet sein zu akzeptieren, dass Dinge nicht so sind, wie sie scheinen.

Der Autor bei der Arbeit

Die Türsteher vor der Lagerhalle wollen uns nicht reinlassen. Ich zeige meinen Türsteherausweis—jetzt können wir direkt rein. Das Gebäude ist atmosphärisch und industriell. Alle sehen fantastisch aus. Der Sound ist auch gut. Ich gehe auf's Klo, um mir die Nase zu pudern, gebe dem Klomann einen Fünfer (jetzt wird er nicht so sehr darauf achten, was ich vorhabe). In der Kabine benutze ich die Pinzette aus dem Messer, um etwas Koks aus dem Tütchen zu fischen und es dann mit der Klinge in einer Line auf dem Klodeckel zu verteilen.

Nach ein paar Stunden trete ich ins Tageslicht hervor, check meinen Posteingang, der mit Mails voller Jobabsagen überquillt. Ich schlafe, bis es dunkel wird, und fang von vorne an.

Illustrationen von Cei Willis

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