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Das erwarten sich Flüchtlinge von Österreich

Ich habe die Bewohner des Flüchtlingshauses in meiner Heimatgemeinde gefragt, welche Hoffnungen sie an ein Leben in Österreich haben. Und ich habe dabei Dankbarkeit und unendliche Frustration erlebt.
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Seit Wochen diskutieren wir in Österreich über Flüchtlinge und darüber, wie mit ihnen umgegangen werden soll. Man hört viele Stimmen, die sicher sind, zu wissen, was die Beweggründe dieser Menschen sind, nach Österreich zu kommen, und was genau sie sich in Österreich erwarten. Manchmal wird in dieser Debatte ein bisschen vergessen, dass es hier um Leute geht, die auch eine eigene Stimme haben und ihre Wünsche, Probleme und Anliegen auch selbst äußern können.

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In Lengau, der Gemeinde, in der ich aufgewachsen bin—sie liegt ziemlich genau in der Mitte zwischen Salzburg und Braunau—wurde im letzten Winter ein altes Gasthaus zu einem Flüchtlingshaus umfunktioniert, das nun von der Caritas betrieben wird. 25 Männer aus Syrien, dem Irak und Afghanistan, und eine Familie aus der Ukraine leben dort zusammen. Sie sind zwischen 19 und 38 Jahren alt. Einige von ihnen haben mir in Gesprächen erzählt, mit welchen Erwartungen und Hoffnungen sie nach Österreich geflüchtet sind und was ihre Beweggründe waren, ausgerechnet unsere kleine Republik auszuwählen.

Die Erlebnisse und Ansichten, die ich zu hören bekommen habe, sind komplett unterschiedlich und machen ziemlich offensichtlich, wie wenig Sinn es hat, alle Flüchtlinge über einen Kamm zu scheren. Ein paar grundlegende, ganz banale Ansprüche und Wünsche an das Leben in Österreich haben sie aber alle gemeinsam. Viele der Bewohner haben mir auch erklärt, dass sie gerne noch mehr erzählen würden, aber dass es ihnen schwerfällt, überhaupt über die Erlebnisse der Flucht und des Krieges zu sprechen. Und neben Dankbarkeit für die Hilfe aus der Bevölkerung habe ich in diesen Gesprächen leider auch Desillusionierung und unendliche Frustration darüber, wie man als Flüchtling in Österreich von offizieller Seite behandelt wird, erlebt.

Safwan, 22

Den Entschluss, Syrien zu verlassen, habe ich letzten September gefasst. Ich habe damals in meiner Heimatstadt Daraa als Journalist gearbeitet. Weil ich über den Terrorismus der Rebellen dort berichtet habe, drohten sie, mich zu töten. Deswegen musste ich das Land verlassen. Bevor ich flüchtete, fragte ich meine Freunde, auf welchem Weg ich versuchen sollte, nach Europa zu kommen und wohin genau ich gehen sollte. Ich entschied mich für das Land, das ich für das beste hielt: Österreich. Ganz primär deshalb, weil ich auf auf der Suche nach Gerechtigkeit und Frieden war.

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Zwei Monate hat die Reise nach Österreich gedauert. Ich bin von Syrien in die Türkei geflohen, und dann weiter nach Griechenland. Aber dort hat mich die Polizei festgenommen—ich wurde zurück in die Türkei gebracht. Mein nächster Versuch, über die griechische Grenze zu gelangen, scheiterte. Letztendlich bin ich dann mit dem Boot über das Mittelmeer nach Italien gekommen.

Von Italien aus bin ich mit dem Zug über die Grenze nach Österreich gefahren. Aber dann stiegen Polizisten in den Zug, um zu kontrollieren. Und diese Polizisten behandelten mich nicht gut. Sie beschimpften mich und sprangen mit mir um, als wäre ich kein Mensch. Sie behandelten mich wie einen Schwerkriminellen, als hätten sie jemanden von der Mafia erwischt. Ich wurde in eine Zelle in einer Polizeistation gebracht und am nächsten Tag schickten sie mich zurück und übergaben mich an die italienische Polizei. Doch etwas später wollte die österreichische Polizei mich aus irgendeinem Grund doch wieder haben und so wurde ich von Italien wieder nach Österreich gebracht.

