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Ich war bei der Rolltreppen-Party, bis die Polizei es versaut hat

Wir wurden eingekreist wie die Wildsäue bei einer niederösterreichischen Gatterjagd.

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Für einige Stunden im noch jungen Advent war Wien so etwas wie die Welthauptstadt des bizarren Humors. Leider fand das wahrscheinlich sinnloseste und schönste Facebook-Event 2015 aber ein nicht ganz so berühmtes Ende, als die Wiener Polizei sich als Spielverderber erster Güte herausstellte. Aber der Reihe nach.

Die als Facebook-Viral entstandene große Eröffnung der Rolltreppe am Schottentor entpuppte sich als tatsächliches Event. Es waren zwar nicht die angekündigten 15.000 Besucher, aber doch ein paar hundert Menschen dabei—und auch, wenn sich wahrscheinlich für so ziemlich alles ein paar hundert Wahnsinnige finden lassen, hatte das Ganze doch irgendwie ein unausgesprochenes „Tun wir das gerade wirklich?"-Gefühl.

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Unter den Wahnsinnigen war auch ich in Begleitung meiner Tochter und einiger ihrer Arbeitskollegen. Gegen 19:00 Uhr fanden wir uns in der Station ein und feierten in bester Flashmob-Manier aus dem Jahr 2008 das Internet-Phänomen des Jahres 2015.

Die gut vorbereiteten Wiener Linien—die echten, nicht die satirischen Veranstalter mit kurzem I—sorgten zwischen den eingetroffenen, meist schon punschseligen Besuchern (zumindest anfangs) für reibungslosen Öffi-Betrieb.

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Als dann ein offiziell entsandter Mitarbeiter gemeinsam mit dem geheimnisvollen Urheber „Herr Winer" symbolisch ein Band durchschnitt, herrschte praktisch Ländermatch-Stimmung: „ROLL-TRE-PPE" wurde skandiert, spontane a-cappella Interpretationen von „Ham kummst" schallten durch die Station. Nach einer heiß erwarteten Fahrt mit der Rolltreppe entschlossen sich viele Besucher, einfach weiter zu feiern.

Bierdosen in den Händen, Moneyboy aus leise quäkenden Handylautsprechern und ein Besucher, der sogar genüsslich einen mitgebrachten Russen aus dem Glas verzehrte, kurz: Friede, Freude, Festivalstimmung. Als dann gegen 20:00 Uhr die Station wegen Sicherheitsbedenken und zur Reinigung komplett geschlossen wurde, fand die Party trotz Regen draußen am Gehsteig statt. So weit, so gut.

Hier kommt der Wendepunkt in der Geschichte. Kurz vor 22:00 Uhr zog sich plötzlich ein Polizeikordon rund um die verbliebenen paar Dutzend Leute zusammen. Ein paar stark motivierte Sicherheitswachebeamte forderten uns auf, sich auszuweisen. Auf mehrere Nachfragen bei einem älteren, weniger gereizten Polizisten erfuhr ich, dass es Anzeigen wegen § 81 SPG setzen sollte: Störung der öffentlichen Ordnung.

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Der Gesetzestext sagt, dass jemand, der durch „besonders rücksichtsloses Verhalten die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt stört" eine Verwaltungsübertretung begeht. Es ist Ermessenssache, klar. Aber ein paar Menschen, die am Gehsteig stehen, tratschen und Dosenbier trinken, sind in meinen Augen keine besonders rücksichtslosen Zeitgenossen, die die Zivilisation oder auch nur die Gehsteig-Ordnung ins Wanken bringen würden.

Wir wurden eingekreist wie die Wildsäue bei einer niederösterreichischen Gatterjagd.

Als jemand, der in den 80er-Jahren die Operball-Demos in voller Blüte erlebt hat und noch eine Innenstadt kennt, die in der Prä-Stenzel-Ära freitags und samstags eine einzige Partyzone war, kann ich dieses absolut unverhältnismäßige Einschreiten der Exekutive hier nicht verstehen. Soweit mein Verständnis der Gesetzeslage reicht, ist zuerst immer das gelindere Mittel anzuwenden—also gemäß Absatz 2 und 3 des Paragraphen zuerst eine Abmahnung, dann eine Wegweisung.

Keins von beidem erfolgte. Stattdessen wurden wir wie die Wildsäue bei einer niederösterreichischen Gatterjagd eingekreist und unter Androhung von Festnahmen(!) wie ein Trupp Hooligans behandelt. Selbst meine Beteuerungen, nicht mal Dreck verursacht zu haben (untermauert durch das Vorweisen komprimierter leerer Bierdosen in meiner Jackentasche), nützte nichts. Ausweis, Personalien, Anzeige folgt.

Ich sehe zwar dank zahlreicher Zeugen und Rechtsschutzversicherung einer Verwaltungsstrafe sehr gelassen entgegen, aber für die Zukunft habe ich trotzdem ein ungutes Gefühl. Und das nur, weil ich einer von ein paar Dutzend Leuten war, die sich ein Facebook-Event in echt ansehen wollten.

Ich habe gestern erfahren, wie ungünstig sich die derzeitige Gesetzeslage schon auswirken kann. Jetzt, wo die Regierungsparteien ein äußerst diffuses neues, strengeres Staatssicherheitsgesetz durchpeitschen wollen und unter dem Deckmantel des Terrorismusschutzes wieder Begriffe wie Vorratsdatenspeicherung und Landfriedensbruch aufpoppen, will ich mir die Zukunft im Moment lieber gar nicht vorstellen.