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In Schweden wurde zum ersten Mal erfolgreich eine Klitoris rekonstruiert

Wir haben uns mit dem Chirurgen Dr. Hannes Sigurjónsson über seine neue Methode unterhalten, die Frauen helfen soll, deren Genitalien verstümmelt wurden.

Foto: public-domain-image.com | Public Domain

Vor Kurzem hat es der Wiederherstellungschirurg Dr. Hannes Sigurjónsson geschafft, zum ersten Mal in Schwedens medizinischer Geschichte erfolgreich eine Klitoris zu rekonstruieren. Seine Vorgehensweise hat er in Frankreich gelernt, wo bereits bei 5.000 Frauen der Intimbereich wiederhergestellt wurde.

Genitalverstümmelung ist in Schweden natürlich illegal. Ebenfalls illegal ist es, dafür in ein anderes Land zu reisen, wo so etwas vielleicht als Alltäglichkeit angesehen wird. Trotz alledem hat das schwedische Gesundheitsministerium am 15. Januar einen Bericht veröffentlicht, in dem geschätzt wird, dass bei mehr als 38.000 in Schweden lebenden Frauen der Genitalbereich verstümmelt wurde—7.000 davon sind noch keine 18 Jahre alt.

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Ein wenig geschockt rief ich Sigurjónsson an, um mehr über seine revolutionäre Methode zu erfahren.

VICE: Hallo Hannes. Wie genau geht man bei einer Klitoris-Rekonstruktion vor?
Dr. Hannes Sigurjónsson: Bei einer Genitalverstümmelung wird nicht die komplette Klitoris abgeschnitten, sondern nur der sichtbare Teil. Im Grunde entferne ich bei meiner Methode nur das Narbengewebe, lege den Teil der Klitoris frei, der immer noch da ist, bewege ihn nach vorne und fixiere ihn dann an seinem neuen Platz. In manchen Fällen wurden die Frauen auch infibuliert, was dann bedeutet, dass wir eine Defibulation—also eine erneutes Öffnen der Vaginalöffnung—durchführen müssen.

Das Wichtigste bei der Behandlung von Frauen und Mädchen, deren Genitalien verstümmelt wurden, ist jedoch, dass die Schönheitschirurgen, die Gynäkologen, die Sexualwissenschaftler und die Psychotherapeuten eng zusammenarbeiten. Nur durch diese fächerübergreifende Herangehensweise können die Frauen wieder eine höhere Lebensqualität erfahren und haben unter weniger Schmerzen zu leiden.

Erzähl mir doch bitte ein wenig von der psychologischen Betreuung, die du deinen Patienten anbietest. Gehört das zur Standardbehandlung?
Ja, das ist Teil der Behandlung. Die Operation ist nur der erste Schritt auf dem Weg zur Besserung—sowohl funktional als auch mental. Der psychologische Teil ist essentiell. Man muss allerdings auch sagen, dass es sich hier um eine neue Methode handelt und wir uns auf noch relativ unbekanntem Terrain bewegen. In diesem Bereich ist noch viel Forschung nötig.

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Gibt es bei der Genital-Wiederherstellung auch Risiken?
Laut verfügbaren Studien sind Blutungen und Infektionen die häufigsten Komplikationen, die bei ungefähr drei bis fünf Prozent der operierten Frauen auftreten. Meistens werden in der rekonstruierten Klitoris weniger Schmerzen und mehr Gefühle gespürt. In weniger als fünf Prozent der Fälle fühlt die Frau in der Genitalgegend noch weniger als vor der Operation. Bei solchen Eingriffen besteht natürlich immer ein gewisses Risiko, aber darüber informieren wir unsere Patienten selbstverständlich auch.

Ist es möglich, wieder komplett zu genesen, nachdem die Genitalien verstümmelt wurden?
Ich denke nicht. Es ist extrem schwierig, etwas nachzubilden, das abgeschnitten und weggeworfen wurde. Bei vielen Teilen des Genitalbereichs sind jedoch schon große Fortschritte gemacht worden. Wir können eine Vagina wieder öffnen und sowohl die Klitoris als auch die Klitorisvorhaut wiederherstellen. In einigen Fällen ist auch eine Rekonstruktion der inneren Schamlippen nicht ausgeschlossen.

Glaubst du, dass es in Zukunft möglich sein wird?
Die Methode wird immer weiterentwickelt und wird mit der Zeit auch immer besser—mehr Forschung und Erfahrung spielen da natürlich ebenfalls mit rein. Es wird jedoch immer sehr schwierig bleiben, verstümmelte Genitalien zu 100 Prozent wiederherzustellen.

Ist diese Art der Operation in Schweden sehr gefragt?
In Schweden haben 38.000 Frauen unter einer Genitalverstümmelung zu leiden und 7.000 davon sind noch Kinder. Das Gesundheitsministerium schätzt, dass noch weitere 19.000 Gefahr laufen, ebenfalls verstümmelt zu werden.

Verlässliche Quellen wie die UN oder UNICEF berichten, dass weltweit 133 Millionen Frauen von Genitalverstümmelung betroffen sind. Jedes Jahr kommen weitere drei Millionen junge Mädchen dazu. Der Bedarf für dieser Art der Operation ist also riesig.

Bezüglich der 38.000 Frauen aus Schweden: Wie kam es bei denen zu der Verstümmelung?
Das geschah wohl meistens in ihren Heimatländern. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass so etwas auch in Schweden passiert—ausschließen können wir es allerdings auch nicht. Man muss sich nur mal Deutschland, Großbritannien oder Frankreich anschauen, wo schon Eltern verurteilt wurden, weil sie bei ihren Kindern eine Genitalverstümmelung durchführen ließen. Wir können jedoch nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, ob das auch in Schweden der Fall ist, denn bei der Polizei wurde so etwas noch nie zur Anzeige gebracht.