FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

Wir haben mit einem U-Boot-Kapitän über Führung in Stress-Situationen gesprochen

Unwissenheit und untätiges Rumsitzen würden Panik auslösen, meint Captain David Marquet, der quasi unter Wasser eine neue Art von Vorgesetztem entdeckte.

Jeder fürchtet sich vor irgendwas. Einige fürchten sich vor Spinnen, andere haben Angst vor Menschen und es gibt sogar solche, die Angst vor England haben (es heißt Anglophobie und ist tatsächlich eine Sache). Angst zu haben ist menschlich. Aber aus Angst kann bekanntlich sehr schnell Panik werden—und zwar die Art von Panik, die dich so lange im Kreis rennen lässt, bis die von dir gezogene Spur so tief ist wie deine Körpergrösse.

Anzeige

Einem guten Dutzend solcher Ängste ist man an Bord eines U-Boots ausgesetzt. Nicht, dass wir jetzt annehmen, dass ihr alle mal in diese Situation kommen werdet, aber: Wer zur Hölle soll sich mit Stress und Belastung besser auskennen, als jemand, der hunderte Meter unter Wasser nicht nur für sein, sondern auch für das Leben einer ganzen Crew verantwortlich ist? Deshalb haben wir David Marquet, einen ehemaligen U-Boot Kapitän der US-Navy (der übrigens am 28. Januar in Zürich live am WORLDWEBFORUM referieren wird) gefragt, was es braucht, damit in einer Stress-Situation nicht das komplette Chaos ausbricht.

VICE: Hallo Mr. Marquet, was genau ist die Aufgabe eines U-Boot-Kapitäns?
David Marquet: Ein U-Boot Kapitän ist für die Taten und die Sicherheit seiner Crew innerhalb des U-Boots zuständig. Wir haben verschiedene Grundziele, die wir erreichen müssen. Das erste Ziel ist aber immer die Mission zu erfüllen. Das bedeutet, dass 1. das U-Boot in eine gefährliche Situation gebracht wird und wir 2. trotzdem die Mannschaft gesund wieder nach Hause bringen müssen.
In meinem U-Boot wollte ich aber nicht nur stur die von mir erwarteten Aufgaben erledigt haben, sondern auch allen aus der Crew dazu verhelfen, sich ebenfalls wie ein Oberhaupt zu verhalten. Ich sage immer: „Wir machen aus einem Kapitän und 134 Untergebenen 135 Kapitäne". Man kann schliesslich auch 135 Denker besser gebrauchen als nur einen Denker und 134 Ausführer.

Anzeige

(Fast) alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von David Marquet.

Also wart ihr alle Anführer auf dem U-Boot?
Wir waren alle Anführer und wir waren alle Untergebene. Wir führten uns selbst und alle übernahmen die Verantwortung, falls etwas schiefging.

Aber Sie sind immer noch der Anführer, der die Befehle gibt, oder?
Das Interessante ist, dass ich mit meiner Crew abgemacht habe, dass ich ihnen keine Befehle mehr geben werde.

Und wieso?
Das Geschäft hat viel mit selbständigem Denken zu tun. Wenn Sie eine Liste von Ihrem Boss bekommen, in der steht: „Mach dies und mach das", nimmt das die Möglichkeit selbständig zu denken. Dadurch schwinden der Reiz und die Leidenschaft für die eigene Arbeit. Wenn man aber das eigene Gehirn anstrengen muss, wird es für die Mitarbeiter sehr viel interessanter. Sie sind so motivierter und mehr bei der Sache.

David Marquet als er Kapitän der USS Sante Fe wurde.

