FYI.

This story is over 5 years old.

News

Rassismus als Luxusproblem

Wie sich deutsche Villenviertel gegen Flüchtlinge wehren.
Harvestehude, Foto von Benjamin Laufer

Man könnte ja meinen, dass finanziell abgesicherte Leute ohne größere Probleme anderen helfen könnten, die weniger Glück im Leben hatten. Professoren zum Beispiel oder Beamte. Leute, die es geschafft haben. Die mit ihren Familien in gutsituierten Vierteln wohnen und mehr oder weniger erreicht haben, ihren Lebensabend abzusichern. Gerade geht es fast überall darum, in Deutschland ankommenden Flüchtlingen eine Herberge zu bieten. Obwohl sie es sich wohl leisten könnten, müssten die Wohlhabenden nicht einmal etwas von ihrem Ersparten abgeben, um zu helfen. Es würde völlig ausreichen, wenn sie die Geflohenen in ihrer Nachbarschaft willkommen hießen. Sie vielleicht bei den Problemen ihres Alltags unterstützten. Viele tun das tatsächlich auch—und ihnen gebührt Respekt. Immer häufiger werden aber Fälle bekannt, in denen die feinen Nachbarn alles dafür tun, damit sie sich ungestört in ihrem Wohlstand sonnen können. In denen fadenscheinige Argumente gegen Flüchtlingsunterkünfte vorgebracht werden, die häufig den dahinter stehenden Rassismus kaum kaschieren können.

Anzeige

Da ist zum Beispiel dieser Professor in Göttingen. Der Stadt, die ich während meines Studiums aufgrund ihrer Liberalität so zu schätzen wusste. Seit bekannt ist, dass die Stadtverwaltung auf den Zietenterrassen, einem gutbürgerlichen Viertel am Stadtrand, Flüchtlinge unterbringen will, kämpfen nicht wenige Anwohner dagegen an. Und eben besagter Professor der Technischen Universität Clausthal, der im Viertel mal an einer wissenschaftlichen Einrichtung gearbeitet hat und immer noch dort wohnt. Seine „Argumente" sind an Dreistigkeit kaum zu überbieten.

In einem Brief an die Göttinger Stadtverwaltung schrieb er im Januar, warum eine Flüchtlingsunterkunft seiner Ansicht nach den Wissenschaftsstandort gefährde: „Kein Industriepartner wird […] angesichts von in Gruppen herumstehenden Afrikanern, die nicht arbeiten dürfen, sowie verschleierten Frauen mit zahlreichen Kindern glauben, dass an diesem Standort Hochtechnologie gemacht wird." Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: Geschäfte beruhten nun mal auf dem Eindruck, den eine Firma von der anderen habe. Da hätten natürlich Flüchtlinge keinen Platz. Er schrieb weiter: „Da es sich bei diesen Firmen allesamt um High-Tech-Unternehmen handelt, wird es Kunden nicht glaubwürdig zu vermitteln sein, dass die Zietenterrassen ein High-Tech-Standort sind". Man möchte kotzen. Später betonte der Informatiker, „in keinster Weise ausländerfeindlich oder rassistisch eingestellt" zu sein. Seine Frau wolle aber in keinem sozialen Brennpunkt leben. Ja, ist klar!

Anzeige

Harvestehude. Alle Fotos vom Autor

Ganz ähnlich klingen auch die „Argumente" mancher Bewohner des Hamburger Villenviertels Harvestehude. Einige Nachbarn hatten gegen die geplante Unterbringung von 220 Flüchtlingen in einem ehemaligen Kreiswehrersatzamt sogar geklagt—und haben in erster Instanz auch noch Recht bekommen! Begründung: Die geplante Unterkunft liegt in einem „ besonders geschützten Wohngebiet". Ein Rechtsbegriff aus den 1930er Jahren, der in den so bezeichneten Gebieten soziale Einrichtungen untersage. Und natürlich gibt es solche Wohngebiete fast ausschließlich in den wohlhabenden Vierteln der Stadt.

Man glaubt gar nicht, mit welcher Unverfrorenheit zahlreiche Nachbarn ihre ablehnende Haltung auch noch geradeheraus in die Fernsehkameras posaunen. Das NDR-Satiremagazin Extra3 hat im Januar einen bezeichnenden Zusammenschnitt der Ressentiments gezeigt. Ein „Wespennest" werde das Flüchtlingsheim, prognostiziert eine Anwohnerin darin. Eine andere sagt: „Alle zwei Minuten fährt ein Porsche vorbei." Da können sich die armen Flüchtlinge ja gar nicht wohl fühlen! Andere erklären, dass sich die Flüchtlinge die Waren in den örtlichen Einkaufsmärkten ja gar nicht leisten könnten. Klingt nach Mitleid, ist aber wohl nur vorgeschoben, denn so weit sind die Discounter gar nicht entfernt. Die Krönung: „Wir wissen aus dem Kuhstall", erklärt ein Harvestehuder: „Ich kann nur ähnliche Leute zusammen bringen." Flüchtlinge im Villenviertel, das passt einfach nicht. Dann doch lieber ins Gewerbegebiet mit denen!

