Der Ur-Paparazzo über Party-Crashing

FYI.

This story is over 5 years old.

The Showbiz Issue

Der Ur-Paparazzo über Party-Crashing

Früher schlich sich Ron Galella in Speiseaufzügen auf Partys und machte Schnappschüsse von Madonna, Bowie und Liza im Studio 54.

Bevor das Konzept der Paparazzi zu dem wurde, was es heute ist—Schwärme gesichtsloser, Hollywood-hungriger Irrer mit Digitalkameras, ohne irgendwelchen Einfluss und mit noch weniger Klasse—schlich sich Ron Galella in Speiseaufzügen auf Partys und machte Schnappschüsse von Madonna, Bowie und Liza im Studio 54 oder stellte Jackie O. vor ihrem Apartment in der Upper East Side nach. Der Opportunist und Workaholic Ron Galella hat sich die krumme Karriereleiter hinaufgewunden, bis er zum absoluten Promifotograf wurde—eine Auszeichnung, die vielleicht nicht abgesegnet, aber mit Sicherheit anerkannt ist. Er wurde von Marlon Brando zu Brei geschlagen (seitdem trug er in Brandos Nähe einen Football-Helm), von Jackie O. verklagt und bekam in einem Dutzend exklusiver Clubs Hausverbot, während er der Branche zur selben Zeit unglaublich von Nutzen war, denn von den 1960ern bis durch die 1980er tat sonst einfach niemand das, was er tat. In dieser Zeit erschienen seine Arbeiten regelmäßig im Time Magazine (das ihn zum „Paten der US-Paparazzi-Kultur“ erklärte), im Harper’s Bazaar, Vanity Fair, Vogue und im People Magazine. Er fing Momente ein, die so intim waren, dass niemand anderes den Mut hatte, auch nur zu versuchen, sie zu fotografieren. Heute, mit 81, hat Galella alles gesehen, was die Glamourwelt der Filmstars zu bieten hat, und er hat alles dokumentiert und katalogisiert. Der Keller seiner Villa in New Jersey ist vollgestopft mit sorgfältig nach Kategorien geordneten Aufnahmen jedes Stars, von Andy Warhol bis Elizabeth Taylor, von Goldie Hawn bis Elvis Presley. Derzeit arbeitet er an einem Buch über Jackie O., die seine größte Obsession war, legte aber eine Pause ein, um mit uns über die Jahrzehnte zu reden, in denen er seine Kamera in berühmte Gesichter hielt, und um uns liebenswürdigerweise einen Blick auf eine Auswahl bislang unveröffentlichter Fotos seines Archivs zu gewähren.

Anzeige


Eine Momentaufnahme zeigt Ron, umgeben von über Jahrzehnte hinweg entstandenen Momentaufnahmen. Porträt von Benjamin Wlody