In Ihrer Position muss man bestimmt auch in brenzligen Situationen einen kühlen Kopf bewahren können. Haben Sie da einen bestimmten Trick?
Natürlich. In brenzligen Situationen stellen sich die meisten Menschen sofort vor, dass alle Mitglieder der Mannschaft verrückt spielen und das tun, was sie wollen. So ist es aber gar nicht. Wir sind wie eine Fussballmannschaft: Jeder der elf Spieler auf dem Feld entscheidet individuell, wo er sich hinstellt, um der Mannschaft zum Sieg zu verhelfen. Ich sage nicht jedem einzelnen, was er zu tun hat.

Wie vermitteln Sie das?
Meiner Meinung nach gibt es zwei Arten von Anführern: 1. der Alleswissende-Allessagende. Diese Art hat alle Antworten auf jede Frage und erteilt alle Befehle. Die effektivere Art von Anführern ist aber der Alleswissende-Nichtssagende. Du solltest alle nötigen Antworten wissen, falls deine Crew Fragen hat, aber solange alles gut ist, solltest du ihnen nicht unnötig helfen. In 99.9 Prozent der Zeit befinden wir uns nicht in einer Krise. Dann sollten sie selbständig überlegen können: Was würden wir tun, wenn der Kapitän nicht hier wäre?

Anzeige

Die USS Santa Fe.

Haben Sie einen Trick, falls Sie selber in Panik geraten sollten?
Ich gerate eigentlich nie in Panik. Es ist witzig, aber je furchteinflössender die Situation ist, desto ruhiger sollte man bleiben. Wenn wir üben, setze ich die Jungs manchmal extra unter Druck: „Was willst du jetzt tun? Was willst du jetzt tun?" Aber im echten Leben würde ich ihnen immer raten, so ruhig wie möglich zu bleiben. Unter Druck ist es für das menschliche Gehirn scherer, einen klaren Gedanken zu fassen. Einfache Dinge wie tief ein- und ausatmen helfen bereits, sich zu beruhigen.

Und haben Sie manchmal Angst?
Ich habe keine Angst um mein Leben, aber ich finde es zum Beispiel furchteinflössend, zugeben zu müssen, dass ich die Antwort auf eine bestimmte Frage nicht weiss.

Wovor haben sie die grösste Angst?
Ich habe grosse Angst davor, die Kontrolle abzugeben—was witzig ist, weil ich anderen Leuten genau das beibringe. Aber wenn ich aus meinen Jungs Anführer machen möchte, muss ich die Entscheidungen auch mal ihnen überlassen können. Und ich habe ein wenig Höhenangst.

Die Kapitäne mit ihrer Crew. Mit freundlicher Genehmigung vom WORLDWEBFORUM

Was kann man machen, um nicht in Panik zu geraten?
Wir geraten in Panik, weil wir auf die vorherrschende Situation nicht vorbereitet sind. Es geht also nicht darum, was man tun soll, wenn man sich bereits in dieser Situation befindet, sondern darum, wie man sich auf die Situation vorher vorbereiten kann. Die Lösung ist nicht ein Trick, um die Panik verschwinden zu lassen. Die Lösung ist, sich auf jede Gegebenheit vorzubereiten, solange sie noch nicht eingetroffen ist.

Anzeige

Wie gehen sie mit Leuten um, die Panik verbreiten?
Wissen Sie, das kommt eigentlich gar nie vor. Alle kennen ihren Job und wissen, was in heiklen Situationen zu tun ist. Diese Hollywood-Filme geben den Leuten einen ganz falschen Eindruck davon, wie das Leben auf einem U-Boot so abläuft. Sie zeigen nicht die harte Vorbereitungsarbeit, die hinter jeder Krisensituation steckt. In einer gut eingespielten Truppe, rennt niemand mit in die Luft gestreckten Händen herum und schreit um Hilfe. Jeder weiss, was er zu tun hat und niemand muss auf irgendwelche Befehle warten. Denn Unwissenheit und untätiges Rumsitzen ist das, was Panik auslöst.

Und was tun Sie, wenn ein einzelnes Crew-Mitglied in Panik ausbricht?
Dann müssen wir ihn loswerden. Das geht gar nicht. Wir würden ihn an Land bringen. Oder mit Beruhigungsmitteln ruhig stellen.