Anzeige

Als wäre das nicht dämlich genug, soll das Beispiel Harvestehude nun auch noch als Vorbild für eine Flüchtlingsunterkunft im Berliner Westend dienen—beziehungsweise für ihre Verhinderung. Eine ehemalige Klinik in der schicken Gegend soll zum Flüchtlingsheim umgebaut werden. Zwei Nachbarn befürchten nicht nur soziale Spannungen durch die ankommenden Flüchtlinge, sondern auch eine „Schädigung von Vermögenswerten". In ihrer Klage berufen sie sich auf die Hamburger Gerichtsentscheidung, berichtet die Berliner Zeitung. „Dort ist die Belastung der Wohngegend durch eine unangemessene Anzahl von Asylbewerbern als Hauptgrund für die Zulassung der Klage gesehen worden", schreiben sie demnach in einem Brief an die Nachbarschaft. Ich schäme mich ganz offiziell in meiner Eigenschaft als Hamburger dafür!

Escheburg bei Hamburg

Man könnte sagen, dass das alles noch mehr oder weniger zivilisierte Formen des Anwohnerprotests sind. Wobei das natürlich ein bezeichnendes Licht auf die hiesige Zivilisation werfen würde. Den definitiven Bruch mit zivilisatorischen Standards hat jedoch ein Finanzbeamter aus dem beschaulichen Örtchen Escheburg bei Hamburg begangen: Er hat das Haus in seiner Nachbarschaft, in das irakische Männer einziehen sollten, einfach angezündet. Die Feuerwehr verhinderte, dass es ganz abbrannte.

Das rote Holzhaus steht in einer vornehmen Neubausiedlung am Ortsrand, zwischen Golfplatz und Ganztagsschule. Die Bewohner der Siedlung fahren vornehmlich neuwertige Autos der Marken Mercedes, BMW oder Volkswagen. Keine Kleinwägen, sondern protzige SUVs und schicke Limousinen. Wer hier wohnen will, muss es sich leisten können. Viele wollen das wohl den Flüchtlingen nicht gönnen. Kurz vor dem Brandanschlag stürmten 15 aufgebrachte Nachbarn die Gemeindeverwaltung, um ihrem Ärger Luft zu machen. Seitdem haben auch die Verwaltungsmitarbeiter Angst.

Ein Nachbar, der bei einer Bürgerversammlung nach dem Brandanschlag noch betonte, ganz bestimmt kein Ausländerfeind zu sein, konterkarierte diese Aussage tags darauf in einem Beitrag des Fernsehmagazins Panorama: Woher solle er denn wissen, wie die alleinstehenden Iraker reagieren würden, wenn sie aus dem Fenster seine Frau und ihre Freundinnen beim Sonnen auf der Terrasse beobachteten? Was man zwischen den Zeilen lesen kann: Dass die komischen Typen aus dem Irak per se eine Gefahr für die Frauen in der Nachbarschaft darstellen würden. Rassismus? Ach quatsch!

Rassismus, flüchtlingsfeindliche Gerichtsentscheidungen, Brandanschläge auf zum Glück noch unbewohnte Häuser. Alles das hat seinen Ursprung unter den Wohlhabenden in dieser Gesellschaft, die sich doch eigentlich keine Sorgen machen müssten. Was kommt denn bitte als Nächstes? Werden Nobelkarossen demnächst zu Tatwaffen? Bislang hätte ich das ausgeschlossen. Inzwischen bin ich mir da nicht mehr so sicher.

Aber es gibt Hoffnung. Den fremdenfeindlichen Brief des Göttinger Professors wiesen zahlreiche Politiker und auch Anwohner empört zurück. Der Sozialausschuss der Stadt hat inzwischen beschlossen, die Unterkunft trotz Protesten zu bauen. In Hamburg haben Bewohner des Villenviertels den Verein „Flüchtlingshilfe Harvestehude" ins Leben gerufen und setzen sich für die Flüchtlinge ein. Denn die Stadt geht beim Oberverwaltungsgericht gegen die Entscheidung der ersten Instanz vor und plant nach wie vor ihr Flüchtlingsheim an der Alster. Einen ähnlichen Verein gibt es auch im Berliner Westend. Und auch in Escheburg haben sich Bürger zu einem Helferkreis zusammengeschlossen, um den Flüchtlingen, die nach der Renovierung in das beschädigte Haus einziehen sollen, ehrenamtlich unter die Arme zu greifen. Auch Leute aus der direkten Nachbarschaft sind darunter. Den Brandstifter haben DNA-Spuren überführt, die Staatsanwaltschaft wird ihn anklagen. Bei der Bürgerversammlung im Escheburger Gemeindesaal waren die Nachbarn mit Vorurteilen gegenüber Zuwanderern deutlich in der Unterzahl.

Hoffen wir, dass das so bleibt.