Bevor ich in Österreich ankam, dachte ich, dass ich hier Gleichberechtigung finden würde. Aber das war nicht der Fall. Ich dachte, dass ich Gerechtigkeit finden würde, aber auch die fand ich nicht. Ich wurde hier ganz und gar nicht gut behandelt. Ich hatte gedacht, dass alle Menschen hier tolerant und offen sein würden, und Verständnis für meine Situation haben würden. Aber mir ist schnell bewusst geworden, dass es in diesem Land offensichtlich ziemlich viele rassistische Menschen gibt. Bei Weitem nicht alle, aber erstaunlich viele. Was es für mich hier wirklich so schwer erträglich macht, ist, dass ich mein eigenes Schicksal nicht kenne. Ich sitze hier fest. Ich warte seit Ewigkeiten auf meine Vorladung, damit über meinen Status entschieden wird. Aber bisher habe ich noch nicht einmal einen Termin bekommen. Ich kann Tag ein, Tag aus nichts anderes tun, als an die Wand starren und nichts zu tun. Wenn man mit den Behörden spricht, wird man einfach abgewimmelt, als wäre man kein Mensch. Ich muss sogar sagen, dass viele Dinge in meiner Heimat besser funktioniert haben als hier. Das mag unglaublich klingen, aber mittlerweile frage ich mich manchmal, ob meine Lage hier eigentlich wirklich besser ist als in Syrien. Ich habe von den Zelten gehört, in denen Flüchtlinge jetzt leben müssen. Das ist doch Wahnsinn. Ganz ehrlich: Wenn Österreich keinen Platz für Menschen wie uns hat, warum machen sie dann nicht einfach gleich ihre Grenzen dicht und sagen schon im Vorhinein, dass wir hier nicht willkommen sind? Und das Schlimmste ist, ich darf nicht einmal in ein anderes Land gehen. Ich muss hier bleiben. Wenn es keine Plätze für uns gibt, wenn man nicht einmal einen Termin für eine Anhörung bekommt, warum lässt man uns nicht zumindest weiterziehen? Manchmal komme ich mir vor wie im Gefängnis. Das ist Bullshit! Lasst mich bitte zumindest gehen. Ich bin auch ein Mensch, ich habe auch Gefühle und Probleme.

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Wenn sich diese Dinge ändern würden, würde ich unglaublich gerne hier bleiben. Ich habe hier im Ort eine Freundin gefunden. Ich würde irgendwann gerne wieder als Journalist arbeiten. Aber unter diesen Umständen kann ich hier nicht bleiben. Wie soll man es in diesem Zustand überhaupt schaffen, sich eine Zukunft in irgendeiner Form auszumalen? Ich kann das in dieser Situation jedenfalls nicht. Ich will, dass die Leute wissen, dass das keine Freiheit ist.

Gennady, 36

Die Ostukraine mit meiner Frau und meinen Kindern zu verlassen, ist mir unglaublich schwer gefallen. Wir mussten unsere Eltern zurücklassen. Wir haben unser eigenes Haus zurückgelassen—das Haus, in dem ich aufgewachsen bin. Aber wir sind gegangen, weil wir uns um die Sicherheit unserer Kinder Sorgen gemacht haben.