Was war die gefährlichste Situation, in der sie sich je befunden haben?
Es gibt Situationen über die ich nicht reden darf. Wir haben ab und zu einige Fehler gemacht, weil ich meinem Team zu viel Kontrolle überlassen habe. Einmal haben wir aus Versehen den Plattformträger eines Torpedos fallen gelassen. Da hatte ich wirklich Angst. Glücklicherweise war nichts unter uns und alles ging gut.

Was müsste geschehen, dass sie sich gegen ihre Befehlshaber richten würden, also Befehle missachten würden?
Nun, ich bekam auch schon Anweisungen, die ich nicht wirklich schlau fand. Manchmal haben wir sie ausgeführt, manchmal nicht. Manchmal wurde uns unnötiger Papierkram aufgetragen, den wir nicht gemacht haben.

Anzeige

Wie ist es, wenn Sie eine falsche Entscheidung treffen? Rechtfertigen Sie sich dafür oder darf man als Captain keine Fehler zugeben?
Ich habe schon sehr viele falsche Entscheidungen getroffen. An eine kann ich mich aber besonders gut erinnern: Wir waren damals mit einem Special-Forces-Team an der Oberfläche unterwegs. Wir befanden uns nahe dem Land und ich dachte, wir müssten uns davon entfernen, als wir eigentlich darauf zusteuern mussten. Als ich die Anweisung gab, vom Land weg zu steuern, meldete sich ein Crew-Mitglied zu Wort und widersprach mir. Das war sehr mutig von ihm. Generell ist es für einen Kapitän sehr unüblich Fehler zuzugeben, aber ich tu es—auch wenn mir das sehr schwer fällt.

Die Crew von David Marquet.

Was tun, wenn die Mannschaft eine Entscheidung nicht akzeptiert?
Es kommt darauf an, welche Entscheidung sie nicht akzeptiert. Einmal wollte ich meiner Mannschaft zum Beispiel beibringen nicht mehr von „denen", sondern nur noch von „uns" zu reden. „Wir" haben den Torpedo nicht geladen. „Wir" haben vergessen dies und das zu tun. Das sollte den Zusammenhalt der Gruppe stärken. Natürlich machten das nicht alle auf Anhieb. Um meine Entscheidung durchzusetzen, fing ich dann an, diejenigen, die von „denen" sprachen, zu ignorieren.

Sie haben das Buch Turn the Ship around! geschrieben. Worum geht es da?
Es geht um meine Zeit auf dem U-Boot und meine persönliche Verwandlung von einem Allwissenden-Allsagenden Kapitän zu einem Allwissenden-Nichtssagenden Kapitän. Es geht auch darum, wie wir es geschafft haben, von der Crew mit der schlechtesten Moral zu der Crew mit der besten Moral zu werden.
Wir haben auf unserem U-Boot mehr Anführer hervorgebracht, als jedes andere Schiff, weil ich damit aufgehört habe, meiner Mannschaft Befehle zu erteilen. Es macht mich sehr stolz, dass alle zehn Crew-Mitglieder am Schluss meines Buches selbst zu U-Boot-Kapitänen werden.

Anzeige

Falls du noch mehr von David Marquet hören willst, kannst du dir hier ein Ticket für das WORLDWEBFORUM in Zürich kaufen, wo David Marquet live über seine Erfahrungen bei der US-Navy erzählen wird. Grössen wie John Sculley von Pepsi, Jeremy Tai Abbet von Google, Thomas Schulz vom Spiegel und viele mehr werden am 28 Januar ebenfalls da sein, um dir ihr Wissen weitergeben zu können.

Sascha auf Twitter: @saschulius

Vice Schweiz auf Twitter: @ViceSwitzerland


Titelbild: Michelle | Flickr | CC BY 2.0