VICE: Findest du deine Arbeit invasiv?
Ron Galella: Tja … Ich muss das fragen, schließlich bist du mehr als nur ein paar Mal verprügelt und verklagt worden.
[lacht] Ich bin kontrovers, weißt du? Manche Promis halten sich für Privatpersonen, Jackie Onassis beispielsweise. Sie hielt sich für eine Privatperson. Aber im öffentlichen Raum bist du nun mal Freiwild. Irgendwie war sie auch scheinheilig, denn gleichzeitig hat es ihr gefallen. Mein großartigstes Foto von ihr ist „Windblown Jackie“, eine verwehte Jackie ohne Make-up, unfrisiert, natürliche Haltung, natürliche Person. Ich machte damals Fotos von diesem Model, Joyce Smith, im Central Park in der Nähe von Jackies Haus. Als wir den Park verließen, sah ich Jackie, sie mich nicht. Ich folgte ihr bis zur Ecke 55ste und Madison und sprang dort in ein Taxi. Hätte ich sie zu Fuß weiterverfolgt, hätte sie mich gesehen und ihre Sonnenbrille aufgesetzt, und diese Art von Fotos mag ich nicht. Mein Taxifahrer hupte, ich schätze, weil er Jackies Gesicht sehen wollte. Beim Geräusch der Hupe drehte sie sich um und sah direkt zum Taxi. Ich schoss das Foto. Dann stieg ich aus dem Taxi und drückte Joyce Smith eine andere Kamera in die Hand, damit sie mich fotografieren konnte, während ich Jackie folge. Warum warst du so besessen von Jackie O.?
Es gab viele Gründe: Sie war schön, hatte große Augen. Sie hatte eine flüsternde, weiche mädchenhafte Stimme wie Marilyn. Aber der wichtigste Faktor, einer, der jede Frau glamourös macht, war, dass sie etwas Geheimnisvolles umgab. Sie war ein Mysterium. Sie war ruhig. Sie hat in ihrem ganzen Leben nur drei Interviews gegeben. Dieses Geheimnisvolle geht den meisten Prominenten heutzutage ab. Alle haben es so eilig, sich zu enthüllen; das ist vulgär. Ist etwas geheimnisvoll, möchten wir mehr darüber erfahren. Es lässt Wünsche offen. Wann hast du begonnen, als Paparazzo zu arbeiten?
Als ich von der Kunstakademie kam, hatte ich kein Geld für ein Fotoatelier, also fotografierte ich meine Motive immer vor Ort. Die Welt war mein Atelier. Das war pure Notwendigkeit. Ich fotografierte Prominente in ihrer Umgebung: bei Veranstaltungen, am Flughafen … Klar, bei Jackie, wartete ich einfach vor ihrer Tür, sie konnte mich überall hin mitnehmen. Wenn ich fotografierte, war mein Stil sehr offen, spontan und ungestellt. Selbst auf meinem Briefkopf steht „Photography with the Paparazzi Approach“—Fotografie nach Art der Paparazzi. Ich wollte echte Gefühle. Heute ist doch alles gestellt. Bei Premieren brüllen die Paparazzi einfach die Namen der Promis; sie wollen nur, dass sie in die Kamera schauen. Das wollte ich nie. Ich wollte Menschen, die echte Dinge tun. So entstehen großartige Bilder: echte Emotionen. Wir wollen Prominente in menschlichen Situationen sehen, damit wir sagen können: „Sieh mal, die sind wie wir!“ Was sie tun, erzählt eine Geschichte. Ein gestelltes Bild sagt nichts. Das wohl verrufenste deiner „Studios“ war Studio 54.
Das war eine tolle Location, wie ein Filmset. Es gab riesige Scheinwerfer, laute Musik und Leute, die tanzten. Große Stars waren dort, um andere Stars zu treffen. Steve Rubell, der Besitzer, lud alle Promis, die in der Stadt waren, ins Studio 54 ein, Getränke und Drogen gingen aufs Haus. Er war sehr clever. Diese Art von Marketing gibt es heute nicht mehr. Steve liebte die Öffentlichkeit, deshalb ließ er die Presse rein. Mir hat er zweimal Hausverbot erteilt. Beim ersten Mal, weil ich ein Foto von Ali MacGraw gemacht habe, wie sie sehr vertraut mit Larry Sprangler tanzt. Sie trägt keinen BH, und man kann ihre Brustwarzen sehen. Mein Foto wurde im Playboy abgedruckt, und Steve sagte, Ali sei deswegen sauer. Er log. Ich kenne Ali und verständigte mich mit ihr über das Foto. Sie mochte es, ihr war das egal. Steve hackte nur auf mir herum, weil ich bekannter war als die anderen Fotografen. Und das zweite Mal?