Weil meine politische Meinung jener der Mehrheit in meiner Heimatstadt widersprach, ist mein Foto—neben denen von anderen—auf dem Hauptplatz der Stadt ausgehängt worden. Wir wurden als die „Faschisten dieser Stadt" bezeichnet. Zunächst wollte ich das gar nicht ernst nehmen. Ernst genommen habe ich es erst, als Leute anfingen, zu verschwinden. Männer sind an den Arbeitsplätzen von diesen Leuten aufgetaucht und haben sie einfach mitgenommen. Danach waren sie nicht mehr aufzufinden. Daraufhin habe ich mich mit meiner Familie versteckt. Aber an dem Ort, an dem wir uns eigentlich in Sicherheit bringen wollten, wurde plötzlich schweres militärischen Gerät aufgefahren. Von der einen Seite unseres Hauses schossen die pro-russischen Kräfte auf die ukrainischen Kräfte. Die Antwort der ukrainischen Seite war dann der Beschuss der Häuser. Wir saßen diese ganze Zeit über im Bunker des Hauses. Nach Monaten wurde die Lage kurz etwas ruhiger, und wir hatten endlich die Möglichkeit, von diesem Ort wegzukommen. Ein Mann hat uns geholfen, aus der Ukraine herauszukommen, und er sagte uns, dass die beste und sicherste Entscheidung wäre, nach Österreich zu flüchten.

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Ich wusste nicht viel über Österreich. Ich wusste, dass Mozart aus Österreich kommt, dass man hier Deutsch spricht, dass es hier Berge und die Donau gibt. Und dass die Hauptstadt Wien ist. Aber was uns hier ganz genau erwarten würde, das war in diesem Moment nicht wichtig. Alles ging so schnell, dass ich gar keine Vorstellung hatte, was uns in Österreich erwarten würde. Das Einzige, was wichtig war, war, an einen sicheren Ort zu kommen, damit wir uns um das Wohlergehen unserer Kinder keine Sorge mehr machen mussten.

Zunächst sind wir in Linz gelandet. Von dort sind wir nach Thalham in das Erstaufnahmelager gebracht worden. Dann wurden wir von Thalham nach Fieberbrunn in Tirol gebracht. Dort waren wir drei Tage. Dann sagten sie uns, dass wir einen Transfer hierher, zu diesem Flüchtlingshaus, bekommen würden. Sie haben uns aber doch nicht hierher gebracht—sondern uns schon wieder nach Thalham gefahren. Wir bekamen das Zimmer direkt neben jenem, das wir am Anfang bekommen haben. Ich dachte mir nur: „Was soll denn das? Jetzt haben sie uns wieder hierher gebracht." Die Leute meinten, „Es ist heute schon zu spät, wir können euch heute nicht mehr nach Schneegattern bringen." So war der Transport. Tatsächlich wurden wir aber am nächsten Tag doch noch hierher gebracht.

Als wir hergekommen sind, musste ich mir erst einmal selbst bewusst machen, was es bedeutet, ein Flüchtling zu sein. Ich machte mir Sorgen—als Flüchtlinge würden wir wahrscheinlich von der einheimischen Bevölkerung schief angeschaut werden. Ich bin davon ausgegangen, dass es unangenehme Gespräche geben würde. Aber tatsächlich bin ich hier auf viel Verständnis für unsere Probleme gestoßen. Sehr viele Leute haben uns geholfen. Beinahe jeden Tag ist hier jemand vorbeigekommen. Der eine bringt Spielzeug für die Kinder, der andere Gewand—wir wurden ständig gefragt, was wir brauchen. Aber uns war es zu peinlich, zu sagen, was wir brauchen. Eine Frau hat gefragt: „Wie alt ist die größere Tochter? Die ist ja schon im Schulalter! Sie braucht einen Schreibtisch." Dann haben sie uns einen Tisch gebracht. Das war so hilfreich. Wenn man durchs Dorf geht, wird man immer gegrüßt. Ich habe so eine freundliche Reaktion nicht erwartet. Wir haben ein Zimmer bekommen, das groß genug ist, dass die Kinder sogar darin tanzen können. Und wir haben ein eigenes Bad. Das ist mehr, als ich mir erwartet hätte.

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Ich kann mir vorstellen, hier in Österreich eine Zukunft aufzubauen. Was mir hier besonders gefällt, sind die Leute. Die Pünktlichkeit und die Ordnung. Wenn man sich etwas mit den Leuten hier ausmacht, dann kann mich darauf verlassen, dass es auch gemacht wird.

