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Meine Gymi-Mädchenklasse war die Hölle

Pubertierende Mädchen sind bösartig, verräterisch und ermüdend emotional. Meine Gymizeit hat mich deshalb zum Kiffen gebracht.
son of groucho

Was Militär für testosterongesteuerte Jungs ist, war für mich die gesamte Gymnasialzeit. In eine reine Mädchenklasse mit musischer Ausrichtung zu gehen, bedeutet nichts Gutes für die persönliche Entwicklung. In meinem Fall startete die gefühlsduselige Odyssee in einer Kirche, weil die Aula für die grosse Anzahl kichernder Hühner zu wenig Platz bot.

Retrospektiv hätte ich spätestens im Klassenzimmer das Warnsignal erkennen müssen, als uns die Klassenlehrerin ihr Hochzeitsvideo zeigte, das Versprechen zur gegenseitigen, liebevollen Kommunikation abnahm und die erste Klassenkameradin in Tränen ausbrach, als sie von ihrem traumatischen Pfadi-Tauf-Erlebnis erzählte.

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Die Mädchenklasse bietet jeder Mimose den Raum, andere in ihre Emotionen zu tauchen. Eine Mädchenklasse besteht hauptsächlich aus solchen Mimosen und ganzen Sturmfluten solcher emotionaler Ergüsse. Und wehe, jemand hat kein Verständnis.

Foto von njaminjami; Flickr; CC BY-SA 2.0

Liebe deine Feinde

In einer Mädchenklasse lieben sich alle. Auch wenn du jemanden nicht ausstehen kannst, liebst du ihn. Sobald die Mundwinkel einer Klassenkameradin zu zucken beginnen, die zusammengezogenen Augenbrauen auf der Stirn eine Falte entstehen lassen und die Augen immer mehr glänzen, bist du die beste Freundin der Heulsuse, über deren fetten Hintern du dich noch in der Pause ausgelassen hast. Bevor die erste Träne den Fussboden berührt, hast du Worte ausgesprochen wie: „Ich bin immer für dich da" oder „Er hat dich nicht verdient".

Gleichgeschaltete Zyklen

Als heranwachsende Frau ausschliesslich von anderen Mädchen umgeben zu sein, bedeutet die Macht über den eigenen Körper zu verlieren. Als erstes zeigt sich das im Sportunterricht. Einmal im Monat liess uns der Sportlehrer den Basketball gegen Yoga-Matten austauschen, auf denen wir uns dann gegenseitig massierten, weil zwanzig Mädchen gemeinsam menstruierten. Ja, der weibliche Zyklus passt sich dem deiner Freundinnen an. Klarer Vorteil ist, dass du nicht lange nach einem OB suchen musst, wenn du mal wieder keinen in der Tasche hast. Ich war irgendwann so affin auf Mens-Blut, dass ich auf der Toilette erschnuppern konnte, wer gerade in der Kabine neben mir den Tampon wechselt. Kein Scheiss. Aber ekelhaft.

Die Teenie-Körper passen sich aber nicht nur zyklustechnisch aneinander an, auch die Figur und der Gesundheitszustand der Haarspitzen wurden verglichen. Mittagessen bedeutete für uns die Hölle. In Gruppen der Grösse einer Fussballmanschaft pilgerten wir zum Supermarkt und kauften kiloweise Hüttenkäse, Vollkornbrötchen und Cola Light. Wenn sich jemand traute, ein Schoko-Joghurt aufs Fliessband zu legen, wurde die betreffende Person missbilligend gemustert und ein kurzer Bauch- und Po-Check durchgeführt. Die ganze Klasse wusste Bescheid, wenn wieder jemand ein Kilo zugenommen hatte. Mit knurrendem Magen schlich man zu seinem Schliessfach und verdrückte heimlich den mitgebrachten Müsliriegel, um sich anschliessend bei den Freundinnen über die fettgewordenen Oberschenkel zu beschweren.

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Foto von Avarty Photos; Flickr; CC BY-SA 2.0

Strebsame Schulmädchen

Alle waren wir Streberinnen. Aber nur einzelne standen auch dazu. Andere sausten nach Schulschluss nach Hause, paukten die Nacht durch, um ja eine Note besser zu sein als die beste Freundin und jammerten vor der Prüfung hysterisch darüber, wie schlecht ihre Chancen standen, die Prüfung zu bestehen. Wenn unser Lehrer dann die Prüfungen korrigiert zurückgab, schielten diese Mädchen ihren Freundinnen hämisch grinsend aufs Blatt und tätschelten ihnen den Kopf mit den Worten: „Das wird schon. Ich bin immer für dich da".

Letzter Ausweg: Cannabis

Um diese frustrierenden Situationen zu ertragen, begann ich, in der Mittagspause den Hüttenkäse zu verweigern und stattdessen im Pärkchen neben der Schule mit einer Verbündeten Gras zu rauchen. Erst spekulierte die Klasse über unsere Magersucht. Dann entlarvten sie den Drogenkonsum. Wir wurden damit zu Aussätzigen. Ich liebte es, meinem Geschichtslehrer bekifft zuzuhören. Dieser Lehrer hatte allerdings diktatorisch alle Toilettengänge während seinen Stunden verboten. Ich sass also ordentlich zugedröhnt im Unterricht und bemerkte, wie sich mein Tampon von mir verabschiedete. Ich verfluchte das Relaxan des Joints, welches meiner Beckenbodenmuskulatur die Fähigkeit nahm, einen verfluchten Tampon zu halten. Also stand ich auf und wollte zur Toilette gehen, um zu retten, was zu retten war.

Foto von Alaska Carter; Flickr; CC BY 2.0

Mein Geschichtslehrer sah empört vom Buch auf. „Ich muss auf Toilette. Tampon wechseln". Normalerweise funktionierte das Wort Menstruation oder Tampon wie ein Zauberwort bei männlichen Lehrern. Sie sahen dann beschämt weg und ich konnte sofort tun und lassen, was ich wollte. Nicht so bei unserem Geschichtslehrer: „Da passiert nichts Schlimmes während 15 Minuten. Oder sieht das jemand hier drin anders?" Ein Mädchen streckt auf, die mich im Park hatte verschwinden sehen. „Sie, das ist nur weil sie bekifft ist". In Mädchenklassen wimmelt es von Verräterinnen.

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Sex hat uns alle zusammengehalten. Zumindest die detaillierten Gespräche darüber. Wir tauschten die intimsten Geheimnisse untereinander aus und vergassen dabei bewusst, dass wir alle Verräterinnen waren, die einander bei jeder Gelegenheit einen Strick drehen. So entsteht Zickenkrieg par excellence: Eine Kollegin erzählt dir, sich beim Blowjob über den Bauch ihres Typen übergeben zu haben. Du erzählst das bei Hüttenkäse und Cola Light der ganzen Klasse. Die Rache: Dein erstes Mal Analsex wird anschliessend in der WhatsApp-Gruppe diskutiert und der heisse Typ aus der Parallelklasse schickt dir von da an nur noch grinsende Kacke-Emojis.

Mädchenklasse-Opfer Nadja auf Twitter: @nadjabrenn

Vice Switzerland auf Twitter: @ViceSwitzerland


Titelfoto von son of groucho, Flickr, CC BY 2.0