Als er mir das zweite Mal Hausverbot erteilte, galt das lebenslänglich. Group W [ein Nachrichtenteam] war in der Stadt, um etwas über mich zu bringen. Ich schlug vor, dass sie mit mir losziehen, um mich in Action zu sehen. Wir gingen zu einer Premiere von Robin Williams im Copacabana. Alle waren da, auch Steve, und natürlich lud er nachher alle ins Studio 54 ein. Steve sagte mir, ich dürfe nur Fotos machen—Robin Williams wollte nicht fürs Fernsehen gefilmt werden. Robin tanzt also mit seiner Frau und ich fotografiere die beiden, da sehe ich, dass das Fernsehteam mich filmt. Steve rast rüber zu mir und brüllt: „Jetzt hast du’s doch getan! Ich will das Band!“ Er forderte das Filmmaterial von mir und dem Team. Ich wusste, das gibt Ärger. Also machte ich einen Schnappschuss von Steve in seiner Wut und suchte das Weite. Er brüllte mir hinterher: „Du hast wieder Hausverbot!“ [lacht] Die Polizei kam und nahm das Filmteam und Steve mit auf die Wache. Sie ließen alle gehen, nur Steve hielten sie wegen früherer Vergehen für 33 Stunden fest. Das hat er mir ewig nachgetragen. Wurde es nicht lästig, ständig irgendwo rauszufliegen?
Nein, ich bin Opportunist. Ich gebe nicht auf. Ich komme überall rein. Bei Bällen und anderen Festivitäten habe ich mich oft durch die Küche reingeschlichen. Irgendwann erwischte mich die Security dann doch. Ich kooperierte und tat so, als wolle ich gehen, indem ich den Fahrstuhlknopf drückte. Daraufhin gingen sie wieder und ich schlich mich schnurstracks durch die Küche wieder rein. Manchmal stellte ich mich auch in die Buffetschlange und aß etwas, hielt den Ball für eine Weile flach. Was hältst du von den heutigen Paparazzi?
Es ist fürchterlich. Als ich das in den 60er und 70er Jahren gemacht habe, galt Einer-gegen-Einen. Es gab keine Gang-Bangs, wie das jetzt der Fall ist. Da ist etwas außer Kontrolle geraten. Ich bin froh, dass ich das nicht mehr mache. Heutzutage kann jeder ein Paparazzo sein. CNN hat tatsächlich gerade eine ganze Reihe Fotografen entlassen, weil sie jederzeit und von fast jedem für umsonst oder sehr billig Handyfotos haben können. Findest du, dass es heute nicht mehr so interessant ist, Prominente zu fotografieren? Jeder lässt Schönheitsoperationen machen, Unvollkommenheit gibt es ja fast gar nicht mehr, die Stars sind ununterscheidbar geworden.
Erst gestern Abend habe ich Lindsay Lohan im Fernsehen gesehen. Ihre Wangen waren zum Bersten prall! Ich finde Schönheitschirurgie in Ordnung, wenn man sie braucht. Wenn du ein unschönes Kinn hast, lass es mit Plastik auffüllen. Allerdings mag ich keine Frauen mit Riesentitten. Ich bin ein Hintern-Typ. Der sexieste Teil an Mann und Frau ist der Hintern. Gene Kelly hatte einen richtig tollen Po und diese Jennifer Lopez auch.    Archivbilder von Ron Galella

Anzeige

Joey Heatherton haut beim Artists & Models Ball am 19. November 1966 im Biltmore Hotel in New York ordentlich auf den Putz.

Naomi Campbell im Gespräch beim „Tanqueray Sterling Ball Benefit for AIDS Coalition“ am 9. November 1989 in der Sand Factory in New York

Elizabeth Taylor in einem kurzen privaten Moment vor dem Besuch einer Vorstellung von Private Lives im Lunt-Fontanne Theatre in New York im Jahr 1983

Cyndi Lauper im dem Anlass entsprechenden New-Wave-Look (und dem­entsprechend voll) auf der Afterparty der 1984er Grammy Awards im Rex II Restaurant in L.A.

Jimi Hendrix in der Menge beim Martin-Luther-King- Jr.-Benefitskonzert im Madison Square Garden am 28. Juni 1968

Blick auf Jackie und Ari Onassis durch ein regennasses Fenster am 14. November 1970 im La Côte Basque in New York City

Brigitte Bardot—womöglich bei dem Versuch, unter ihrem Hut inkognito zu bleiben—am 1. September 1968 im Zoom Zoom Club in Saint-Tropez, Frankreich