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Warum Feminismus für Sexarbeit kämpfen muss

Reiche Feministinnen wehren sich gegen die Entkriminalisierung von Sexarbeit. Das ist mehr als falsch.
VICE Media

Welche Worte assoziierst du mit „Prostitution"? Straße, Sex, billig, Puff, schmutzig—um jetzt alle Schimpfwörter auszulassen. Sexarbeit ist ein Thema, das entweder mit Nuttenwitzen oder moralisierender Sorge abgetan wird. Wir fühlen uns einfach unwohl dabei, wenn—vor allem—Frauen Sex an Männer verkaufen. In unserer Kultur ist Sex etwas Wichtiges. Viele heben sich das erste Mal für eine ganz besondere Person auf. Die Standard-Beziehung ist monogam und wenn wir betrogen werden, machen wir Schluss. Sexarbeit passt da nicht rein.

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Letzte Woche hat die Menschenrechtsorganisation Amnesty International einen Entwurf veröffentlicht, der die gänzliche Entkriminalisierung von Sexarbeit vorsieht, über den intern aber noch abgestimmt wird. Obwohl noch gar nichts beschlossen ist, gibt es schon einen Aufschrei.

Die Organisation CATW (Coalition Against Trafficking in Women) schrieb einen offenen Brief und viele Personen und Organisationen unterzeichneten. Weniger überraschend war beispielsweise die Campus Seelsorge InterVarsity Christian Fellowship. Mehr geschockt haben mich hingegen die Unterschriften von verschiedenen Schauspielerinnen. Da wären Anne Hathaway, Kate Winslet, Lisa Kudrow (aka Phoebe), Meryl Streep und Emma Thompson (aka Snapes Ehefrau in Tatsächlich Liebe).

Lena Dunham ist auch dabei—aber das sollte niemanden überraschen, der sich einmal mit ihrer Definition von Feminismus auseinandergesetzt hat. Auch Emma Thompson ist Teil des Feel-Good-Feminismus und hat sich als „männerfressende Feministin" mit Meryl Streep verbündet. Natürlich macht man sich schnell beliebt, wenn man über die männerdominierte Entertainment-Branche spricht und sich über die Erfindung von High Heels aufregt. Die sind aber auch unbequem!

Währenddessen sterben reihenweise Transfrauen an Mord und Selbsttötung. Ich bin keine Anhängerin der „Haben wir nicht besseres zu tun"-Mentalität. Aber wenn Menschen und vor allem Feministinnen, von denen ich mir mehr erwarte, sich für die eine einfache, PR-wirksame Sache einsetzen und bei den tödlichen Problemen wegschauen, macht mich das wütend.

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Transfrauen betreiben überdurchschnittlich oft Sexarbeit und die CATW schafft es nicht einmal, sie richtig zu benennen. Im Brief steht tatsächlich „transgendered"—ein veralteter Begriff, den viele Bezeichnete als beleidigend empfinden. In El Salvador gaben 2014 übrigens sogar 47 Prozent aller Transfrauen an, ihren Lebensunterhalt mit Sexarbeit zu verdienen.

Dabei hören sich die Forderungen der CATW zuerst mal plausibel an: Die Sexarbeit selbst soll entkriminalisiert werden, während der Kauf von Sex strafbar ist. Dieses Modell ist an der schwedischen Strategie angelehnt. CATW kritisiert den Entwurf von Amnesty International als legalisieren von Zuhälterei, Puffbesitzern und Sexkäufern. Aber wozu braucht eine Sexarbeiterin einen Zuhälter, wenn sie gemeldet ist, sich auf ihr legales Einkommen verlassen kann und bei Problemen zur Polizei gehen kann? Wenn die Sexindustrie komplett entkriminalisiert wird, haben genau diese Menschen weniger Macht.

Akio Takemoto | Flickr | CC BY 2.0

Sexuelle Gewalt ist immer ein Thema. Sexarbeiterinnen und -arbeiter trauen sich oft nicht, zur Polizei zu gehen. Über einen besonders schlimmen Fall berichtete Daily Beast. Eine Sexarbeiterin wurde vergewaltigt und misshandelt („I was bleeding from every hole in my body"). Im Krankenhaus wurde versucht, ihr eine Anzeige auszureden. Sie hat ihren Angreifer trotzdem angezeigt und er wurde zu 45 Tagen Haft verurteilt. Wenn du in der Sexindustrie arbeitest, ist die Polizei noch weniger Freund und Helfern als sonst.

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Das schwedische Modell, das die CATW als Vorbild nimmt, funktioniert auch einfach nicht. Freier haben Angst, erwischt zu werden und versuchen so gut wie möglich, ihre Spuren zu verwischen. Das bedeutet auch, dass sie Sexarbeiterinnen eher Gewalt antun können, ohne dass ihre Identität zurückverfolgt werden kann. Weil die Auswahl an Kunden zurückgeht, können sich die Sexarbeiterinnen weniger oft leisten, auch welche abzulehnen, weil sie vielleicht ein flaues Gefühl im Magen haben.

