FYI.

This story is over 5 years old.

News

Warum die Terrormiliz Islamischer Staat Paris angreift – und was als Nächstes passiert

Auf dem Schlachtfeld erleidet der IS derzeit herbe Rückschläge. Angriffe im Westen sind Teil seiner grausamen PR-Strategie.
Foto: imago | UPI Photo

Die Terrormiliz IS hat eine grausame PR-Strategie entwickelt: Wenn es schlechte Nachrichten gibt, lass sie einfach hinter schnellen, ultra-brutalen Angriffen verschwinden. Es ist eine Taktik, die die Terrororganisation schon häufig angewendet hat. So auch am Freitag, als die IS-Miliz mit einem koordinierten Anschlag Paris—und damit die Welt—erschüttert hat.

Erst am Freitagmorgen haben die USA den wahrscheinlichen Tod des IS-Schlächters Mohammed Emwazi, auch bekannt als „Jihadi John", verkündet. Das ist aber nur der kleinere Rückschlag, den die IS-Miliz an diesem Tag hinnehmen musste.

Anzeige

Etwas später erlitt die Gruppe auch zwei maßgebliche militärische Niederlagen: Der Verlust der strategisch wichtigen Stadt Sindschar der kurdischen Peschmerga und die Eroberung von Al-Hawl im Norden Syriens durch ebenfalls von Kurden angeführte Kämpfer der Syrischen Democratic Forces. Diese Niederlagen treffen die Miliz hart, denn sie unterbrechen die Verbindung zwischen Ar-Raqqa und Mosul, den beiden wichtigsten Städten des Kalifats.

Ein eigentlich schwarzer Tag für die IS-Organisation endete aber damit, dass bewaffnete Attentäter mit Sprengstoffwesten Restaurants, ein Rock-Konzert und ein Fußballstadion attackierten und dabei mindestens 128 Menschen töteten und 300 weitere verletzten. Ein Anschlag, zu dem sich am Samstag die IS-Miliz bekannte.

Zu einem Zeitpunkt, als die Kombination aus US-Luftangriffen und lokalen Bodentruppen immer wichtigere Ergebnisse erzielt, scheint es tatsächlich einfacher zu sein, einen Terrorangriff inmitten einer westlichen Hauptstadt durchzuführen, als signifikante militärische Fortschritte in Syrien oder dem Irak zu machen.

Die Angriffe in Paris—ebenso wie die Explosion in einem russischen Flugzeug über der Sinai-Halbinsel, für die ebenfalls IS verantwortlich sein will—stehen für einen beachtenswerten Wechsel in der Rollenverteilung zwischen IS und deren Vorgänger, der Al-Qaida.

Noch bis vor kurzem hat die IS-Miliz sich vor allem darauf berufen, ein riesiges Gebiet von der Größe Großbritanniens nicht nur eingenommen zu haben, sondern auch halten zu können, während etwas belächelnd auf die Al-Qaida herabgeschaut wurde, deren Angriffe auf den Westen zwar spektakulär gewirkt haben mögen, die aber militärisch unbedeutend waren.

Anzeige

Mittlerweile bröckelt aber die Herrschaft der IS, die bis vor kurzem als militärisch schwer zu besiegen galt, sowohl in Syrien als auch im Irak, während der syrische Arm der Al-Qaida, die Al-Nusra-Front, sich leise darauf konzentriert hat, ihrerseits eine Art Staat in der von ihnen kontrollierten Region zu errichten.

Die Genauigkeit, mit der die Attacken in Paris ausgeführt wurden, legen nahe, dass die Angriffe über längere Zeit geplant wurden—aber das schließt nicht aus, dass der Zeitpunkt der Durchführung eine schnelle Antwort auf die militärischen Niederlagen der Gruppe darstellt.

Die IS-Miliz greift westliche Ziele an, weil sie kann und weil sie auf dem Schlachtfeld herbe Rückschläge erleidet.