Ich habe in einem medizinischen Kolleg studiert und bin ausgebildeter Zahntechniker. Aber in diesem Beruf habe ich nur wenig gearbeitet. Stattdessen war ich in einem Meteorologiebetrieb tätig, 15 Jahre lang. Und ich hatte einen zweiten Job als Installateur—ich habe eigentlich jede Möglichkeit genutzt, um zu arbeiten und etwas dazuzuverdienen. Das werde ich auch hier machen. Aber als allererstes muss ich die Sprache lernen. Denn sonst kann ich mit den Menschen nicht reden und keine neuen Leute kennenlernen. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Ich brauche den Kontakt zu anderen. Und ich denke, dass ich diesem Staat und den Leuten hier nützlich sein muss.

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Faris, 31

Für mich war letzten November der Punkt erreicht, an dem klar war, dass ich Syrien verlassen musste. Ich musste an einen Ort, von dem aus ich meine Frau und meine Kinder auf sicherem Wege aus diesem Krieg und den permanenten Bombenangriffen in Syrien wegbringen konnte. Mein Ziel war von Anfang an klar: Österreich. Weil ich nur Gutes über dieses Land gehört hatte und man sagt, dass hier unglaublich nette Menschen leben. Vor allem aber deswegen, weil Österreich für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung steht.

Ich kann nur sagen, dass es unglaublich schwer war, hierher zu gelangen. Und nun, wo ich hier bin, ist es nicht annähernd so, wie ich es mir erwartet hatte. Ich hatte mir hier eine viel bessere und fairere Situation erwartet. Und das Problem ist nicht die Bevölkerung, die Menschen hier sind großartig. Das Problem ist die Regierung und die Leute, die das Sagen haben. Von der behördlichen Seite wird uns hier alles so unglaublich schwer gemacht.

Seit Monaten versuche ich eine Erlaubnis zu bekommen, meine Familie hierher zu bringen. Wir warten und warten und warten. Es muss etwas geändert werden, in der Art, wie mit Menschen wie uns von den Behörden umgegangen wird. Man sitzt hier fast ein Jahr herum, ohne irgendetwas tun zu können—zwar nicht alle, aber der Großteil der Menschen, die vor dem Krieg geflohen sind. Als ich gehört habe, dass hier jetzt sogar Zelte aufgestellt werden, in denen die Flüchtlinge leben müssen, war ich einfach schockiert. Für mich wird diese Situation von Tag zu Tag immer unerträglicher. Ich habe genug von diesem konstanten am Fleck treten. Es macht mich wahnsinnig, dass ich nicht zu einem normalen Leben übergehen kann, weil meine Familie in Syrien festsitzt. Wie soll man schlafen, wenn man weiß, dass seine Familie noch immer in diesem Zustand leben muss? Niemand hier kann sich vorstellen, was das für ein Gefühl ist. Diese Frustration ist gar nicht vorstellbar, wenn man sie nicht selbst erlebt.

Aber ich will meine Familie nach Österreich bringen. Unsere Zukunft ist hier, denn nach Syrien kann ich nicht zurück. Syrien gibt es nicht mehr. Stattdessen gibt es dort jetzt chemische Waffen und Leichen. Es gibt keine Elektrizität mehr, keinen Strom, gar nichts. Selbst, wenn der Krieg enden würde, wäre dort kein normales Leben mehr möglich.

Bevor ich das Land verlassen habe, habe ich in der Finanzabteilung eines Ölkonzerns gearbeitet. Wie viele Syrer bin ich gut ausgebildet und habe einen Universitätsabschluss. Natürlich müssen wir zunächst einmal die deutsche Sprache lernen. Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass ich, wenn ich erst einmal die Sprache gelernt habe, hier alles schaffen kann. In Schweden zum Beispiel, da gibt es einen Kerl aus Syrien, der es geschafft hat, einen Job bei der größten Finanzfirma des Landes zu bekommen—auch er musste lediglich die Sprache lernen, dann standen ihm alle Tore offen.

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