Und auch wenn sie nicht strafrechtlich verfolgt werden, spüren sie auf tausend andere Arten, dass ihr Beruf als moralisch verwerflich gilt. Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sollen keine Kondome verteilen, weil das als Ermutigung zu Prostitution gilt. Hilfe bekommen nur jene Sexarbeiterinnen, die aussteigen wollen—nicht aber die, die einfach nur sicherer sein wollen.

Alice Schwarzer vergleicht Prostitution mit Pädophilie

Alice Schwarzer, die von vielen Menschen als offizielle Sprecherin des Feminismus missverstanden wird, steht voll hinter dem schwedischen Modell. Sie ist die Gründerin des EMMA Magazins, das—nicht ganz überraschend—den Brief ebenfalls unterschrieben hat. Schwarzers Kampf gegen Sexarbeit hat Tradition. Auf der EMMA-Homepage wird beispielsweise behauptet, dass Gewalt und Ausbeutung in Deutschland nicht verfolgbar sind, weil der Kauf von Sex erlaubt ist.

Das macht aber keinen Sinn. Eine komplette Entkriminalisierung und soziale Eingliederung von Sexarbeit ist der einzige Weg, um eine ganz klare Trennlinie zwischen Arbeit und Gewalt zu ziehen. Wenn Schwarzer meint, dass Sexarbeit gleich Vergewaltigung ist, delegitimiert sie die Erfahrungen von tausenden Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern, denen ihr Beruf Spaß macht und trivialisiert gleichzeitig die Erfahrung von Opfern von sexueller Gewalt. Prostitution ist genauso wie Pädophilie, sagt Schwarzer noch. Aber nur weil Schwarzer und die EMMA am lautesten schreien, haben sie noch lange nicht Recht.

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Menschenhandel ist ein echtes Problem—da wird wirklich niemand widersprechen. Elisa Ludwig vom Verein LEFÖ gibt gegenüber VICE aber zu bedenken, dass auch für andere Branchen Menschenhandel betrieben wird. „Wer würde schon die Reinigungsarbeit verbieten, obwohl auch hier sehr oft Arbeitsausbeutung bzw. Frauenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung vorkommen?", fragt sie. Ludwig erzählt von Kunden, die sich an LEFÖ-IBF wenden, wenn sie die Vermutung haben, dass eine Sexarbeiterin Opfer von Frauenhandel ist. „Das würden sie nicht mehr machen, wenn sie sich vor polizeilicher Verfolgung fürchten müssten, weil sie gegen das Gesetz verstoßen hätten", sagt Ludwig über das schwedische Modell.

In Österreich gibt es auch spezifische Probleme. Hier ist der Unterschied zwischen Entkriminalisierung und Legalisierung wichtig. In Österreich ist Sexarbeit legal, aber nur unter bestimmten Bedingungen. Wenn diese nicht eingehalten werden, werden die Sexarbeiterinnen mit dem Strafrecht geahndet, anstatt mit dem Gewerberecht. Deswegen ist Sexarbeit in Österreich nicht entkriminalisiert. Seit 2011 werden sie an den Stadtrand gedrängt. Damit steigt die Gefahr für Übergriffe, Gewalt und Isolation. Sie müssen außerdem jede Woche eine invasive Gesundheitsdurchsuchung über sich ergehen lassen.

In der Sekunde, in der Kate Winslet anfängt, Geld für Sex zu nehmen, kann sie lauthals mitdiskutieren.

Feminismus ist theoretisch für alle Frauen da. Vor allem sollten wir uns aber um die Frauen kümmern, die aus verschiedensten Gründen ein härteres Leben unter erschwerten Bedingungen haben. Dazu zählen Transfrauen genauso wie Sexarbeiterinnen. Eine Bewegung, die das Leben von Frauen verbessern sollte und dabei einer der verletzlichsten Gruppen den Rücken zukehrt, ist bestenfalls eine Karikatur ihrer selbst.

Wie eine Sexarbeiterin im Daily Beast-Interview sagt: „In der Sekunde, in der Kate Winslet anfängt, Sex gegen Geld zu tauschen, kann sie mit lauter Stimme darüber sprechen." Wir müssen für alle Menschen Möglichkeiten schaffen, damit niemand in die Sexarbeit gedrängt wird—das gilt für die USA genauso wie für Österreich.

Sexarbeit ist aber nicht von Grund auf schlecht, nur weil wir es komisch finden, Geld für Sex zu bekommen. Ich will, dass der Strich nicht mehr auf den Stadtrand verbannt wird. Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter sind Teil unserer Stadt und unserer Gesellschaft. Und wenn du ein Problem damit hast, behalte es doch bitte für dich und versuch nicht, die Rechte anderer Menschen einzuschneiden.

Lisa auf Twitter: @lisawoelfl