Dieser Terroranschlag dient nämlich zwei Zielen gleichzeitig: Den Westen im Herzen zu treffen, aber auch—und das ist vielleicht noch wichtiger—den eigenen Anhängern (auch denen im Westen) zu versichern, dass die militärischen Rückschläge am Boden unbedeutend sind.

Schon bevor die IS die Verantwortung für Paris übernahm, wurden die Angriffe auf Social Media-Accounts von IS-Anhängern gehuldigt und damit die betrübte Stille gebrochen, die sich nach den schweren Niederlagen auf dem eigenen Territorium ausgebreitet hatte.

Es ist zu früh, um zu sagen, wie die diplomatischen und politischen Folgen des Anschlags aussehen werden. Präsident Francois Hollande bezeichnet den Angriff als „einen Akt des Krieges", der einer „schonungslosen Antwort" bedarf. Damit legt er den Grundstein für eine breit angelegte Reaktion, die vielleicht sogar auf den Bündnisfall abzielt: In Artikel 5 des Nordatlantikvertrags ist festgelegt, dass ein Angriff auf ein Mitglied der NATO als Angriff auf alle Mitglieder zu werten ist.

Anzeige

VICE News: Alles zu den Anschlägen auf Paris

Dabei ist jedoch unklar, was Frankreich der IS noch entgegensetzen will, ohne dafür Bodentruppen einzusetzen. Schon jetzt fliegt das Land Lufteinsätze vom einzigen Flugzeugträger Frankreichs, der Charles de Gaulle, und greift Ziele in Syrien und dem Irak an. Diese Angriffe gelten seit kurzem vor allem Öl-Raffinerien, um so gleichzeitig die finanziellen als auch militärischen Grundlagen der Terrororganisation zu zerstören.

Außerdem gilt es zu bedenken, dass Frankreich nur begrenzte Mittel im Kampf gegen die IS-Miliz hat, nachdem sich das Land vor allem auch in Afrika massiv an Einsätzen beteiligt. Ganz unabhängig davon, ob die französische Bevölkerung einem Einsatz von Bodentruppen zustimmen würde, ist es somit fraglich, ob die Regierung überhaupt die Ressourcen für den Einsatz von Streitkräften hat.

Die Refugees sind nicht schuld am Terror in Paris

Wahrscheinlicher ist eine aktivere Unterstützung der erfolgreichsten Bekämpfer der IS-Miliz in Syrien und im Irak: der kurdischen Peschmerga auf der einen Seiten und der ebenfalls kurdischen YPG auf der anderen. Wie schon in Libyen würde eine Unterstützung durch französische Special Forces bei der Planung von Luftschlägen als auch beim Training von Bodentruppen einen maßgeblichen Unterschied im Kampf gegen IS machen. Damit könnte der geplante Vormarsch in Richtung Ar-Raqqa, der eigentlichen IS-Hauptstadt, tatsächlich Wirklichkeit werden.

Die Terrororganisation Islamischer Staat und ihre Unterstützer im Internet behaupten, dass die Anschlagsserie von Paris eine Antwort auf die Beteiligung Frankreichs im Krieg gegen die IS ist. Dass das so nicht zwangsweise stimmt, zeigt ein Blick in die Vergangenheit: Schon Jahre bevor der Westen gegen die Terrororganisation aktiv wurde, nahm die IS westliche Geiseln, um sie zu Propaganda-Zwecken zu exekutieren.

Die IS-Miliz greift westliche Ziele an, weil sie kann, und weil sie auf dem Schlachtfeld herbe Rückschläge erleidet. Der Westen hat den Krieg in Syrien ignoriert, so lange es irgendwie möglich war. Jetzt ist der Krieg aber in Paris—und damit im Herzen der westlichen Welt angekommen. Vielleicht reicht das, um endlich aktiv zu werden.

Mehr Nachrichten rund um die Attentate von Paris findet ihr auf VICE News.